Mediales

Neues aus der Bücherwelt

von knobi
aus telegraph 5/1996

Am 18. 6. 1976 erschien in West-Berlin zum Erstenmal die Zeitschrift „radikal“, und die Fußballmannschaft der BRD besiegte die jugoslawische im EM-Halbfinale 4:2 nach Verlängerung. Was das Eine mit dem Anderen zu tun hat? Jugoslawien existiert als Staat nicht mehr, der „radikal“ wurde zum 20. Geburtstag ein Buch geschenkt. Aus dem Titel ist dann auch bereits ersichtlich, daß es sich hierbei nicht nur um ein schlichtes Abfeiern einer West-Berliner Ikone handelt: 20 Jahre radikal – Geschichte und Perspektive autonomer Medien (Vlg. Libertäre Assoziation / Unrast Vlg. / Vlg. der Buchläden Schwarze Risse/Rote Strasse / Edition ID-Archiv / 240 S. / 29,80 DM). Und damit der Ausspruch (bzw. die Überschrift eines Interviews) „Solidarität ist wie eine Wärmewelle…“ sich auch finanziell für die Bewegung niederschlägt gehen 5,–DM von jedem verkauften Buch in einen Solifond. In dem Sinne: Happy Birthday radi – auf die nächsten 20 Jahre. Übrigens: Im Anti-Quariat Katalog Nr. 5 gibt es zu diesem Ereignis auch einen kleinen Abriss zur radi, sowie einige ältere Ausgaben der radikal. (Bezug gegen 2,–DM in Briefmarken: Anti-Quariat * Oranienstr. 45 * 10969 Berlin)

Nun war die radikal ja nicht nur ein Symbol für radikale Meinungen, sondern auch für eine neue Art Zeitschriften zu gestalten, und der Edition ID-Archiv ist es eben auch zu verdanken, daß es wieder Bücher auf dem Markt gibt, wo KünstlerInnen politische Bücher machen. Nach dem Erfolg von „CopyShop“ nun der Band 2: geld. beat. synthetik – Abwerten bio/technologischer Annahmen; ein Sampler von BüroBert, minimal club, Susanne Schultz (Ed. ID-Archiv / 271 S. / 29,80 DM). Es geht den Künstlerinnen darum, gegen einen hochstilisierten Kunstbetrieb Arbeiten entgegenzustellen, die Positionen zu Gen-, Bio- und Kommunikationstechnologien darstellen. Dieser Sampler mit Handbuchcharakter wird alle erfreuen, denen nur Theorie zu wenig ist.

Ein Titel über den noch einiges diskutiert werden könnte ist: Oliver Geden; Rechte Ökologie – Umweltschutz zwischen Emanzipation und Faschismus (Elefanten Press / 252 S. / 28,–DM). Im Sinne der ÖkoLinX wird hier auf die Rechten im Spektrum der Umweltbewegung hingewiesen. Ein durchaus wichtiges Thema, nur sind das keine neuen Fakten, die uns überraschenderweise jetzt erst die Augen öffnen. Eine fast 100jährige Geschichte, und alleine der Rückblick auf 30 Jahre „Grüne“ hat eine Reihe von Publikationen hervorgebracht, die vor einem rechten Einfluß auf jene Bewegung gewarnt haben. Erst die Zerschlagung des Systems (nicht die Übernahme durch eine Partei) wird auch zu einer emanzipatorischen Umweltpolitik führen.

Ein beinharter Kritiker an Staat und Gesellschaft war u.a. Max Stirner, der selbst im anarchistischen Lager nicht unbedingt geliebt wurde, und doch akzeptiert von den unterschiedlichsten radikalen Linken. Einen kleinen, durchaus kritischen Beitrag zur Stirnerforschung bietet die Broschüre: Alfredo M. Bonanno; Max Stirner und der Anarchismus (Ed. Anares/Espero / 30 S. / 6,–DM) in deutscher Erstübersetzung.

In Richtung Literatur wären noch zwei Titel anzumerken, die nicht gerade leichte Kost sind, aber dafür umso spannender: Brandneu erschienen ist: Ángel Crespo; Fernando Pessoa – Das vielfältige Leben (Ammann Vlg. / 480 S. / 68,–DM). Dieses, leider nicht ganz billige Buch des spanischen Pessoa-Kenners, der 1995 verstarb, kannte Pessoa noch persönlich. Nur reichte es ihm nicht einfach nur eine Biographie dieses wohl wichtigsten Dichters Portugals zu schreiben, mit all seinen Schwächen, sondern es ist auch ein Stück europäischer Literaturgeschichte geworden mit reichlich Querverweisungen in allen Richtungen.

Ein anderer, nicht unumstrittener Zeitgenosse, der die jüngste deutsche Literatur mitprägte ist der früh verstorbene Dichter Rolf Dieter Brinkmann. Der secolo Verlag brachte im letzten Jahr zur Brinkmann-Austellung der Universitätsbibliothek Osnabrück den Katalog /:Vechta! Eine Fiktion!/ heraus (100 S. / 58,–DM). Der Katalog, der sehr schön gestaltet ist, und der Brinkmann bestimmt gefallen hätte, ereilt nun ein merkwürdiges Schicksal. Die Erbin ließ gerichtlich den Verkauf des Kataloges wegen angeblich verletzter Urheberrechte verbieten, sodaß der ab 8. Juni 1996 aus dem Sortiment verschwinden wird. Der Katalog stellt ein hervorragendes Dokument über Brinkmanns Jugend in seiner Heimatstadt Vechta dar: „Die Panik runter gelassener Rolläden“, wie Brinkmann in Westwärts 1 & 2 (S. 67) schrieb – auch ein Stück westdeutschen Kleinstadtmiefes, in dem nur renitente Naturen á la Brinkmann eine Überlebenschance hatte, in dem sie diesen Ort fluchtartig verließen. Die Tatsache, daß er heute in Vechta begraben liegt verdankt er seinem verhaßten Vater, und der Tatsache das die meisten Menschen im Alter von 35 Jahren keine Testamente schreiben – vielleicht wäre uns dann auch die heutige Erbin erspart geblieben.

Heiner Müller hielt Brinkmann für „das einzigste Genie in der westdeutschen Literatur“, und während in Vechta nichts an Brinkmann erinnert (nicht einmal der tote Dichter ist hier willkommen), sorgen die Erben dafür, daß es auch so bleibt.

Wer jetzt aber dennoch den Katalog haben möchte, und in seiner Buchhandlung kein Exemplar mehr bekommt, kann sich an die hervorragenden Kollegen in Freiburg wenden: Rosta Jos Fritz Buchversand (die im übrigen auch ein gutes Antiquariat haben) * Wilhelmstr. 15 * 79098 Freiburg * tel.: 0761 / 24835

Salute

(das nächste Gelöbnis kommt bestimmt)

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