Widerstand tut not!

Ein Diskussionspapier zur Hochschulpolitik

aus telegraph 5/2996

„Man braucht intelligente Menschen, um das meiste aus intelligenten Maschinen herauszuholen“ (Zitat aus einem Papier des ERT zur Bildungspolitik)

Verfasser: Ronald Höhner
Redaktionelle Bearbeitung: Astrid Kiesewetter
Herausgeber: Referat für Lehre & Studium
(c/o RefRat der HUB, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, Tel. 2093-2603)
Veröffentlicht am 16. April 1996

Vorwort

Der vorliegende Text ist als eine Diskussionspapier zu verstehen. Er erhebt keinen Anspruch einer wertfreien historischen Aufarbeitung. Er wurde verfaßt, um zu informieren, zu interessieren und vor allem soll er zur Kommunikation über ein totgeschwiegenes Thema anregen: Welche Rolle sollen Hochschulen in der Gesellschaft spielen?

Teil 1: Ein wirklich kurzer Abriß der Bildungspolitik seit 1968

Was Ende der 60er Jahre in Westdeutschland passierte, ist längst Mythos geworden. Horden von Professoren rühmen sich noch heute, „68er“ zu sein. Doch die Reform im Bildungssystem wurde nicht nur durch Revolten und Streiks erreicht, sondern war auch Spiegelbild der damaligen politischen Situation. Die vornehmlich studentischen Proteste fielen also auf einen guten gesamtgesellschaftlichen Nährboden, der nach Veränderungen schrie.

Die Zeit der sehr arbeitsintensiven Gründerjahre in der Wirtschaft war vorbei, die Wirtschaft aufgebaut, ein Sozialstaat mit Absicherungen für die arbeitenden Massen auf den Weg gebracht. Dann kam nach fast 20 Jahren CDU-Regierung die erste sozial-liberale Koalition. Damals hatte die Sozialdemokratie wirklich noch sozialistische Ansätze. Um diesen gerecht zu werden, entwarf die SPD Konzepte zur Umgestaltung der Gesellschaft. Da die Reform der Wirtschaft aussichtslos schien, glaubte die SPD, die Umgestaltung in der Gesellschaft über eine Bewußtseinsänderung in den Köpfen der Menschen erreichen zu können. Folglich rückte die Bildungspolitik das erste und sicher letzte mal in der Nachkriegsgeschichte ins Rampenlicht.

Schlagworte waren zu hören: Man sprach von „Chancengleichheit“, „Fördern statt Auslesen`, „Gesamthochschulen“ oder `Öffnung der Hochschulen`. Das Ziel der SPD war die Erziehung kritischer, urteilsfähiger Bürger und die Chancengleichheit für alle sozialen Schichten. Gleichzeitig jedoch erkannte die SPD die Bildung als Bedingung der Wettbewerbsfähigkeit der BRD. Und das war denn auch schon der Anfang vom Ende. Die weitere Geschichte hat gezeigt, daß die persönlichkeitsorientierte Zielsetzung von Beginn an der ökonomischen nachgeordnet war.
Hochschulen wurden ausgebaut, Fachhochschulen geschaffen, die Idee der Gesamthochschule geboren, das BAföG installiert … es kam zum Sturm auf die Hochschulen. Die CDU/CSU trug diese Expansionspolitik in der Bildung anfangs mit, diente sie doch der ökonomischen Notwendigkeit einer Erhöhung des Qualifizierungsniveaus. Und Qualifizierung wurde Anfang der 70er zu einem entscheidenden Faktor in der Weltwirtschaft. Auf dem Weltmarkt konnte nach dem Weltkrieg so ziemlich alles abgesetzt werden, weil die Produktionskapazitäten nur langsam wiederaufgebaut werden konnten. Doch Ende der 60er war der Markt gesättigt, Qualität war gefragt, ‚das Beste möglichst billig anbieten‘, war die neue Maxime. Und dafür bedurfte es gebildeter, kreativer Tüftler; Wenn man so will, entdeckte man schon Anfang der 70er die Standortdebatte!

Die breite Masse begriff die Bildungschancen tatsächlich als `Bürgerrecht auf Bildung‘ (Dahrendorf), die Bildungsfreiheit bekam eine enorme Eigendynamik und wurde über die Jahre zum Massenbewußtsein, was heute noch zu spüren ist. Die meisten Jugendlichen gehen einfach davon aus, daß sie aufs Gymnasium und später auf eine Uni gehen können, wenn sie das wollen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, eben zum Massenbewußtsein geworden, welches seine Wurzeln vor über 25 Jahren hat. Aber genau hier muß auch die Ursache der heutigen Widersprüche und spürbaren Inhomogenitäten zwischen Bildungssystem, Wirtschaftssystem und staatlicher Ordnungspolitik gesehen werden. Denn niemand ahnte damals, daß eine Öffnung der Hochschulen nicht mehr umkehrbar sein würde.

1975 kam die Rezession. Wirtschaftliche Krisen sind auch Zeiten schlechter Staatsfinanzen. Die Erhöhung der Förder- und Freibeträge wurde teilweise ausgesetzt, die Zuschußfinanzierung des Studiums begann eine Darlehnsfinanzierung zu werden. Wachsende Arbeitslosigkeit und damit verbundene Arbeitsmarktschwierigkeiten der HochschulabsolventInnen brachten die Hochschulöffnung in zunehmende Legitimationsschwierigkeiten. 1977 kam es dann zum „Doppelbeschluß“. Das heißt, einerseits Aufrechterhaltung der Öffnung bei gleichzeitigem Einfrieren der Mittel für die Hochschulen. Mit diesem folgenschweren Beschluß der SPD-Regierung leben wir bis heute. Dieser Doppelbeschluß war der Anfang eines perspektivischen Ersetzens von Chancengleichheit durch selektive Begabtenförderung.

