aus telegraph telegraph 7/1990, von Dietmar Wolf
Wenn man/frau eine fünftägige Arbeitswoche hinter sich gebracht hat, ist es nur recht und billig, sich den Arbeitsstreß mit ein paar Bieren herunterzuspülen. So jedenfall dachte die Berlinerin Michi R., als sie sich an einem Freitag Ende März dafür ausgerechnet die Friedrichshainer Kneipe Müggeleck aussuchte. Zunächst einmal schien sie den Leuten am Nebentisch nicht zu passen. Nach einer Reihe von rechten Sprüchen wandten sie sich direkt an Michi: „Was stellst du denn dar?… Bist du überhaupt ´ne Frau?… Hast du überhaupt ´ne Brust?“ Als Michi diese Anmache zurückwies, hielt ihr einer der Typen beim Gehen eine Gaspistole unter die Nase.
Michi scheint aber noch nicht richtig begriffen zu haben, denn sie entschloß sich dann mit der hinzugekommenen Schwägerin und dem Bruder ausgerechnet in die Kneipe „Frankfurter Allee Süd“ zu gehen. Dort geschah zunächst nichts ungewöhnliches. Nur nachdem Michi zum 3. Mal auf der Toilette gewesen war, stürzte plötzlich von irgendwoher ein Klo-Mann auf sie zu, packte, schüttelte sie hin und her und knallte sie gegen eine Telefonzelle. Unter wüsten Beschimpfungen stellte sich heraus, daß dies eine Pachttoilette sei und Michi das übersehen hatte.
Das sprach sich offenbar schnell in der Kneipe herum, denn zurückgekehrt wurde ihr vom Nebentisch zugerufen: „Ihr Schmuddels, zahlt gefälligst richtig!“ Als Michi versuchte, den Sachverhalt aufzuklären, blickte sie zum zweiten Mal an diesem Abend in eine Gaspistole. Sie riß in panischer Angst ihre CS-Gas-Spraydose aus der Tasche und sprühte um sich.
Nun ging der Aufruhr an den anderen Tischen los. Da ein großer Teil der Kneipen-Besucher vom Aussehen her Nazi-Skins waren, zogen die drei es vor zu gehen. Draußen wurden sie aber bereits erwartet. Drei Nazi-Skins schlugen auf Michi ein. Der Bruder versuchte sie zu schützen und rief den Typen zu, daß sie eine Frau nicht schlagen sollten. Das wurde so honoriert, daß sich die mittlerweile herbeigeströmten 25-30 Nazi-Skins ihm zuwandten. Nach Hieben, Schlägen und Tritten in Rippen und Nieren lag der Bruder nach Sekunden regungslos auf dem Boden. Mit der Bemerkung „Der hat genug!“ zogen die doitschen Männer ab.
Derweil versuchte die Schwägerin in der Kneipe Hilfe zu bekommen bzw. die Polizei anzurufen. Das Kneipenpersonal ließ das nicht zu und verschloß die Eingangstür. Als die Schwägerin dann doch über einen öffentlichen Fernsprecher die Polizei erreichte, erhielt sie auch nur eine vage Zusage. Und richtig, auch nach einer halben Stunde war von der Polizei noch nichts zu sehen. So schleppten die beiden Frauen den Niedergeschlagenen nach Hause.
Übrigens ist es Michi R. bis heute nicht gelungen, über den Gaststättenleiter eine Klärung der Hilfe-Verweigerung des Kneipenpersonals zu bewirken. Offenbar deckt er seine Kollegen. Es ist zu hoffen, daß Michi R. das Kneipenpersonal verklagt.
d.w.