aus telegraph 6/1990
vom 30.03.1990
Problemindustrie soll in die DDR verlagert werden!
Gentechnologie ist ein Wort,das in der DDR bisher kaum gefallen ist.Unter dem Namen Biotechnologie wurde jedoch fleißig an genetischem Material manipuliert, die Technologie der Zukunft als Lösung aller Probleme in Medizin und Lebensmittelindustrie gepriesen.Sicherheitsstandards wurden, wie in allen Zweigen der DDR-Wirtschaft, den Bedingungen und Möglichkeiten der Produktion angepaßt und bei Engpässen durch Ausnahmeregelungen aufgehoben. So konnte sich ein sehr risikoreicher Forschungs- und Produktionsbereich ohne entsprechende Reglementierung entwickeln und etablieren. Unabhängig von der ethischen Problematik (Embryonenforschung,Patentierung von Lebewesen) bestehen große Gefahren durch die Freisetzung genetisch manipulierter Organismen,die nie vollkommen kontrolliert stattfinden kann (wie kontrolliert man das Aussamen von Pflanzen im Freiland? ,welche Zügel legt man Bakterienkulturen an ?), sowie die vollständig unkontrollierte Freisetzung z.B. durch undichte Reaktoren oder unzureichende Abschirmung von Laboratorien (so konnte die Annahme von Prof. Segal, daß das AIDS-Virus Produkt amerikanisch-militärischer Genforschung ist, bisher nicht widerlegt werden).
In den letzten Jahren gab es mehrere Hinweise aus unterschiedlichen DDR-Produktionsanlagen über unverantwortlichen Umgang mit genveränderten Organismen, denen jedoch aufgrund der starken Repressionsbefürchtungen von MitarbeiterInnen nicht weiter nachgegangen werden konnte.
Jetzt wurde in der „Neuen Zeit“ vom 13.03.90 ein offener Brief von Wissenschaftlern des Zentralinstituts für Molekularbiologie der AdW der DDR und des VE Forschungszentrums Biotechnologie im Kombinat GERMED an Prof.Dr. Manfred Ringpfeil, Sekretär für Biowissenschaften der AdW der DDR veröffentlicht.In diesem Brief wird anhand „massenhafter Austritte von Produktionsorganismen in die Umgebung“ im VEB „PROWIKO“ Schönebeck der Umgang mit derartigen Technologien und das fehlende Problembewußtsein staatl. Entscheidungsträger in der DDR dargestellt und davor gewarnt, die DDR als Standort für westliche Firmen anzubieten. Im ihren Forderungen heißt es:
„- Keine Vertragsabschlüsse auf dem Gebiet der genetischen Produktion,bevor nicht eine für beide deutsche Staaten harmonisierte Gesetzgebung das Unterlaufen der eigenen Gesetze durch Produktionsverlagerung unterbindet.- Über risikoreiche Technologien darf nicht länger ausschließlich in „Expertengremien“ entschieden werden, deren Mitglieder aus potentiellen Antragstellern bestehen. Hier droht sonst die Gefahr der Risikounterschätzung und einseitig interessenorientierter Entscheidungen.
– Die Arbeitsweise, Zusammensetzung und Entscheidungen staatlicher Stellen sind ab sofort einer demokratischen Kontrolle zu unterwerfen.
– Das in der DDR angängige Gentechnik-Gesetzgebungsverfahren ist zu veröffentlichen.
– Die wirtschaftlich schwächeren Länder dürfen nicht zur Aufnahme risikoreicher Technologien genötigt werden, wie es das Beispiel der Giftmüllimporte zeigt. “
Da die Erfahrungen mit der westlichen Gentechnologiegesetzgebung auch nicht das sind, was man positiv nennt, möchte ich den Forderungskatalog um die breite öffentliche Diskussion des Gesetzentwurfes erweitern. Und es wäre schön,wenn es dann diese Öffentlichkeit gibt.
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