Die Regierungen hielten danach immer wieder an der Öffnung fest, weniger weil die CDU/CSU dieses für sinnvoll und erstrebenswert hält, sondern weil die Beschneidung der Bildungschancen von der Bevölkerung als Demokratieverlust empfinden werden würde. Das Einfrieren der Mittel im Bildungssektor zeigte dennoch Wirkung. Sich ständig verschlechternde Studienbedingungen und Kürzungen in den Sozialleistungen für StudentInnen bildeten mehr und mehr einen „sozialen NC“. Am 13. Mai 1983 schrieb der frischgebackene Kanzler Helmut Kohl im Bulletin der Bundesregierung: `Dem Bürger .. ist die Plausibilität einer weiteren Steigerung der Studentenzahlen angesichts steigender Arbeitslosenziffern auch unter den Hochschulabsolventen und der immer deutlich werdenden Finanznot bei Bund, Ländern und Gemeinden nicht so einfach klar zu machen.` Helmut Kohl benutzte also einen imaginäre Unmut der Öffentlichkeit, um die konservative Bildungsreform einzuleiten.

Ein Tabu war gebrochen und die Zeit der Verunglimpfung der Hochschulen gekommen. Die „Massenuniversität“ wurde als Schimpfwort entdeckt. Negative Schlagzeilen rechtfertigten die nun folgenden drastischen Sparmaßnahmen. Die emanzipatorisch gemeinte `Öffnung für alle sozialen Schichten` verkam zum puren „Offenhalten“, die Hochschulen begannen überzuquellen, während die Finanzen immer mehr zusammengestrichen wurden. Seit 1975 haben sich die StudentInnenzahlen verdoppelt der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttosozialprodukt ist in der gleichen Zeit jedoch von 1,31 % auf 1,12% gesunken. Am 4. September 1985 bricht Helmut Kohl ein weiteres Tabu: „Die besondere Förderung begabter junger Menschen und die Heranbildung von potentiellen Leistungseliten sind eine erstrangige bildungspolitische Aufgabe … Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftskraft sowie die besondere Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland als Kulturnation erfordern nicht nur eine qualifizierte wissenschaftliche Ausbildung für alle Studenten, sondern eine gezielte Förderung besonderer Begabungen und von Leistungseliten.“ (Bonn 1986, Hochschulpolitische Zielsetzungen der Bundesregierung)

Der Forderung nach einer Elitenausbildung war eine weitere gravierende Kehrtwende in der deutschen Bildungspolitik. Interessant ist, daß die Eliten von vomherein mit ökonomischen Notwendigkeiten begründet wurden, also ein gesellschaftsrelevanter Grund gar nicht erst diskutiert wurde. (So war der Begriff ‚Elite‘ auch seiner neutralen und wertfreien Bedeutung beraubt.) Diese ökonomische Ausrichtung prägt die Reformdebatten bis heute. Es ging nicht mehr um ein `Bürgerrecht auf Bildung`, das verwirklicht werden sollte, sondern um die Unterwerfung der Bildung unter ökonomische Notwendigkeiten und wirtschaftliche Ziele.

Persönliche Gedanken und Wertungen
Was seit Anfang der 80er Jahre über notwendige Reformen im Bildungsbereich seitens der CDU/CSU gesagt wurde, knüpft zwar am richtigen Punkt an, führt jedoch zu rein ökonomisch ausgerichteten Lösungsansätzen. Zu recht wurden überfüllte Hochschulen kritisiert, zu recht fordert man Strukturveränderungen. Aber die Lösungsidee dahinter war und ist eine ökonomisch gekettete Elitenidee. Ist die ‚Elite‘ im allgemeinen Sprachgebrauch ein recht neutraler Ausdruck, bekommt sie in der konservativen Bildungsdiskussion einen pechschwarzen Beigeschmack. Denn hier ist unter Elite nicht einfach Leistungsträger oder Begabtenförderung zu verstehen. Im Kontext der CDU/CSU meint Elite zusätzlich die Akzeptanz gegenwärtiger Herrschaftsstrukturen und Wirtschaftsmechanismen. Aus, diesem Blickwinkel versteht sich auch, wieso die Bildung wieder ein Privileg der Reichen werden soll. Denn wenn sich Eliten nur aus reichen Schichten rekrutieren, bleiben Herrschaftsstrukturen stabil!

Die Eliteidee der Konservative hat sogar ein theoretisches Fundament. Es begründet sich auf einem biologistischen Ansatz der Begabungstheorie, nach der Begabung erbbar ist. In dieser Logik bleibt der Prozentsatz „begabter` Kinder in der Gesellschaft konstant und kann durch Erziehung und Bildung nicht erhöht werden und folglich führen steigende StudentInnenzahlen nur dazu, daß Nichtbegabte die Begabten in ihrem Studium behindern. Diese reaktionäre Theorie hat ihre Wiege in Baden-Württemberg und zieht sich von dort aus auch durch die Berliner Hochschulpolitik der 80er und 90er Jahre. Der ehemalige Wissenschaftssenator Erhardt hat diese Begabungsthesen öffentlich vertreten und die moderne Erziehungswissenschaft als Sündenbock der Situation in den deutschen Hochschulen diffamiert, weil diese von einem grundsätzlichen Einfluß der Erziehung, wozu auch Bildung zählt, auf Begabung, Talent und Leistungsfähigkeit ausgeht.

Dieses Elitekonzept, oder besser Kaderkonzept der CDU/CSU war und ist Bestandteil eines großen konservativen RollBacks in der BRD, und nicht nur im Bildungssektor. Soziale Errungenschaften der 60er und 70er Jahre werden zugunsten von Eliten (seien es PolitikerInnen mit ihren Diäten, die steigenden Gewinne der Unternehmer oder die Allmacht der ProfessorInnen) zurückgedrängt. Die über Jahre Schritt für Schritt sich durchsetzende Kaderausbildung an den Universitäten kann somit nur als Teil eines reaktionären gesamtgesellschaftlichen Konzeptes angesehen werden. Der desolate Zustand der Hochschulen machte es der CDU/CSU einfach, ihr Bildungskonzept in den Köpfen der Menschen zu etablieren. Die Öffentlichkeit hatte ihr Interesse an der Bildungspolitik lange verloren, die SPD gab ihre emanzipatorischen Ideale auf und StudentInnen mußte keiner ernst nehmen.

Das konservative Bildungsklientel stellt einen Niveauverlust der deutschen Hochschulen fest, Begabungsmängel bei StudentInnen und ProfessorInnen – allein den Beweis sind sie bis heute schuldig. Natürlich waren an diesen „Tatsachen“ die Massenuniversität und die emanzipatorische Erziehungswissenschaft schuld. Der logische Schluß daraus ist das Bildungsprivileg, die konsequente Auslese und letzten endes die Elitenbildung! Ernstlich kritisiert wird diese herrschende Meinung bis heute nur von Leuten ohne Entscheidungsbefugnis. Das öffentliche Interesse dafür ist gleich Null. Die Bildung hat in Deutschland ihre Lobby verloren durch die Großkampagne der Politik. Die Universitäten wurden zu Sündenböcken.

So zieht sich ein roter Faden vom Ende der 60er Jahre bis heute durch die Bildungspolitik. Die deutsche Konservative hat es geschafft, die vor 1968 sehr elitären Elfenbeinturm-Wissenschaften, an die ökonomischen Ketten zu legen. Wenn heute von Bildung gesprochen wird, meint fast jeder damit die besseren Arbeitsmarktchancen. Wer von Praxisrelevanz in der Lehre spricht, meint doch nur die bessere Berufsbefähigung. Interdisziplinäre Ausbildung heißt doch im Grunde genommen nur Steigerung des Humankapitals am Arbeitsmarkt und Verbesserung der Lehre steht für: ’so schnell wie möglich, so viel wie nötig‘. Und wenn vom Standortfaktor Bildung die Rede ist, spricht man von den Spitzentechnologien universitärer Forschung. Es ist normal geworden in unserer Zeit, daß alles an den Hochschulen nach ökonomischen Spielregeln abläuft. Oder fällt es wirklich noch jemandem auf, daß zwischen ökonomisehen `Notwendigkeiten` und Inhalten von Lehre und Forschung eigentlich kein gesetzlicher Zusammenhang besteht? So erschrickt man nicht mehr, wenn die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft bemerken: `Internationalisierung der Produktion und Globalisierung der Märkte machen auch eine Weiterentwicklung des nationalen Bildungssysterns notwendig` Oder wenn Helmut Kohl weissagt: „Die Wettbewerbsfähigkeit des nationalen Bildungssysterns wird sich vor allem daran erweisen, welche Qualifikation in welcher Zeit vermittelt wird.“ Dieses Zitat vom 30.03.1992 faßt in wenigen Worten den Inhalt konservativer Reformziele zusammen.

Teil 11: Die aktuelle Bildungspolitik seit Beginn der 90er Jahre
Fast möchte man meinen, die Kürzungen im Bildungsbereich des Jahres 1996 hätten wirklich etwas mit Sparzwängen zu tun und seien aus diesem Grund irgendwie verständlich. Doch dieser Schein trügt. Die Politik der 90er Jahre fügt sich nahtlos in ein konservatives Bildungskonzept ein. Es gibt nur eine entscheidende Neuerung. Seit 1993 wird aus Konzepten langsam Politik, die Bildungsidee der CDU/CSU verwirklicht sich. Dieser rote Faden soll im Folgenden aufgenommen werden, um zu zeigen, daß Sparzwänge nur den Vorwand liefern, um mit öffentlicher Billigung die letzte Bastion, das letzte Überbleibsel der Revolten von 1968 an den Unis zu beseitigen, die emanzipatorische Öffnung der Hochschulen.

Das ERT-Papier „Neugestaltung der europäischen Erziehung und Bildung“ (22.09.1993)
ERT steht für den European Round Table of Industrialists (Europäischer Industriekreis). Dieser ist mit Abstand der mächtigste der rund 5000 LobbyistenVerbände, die sich in Brüssel um Einfluß auf die Politik der Europäischen Union bemühen. Der ERT befaßt sich mit vielen Thematiken. Sie reichen von Verkehrspolitik über Steuerpolitik bis hin zu sozialen Bereichen und eben der Bildungspolitik. Praktisch sämtliche Berichte dieses ERT werden in Brüssel begeistert entgegengenommen und finden sich oft schon wenige Monate später in offiziellen EG-Verlautbarungen wieder.

Was hat nun dieser ERT mit uns StudentInnen hier zu tun? Mit der Unterzeichnung der Maastrichter Verträge gingen eine Reihe von Kompetenzen an die EG über. Zu diesen gehört laut §§ 126, 127 auch die Richtlinienkompetenz in der Bildungspolitik.

Das Papier zur „Neugestaltung der europäischen Erziehung und Bildung“ ist nicht das erste, in dem die Großindustrie und das Finanzkapital ihre Ansprüche an das Bildungssystem formulierten. Aber es ist das ausführlichste und zugleich subtilste in seiner Art.

