aus telegraph 6/1990
vom 30.03.1990
Wenn wir den folgenden Text, den wir anonym erhielten, abdrucken, so heißt das nicht, daß wir ihm Glaubhaftigkeit zubilligen. Eine Anfrage beim Bürgerkomitee zur Auflösung der Stasi zeigte, daß dort eine Reihe von Texten ähnlicher Qualität vorliegen. Wir veröffentlichen den folgenden Bericht, weil wir das gegenwärtige Klima von Geheimnistuerei auf der einen und Epressung und Scheckbuchjournalismus auf der anderen Seiten nicht schätzen. Das einzige Mittel gegen die allgemeine Unsicherheit ist volle Öffentlichkeit für die gesellschaftlich relevanten Informationen aus dem Bereich des MfS. Es kann nicht angehen, daß verdächtig gewordene Abgeordnete der Volkskammer sich am Schluß selbst amnestieren, indem sie die entsprechenden Datenbestände vernichten lassen, oder, gar noch schlimmer, dem BND übergeben.
Der vorliegende Bericht läßt natürlich an Schmierigkeit nichts zu wünschen übrig und ist nur mit spitzen Fingern anzufassen.
„Seit Oktober/November 1989 leben in mir nicht nur zwei Seelen. Ich bin aus politischer Überzeugung vor einigen Jahren (über das Wachregiment) freiwillig als operativer Mitarbeiter zum MfS gegangen. In all den Jahren war ich überzeugt, daß ich mit meiner Arbeit etwas bedeutsames zur Sicherung des Friedens und zum Wohle unseres Staates tue.
Am Anfang war ich genauso überrascht und befremdet wie alle, die beim MfS anfingen mit mir, über einige Mittel und Methoden der Arbeit. So unter anderem darüber, daß wir ohne Genehmigung des Staatsanwaltes Postkontrollen oder Telefonüberwachungen über operativ interessierende Personen einleiten konnten. Aber da dies ja im Auftrage der Partei und Regierung geschah und nur zu „Überrüfungszwecken“ im Sinne der Sicherheit unseres Staates diente, machte ich mir keine Gedanken weiter darüber. Außerdem werden derartige Praktiken von fast allen Geheimdiensten der Welt getan.
Unsere damalige Sicherheitsdoktrin sah unter anderem vor, die oppositionellen Gruppen, welche sich vorwiegend im kirchlichen Raum aufhielten, zu unterwandern (Werbung von Informanten bzw. Einschleusen) und die durch geeignete offensive Zersetzungsmaßnahmen politisch unwirksam zu machen.
Es fiel mir schwer zu begreifen, daß wir bis zum November 89 einer stalinistischen und volksfeindlichen Politik gefolgt sind. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was in einem vorgeht, der begreift, daß er sich schuldig gemacht hat, weil er gegen die von der Regierung konstruierten Feindbilder mit vorgegangen ist. Nachdem ich das begriffen habe, und das geschah erst vor einigen Wochen, brach in mir eine Welt zusammen.
Ich habe mir geschworen, daß ich mich nie wieder für etwas mißbrauchen lasse, was nicht auf der Grundlage der Verfassung und des geltenden Rechts steht.
Ich stehe zu meiner Vergangenheit. Auf meiner Arbeitsstelle akzeptiert man mich zwar, betrachtet mich aber immer noch sehr mißtrauisch. Ich weiß, Vertrauen muß erst wieder neu erworben werden. Manche sind großzügig und rechnen es meiner Jugend zugute.
Aber das alles ist nicht der Grund, warum ich mich jetzt an Sie wende. Mich hat die „neue“ Führung der CDU/DDR, insbesondere der neue Vorsitzende dieser Regierungspartei mit seinem verlogenen Gerede über Ehrlichkeit und Vertrauen in Wut gebracht, daß ich mich jetzt genötigt sehe, ihnen etwas mitzuteilen.
Ich weiß seit Jahren aus persönlichen Gesprächen mit operativen Mitarbeitern des MfS, sowie von Berichten, die ich selbst gelesen habe, daß der jetzige Vorsitzende der CDU/DDR, Rechtsanwalt Dr. Lothar de Maiziere inoffiziell für das MfS arbeitet und auf der Gehaltsliste der ehemaligen Abteilung XX/4 der Bezirksverwaltung Berlin des MfS steht. Sein Deckname ist „CZERNI“. Er wurde vor Jahren von dem Mitarbeiter dieser Abteilung Major Hasso auf der Basis der Überzeugung (nicht unter Druck) zur konspirativen Zusammenarbeit angeworben.
Mir ist bekannt,daß nach jeder bedeutsamen kirchlichen Tagung bzw. Zusammenkunft von oppositionellen Gruppen,an der Rechtsanwalt de Maiziere teilnahm,sofort ein konspiratives Treffen zwischen Major Hasse und „Czerni“ stattfand.Der am nächsten Tag gefertigte Treffbericht wurde sofort per persönlichen Kurier ins Ministerium in die Normannenstraße gebracht.Ich selbst habe mehrfach eine derartige Information weitergeleitet.Für seine ausgezeichnete Arbeit bei der Anleitung und Abschöpfung vom STARINFORMANTEN „CZERNI“ alias Rechtsanwalt de Maiziere erhielt Major Hasse mehrere Auszeichnungen und vom Leiter der Bezirksverwaltung eine Ausnahmegenehmigung für den Kauf eines PKW Lada 2107.
Damit sich dieser Staat zu einer wirklichen Demokratie entwickeln kann,muß verhindert werden,daß solche Janusköpfe an der Macht bleiben und Macht ausüben. Mir ist unerklärlich,daß er nach wie vor keine Schlußfolgerungen aus der falschen und verfassungswidrigen Arbeit des MfS gezogen hat.
Sollte er sich geändert haben,so ist er der größte Wendehals unseres Staates.Ohne sich zu seiner Vergangenheit und Schuld zu bekennen, tritt er mit einer Kaltschnäuzigkeit und Unverfrorenheit vor seiner Partei,der Volkskammer,dem „Runden Tisch“,der evangelischen Kirche auf und fordert von ihnen,“Buße“ zu tun.Es gibt nur noch eine Konsequenz hieraus:Rechtsanwalt Lothar de Maiziere-„CZERNI“ muß ein offenes Geständnis ablegen und dann Buße tun für immer.
Ich würde Ihnen empfehlen,noch vor der Wahl am 6.5. diese Akten und Speicher des ehemaligen MfS zu kontrollieren.
Soviel mir bekannt ist,gibt es in fast allen Parteien und oppositionellen Gruppen (jetzigen Parteien) derartige Janusköpfe.
Da ich Angst vor meinen ehemaligen Mitarbeitern habe – bzgl. dieser Darlegungen – werden Sie Verständnis dafür haben,daß ich meinen Namen nicht nennen kann.
P.S. Wie ich jetzt durch einen ehemaligen Mitarbeiter der Abt.XX/4 erfahren habe,arbeitete Rechtsanwalt de Maiziere alias „CZERNI“ seit anderthalb Jahren mit Major Dohmeier zusammen.“
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph