Gelöbnix

Erste neudeutsche Rekrutenvereidigung in der Hauptstadt der Teutschen

von Gerold (Hilli) Hildebrand
aus telegraph 5/1996

Kurzerhand war das sich sträubende rot-grüne Bezirksamt Charlottenburg entmachtet worden. Die Entscheidung für das Militärritual fiel auf Senatsebene. SPD-Politiker begannen, sich zu outen. So der neue Umweltsenator Strieder („Ich bin kein Pazifist.“) und Stahlhelm-Böger („Die Linke braucht ein gefestigtes Verhältnis zur T ruppe.“) .Treibende Kraft allerdings war der neue Innensenator Schönbohm, bei dessen Amtsantritt die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus stahlbehelmt erschien. Schönbohm, zuvor Bundeswehrgeneral, kann sich nicht trennen von den Jungs in den Uniformen. Exhibitionistisch veranlagt zudem, muß er sie unbedingt in der Öffentlichkeit ausstellen. Das sei Normalität, definiert er. Nun gut, wenn es Herr Schönbohm nötig hat, dann sei ihm gesagt, daß es dafür in Berlin entsprechende Clubs gibt, wo sich Uniform- fetischisten zu S/M-ernsten Spielen treffen.

Aber leider ist alles viel ernster. Deutsche Machtpolitiker wollten im Vorfeld der NATO-Tagung in Berlin – gut getimet 3 Tage nach dem Gelöbnis – zeigen, daß Berlin nicht mehr die Hauptstadt der Verweigerer sei. Europäer, allen voran die Deutschen, wollen endlich ihre eigenen Militäroperationen für die europäische Identität – out of area – durchführen, ohne den Großen Bruder aus Übersee fragen zu müssen. Martin Schulze spricht im Tagesthemen-Kom- mentar zur NATO-Tagung von einem Tag der in die Geschichte eingehen wird: “Heute wurde die Konsequenz aus dem Untergang des sowjetbeherrschten Sozialismus gezogen.” ??? Ganz schön spät, könnte man sagen, aber: Von Abschaffung des Militärs war doch gar nicht die Rede? Nein, es ging nur um die selbständig operierende multinationale Macht Europa.

Da werden schon mal 3000 Polizisten für 300 Rekruten aufgebo- ten. ZAK-Fritze Küppersbusch stellte besorgt die Frage, ob dieses Verhältnis im Verteidigungsfall durchzuhalten sei.

Tatwerkzeug Trillerpfeife

Panik ausgelöst hatte wohl die Ankündigung der Gegendemonstration: Ja, stören. Die Demo wird kurzfristig verboten, dann doch am Tag vor dem Militärspektakel gerichtlich genehmigt – allerdings in gehörigem Sicherheitsabstand. Selbst polizeiliche Tieflader, Bagger und schweres Räumgerät waren aufgeboten worden.

Polizisten im Kasernenhofton schreien Demonstranten an: Los, los haut ab hier, Marsch, Marsch. Gelernt ist gelernt. Einige der Faustschläge und Brutaloüber- griffe der Bullen waren auch auf verschiedenen Fernsehkanälen zu verfolgen.

Am beeindruckendsten die Szene, die die Pro 7-Nachrichten brachten: Demonstrant: Pfeift Triller. Polizist (Kommando 233): Schlägt ihm Faust ins Gesicht. Einigen Militärgegnern war es gelungen, sich unter die Zuschauer hinter der Absperrung zu mischen. Wehe ein Demonstrant zückte eine Trillerpfeife. Er wurde erst mal festgenommen. Mit martialischer Freude zertrampelten uniformierte und Zivilpolizisten Plastetrillerpfeifen. Einige dieser Tatwerkzeuge wurden wohl auch sichergestellt. Dabei wollten die Demonstranten doch nur die Rekruten an den morgendlichen Pfiff zum Antreten gewöhnen.

Medienwirksam blieben nur Festnahmen von prominenten Abgeordneten. Insgesamt gab es über 70 (die Polizei sprach von 24 Festnahmen) und 4 Inhaftierungen. Festgenommen wurden z.B. 2 Männer, die auf einem Dach ein Transparent mit der Aufschrift: “Abtreten” entrollt hatten. Schwerer Landfriedensbruch, Körperverletzung, Widerstand lauteten die Vorwürfe gegen die Festem nommenen, von denen einige bis zum Morgengrauen festgehalten wurden.