Das umfangreiche Papier soll hier nur in Grundgedanken angeschnitten werden. Es ist oberflächlich betrachtet nicht sonderlich reaktionär, verwendet es doch ähnliche Begrifflichkeiten, wie sie selbst in studentischen Forderungskatalogen vorkommen. Aber der Teufel liegt wie immer im Detail. Dazu nur ein Beispiel: Da steht der schöne Satz:

‚Die Universität ist und muß der Ort sein für kritisches Denken und muß die Studierenden zum kritischen Denken anleiten. Nur wenig später, in einem ganz anderen Zusammenhang, liest man dann: „Wir denken, daß besonders betont werden muß, daß es nicht Aufgabe der Handelsgesellschaften oder der Universitäten ist, Wege zur Änderung der sozialen Struktur unserer Länder (gemeint sind die EG-Länder) zu finden. „ Wozu die Studierenden ihr kritisches Denken verwenden sollen, wenn nicht zu gesellschaftlicher Veränderung, wird etwas später deutlicher: „Man braucht intelligente Menschen, um das meiste aus intelligenten Maschinen herauszuholen. „
Das große Schlagwort dieses Papiers ist das „lebenslange Lernen“. Dabei geht es aber darum, den Arbeitnehmer ein Leben lang in einem verwertbaren Zustand zu halten, es geht also um Qualifizierung für den Beruf und ihre Verwertung. Die Bedeutung von ‚Schule‘ verkommt dabei zu einem Prozeß, in dem schon Kindern anerzogen werden soll, daß die Lohnarbeit und die Unterordnung unter Unternehmensinteressen höchste Pflicht eines Menschen ist. Dieser Tenor zieht sich über die Hochschulen bis hin zu Weiterbildung. Der ERT hat eine Bildungskonzeption entworfen, die einen neuen philosophischen Ansatz darstellt. In dieser Logik dient der Mensch der Wirtschaft und nicht mehr andersherum. Der Mensch lernt, um verwertbar zu sein, um Nutzen zu bringen und nur die Arbeit ist sein Sinn des Lebens. Und das macht den ERT so gefährlich, das ist der reaktionäre Inhalt seiner Thesen und das versucht der ERT mit aller Kraft in den Mitgliedsstaaten der EG zu verwirklichen.

Streitbare Kurzfassung des Papiers:
Mensch sein, heißt Bürgerln sein. Bürgerln sein, heißt sich als Gemeinschaftswesen begreifen.
Sich in einer Gemeinschaft begreifen, heißt diese zu fördern trachten.
Die vorhandene kapitalistische Gemeinschaft zu fördern trachten, heißt sich verwertbar zu machen und zu halten. Sich verwertbar halten, heißt künftig: ’sich bilden ein Leben lang.‘

Das Eckwerte-Papier der Bund-Länder Arbeitsgruppe (Mai 1993)
Im letzten Abschnitt sollte deutlich geworden sein, daß die ökonomische Geißelung der Bildung ein europaweiter, ja weltweiter Prozeß ist und auch nur als solcher verstanden werden kann.
In diesem Zusammenhang hat eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern das sogenannte Eckwerte-Papier erstellt, daß die Weichen für eine neue Bildungspolitik in Deutschland gestellt hat. Mit diesem Papier war der Grundstein für Reformen gelegt. Wesentliche Forderungen waren:
– Trennung des Studiums in Berufsqualifikation und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses – Einführung von sanktionierten Regelstudienzeiten von 9 bzw. 1 0 Semestern – inhaltliche Entfrachtung und Straffung des berufsqualifizierenden ersten Studienabschnittes
– Beschneidung des Rechtes auf Fachrichtungswechsel durch Studiengebühren oder Wechselsperren
– Schaffung eines Anreiz- und Sanktionssystems der Mittelvergabe an die Fächer -Festlegung verbindlicher Prüfungszeitpunkte, wer diese nicht einhalten kann, soll durchgefallen sein – Exmatrikulation bei Überschreitung der Regelstudienzeit
– Berücksichtigung der Studiendauer bei Einstellungen in den öffentlichen Dienst – Ausbau der Fachhochschulen – Einführung eines Wettbewerbs zwischen den Universitäten
– Autonomie der Hochschulen (meint Hochschulmanagement und mehr Macht den Dekanen)
– Intensivierung der Begabtenförderung – engere Vernetzung der Hochschulforschung mit der freien Wirtschaft

Aus diesen Forderungen und konzeptionellen Vorhaben ist eine Akzeptanz des Primats der Wirtschaft offenkundig. Die Vorstellungen des ERT sind seit diesem Papier offizieller Bestandteil bundesdeutscher Bildungspolitik geworden.

Die Ministerpräsidentenkonferenz
(29.10.1993)
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik tagte dieses wichtige Gremium zum Schwerpunkt Bildungspolitik. Die erarbeitete gemeinsame Erklärung aller MinisterpräsidentInnen der Länder stellt eine kritiklose Bestätigung des Eckwertepapiers dar. War das Eckwertepapier bislang lediglich Diskussionsgrundlage, wurde es nun bedeutsam. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Regierungschefs der Länder keine Kompetenz in der Bildungspolitik haben. Einer eventuell anderslautenden Erklärung der Kultusministerkonferenz wurde so jedoch erfolgreich vorgebeugt.
Die wichtigsten Forderungen der Erklärung waren:
– Beschränkung der Regelstudienzeit auf 9 bzw. 1 0 Semester – Einführung von Sanktionen bei Überschreitung der Regelstudienzeit – Differenzierung des Studiums in drei Teile
– Effizienzgesteuerte Mittelvergabe an die Hochschulen und Fachbereiche – Drastische Kürzungen inPflichtlehrstoff und Prüfungen
– wer sich nicht rechtzeitig zu einer Prüfung anmeldet, soll durchgefallen sein – Professoren sollen ihre Lehrverpflichtungen vordringlich nur noch in prüfungsrelevanten Fächern erbringen

Persönliche Gedanken:
Von diesen Forderungen ist bereits viel durchgesetzt in Berlin. Sie stellen eine Mischung aus Sparen und Umstrukturierung dar, wobei offensichtlich die Sparzwänge allenfalls Rechtfertigung, nicht aber Vater des Gedankens sind. Regelstudienzeit mit Sanktionen bei Überschreitung, Kürzungen bei Prüfungen und im Pflichtlehrstoff, die Forderung an Professoren, nur noch auf Prüfungen vorzubereiten, effizienzgesteuerte Mittelvergabe … Was ist das Ergebnis dieser Politik? 1. Konzentration auf berufsorientierte Studiengänge
2. Beschneidung alternativer, kleiner oder nicht am Markt verwertbarer Fächer 3. Beschneidung des freien Zugangs zur Bildung, weil Regelstudienzeiten von AusländerInnen, Müttern, Vätern, Behinderten oder auch aufs Jobben angewiesenen StudentInnen nicht einzuhalten sein werden
4. Bildung wird auf Ausbildung reduziert, und diese soll nur noch das Notwendige beinhalten
In der Konsequenz haben die Ministerpräsidenten im Oktober 1993 die Universitäten an die Ziele der kapitalistischen Marktwirtschaft verkauft und die Bildung an die ökonomischen Ketten gelegt.

Das Haushaltsstrukturgesetz in Berlin (Dez. 1993)
Es war nicht zufällig die Stadt Berlin, in der die neue Bildungsallianz aus Großindustrie und Politik ihr Gesellenstück versuchten. Berlin ist bundesweit die Stadt in der in kürzester Zeit die meisten Studierenden mobilisierbar sind. Hier wollte man den Widerstand testen, hier den Grundstein legen für bundesweite Reformen. Mit Senator Erhardt aus Baden-Würtemberg hatte diese Idee einen glorreichen Vorreiter. Der Bildungssenator legte schon im Juni 1993 einen Hochschulstrukturplan vor, in dem er ganz unverbindlich 15.000 Studienplätze weniger, Regelstudienzeiten, Studiengebühren und Hochschulmanagment forderte. Seine Taktik ging auf. In den wenigen Tagen bis Semesterende überschlug sich der Protest seitens der Universitäten und StudentInnen der Stadt. Es wurden Demos, Protesttage, ja sogar Streiks abgehalten. Dann kamen die Semesterferien und mit ihnen das große Abflauen der Proteste. Im Herbst wurde aus dem unverbindlichen Plan ein Gesetzentwurf der großen Koalition. Zwar mühten sich die StudentInnen redlich, einen neuen Protest anzuzetteln, doch das neue Semester machte die Masse interessenlos und taub gegenüber den Warnungen. Der Berliner Unistreik Ende 1993 kann nur als Pleite angesehen werden. Die einzige nennenswerte Aktion des Herbstes 1993 war die Besetzung des Abgeordnetenhauses von Berlin durch Tausende StudentInnen. Nicht zuletzt dieser Aktion ist es zu verdanken, daß der Wissenschaftsausschuß des Abgeordnetenhauses zumindest teilweise einknickte und im Gesetz nicht die ganze Palette pechschwarzer Maßnahmen verankert wurde. –

Die wesentlichen Neuerungen waren:
– Einführung der sanktionierten Regelstudienzeiten von 9 bzw. 1 0 Semestern – Zwangsberatungspflicht bei Überschreiten der Regelstudienzeit – drastische Sparmaßnahmen im Unibereich
-Streichung von 15. 000 Studienplätzen
Die Sparmaßnahmen führten im Jahr 1994 dazu, daß nahezu alle Studien- und Prüfungsordnungen überarbeitet werden mußten. Pflichtfächer wurden gekürzt, Wahlfächer beschnitten, Lehrstühle blieben unbesetzt, Fächer wurden geschlossen, Fachbereiche unsäglich fusioniert. (Die Studienbedingungen verschlechterten sich weiter.)
Die Reduktion der Studienplätze führte zum weiteren Verschlechtern der Betreuungsverhältnisse, zu weiterer Not bei Praktikas und Überfüllung von Seminaren, weil Studienplatzkürzungen mit einem Abbau des Lehrkörpers einhergehen müssen. Anwesenheitslisten wurden zur Regel, viele neue Fächer erhielten einen „numerus clausus“. Da gleichzeitig das BaFöG nicht angehoben wurde und die Teuerungswelle bei Mieten, BVG etc. vor Studis nicht halten machten, führten die Regelstudienzeiten zu einem harten „sozialen NC“.
Verhindert wurden damals noch die Studiengebühren und eine Generalermächtigung für den Wissenschaftssenator zum Schließen und Zusammenlegen von Studiengängen und Fachbereichen. Wie wir jetzt wissen, war die Warnung des Herrn Erhardt `Wenn ich es in Berlin nicht schaffe, dann kommt es eben über den Bund!` sehr ernst gemeint. Es dauerte gerade 2 Jahre, bis die neue große Koalition das Werk des Herrn Erhardt beendete

