aus telegraph 7/1989
vom 04. November 1989
Über elektronische Medien wird heute der Erlaß einer Amnestie in der DDR bekannt, die Personen betreffen soll, die verurteilt wurden wegen „Republikflucht“ (§213) oder weil sie im Zusammenhang mit demonstrativen Aktivitäten gegen die „öffentliche Ordnung“ verstoßen hätten.
Der genaue Wortlaut liegt noch nicht vor. Nichtsdestotrotz wollen wir unsere Forderungen nochmals veröffentlichen.
Eine Amnestie stellt nur einen Gnadenakt dar und war nie unser Ziel. Es geht auch darum, die schweren Übergriffe staatlicher Organe in der Vergangenheit genau aufzukläre, sowohl derer um den 7. Oktober als auch derer in der Vergangenheit.
Bislang gab es noch nicht einmal eine öffentliche Entschuldigung staatlicherseits gegenüber physisch und psychich Betroffenen.
Wir fordern:
– Einbeziehung aller aus politischen Gründen Inhaftierten in den Amnestie- und Rehabilitationsprozeß, mit Ausnahme Inhaftierter, die zweifelsfrei wegen Rassismus, Faschismus oder Militarismus verurteilt wurden.
– Haftentschädigung für alle Betroffenen, Tilgung aus dem Strafregister
– Rücknahme aller Strafbefehle, Ordnungsstrafverfügungen und Rückzahlung der Geldstrafen (z.B. auch der gegen die Publizisten des Forster „Aufbruch“ verhängten)
– Rückhaltlose Aufklärung aller Polizeiübergriffe in der Vergangenheit (auch gegen Einzelpersonen, in Wohnungen usw.)
– Anerkennung der Arbeit unabhängiger Untersuchungskommissionen zu dieser Thematik
– Bestrafung der Befehlsgeber und Befehlsausführenden und Entfernung dieser aus Machtpositionen
– Aufklärung aller wegen Befehlsverweigerungen ergangenen Urteile, Inhaftierungen und Disziplinarmaßnahmen – nötigenfalls Freilassung und Entschädigung
– Demokratische Veränderungen Abbau des Staats- und Sicherheitsapparates
– Akteneinsichtmöglichkeit jedes Bürgers in seine „Stasi-Akte“ und öffentliche Vernichtung aller politischen Oberwachungsakten
– Demokratische umfassende Strafrechtsreform
Die Mahnwache an der Gethesemanekirche wird fortgesetzt bis Sonntag (29.10.). Die ständige Eahnwache erklärt, daß sie in geeigneter Form bis zur Durchsetzung der Forderungen weiterarbeiten wird (z.B. Gestaltung von montäglichen Aktionstagen).
In der folgenden Woche wird die Gethsemanekirche in der Regel von 14.00-22.00 Uhr geöffnet sein.
Red:Am Sonntag, den 29. entschuldigte sich der Berliner Polizeipräsident beim dritten Anlauf und nach deftigen Rippenstößen seitens Stadtparteichef Schabowsky bei den Berliner Demonstranten für die Obergriffe der Polizei.
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