oder Martin Jander’s Abwicklung der DDR – Opposition, Teil 1
von Bernd Gehrke
aus telegraph 7/8 1996 (#90)
Nachwort am Anfang
Die Diskussionen über Globalisierung, Deregulierung, Sozialabbau und Neoliberalismus bestimmen heute die öffentlichen Debatten in Deutschland sosehr, daß die Beschäftigung mit den Diskussionen und Versuchen einer anderen gesellschaftlichen Perspektive in der “Wende” – DDR, als der dann verwirklichten westdeutsch-kapitalistischen, in der heutigen Öffentlichkeit kaum anders wahrgenommen wird, als Berichte über neuentdeckte Trinkgefäße einer untergegangenen Kultur aus archaischer Zeit. Doch die “Wende” ist erst sieben Jahre her. So selbstverständlich erscheint der Anschluß der DDR an die BRD aus Sicht der bürgerlichen Öffentlichkeit, als daß die Suche nach Alternativen zu Stalinismus und Kapitalismus, zu SED-Diktatur und BRD, der in der einen oder anderen Weise dem Gros der DDR-Opposition gemein war, heute geradezu absurd erscheint. Die bürgerlich-kapitalistischen Formen des Verbrechens, die die bürgerlich-politbürokratischen in Ostdeutschland wieder abgelöst haben, erscheinen dieser Öffentlichkeit so normal, daß sie diese als Verbrechen gar nicht wahrnimmt. Deren grundsätzliche Kritik durch die DDR-Opposition erscheint ihr heute wie von einem anderen Stern.
Deshalb ist es vielen ehemaligen DDR-Oppositionellen eher peinlich, wenn sie daran erinnert werden, daß sie einmal etwas anderes erreichen wollten, als im Parlament zu sitzen oder einer Politik der kriegerischen “Friedenserzwingung” durch die NATO das Wort zu reden. Doch gleich ihnen verhalten sich bekanntlich große Teile der westdeutschen Linken, die mit ihrer sozialistischen Vergangenheit gebrochen haben. Immerhin ein Stück deutsch-deutscher Gemeinsamkeit, das die Gegenwart prägt, wo schon die blühenden Landschaften ausgeblieben sind.
Wirklich absurd allerdings ist es, anzunehmen, daß die Normalformen des bürgerlichen Verbrechens in den heutigen Metropolen, die Zerstörung von Menschen durch Lohnarbeit, Erwerbslosigkeit, Obdachlosigkeit, Knüppelorgien der Polizei, Umweltvergiftung usw. zu trennen sind von jener Gesellschaft, die auf ihnen beruht. Besonders absurd in der heutigen Zeit, wo diese Verbrechen in den Metropolen selbst eskalieren. Ebenso absurd ist es, wenn der grundlegende Zusammenhang zwischen diesen Normalformen des bürgerlichen Verbrechens und deren excessiver Gestalt, etwa im Trikont, ausgeblendet wird. Eine einprozentige Erhöhung der Zinsen für laufende Kredite der Trikontländer durch die Großbanken der Metropolen tötet noch immer ein Zigfaches an Kindern, als die DDR je Mauertote geschaffen hat. Von Rüstungslieferungen an und Folterer-Ausbildung für Folter-und-Mord-Regimes zu schweigen.
Doch die Normalform des modernen Verbrechens gilt nur denen als normal, die mit ihr aufgewachsen sind. Die Ostdeutschen und die Osteuropäer sind es nicht. Die Normalität, die sie abgeschüttelt haben, war das Verbrechen des despotischen Staates, der Willkür und der Brutalitäten einer Obrigkeit, die keine andere Öffentlichkeit zu fürchten hatte, als die der bürgerlichen Konkurrenz im Westen. Abgeschüttelt haben sie damit auch eine Form der Zerstörung der Persönlichkeit durch Mangel, sei es durch den Mangel an freier Betätigung oder durch den an sauberer Luft. Jenen Mangel, den man Hunger nennt, kannten sie nicht oder nur wenige. Nun erleben die Osteuropäer erstmals jene Verbrechen, die in aller Öffentlichkeit und mit derem Einverständnis begangen werden, nun erleben sie auch erstmals eine Presse, die keiner Politbüro-Zensur unterworfen, aber ebenso wirksam gleichgeschaltet ist.
