Wozu ist ein Staat eigentlich da ?
aus telegraph telegraph 7/1990
Am 29.03.90 fand zwischen Bildungsministerium und Ministerrat eine Demonstration Ostberliner SchülerInnen statt. Anlaß war die Nichtbeantwortung folgenden Briefes des 30er Rates der Berliner Erweiterten Oberschulen an das Bildungsministerium :
„Soziale Rechte in Gefahr!
Zur sozialen Absicherung der abgelehnten Abiturienten 1989/90 fordern wir:
-Förderung alternativer Ausbildungs- und Beschäftigungsprojekte und Bereitstellung eines breiteren, flexibleren Angebots der Volkshochschulen zur Weiterbildung.
-Zahlung einer Unterstützung für Abiturienten ohne Studienplatz
oder Lehrstelle in Höhe des Mindestbetrages der Arbeitslosenunterstützung. verbindliche Bindung der Universitäten und Hochschulen an bereits vergebene Zulassungen.
Außerdem fordern wir für EOS-Schüler: -Beibehaltung der Ausbildungsbeihilfen; Angleichung an aktuelles Preisniveau. -Das Recht auf die Auszahlung von Wohngeld für Schüler mit eigener Wohnung.
-Beibehaltung der Subventionen für die Versorgung mit Schulessen.
-Beibehaltung der Ermäßigungen bei Verkehrstarifen und Eintrittspreisen für Kulturveranstaltungen.
Wir fordern das Ministerium für Bildung auf, bis zum 27.03.90 zu diesen Forderungen Stellung zu nehmen und ein Angebot für Gespräche mit schriftlich bevollmächtigten Vertretern des Bildungsministeriums und ebensolchen Vertretern des Ministeriums für Arbeit und Löhne zu unterbreiten. Die Bereitstellung zusätzlicher Studienplätze bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen oder Lehrstellen, Sicherstellung des einjährigen Vorpraktikums und Beibehaltung der Ausbildungsbeihilfe waren schon auf einem SchülerInnenstreik am 15.03. gefordert worden.
Als Anfang März die Studienzulassungen bekanntgegeben wurden, waren es für bis zu 40% der AbiturientInnen Ablehnungen. Am stärksten betroffen waren die Schülerinnen (ca. 2/3 der Absagen), die auch bei gleichen und besseren Leistungen als ihre männlichen Mitbewerber für die gleiche Studienrichtung abgelehnt wurden. Lehr- und Arbeitsstellen gibt es nicht, da fast alle Betriebe Einstellungsstop haben. Vom Magistrat herausgegebene Listen über freie Ausbildungsplätze waren schon zum Erscheinungstermin nicht mehr aktuell. In einem Brief des stellvertr. Direktors, der Gewerkschafterin und des Schülerrates der EOS Treptow an Herrn Emons, Minister für Bildung, heißt es: „…Um unseren und allen Abiturienten zukünftig solche Situationen wie in diesem Jahr zu ersparen, empfehlen wir Ihnen bzw. Ihrem Nachfolger:
1)Da sich die Abiturientenanzahl zukünftig beträchtlich erhöhen wird, sind Berufe bzw. Berufsgruppen zu schaffen bzw. so zu profilieren, daß sie ausschließlich Abiturienten vorbehalten bleiben *. Hierzu sollten mit Betrieben, Einrichtungen und Institutionen die notwendigen Absprachen und Festlegungen schon für das Jahr 1991 getroffen werden.
2)Über diese Berufe bzw. Berufsgruppen müßten über geeignete Wege (über die EOS, über die Arbeitsämter, über die Medien) gründlich informiert werden, um rechtzeitig die notwendigen Bewerbungsschritte einleiten zu können.
3)Die Hochschulen bzw. Universitäten sollten weiter überprüfen, ob eine Aufstockung der Studienplätze in bestimmten Studienrichtungen möglich ist. …“
Gespräche mit dem Bildungsministerium zeigten nur dessen Handlungsunfähigkeit. Der Abteilungsleiter für Abiturbildung solidarisierte sich prinzipiell mit den Forderungen der SchülerInnen und verwies auf das Finanzministerium und die CDU (die evtl. den nächsten Bildungsminister stellt), gerade in der Regierungsbildung befindlich, sorgte sich und verwies auf Gemeinplätze. Damit ist den SchülerInnen aber noch nicht geholfen. Weitere Gespräche mit Ministerrat und CDU sind geplant, eine Verbesserung der Situation aber nicht in Aussicht.
sch.
* sch.: Die SchreiberInnen des Briefes scheinen nicht bedacht zu haben, daß es neben Ihnen zukünftig noch andere Arbeitslose, vor allem sehr viele SchülerInnen ohne Lehrstelle, geben wird. Es würde sich also bei den geförderten Berufsgruppen lediglich um eine Verschiebung des Bewerbungszeitraumes handeln. Elitäre Beweggründe möchte ich nicht unterstellen.