Das Haushaltsstrukturgesetz von 1996
Die Vorgeschichte dieses neuerlichen Haushaltsstrukturgesetzes, in welchem es weniger um den Haushalt als viel mehr um die Reformierung des Kultur-, Sozial- und Bildungsbereiches von Berlin geht, begann schon mit den Landtagswahlen 1995. Kurz nach dieser Wahl staunten die Politiker dieser Stadt nicht schlecht, als sie plötzlich ein 50 Milliarden schweres Haushaltsloch entdeckten. Indem man das Fusionsvorhaben mit Brandenburg erpresserisch ins Felde führte, war die Idee eines nie gekannten Sparvolumens geboren. Propagiert wurde Fairneß, praktiziert wird Umverteilung von Arm zu Reich. Endlich hatte man eine so große finanzielle Notlage, die es gestattete, angefangene Streichungen zu vollenden und unliebsame, nicht ins Konzept des Hauptstadtwahns und der ökonomischen Geißelung passende Tendenzen ein für alle mal zu vernichten. Zu diesen zählen zweifellos die Universitäten, mit ihrem selbstdefinierten Anspruch freier Lehre und Forschung, mit ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit und vorsichtigen Kritik an den Zuständen in diesem Land. Im Duett von Medien und Politik gereichte eine riesige Sparlüge zum Vorwand, um das konservative Roll-Back in der Stadt Berlin voranzutreiben, wie es sich für die Hauptstadt von Großdeutschland gehört. Gewinner dabei sind die Unternehmer, Investoren und Gutbetuchten dieser Stadt. Verlierer ist die Menschlichkeit! Im Folgenden ein paar folgenschwere Highlights des Haushaltsstrukturgesetzes:
– Verteuerung der Kita-Plätze
– Entlassung von 2000 LehrerInnen
– Streichung der Zuschüsse zur Schulspeisung und Kitaspeisung – Wegfall der Zuschüsse zu Sozialtickets der B VG
-Praktische Schließung fast aller Jugend-, Kinder-, Sozial- und Frauenprojekte – Halbierung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau
– Verkauf von öffentlichem Vermögen (wie zum Beispiel Anteile an der GasA G) – Wegfall der Lernmittelfreiheit für SchülerInnen (Bücher sollen kosten) – Studiengebühren von 1 00 DM pro Semester
– Generalermächtigung für das Abgeordnetenhaus zum Schließen und Fusionieren von Fachbereichen
– drastische Sparmaßnahmen bei den Universitäten
– Fächerschließungen
– beginnende effizienzgesteuerte Mittelverwendung an den Hochschulen – Abbau weiterer 15. 000 Studienplätze in Berlin
aber:
-Weiterbau des Tiergartentunnels -Investitionszulagen für Investoren in Mitte (Potsdamer Platz … ) – Fortführung des Projekts Großflughafen – Weiterbau der Olympiahallen – Festhalten an der Kanzler-U-Bahn Die Sparmaßnahmen im Unibereich bedeuten das Ende vieler Projekttutorien, das Einfrieren der Bibliotheksmittel, einen Einstellstop für studentische Hilfskräfte und für den akademischen Mittelbau, Professuren werden nicht besetzt werden können, Beratung wird abgebaut … die Studienbedingungen verschlechtern sich weiter.
Die Studiengebühren pflastern den Weg zum Bildungsprivileg (weiter) und verschärfen den „sozialen NC“.

Mit der Kürzung weiterer 15.000 Studienplätze auf nunmehr 85.000 wird sich die Zahl der Studierenden zur Jahrhundertwende in nur 8 Jahren halbiert haben, denn 1993 studierten noch 167.000 StudentInnen in Berlin, wobei es jedoch weit weniger Studienplätze gab. Aber ein Studi konnte seine Regelstudienzeit noch sanktionslos überziehen. Es ist anzunehmen, daß dies im Jahr 2000 nicht mehr gehen wird und somit der Zahl der Studienplätze der der Studierenden entspricht!

Alles nur Schwarzmalerei?
Die Wirtschaftswissenschaftler der HUB haben 1994 im Komplott mit dem Wissenschaftssenator Erhardt eine Prüfungsordnung gegen den Willen der Universität durchgebracht, die einen Einblick in die Zukunft des Studiums geben kann. Studierende dieses Faches sind im Grundstudium für ihre Vordiplomprüfungen zwangsangemeldet. Wer nach 4 Semestern seine Prüfungen nicht anmeldet, ist somit automatisch durchgefallen. Einen Studierenden im 6. Semester ohne Vordiplom gibt es hier nicht mehr, denn nach dem 5. Semester schlägt der Exmatrikulator zu. Das ist zwar gesetzwidrig, aber das muß erst mal vor Gericht erstritten werden. Und die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät weiß, daß die Mühlen der Gerichte langsam mahlen und die StudentInnen die Zeit und das Geld zum Klagen sicher nicht haben.

Aber wer will es den Professorinnen dieser Wissenschaft verdenken, stehen sie doch der Großindustrie am nächsten, verdienen sie dort die Forschungsmillionen und machen sich somit aus egoistischen Gründen zum Anwalt wirtschaftlicher Interessen. Und wer Wirtschaft an dieser Universität studiert, wird nicht bestreiten können, daß das Studium nicht viel mehr ist als Berufsausbildung, Einschwören auf die kapitalistische Markwirtschaft und die Beseitigung jedes Skrupels bei der Ausbeutung von Mensch und Natur. Hier erlebt man schon jetzt das Zukunftsmodell europäischer Bildung.

Bildung meint Bildung von Humankapital. Und Humankapital denkt nicht – es bringt Geld! Und Humankapital bringt nicht dem Geld, der es besitzt, sondern dem, der es einsetzt. Und da Geld nicht stinkt, egal um welchen Preis es verdient wird, ist diese neue Bildungskonzeption die sauberste Sache der Welt – WiWi-Logik!