So ist in Osteuropa wie in Ostdeutschland die Sehnsucht groß nach einer Gesellschaft ohne die Verbrechen der einen wie der anderen Art, eben, weil jetzt die Erfahrungen mit zwei Gesellschaften vorliegen. Es war die Stärke der DDR-Opposition, daß sie von beiden Arten des Verbrechens wußte, obgleich ihr eben dies von den bürgerlichen Abwicklern der DDR als Schwäche vorgeworfen wird: Daran soll ihre Niederlage im Umbruch 1989 gelegen haben. Nicht zufällig hat sich aber in Polen wie in Tschechien das gesellschaftliche Klima heute wieder zugunsten der antistalinistischen Linken geöffnet, nachdem der Stalinismus ihr 1968 und 1981 existenzielle Schläge versetzt hat. In Ostdeutschland profitiert die PDS von deren Zersplitterung in der und ihrer Atomisierung nach der “Wende”. Es ist geradezu die Pflicht der antistalinistischen Linken, auch durch die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte dem Sehnen der osteuropäischen und ostdeutschen Bevölkerung nach einer Gesellschaft jenseits der zweifach erlebten Demütigung durch die Peitsche des Despotismus und die des Geldes wieder eine Perspektive zu erschließen. Und nachdem auch im Westen immer deutlicher wird, daß mit dem globalen Sieg des Kapitals in der Systemkonkurrenz und dem neuen Schub der marktradikalen Deregulierung, neue Antworten für die Arbeiterbewegung, wie für die Linke insgesamt notwendig sind, ist eine Aufarbeitung gerade mit jenen theoretischen Optionen und praktischen Versuchen unumgänglich, die die antistalinistische Linke Osteuropas und der DDR hervorgebracht hat. Denn wirklich neue Antworten zu finden bedeutet eben jene Probleme herauszuschälen, die den Herausforderung des siegreich globalisierten Kapitalismus angemessen sind. Angemessen, also auf der Höhe der geschichtlichen Probleme sind sie aber nur, wenn sie auch die historischen Sackgassen des Stalinismus, einschließlich des Scheiterns der antistalinistischen Linken in Osteuropa, kritisch verarbeitet haben. Ohne diese ist der Sieg des Kapitals nicht erklärbar.
Insbesondere für die basisdemokratische, emanzipatorische Linke gilt es deshalb, ihr Scheitern in Osteuropa einer radikalen, d.h. kritischen und historischen, statt der üblich moralisierenden, Kritik und Selbstkritik zu unterziehen. Nur so wird sie die geschichtlichen Gründe dieses Scheiterns, wie auch das für die Zukunft noch Tragfähige erschließen können. Erst auf diesem Wege vermag sie die Voraussetzungen eigener politischer Perspektiven für die Zukunft zu schaffen.
Von der Notwendigkeit eigener Geschichtsaufarbeitung der basisdemokratischen Linken
Doch obwohl die Beschäftigung mit diesen Themen wie stets, wenn es um die Vergangenheit geht, Beschäftigung mit der Gegenwart und Zukunft bedeutet, hat es die basisdemokratische Linke und der Freiheitliche Sozialismus bislang noch kaum fertiggebracht, sich diesem Gegenstand ernsthaft zu widmen. Die dafür in Frage kommenden Ostlinken waren zu wenige, als daß sie nach der “Wende” genügend Kapazitäten in eine solche Aufgabe einbringen konnten, zumal ihre sie tragenden Strukturen in geradezu dramatischer Weise zerfielen. Dazu gehörte auch, daß etliche der “Ehemaligen” die Seiten gewechselt hatten. Und von den einstigen ideologischen Wasserträgern des stalinistischen Systems war diese Aufgabe am wenigsten zu erwarten.
