aus telegraph 5/1996
Berlins Innensenator Schönbohm hat neue Nachbarn: 500m Luflinie („in Schußweite“, taz vom Mittwoch) von seinem Haus entfernt wurde letzten Dienstag eines der vielen leerstehenden Häuser in Kleinmachnow besetzt.
Die ursprünglich wohl als Picknick mit Kaffee und Kuchen geplante Aktion scheint sich zu etablieren; ursprünglich dachte eigentlich keineR der Besetzer daß länger als zwei, drei Stunden bis zur Räumung vergehen würden. Doch entgegen allen Befürchtungen, und wohl auch durch Schussligkeit des Eigentümers, ist das Haus jetzt seit über eine Woche besetzt. Brandenburg ist halt doch (noch) nicht Berlin, die Bullen hielten sich merklich zurück. Der aufgeregt herbeigeeilte Besitzer des Grundstücks verlangte erst eine sofortige Räumung, geriet dann aber auf Nachfragen der Besetzter, was er denn eigentlich mit dem Haus vorhabe in die Defensive, und sprach dann ein einstweilige Duldung aus.
Die Akzeptanz der Anwohner ist erstaunlicherweise recht hoch. Anscheinend hat man im Ort auch langsam kapiert, das da irgendwas mit dem gängigen Mieter/Vermieter-Prinzip nicht so ganz hinhaut. Sind doch mehr als drei viertel der Anwohner selbst in ihren Häusern gerade noch geduldet. Fast auf alle Häuser (so 85%) im Ort laufen Rückübertragungsverfahren oder sind bereits ‚entschieden‘, es hagelt zur Zeit Eigenbedarfskündigungen. Der Ort mausert sich zum neuen Schicki-Städle, das Einkaufszentrum ist schon fertig, es wird gebaut, irgendwo müßen die Bonnzen ja hin. Auch Berlins Innensenator Schönbohm (is auch’n Bonner, der kam erst zum Amtsantritt nach Berlin) hat sich bereits sein Plätzchen im Grünen gesichert.
Nicht zuletzt deshalb auch diese Aktion: angesichts der Häuser-Räumungen in Berlin den letzten Wochen wollte mensch ‚unserem Innesenator mal zeigen, wie Hausbesetzer eigentlich aussehen‘. Aus der Demonstration scheint sich ein längerfristiges Wohnprojekt zu entwickeln, eine kleine Gruppe von Kleinmachnowern und Berlinern hat es sich dort wohnlich gemacht. Bullizei und Bürgermeister haben wenig Lust, eine gewaltsame Lösung zu erzwingen. Man(n) hat wohl keine Lust, für den Berliner Innensenat die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Der Eigentümer scheint auch keine konkreten Pläne für das Haus zu haben, nach Angaben der Nachbarn will er am liebsten abreißen und neu bauen.
Witzig ist die Berichterstattung der Presse: Wann hat man jemals ausgerechnet in der Bild-Zeitung ein „Hurra, die ersten Hausbesetzer sind da!“ gelesen?
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