Bildungspolitik ist Machterhaltpolitik
Die Strickmuster der gegenwärtigen Reformen sind in allen Bereichen dieselben. So wie die Bildung auf die Verwertbarkeit in der Wirtschaft maßgeschneidert wird, passiert es auch in anderen Bereichen. Die Debatte um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Einführung von Zwangsarbeit für AsylbewerberInnen und SozialhilfeempfängerInnen, die Diskussion um die Senkung der Lohnnebenkosten, die Kürzungen der Arbeitslosenunterstützung, die Kürzung der Sozialhilfe … alles soll die Untemehmensgewinne steigern, soll den Standort Deutschland retten. Der breiten Bevölkerung wird vorgegaukelt, wir müßten sparen und Reformen hinnehmen, weil es keinen anderen Weg aus der Krise gibt.

Die Herrschenden versuchen mit ihren Reformen Zwist zu sähen, die Betroffenen zu spalten, in ihrem Protest zu vereinzeln. Das klappt leider viel zu gut. Nun gab es‘ in Berlin im März endlich mal eine gemeinsame Großdemonstration von mehr als 30.000 Menschen gegen die Sozialkürzungen, gegen die Umverteilungspolitik von unten nach oben. Aber mit einer Demonstration werden wir diese reaktionäre Welle nicht brechen. Wir müssen begreifen, daß nur die gemeinsame Kraft eine Aussicht auf Erfolg bietet. Und diese Welle stoppen, heißt eine Alternative zu erzwingen, eine Alternative zum Abbau demokratischer Rechte, zur Rücknahme erkämpfter sozialer Absicherungen. Doch vorher müssen sich alle Menschen, die Sozialabbau und Demokratieverlust nicht wollen, darüber verständigen, wie ein gesellschaftliches Gegenkonzept aussehen könnte, für das es sich gemeinsam zu streiten lohnt. Und dazu müssen wir wieder lernen, miteinander zu reden, verschiedene Meinungen zu akzeptieren und den gemeinsamen Nenner zu suchen.

Was seit 1968 bis Anfang der 80er in der BRD aufgebaut wurde, was gemein hin als Sozialstaat Deutschland bewundert wurde, all das soll nun beseitigt werden. Am Ende steht eine Gesellschaft, in der sich jeder wieder selbst der nächste sein muß, wo Sicherheit am Vermögen hängt und Zukunft für viele die Bedeutung verloren hat. Menschen verkaufen ihre Arbeitskraft wieder zu Bedingungen, die Unternehmer diktieren, die der Weltmarkt diktiert. Und dieser Roll-Back funktioniert, weil die Sparlüge funktioniert. Was wir heute sparen, bekommen wir nie wieder, weil es in die Taschen derer fließt, denen der Sozialstaat ein Dorn im Auge ist. Und dies geschieht weltweit.

Der Roll-Back zieht sich seit Ronald Reagan durch die 80er und 90er Jahre. Und die Bildungspolitik ist nur ein Teil davon, ein winziger Baustein, aber mit dem gleichen Ziel:

REDUKTION DES MENSCHEN AUF EINEN INPUTFAKTOR DER PRODUKTION!
Und in diese Rolle wird ein Mensch erzogen werden, und wie der Ausschuß jeder Produktion, wird auch der nicht verwertbare Mensch wie Ausschuß behandelt werden. Die Gesellschaft wird nach dieser reaktionären Reform das Wort Menschlichkeit nicht mehr kennen, weil Menschlichkeit eben nicht am Markt verwertbar ist.

Mehr als eine Zusammenfassung
Auf den letzten neun Seiten wurde versucht, einen roten Faden zu spinnen, Zusammenhänge aufzuzeigen und die aktuelle gesamtgesellschaftliche Spardebatte in einen historischen Kontext zu stellen. Im Folgenden soll versucht werden, Argumente gegen das konservative Bildungskonzept von Großindustrie, CDU/CSU, FDP und auch SPD zu entwerfen.

Was ist so verheerend an einem Hochschulmanagement? Ein Hochschulmanagement bevorteilt industrienahe Fächer und benachteiligt in unerträglicher Weise industrieferne oder gar kritische Fächer. Denn Management orientiert sich am Aufwand und Nutzen, und beides wird in DM gemessen. Eine Studie über Armut in Deutschland wird wohl weit weniger vermarktbar sein als ein Reformmodell zur Abschaffung der Lohnnebenkosten oder ein neuer Werkstoff für die Raketentechnik. Und weil die Universitäten eigentlich in der Pflicht stehen, Mißbrauch von Forschung und Lehre zu verhindern, dürfen die Lehrinhalte nicht über Effizienzsteuerung der Mittel den ökonomischen Tageserfordernissen unterworfen werden.

Es SEI DENN, MAN GLAUBT WIRKLICH DARAN, DIE INDUSTRIE PRODUZIERT IM INTERESSE DER MENSCHHEIT UND NICHT ZUR MAXIMIERUNG DES GEWINNS!
Was ist denn schlimm an 9 Semestern Regelstudienzeit? Prinzipiell ist es sogar in Ordnung, wenn eine Studentln nach 9 Semestern das Studium beendet haben könnte. Nur im konservativen Kontext wird in den 9 Semestern nur noch prüfungsrelevantes und berufsnotwendiges verrmittelt, da ja die Mittelverteilung an der Effizienz hängt, die wiederum mit der Berufsorientierung einhergeht. Und dann sind StudentInnen plötzlich nach 9 Semestern Fachidiotlnnen, haben nie gelernt für ihr wissenschaftliches Wirken Verantwortung zu entwickeln, sind trainiert, der Großindustrie ihr Humankapital zu opfern. Und wer hier an dieser Stelle meint, daß dies alles viel zu überspitzt, einseitig und pessimistisch sei, der möge sich wirklich mal die Papiere des ERT (European Round Table of Industrialists) durchlesen, besser noch Huxleys „Neue Welt“ oder der achte mal genau auf die Aussagen unserer Elterngeneration!

