aus telegraph telegraph 7/1990
Wir haben bereits beim letzten Mal durch den Abdruck von zwei Presseerklärungen den Konflikt zwischen Grüner Partei und Unabhängigen Frauenverband dargestellt. Weil der Frauenverband nicht aufgepaßt hatte, waren überall als SpitzenkandidatInnen des Wahlbündnisses zwischen Grünen und UFV Grüne aufgestellt worden. Da das Bündnis nur 8 Volkskammerplätze gewann, beansprucht jetzt, formal rechtmäßig, die Grüne Partei alle 8 Plätze für sich. Dazu die folgende Dokumentation:
Offener Brief des Kreisverbandes der Grünen Partei Meißen an die Volkskammerabgeordneten der Grünen Partei
Liebe FreundInnen
Auf dem Halleschen Parteitag beschlossen unsere Delegierten ein umstrittenes, bemerkenswertes, denkwürdiges, vielfach beachtetes und für verschiedene Leute hoffnungsträchtiges Wahlbündnis. Die Motivlagen für die damals getroffene Entscheidung mögen vielschichtig gewesen sein. Der Kreisverband Meißen allein kann sie nicht rekapitulieren. Auch verfügen wir über keinerlei Dokumente, die zum konkreten Inhalt des Wahlbündnisses Auskunft geben könnten.
Doch selbst wenn uns alles vorläge, was sich um das Wahlbündnis Grüne Partei/Unabhängiger Frauenverband rankt, so würde es uns jetzt, nach dem Tag X, nicht weiterhelfen. Welcher Grüne hätte bei der Aufstellung der Kandidatenlisten auch vermutet, daß nicht einmal jeder Bezirk eine MandatsträgerIn in die neue Besatzung des Hohen Hauses entsenden könnte?
Die SpitzenkandidatInnen der Liste 16 stets aus den Reihen der Grünen Partei zu nehmen, war sicherlich und in jedem Fall begründet und vielleicht auch berechtigt, es war aber ganz sicher nicht mit der Eigenschaft behaftet, die viele AnderswählerInnen uns vorwerfen, es war nicht alternativ.
Nun ist das passiert, was wohl die wenigsten ernsthaft durch- dacht hatten – im Vertrauen auf das verantwortungsvolle Handeln der Grünen MandatsträgerInnen: keine unabhängige Frau soll den Hauch von betont weiblichem Selbstbewußtsein in die Volkskammer tragen, ein Selbstbewußtsein, das alles andere will, als in maskulin vorgeformte Machtpositionen reinzuschlüpfen, sondern unter strikter Bewahrung des Femininen neue Sichtweisen verheißt. Alternative Frauenprojekte haben nur dann die Chance, ins parlamentarische Leben der ohnehin galgen- fristigen Existenz unserer Volkskammer zu geraten, wenn sie von naserümpfenden PatriarchatshuldigerInnen als zu verhinderndes oder zu beseitigendes Entwicklungshemmnis auf dem Weg zur wohl(an)ständigen Einheit auftauchen.
Wären die unabhängigen Frauen mit eigener Liste zum 18. März angetreten, so säßen sie jetzt, wenn auch nur mit möglicherweise zwei Sitzen, sicher im hochgeschätzten DDR-Parlament.
Können die Grünen Abgeordneten und alle anderen Grünen die Entscheidung für 8 Grüne Abgeordnetensitze und keinen Unabhängigen Frauensitz mit sich und dem Halleschen Rahmenprogramm vereinbaren?
Sind die Grünen Spitzenkandidaten genauso versessen auf die Sessel wie die Leute aus dem konservativen Lager?
Treten wir in diesem konkreten Fall wirklich für „veränderte Lebens- und Wertvorstellungen und solidarische Verhaltensweisen“ ein (Präambel)?
Gilt hier nicht die Aussage aus dem Programmausschnitt zu den „Grundsätzen einer demokratischen und solidarischen Gesellschaft“: „Selbst in den entwickelten Industrieländern sind weite Bevölkerungs- kreise von politischer Einflußnahme ausgeschlossen…“?
Eigentlich hat der UFV nur einen ungeheuren Vorteil gegenüber uns: Sie können sich völlig auf die Arbeit in der außerparlamentarischen Opposition stürzen, während sich die Grüne Partei immer vorhalten muß, die Dinge auf dem doch irgendwie konservativen Parlamentsweg realisieren zu müssen, bevor Methoden direkter Demokratie Anwendung finden dürfen.
Die hinter uns liegenden Monate waren unter anderem auch deshalb so erfrischend und hoffnungsträchtig, weil auf manchmal wunderbarste Art und Weise von phantasievollen Menschen unkonventionelle Entscheidungen gefällt und Wege gegangen wurden.
Wir halten eine unkonventionelle und phantasievolle Entscheidung in der Frage der 8 Volkskammerabgeordneten für unumgänglich, da unseres Erachtens die Grüne Partei sonst größten Identitäts- und Sympathieverlust erleidet.
Das Argument, daß Wahlgesetz, Wahlordnung, Listenaufstellung usw. demokratisch und juristisch korrekt verlaufen sind, wird hoffentlich nicht gegen die Phantasie obsiegen!
Diese Problematik sollte unverzüglich vom DDR-Delegiertenrat und unabhängig davon von jedem Bezirksverband diskutiert werden, der Grüne Abgeordnete entsendet.
Fällt keine Entscheidung zugunsten des UFV, so sehen wir für lange Zeit größte Probleme für das Zusammengehen von Grünen und UfV in der Basisarbeit. Die können wir uns nicht leisten, wenn wir wirklich die Basisdemokratie zu einem unserer Axiome machen wollen.
Der Kreisverband Meißen zählt gegenwärtig 2 Frauen zu seinen Mitgliedern.
Die Mitglieder des Kreisverbandes
der Grünen Partei Meißen