aus telegraph 7/1989
vom 04. November 1989
Langsam nimmt die Idee einer unabhängigen Studentenvertretung an Humboldt-Universität Berlin konkrete Formen an. Da es offensichtlich bei den Diskussionen im großen Rahmen nicht möglich war, genaue Konzepte auszuarbeiten, bildete sich eine Initiativgruppe zu diesen Themen, die aus Studenten verschiedener Sektionen bestand. Der von dieser Gruppe ausgearbeitete und an die Universität am 23.10. ausgehängte Entwurf enthielt die meisten der in der Diskussion aufgeworfenen Probleme, zusätzlich einige wirklich annehmbare Vorschläge zur Organisation der Studentenvertretung (StuVe).
Aufgrund der Aushänge äußerte der Rektor den Wunsch, sich mit der Initiativgruppe in Verbindung zu setzen. Am 24.10.89 kam ein Gespräch zustande. Der Rektor zeigte sich erstaunlich offen und im Ergebnis des Gesprächs kam ein gemeinsames Papier zustande, in dem beide Seiten feststellen, daß
l. die FDJ nicht die Gesamtvertretung der Studenten repräsentiert
2. die schnellstmögliche Schaffung einer eigenständigen Vertretung und deren soforliger Arbeittbeginn möglich sind.
Der Rektor hielt auch eine Studentenversammlung für wichtig, die die jeweiligen Vertreter wählon sollte. Die Vertretung sollte eine Fraktion im wissenschaftlichen Rat bilden. Auch die materiellen Arbeitsmöglichkeiten für die Vertretung sollten zur Verfügung gestellt werden. Es kam anders. Nachdem das gemeinsame Papier etwas vorfristig von einigen Studenten ausgehängt worden war, die der Glaubwürdigkeit des Rektors noch trauten, zog der seine Zustimmung zurück und begrünßte noch am selben Tag in der ‚Berliner Zeitung“ eine Studentenvertretung innerhalb der FDJ“ (Merke: Vertrauen wagen, enttäuscht werden!)
Ab 25.10. kursierte dann der Vorschlag der FDJ-Kreisleitung, einen SSB (Sozialistischen Studentenbund) zu gründen (Die Abkürzung existierte übrigens wieder mal eher als der Bund selber).
Der Vorschlag stiftete Verwirrung, da er von vielen als Gegeninitiative zur unabhängigen Studentenvertretung aufgefaßt wurde. Aber weiter zur Entwicklung der Vertretung: Da bis jetzt nicht klar ist, ob wirklich die Mehrheit der Studinten eine unabhängige Vertretung will und da im Falle ,es wäre so, der Rektor zwecks Anerkennung dieser Vertretung beim Ministerium (Hoch- und Fachschulwesen) einige gesetzliche Veränderungen beantragen müßte (beispielsweise der Uni-Verfassung), findet am 7.11.89 von 9-19 Uhr in den Sektionen eine URABSTIMMUNG der Studenten-zu -dieser Frage statt. Um 19.00 Uhr soll öffentlich ausgezählt werden. Dass wird dann vielleicht die erste öffentliche und demokratische Wahl sein. Hoffen wir es. Und hoffen wir auch, daß sich das Neue durchsetzt gegen Ignoranz und Faulheit. Denn es werden auch vereinzelte Meinungen laut, die besagen, daß eine unabhängige Vertretung-ja doch zuviel Arbeit mache und man dann lieber eine FDJ-geführte Vertretung akzeptieren würde.
Noch etwas Erfreuliches: Am 31.10. existierten schon 27 gewählte Räte!!!
Aber nicht nur in der Humboldt-Universität tut sich etwas, auch an anderen Unis, Hoch- und Fachschulen ist etwas in Bewegung geraten. An der Leipziger Karl-Marx-Universität und der Schauspielschule Berlin existieren z.B..schon unabhängige Vertretungen. Am 28.10.89 trafen sich in der Berliner Schauspielschule Studenten von 37 Hoch- und Fachschulen, um Informationen auszutauschen. Sie haben ein Kommunikations- und Koordinierungsnetz eingerichtet.
Weiter so! Denn jetzt, nachdem die, erste Begeisterung vorbei ist, kommt es auf die wirkliche Arbeit an, darauf; wie wir uns selbst vertreten.
d.k.
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