Was ist so schlimm, wenn die Konservative „Studierbarkeit“ möchte? Wenn die Konservative von Studierbarkeit redet, denkt sie an Reduktion des Lehrstoffes auf ein Mindestmaß und Verschulung des Studiums durch Streichung der Wahlfächer. Sicher finden das einige von uns nicht mal übel, weniger Anforderungen, mehr freie Zeit! Aber wenn man es sich mal recht bedenkt, mit universitärem Lernen hat diese Bildung dann nichts mehr zu tun.
Nun besteht die berechtigte Meinung, daß selbst die Industrie kreative und innovative junge Menschen braucht, die den Gewinn auch für die nächsten Jahre sichern helfen.

RICHTIG! Und da setzt die Dreiteilung des Studiums an, die gefordert wird. Ein verschultes Einheitsstudium als Berufsausbildung. Danach ein leistungsabhängiges Auswahlsieb. Dazu kommt noch, daß die eigentliche akademische Ausbildung nicht mehr staatlich, sondern zunehmend privat gefördert werden soll. Die Privilegierung reicherer Schichten ist offensichtlich. Ein einkommensschwacher Student sollte die Hürde jedoch noch packen, wenn er wenigsten keine kritische Meinung zu Staat und Weltmarkt hat und so private Sponsoren findet. Die Befähigung zur selbständigen wissenschaftlichen Arbeit ist in der dritten Stufe des neuen Bildungskonzeptes vorgesehen. Hier ist neuerlich ein Auswahlsieb vorgeschaltet. Im Ergebnis sollte die herauskommende Wissenschaftselite enorm leistungsfähig, kreativ, innovativ und Weltspitze sein, aber eben mit Makeln behaftet – kritikunfähig, verantwortungslos und zumeist der reichen Schicht dieses Landes angehörig. Ist es falsch zu denken, daß die neue Wissenschaftselite von skrupellosen Wirtschaftsinteressen mißbraucht werden wird?

Plädoyer für studentischen Widerstand
All diese Pläne ignorieren die gegenwärtige Situation dieses Landes und der Welt. Das notwendige Umdenken hin zu globalen und komplexen Lösungsansätzen für dringende gesellschaftliche Probleme wird massiv behindert. Die Universitäten werden ihrer Aufgabe, vorausschauender Forschung und verantwortungsvoller Lehre im Sinne der Menschen nicht mehr gerecht werden können. Und wenn sich dort nicht schnellstens etwas ändert, Hochschulen nicht bald in demokratischer Autonomie Menscheninteressen vertreten können, dann werden Treibhauseffekt, Klimakollaps, Ozonloch und Zerstörung des tropischen Regenwaldes weiterhin nur Schlagworte der Medien bleiben. Man wird auch weiterhin keine Angst damit verbinden, auch weiterhin an die Kraft der deutschen Wirtschaft glauben und an eine MACHT, die uns im Notfall rettet.

Wann werden wir endlich begreifen, daß es Leute auf diesem Planeten, hier in unserem Lande gibt, ja in unserer Stadt und vielleicht sogar in unserer Universität, die an all den schrecklichen Dingen dieser Welt, an Krieg, Atomversuchen, Seuchen und Umweltkatastrophen irrsinnig viel Geld verdienen? Wann werden wir begreifen, daß der Nabel der Welt das Geld ist? Und solange die, die an Unmenschlichkeit verdienen, diese Welt auch regieren, wird sich an dem Zustand nichts ändern. Und genau diesen Leuten spielt man mit der angestrebten und teils schon vollzogenen Hochschulreform unsere einzige schlagkräftige Waffe in die Hände, die Verantwortung in Lehre und Forschung. Wieso soll diese Verantwortung ausgerechnet jetzt nicht ein weiteres mal gegen den Menschen mißbraucht werden?

Wir Studierenden dürfen nicht tatenlos zusehen, wie unsere Zukunft verbaut wird. Wir sollen durch unsere Ideen und Fähigkeiten an der Zukunft mitbauen. Wenn wir jedoch nur noch erfahren dürfen, was ein kleiner Kreis von Leuten für gut erachtet, werden wir nicht mehr zu gesellschaftlichen Veränderungen fähig sein. Und das läßt für die Zukunft nichts Gutes erahnen!

Und wenn in 15 Jahren rund um Europa eine hohe Mauer aus Stein steht, mit Selbstschußanlagen und die Hälfte der Erde ist bedeckt von einem blutigen Kampf um letzte Rohstoffe und Nahrungsreserven, dann muß uns eines klar sein: Die konservative Bildungsidee hat daran eine Aktie, denn in ihr ist kein Platz für die Erarbeitung neuer Lösungsmuster oder gar progressive Reformen der Herrschaftsstrukturen. In ihr gibt es nur ein Lösungsmuster und das heißt – GELD!

Und weil wir schon im Juni diesen Jahres die neue Sparwelle zu erwarten haben, sollten wir uns jetzt schon wappnen, sollten wir uns selbst fragen, ob nicht die Zeit für Widerstand gekommen ist. Und vielleicht bereuen wir es später bitterlich, wenn wir auch diesmal wieder eigene Interessen über unsere Vernunft stellen.

Ich fordere alle Menschen auf, ihrer Vernunft zu folgen und gemeinsam dieser Politik entgegenzutreten. Es geht um mehr, als 100 DM Studiengebühren.

Widerstand tut Not!

16. April 1996

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