An der Jubelfront

Es war schon nicht einfach vor das Schloß zu gelangen, obwohl ich extra die Demo gemieden hatte. Dort alle paar Meter: Deutscher Polizist mit deutschem Schäferhund – natürlich ohne Maulkorb.

Ich erinnere mich an ein Erlebnis in der DDR, Anfang der 80er Jahre in Ostberlin. Ich kam gerade aus dem Kino International, wo der Film „Missing“ über die chilenische Militärdiktatur gezeigt wurde und dachte draußen, der Film geht weiter. Es war die Probe zur Militärparade am 7. Oktober, die nach Filmbeginn begonnen hatte.

Auch sonst DDR-vertrautes. Um für den gewünschten Applaus zu sorgen, wurden ganze Militär- Kompanien aufgeboten. In Uniform, aber auch in „Zivil“, damit es nicht so auffallen möge. Selbst für die an ihren Ohrsteckern identifizierbaren Zivilpolizisten (Stasi-Zivis trugen noch Gelenktäschchen, wegen der größeren Geräte sowjetischer Bauart), war Klatschen befohlen. O.K., es gab dann noch ein Dutzend freiwilliger Klatscherinnen, meist älteren Semesters, die mich z.B. belegten: „Dich haben sie wohl nicht genommen.“

Eigentlich hätte es noch ganz nett werden können. Luftballons der Kampagne mit Flugblättern flogen über den Einmarsch der Gladiatoren und wurden vom Winde verweht. Am Vortag hatte die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär extra eine Gartenzwergparade hier abgehalten.

Die Sonne strahlte Ozon. Just als Roman Fierzog die Worte sprach “Soldaten sind keine Mörder, im Gegenteil…” (Gemordete), kippte der erste Rekrut um – von ein paar Fernsehstationen später noch mal gern gezeigt. Apropos: Es gab eine strikte Mediengleichschaltung. Zugelassen waren nur ausgewählte Hofberichterstatter, z.B. als einzige Radiostation 100,6. Selbst die ARD, ZAK-Zak, mußte draußen bleiben. Das Bl-Spezial (SFB) zum Gelöbnis bestätigte die übelsten Vorahnungen. Hatte eine Woche zuvor der SFB noch bei der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär Interesse für ein Interview angemeldet, hieß es später, der Senderahmen sei mit der Rede des Bundespräsidenten bereits erschöpft. Engert, Kontraste- Chef und früher mal kritisch-engagiert, sprach den Tagesthe- men-Kommentar, als stünde eine Mobilmachung bevor.

2+2=5

Böse Sprechchöre skandierten die Demonstranten, z.B. “Sparen, sparen!” oder “Militär ist nicht normal”. Als manche nach den Mördern riefen, gab es sofort Festnahmen. Hinterher konnten die Demonstranten nur noch rufen: Wir dürfen nicht mehr Mörder rufen oder Wir dürfen nicht mehr sagen: 2+2=4.

Bei des Bundespräsidenten Rede ging plötzlich eine Rauchbombe hoch – der Feind mitten unter den Jubelbefohlenen. Ozeanien? Eurasien? Egal! Erst mal feste druff, stürmten die behelmten grünen Marsmenschen in die Menge.

Unterm Strich

“Dürfen wir mal eben mit unserem Hubschrauber in ihrem Pfarrgarten landen?”, so oder so ähnlich klang es in der letzten Maiwoche am Telefon von Pfarrer Weber. Es war die Bundeswehr. Sie will nun im Juni bei Greifenhain bei Neupetershain (nahe Cottbus) ein öffentliches Manöver abhalten. Der Vikar, früher im Umkreis der Umwelt-Bibliothek, sprach natürlich ein Verbot aus. Ob sich die Bundeswehr daran hält?

Herr Schönbohm sollte doch wieder hinter Kasernenmauern verschwinden, wenn er das normale Leben nicht aushält. Da kann er, das sei ihm auf einer umzäunten Spielwiese zugestanden, auch Häuserräumungen üben, ohne damit Menschen in die Obdachlosigkeit zu treiben. Wenn er das dann auch noch selbst bezahlt, ohne Steuergelder zu mi ßbrauchen, wären wir doch voll zufrieden. Wir sind doch tolerant. Natürlich streng farbspray- dosenfrei. Herrn Böger kann er dann gleich mitnehmen.

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