aus telegraph telegraph 7/1990
Viele Studenten von Berliner Hoch- und Fachschulen gingen am Montag den 2. April auf die Straße, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Sie befürchteten einschneidende Verschlechterungen der Studienbedingungen und ihrer sozialen Absicherung bei der geplanten Umstellung auf marktwirtschaftliche Prinzipien. Vor allem vermissen sie jede Stellungnahme aus Regierungskreisen zu ihren Problemen. In Redebeiträgen und auf Plakaten wurden u.a. die Anerkennung von Studenten- und Schülerräten sowie deren Mientscheidungsrecht, Wähl und jederzeitige Abwählbarkeit von Rektoren und Direktoren, Garantie eines Studienplatzes für alle Abiturienten, Garantie für Arbeits- oder Studienplatz für alle nach dem Schulabschluß sowie die Erhöhung des Grundstipendiums gefordert. Kritik sei zumindest bei einem Redebeitrag angemerkt, in dem die Studenten zu entscheidenden Trägern der gesellschaftlichen Veränderungen im vergangenen Jahr erklärt wurden. Dem war sicher nicht so. Als Gesamtheit waren sie doch wahre Michels, besonders wenn ihre überdurchschnittlichen Kenntnisse und Möglichkeiten in den gesellschaftswissenschaftlichen Bereichen berücksichtigt werden. Erinnert sei daran, wie viele sich den Studienplatz durch längeren Armeedienst, Mitgliedschaft in Parteien und Organisationen sowie konformes Verhalten erkauft haben.
Im Folgenden nun einige Fragen an Demonstranten:
Frage: Von welcher Sektion seid Ihr?
Antwort: Sektion Rechtswissenschaft
Frage: Denkt Ihr, daß die Forderungen, die hier vorgebracht wurden, realistisch sind?
Antwort: Die Bedingungen zur Zeit sind nicht gut. Wir bezahlen 10 Mark Miete im Monat und heute stand in der „Berlinrer Zeitung“, daß das eventuell auf 150 Mark erhöht werden soll. Für fünf bis 6 m2 Wohnraum sind das keine annehmbaren Bedingungen bei einem Stipendium von zur Zeit 200 Mark.
Frage: Denkt Ihr, daß diese Demonstration irgend etwas zum Besseren wenden kann?
Antwort: Ja freilich, deshalb sind wir ja hier. Wir wollen verhindern, daß es noch schlechter wird und nicht das kommt, was angekündigt wurde. Daß kostendeckende Mieten für Wohnheime sein müssen, sehen wir ein, aber dann müssen andere soziale Absicherungen her.
Frage: Wenn diese Demonstration nichts bringt, ist dann an weitere Schritte gedacht?
Antwort: Na sicher, wir werden nicht so schnell aufgeben, das ist klar.
Frage: Und was ist das?
Antwort: Ich glaube, wenn landesweit derartige Demonstrationen von Studenten stattfinden, dann werden sicher auch die Verantwortlichen mal munter werden.
Frage: Eine Frage habe ich noch. Was sagt Ihr zu dem Redebeitrag der ausländischen Studentin?
Antwort: Die ausländischen Studenten, das war ein Problem, das bisher nie irgendwie offiziell behandelt wurde. Aber daß die ausländischen Studenten mit dem gleichen Problem genauso oder teilweise noch mehr konfrontiert wurden, ist klar. Wir wollen natürlich nicht, daß die ausländischen Studenten da auf der Strecke bleiben.
Frage: Die ausländischen Studenten haben also grundsätzlich die Unterstützung der deutschen Studenten?. Es gibt da keine Spaltung der Studentenschaft?
Antwort: Innerhalb der Studentenschaft habe ich noch nicht festgestellt, daß irgendwelche nationalistischen Tendenzen auftreten, wie sie sonst anzutreffen sind.
Frage: Kannst Du bitte sagen, an welcher Uni Du studierst?
Antwort: Ich bin an der Humboldt-Uni, in der Sektion Asienwissenschaft.
