Auch das Recyclingsystem der DDR wird wahrscheinlich der Marktwirtschaft zum Opfer fallen
aus telegraph telegraph 7/1990, von Katharina
Der VEB Sekundärrohstoffe (Sero), ein Recyclingsystem, um das uns viele Einsichtige im Westen beneideten, ist in letzter Zeit in die Schlagzeilen gekommen. Kritikpunkte sind vor kurzem eingetretene Preisänderungen und veränderte Öffnungszeiten. Diese Senkung der Aufkaufspreise ist, hieß es bei einer Pressekonferenz des Betriebes am 4. April, keine Reaktion auf die neue Situation, sondern bereits seit 1988 in Arbeit gewesen, nachdem klar wurde, daß die Preise in der Perspektive nicht mehr haltbar sind.
Die neue Situation ist dadurch geprägt, daß durch den steigenden Verpackungsmüll die Abgabe bei Sero steigt, vor allem an Pappe und Papier. Das könnte immerhin umsatzfördernd sein, wenn nicht so große Probleme bei der Abnahme der Rohstoffe beständen. Am gravierendsten macht sich das bei Gläsern und Flaschen bemerkbar. Die Koservenindustrie, die bisher einen Großteil abnahm, ist entweder aus hygienischen Gründen stillgelegt worden oder hat zu einem großen Teil bereits Verträge mit westdeutschen Firmen gemacht, die eigene Gläser und Verpackung liefern und die gesamte Produktion umgestalten. Fünf Großbetriebe nehmen plötzlich nichts mehr ab. Es bietet sich natürlich an, aus den gewachsenen Beständen von Sero Glasbruch zu machen. Dafür ist aber längst nicht der Preis zu erzielen wie für wiederverwendbare Flaschen und Gläser. Hinzu kommt, daß gegenwärtig die Glashütten der DDR geschlossen werden, weil sie im Vergleich zu den westdeutschen Glashütten nicht konkurrieren können. Im Effekt bedeutet das, daß Sero Glas zwar noch abnehmen aber nichts mehr dafür zahlen kann.
Weniger Probleme gibt es mit Schrott, alle metallischen Rohstof- fe finden nach wie vor Abnehmer. Auch Alttextilien können nach wie vor weiterverarbeitet werden.
Hoffnungslos ist die Papierabnahme. Ein Großteil der Papiermühlen muß auf Grund des Konkurrenzdruckes schließen und kann nicht mehr das Altpapier abnehmen. Die derzeitigen Überbestände von Sero konnten noch an eine Papiermühle in Schwedt verhandelt werden. Aber es sind bereits westdeutsche Anbieter in Sicht, die Papiermühlen als Einstiegspräsent kostenlos Altpapier anbieten.
Bei Sero arbeiten derzeit 11.000 Angestellte. Der Betrieb untersteht, den wirtschaftlich und nicht ökologisch orientierten Überlegungen des alten Regimes gemäß, dem Ministerium für Schwerindustrie und nicht, wie eigentlich angemessen, dem Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft. Sero wurde bisher vom Staat mit 20 Millionen Mark Zuwendungen pro Jahr unterstützt. Diese Prämie für eine ökologisch sinnvolle Wiederverwertung von Materialien fällt jetzt im Zuge des allgemeinen marktwirtschaftlichen Rausches eben- falls weg. Auch Sero muß sich nach den geltenden Gesetzen bis zum 30.6. in eine Kapitalgesellschaft umwandeln und ökonomisch eigenständig handeln.
Sero soll jetzt mit dem ganz andersartigen westdeutschen Konzept konkurrieren. Dort gibt es ein verbreitetes, gut aufgebautes Behältersystem für Sekundärrohstoffe. Die Zukunft des Sero-System ist wegen der steigenden Mieten und Pachten für Lagerräume und steigenden Löhnen höchst unsicher. Andererseits gibt es eine Reihe von Anfragen von Industriekonzernen und Handelsketten zum Aufkauf von Sero, weil der Bertrieb landesweit und flächendeckend (eine Annahme pro tausend Bewohner) verbreitet ist und damit sofort eine landesweite Präsenz ermöglichen würde.
Von staatlicher Seite gibt es derzeit keinerlei Konzepte für Sero, ob nun Übernahme durch die Kommunen oder weitere staatliche Förderung. Ohne Neuüberlegungen in dieser Hinsicht wird Sero in kurzer Zeit vom marktwirtschaftlichen Konkurrenzdruck erdrosselt werden.