aus telegraph 6/1990
vom 30.03.1990
Im Zusammenhang mit dem Fußballspiel FC Berlin-Energie Cottbus kam es am 17.März zu neofaschistischen Ausschreitungen in Berlin. Wieder einmal waren das besetzte Haus Schönhauser Allee 20/21 und der Rat-Pub in der Kastanienallee das Ziel. Letzterer wurde gegen 15 Uhr aus einer vorbeifahrenden Straßenbahn mit Pyro-Geschossen unter Beschuß genommen. Es gingen Scheiben zu Bruch. Nach dem Fußballspiel zogen 300 Neonazis vor das besetzte Haus in der Schönhauser Allee 20/21. Sie konnten nicht eindringen, da die Besetzer als bevorzugtes Ziel ihre Türen verbarrikadiert haben. Die zum größten Teil sehr jungen Fußballanhänger brüllten „Rotfront verrecke“, „Rote raus“, „Kommt runter, wir machen Euch platt!“ und ähnliches. Das Haus wurde mit Steinen beworfen, einige Scheiben gingen zu Bruch, die Insassen warfen aus den Fenstern mit Flaschen und Steinen. Nach ca. 10 min. kam dann ein großes Aufgebot Polizei, mit Knüppeln und Hunden ausgerüstet, zum Einsatz. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis sie die Lage im Griff und die Neonazis auseinandergetrieben hatten. Einzelne, unter ihnen auch Westler, wurden kurzzeitig festgenommen.
Die auseinandergetriebenen rechten Fußballanhänger sammelten sich auf dem Alex und randalierten dort weiter. Anhänger einer ihnen nicht sympathischen Jugendszene, Gruftis, wurden überfallen und verprügelt. Zeugen forderten in der Nähe stehende Polizisten vergeblich zum Eingreifen auf. „Die hören auch wieder auf!“, meinten die Hüter des Gesetzes. Etwas später wurden dann doch Polzeikräfte zusammengezogen, die Neonazis erneut auseinandergetrieben und einige kurzzeitig festgenommen.
Gegen Abend klirrten dann wieder Scheiben in der Schönhauser Allee 20/21. Ca. 30 Jugendliche starteten einen zweiten kurzen Anriff auf das Haus. Auf dem Rückweg wurden sie von einem Funkwagen gestellt. Bei dem Versuch, einige festzunehmen, wurden die Polizisten von den Nazis angegriffen und einer krankenhausreif geschlagen. Wie es später hieß, handelten sie ohne Befehl.
Die Ereignisse zeigten erneut, daß die Gefahr von Rechts durchaus kein hohles Gespenst ist, und daß es schwer ist, ihr mit Polizeimaßnahmen Herr zu werden, sofern dazu überhaupt noch der Wille besteht. Schon heißt es von Seiten des Rates des Stadtbezirks, im Hause Schönhauser 20/21 hätte die Belegschaft gewechselt. Die dort jetzt wohnenden zögen Nazis nach Prenzlauer Berg. Nach alter Manier ist also wieder mal das Opfer selbst schuld. Kein Wunder, wenn die Bewohner der angegriffenen Objekte sich nicht auf die Polizei verlassen, sondern ihren eigenen Selbstschutz organisieren. Genau das versucht man nachträglich zu diffamieren. So äußerte der Polizeichef des Stadtbezirks gegenüber der „taz“: „…die da in dem Haus wohnen, sind auch nicht ganz ohne. Da sind… teilweise ultralinke Kräfte dabei“. Die gegenwärtige Unlust zeigt, daß es fraglich ist, ob in Zukunft überhaupt noch irgendwelche links-verdächtigen Objekte und Personen geschützt werden sollen. Nach der Vereinigung beider deutscher Staaten unter rechts-konservativer Herrschaft wird man das wohl vergessen können. Polizeischutz für Neonazis ist seit Jahren schon BRD-Alltag.
Bleibt noch eine Anfrage an den Vorstand des FC Berlin. Wann endlich wird gegen die faschistischen Zusammenrottungen in Stadien vorgegangen? Wann wird in den Rängen Aufklärung betrieben? Und wann werden die Heimspiele des FC Berlin aus dem Prenzlauer Berg heraus verlegt. Denn dieser Standort programmiert Randale praktisch voraus und das nächste Heimspiel des FCB kommt so sicher wie das Amen in der Kirche.
d.w.
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