aus telegraph 6/1990
vom 30.03.1990
Sehr geehrte Redaktion!
Von einem vielenannten Politiker gibt es ein Satirestück „Ach Helmut wärst du doch in Düsseldorf geblieben“. Dieses Stückchen würde ich in Bezug auf Ihr Informationsblatt nennen „Ach Telegraph, wärst du doch das Umweltblatt geblieben“. Ich hatte mir die Umweltblätter oft und gern angeschaut und gelesen. Doch seit ich, infolge meiner Bestellung (in der Hoffnung, daß es die Umweltblätter wären) dieses diskriminierende Blatt in der Hand halte, frage ich mich, wie das ehemals gute Blatt sich so wandeln konnte. Berufen Sie sich in ihren anderen Artikeln auf andere Zeitungen? Wieso nennen Sie sich „unabhängig“, wenn Ihre Texte den Eindruck erwecken, für eine Partei oder Vereinigung (Antifa, Neues Forum) zu schreiben. Ich bitte Sie dazu schriftlich eine Stellungnahme abzugeben. Schreibt Eure Berichte etwas menschennaher. Druckt doch nicht immer andere Kommentare ab! Ich hoffe auf baldige Antwort!
Matthias Montag, Wendehausen
Zunächst: Die Kommentare im „telegraph“ werden im wesentlichen von uns selbst gemacht. Wenn wir in seltenen Fällen aus anderen Zeitungen zitieren bzw. uns auf deren Veröffentlichungen berufen, ist dies immer kenntlich gemacht. Auch sonst sind wir unsere eigenen und wir selbst geblieben, auch wenn sich die Zeiten gewandelt haben. Daß wir mit linken Auffassungen sympathisieren, ist spätestens seit 1987 klar, als wir in den „Umweltblättern“ Eppelmanns Rendevouz mit Bundesarbeitsminister Blüm und dem CSU-Stahlhelmer Lintner scharf mißbilligend als Bruch mit der Friedensbewegung kritisierten (Herr Eppelmann hat uns durch seine weitere Entwicklung vollauf Recht gegeben). Dennoch wollen wir uns nicht als Organ einer Partei oder Organisation verstehen, nicht einmal der Umwelt-Bibliothek Berlin. Wir sind mehr oder weniger freundliche öffentliche Kritiker, mit Sympathien für die Linken, aber deshalb oft gerade besonders unnachsichtig gegenüber ihnen. Das scheint immerhin eine Mehrheit von Lesern und eine wachsende Zahl von neuen Abonnenten zu billigen.
In einem anderen Leserbrief heißt es:
…Zunächst glaubte ich, die „Weltbühne“ in der Hand zu halten. Die Rückseite gefiel mir weniger. Alles andere ist o.k.. Am interessantesten für mich die Sachen mit der Stasi. Aber: Namen und nochmals Namen sind wichtig. Wie hieß der Militärangehörige, dessen Leichnam man fand? Von den Akten, die man nach Rumänien fliegen wollte, habe ich gehört. Was aber hat die Deutsche Reichsbahn unternommen? Wo stecken die Akten? Ob jemals von den vielen Untersuchungskommissionen ein Schwarzbuch herausgegeben wird? Was ist dran an Wolfgang Schnur? Ist¦s eine Verleumdung? Warum werden die Stai-Akten nicht gesichtet und je nach Bedeutung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht? Wozu haben wir eine Presse? Auch unser Hauptabteilungsleiter in der Beschaffung des Chemiekombinat Bitterfeld hat einen Stasi-Mann übernommen, weil er in die Gruppe Ausrüstungen als ausgebildeter Produktionsingenieur (Fachrichtung unbekannt) gut hineinpaßt. Obwohl unsere Planungsgruppe dezimiert werden muß. Und die Zuträger der eigenen Abteilung sind immer noch unbekannt. Am 7. November wurden angeblich 20 Säcke Akten in der Abteilung Alu-Schrott verbrannt. Wieviel wird also schon vernichtet sein! Wir sind viel zu blauäugig gewesen. Wer zu spät kommt, den bestraft die Zeit. Gorbis Worte gelten auch uns. Mit Parteien werden wir in Zukunft nichts ausrichten, mit Bürgerinitiativen mehr. Ob sich das in Ihrer Zeitschrift niederschlägt?…
Red: Hinsichtlich des Armisten, der auf seinem Wachturm ermordet aufgefunden wurde (Red: In Nr.3/1990, „Stasi geht immer noch über Leichen“), konnten wir leider nicht mehr erfahren. Nur, daß er mit einer Schrotflinte umgebracht wurde. Klar ist weiterhin, daß dafür offensichtlich der einzige Grund seine Indiskretionen hinsichtlich des Stasi-Transportes nach Rumänien war. Wir bekamen wegen unserer Veröffentlichung bittere Vorwürfe aus dem Bürgerkomitee, welche das Verschweigen des Vorfalls beschloss, „um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen“. Klar ist, daß wir der Meinung sind, daß solche Dinge an die Öffentlichkeit gehören. Leider erfahren wir das Meiste „aus Gründen des Personenschutzes“ oder anderen Anlässen nicht, während andererseits die Informationen an die Scheckbuchjournalisten von „Spiegel“, „Stern“ und „Bild“ meistbietend verkloppt werden. Da können wir leider nicht mitbieten. Deshalb sind wir so dringend auf die Hilfe von sympathisierenden Lesern angewiesen. Der „telegraph“ kann nur so gut sein, wie die Nachrichten, die Ihr uns zukommen laßt.
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