Frage: Hast Du die Hoffnung, daß mit dieser Aktion irgend etwas bewirkt werden kann, daß Eure Forderungen durchgesetzt werden können?
Antwort: Na, ich denke, daß es im Moment erst mal darauf ankam, ein Zeichen zu setzen, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, daß es da noch etwas gibt, was man eine soziale Randgruppe nennen könnte, nämlich die Studenten. In diesem Sinne war ich erstaunt und erfreut, daß es so viele gewesen sind und ich denke, daß es auch eine Wirkung haben wird. Und wenn nicht, dann werden wir uns sicherlich nochmal wieder treffen.
Frage: Nun sind ja die Gegenspieler nicht gerade von der weichen Sorte. Was ist, wenn solche Aktionen und Demonstrationen auch DDR-weit nichts bringen, ist dann an weitere Schritte gedacht?
Antwort: Naja, im Moment wollen wir unsere Forderungen anmelden, damit sie berücksichtigt werden. Sollte das nicht geschehen, und ich habe die gleichen Ängste und Befürchtungen wie Du, dann werden wir sicherlich noch weitere Aktionen machen müssen.
Frage: Ich habe hier einen Zettel in die Hand gedrückt bekommen. Darauf steht, daß ein Senat gebildet werden soll mit 10 Professoren und 3 Studenten und daß das nicht zustandekommen darf. Sagt Dir das etwas?.
Antwort: Über die Zahlenverhältnisse weiß ich jetzt nicht genau Bescheid, da würde ich sicherlich danebenliegen. Fakt ist, daß es bei uns unterschiedliche Bestrebungen gibt. Es gibt einmal die Bestrebung, durch Professoren und Hochschullehrer eine Ordinarienuniversität zu bilden. Dem entsprach auch in etwa der Entwurf zu den Grundsätzen für ein künftiges Uni-Statut, der von dieser Kommission ausgearbeitet wurde. Und es gibt einen gemeinsamen Entwurf, der von der Gewerkschaft Wissenschaft, vom SSB, von der PDS und noch von allen möglichen anderen Initiativen getragen wurde. Nach meiner Kenntnis haben sich diese beiden Gruppen oder Kommissionen jetzt erst einmal zusammengesetzt und versuchen im Konzil doch noch eine gemeinsame Sprache zu finden. Aber ob das gelungen ist, weiß ich nicht. Fakt ist auf jeden Fall, daß das allerwichtigste in der nächsten Zukunft erst einmal sein wird, die Studentenvertretung anzuerkennen, und zwar auch juristisch.
Frage: Habt Ihr das Gefühl, daß Ihr von den Professoren und Dozenten Unterstützung erhaltet?
Antwort: Ich glaube, daß das sehr unterschiedlich ist. Ich weiß zum Beispiel, daß von der Medizin der Dekan und noch jemand da war. Die Sympathie ist gespalten. Auf der einen Seite gibt es natürlich auch unter den Hochsschullehrern durchaus progressive Leute, die die Forderungen verstehen…
Frage: Und wie sieht das Verhältnis in der Studentenschaft aus? Gibt es da eine Spaltung, gibt es da Leute, die Universitäten wie in der Bundesrepublik wollen?.
Antwort: Es wäre blind zu glauben, daß es so etwas nicht gibt. Ich glaube aber trotzdem, daß die Studentenschaft in der Mehrheit relativ weit links eingestellt ist.
Frage: Betrifft das auch das Verhältnis zu den ausländischen Studenten?
Antwort: Das betrifft meines Erachtens auch das Verhältnis zu den ausländischen Studenten.
Frage: Auf diesem Gebiet gab es noch keine Auseinandersetzungen?
Antwort: Naja, ich bin nie Wohnheimstudent gewesen. Ich kann mir vorstellen, daß es da durchaus schon Auseinandersetzungen gegeben hat. Aber es gibt auch zwischen DDR-Studenten Auseinandersetzungen.
t.s.