Für viele Westlinke war die Auflehnung gegen die SED ohnehin nur ein reaktionärer Akt, für den das Urteil im Voraus fest stand: waren doch DDR und Ostblock stets nur die Projektionsfläche ihrer eigenen, im Westen nicht zu verwirklichenden Hoffnungen, statt kritisch Herrschaftsverhältnisse zu hinterfragen. Andere nahmen und nehmen Wirklichkeit sowieso nur über Publikationen wahr und die waren in der DDR vor allem für Obrigkeitsloyale offen. Für die Dritten schließlich war die DDR-Opposition ohnehin nicht auf der geistigen Höhe, auf der sie selbst standen, so daß sich eine ernsthafte Beschäftigung mit ihr gar nicht lohnte. Den meisten allerdings, gleich welcher linken Couleur, war ohnehin alles klar, was den “Osten” betraf. Jede intellektuelle Richtung der Westlinken machte nach der “Wiedervereinigung” eine Ausgabe ihrer jeweiligen Zeitung oder Zeitschrift, worin man kurz ein Urteil gab – und damit war alles notwendige gesagt. Man konnte getrost wieder zur Tagesordnung übergehen und die jeweils zum Spektrum passenden “Ossis” würden, jetzt ja im Westen, bald die gleiche Melodie singen, wie man selbst. Erst nach und nach dämmert es, daß die bisherige selbstzufriedene Praxis nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.
So kommt es, daß die emanzipatorische und basisdemokratische Linke aus Ost und West zur Aufarbeitung der DDR und insbesondere der DDR – Opposition sowie der “Bürgerbewegung in der Wende” kaum etwas beigetragen hat.1 Ex-stalinistische und bürgerlich-akademische Darstellungen bestimmen das Bild der “Wende”, unter ihnen eine stattliche Zahl ehemaliger Linker, die sich das Scheitern ihrer eigenen Hoffnungen durch Kritik an der Linken aus der Seele schreiben. Hinzu kommen die (ebenfalls nur wenigen) Darstellungen ehemaliger Oppositioneller aus dem liberalen Spektrum.2 Insgesamt ist die Darstellung der DDR-Opposition und der Ereignisse in der Wende so auch eher eine Angelegenheit interessierter Spezialisten denn die einer streitenden politischen Öffentlichkeit. Die publizistische Schwäche der emanzipatorischen Linken hinsichtlich ihrer eigenen Geschichte ist so der Ausdruck ihrer real politischen.
Außerdem finden die interessiertesten Debatten fast immer um die historischen Gewinner, nicht um die Verlierer statt. Wenn, dann doch sehr viel später. Heute jedenfalls ist von den wirklichen Entwicklungen in der “Wende” bei den nachwachsenden Jugendlichen kaum mehr bekannt, als die Bilder der Montagsdemonstrationen in Leipzig oder die der Demonstration am 4. November auf dem Alexanderplatz, die ihren krönenden Abschluß mit der Übernahme des westdeutschen Systems fanden.
Eine andere Seite der “Wende” – Aufarbeitung
Daß die demokratische Revolution auf den Straßen und Plätzen stattfand, bestenfalls in Kirchen oder vor und in STASI-Gebäuden, dürfte auch die Erinnerung der meisten Aktivistinnen und Aktivisten der Bürgerbewegungen bestimmen. Und hier beginnen wir auf eine wirkliche Schwäche der DDR-Opposition zu stoßen: daß sie von den Problemen und Nöten der normalen Bevölkerung außerhalb des oppositionellen Ghettos nur wenig wußte und auch wissen wollte.
Allerdings wurde vor und in der “Wende” jener Bereich der DDR-Gesellschaft auch nicht dominant für die Entwicklung, auf den ein Teil der DDR-Opposition besondere Hoffnungen gesetzt hatte: die Betriebe. Jene, die diese Hoffnungen hatten, waren unter den Oppositionellen, wie innerhalb der Bürgerbewegungen nur ein verschwindend geringer Teil. Hinsichtlich der Errichtung von betrieblichen und überbetrieblichen Interessenvertretungen der Werktätigen im Herbst ‘89, dürfte den meisten Bürgerbewegten wohl kaum mehr bekannt sein, als daß Heiner Müller am 4. November auf dem Alexanderplatz den Aufruf einer “Initiative für unabhängige Gewerkschaften” vorgelesen und dafür ziemlich viele Pfiffe geerntet hatte. Daß Heiner Müller, der im Rampen-Licht stand, mit dieser Tat als einer der ganz wenigen Intellektuellen der DDR zeigte, daß er darum wußte, daß die anstehende Entwicklung der DDR-Gesellschaft nicht nur eine politische sein, sondern daß sie zur sozialen werden wird und daß er sich dabei auf die Seite jener schlug, die man im Dunkeln eben nicht sieht, macht seine recht einsame Größe aus. Noch heute bleibt die Tiefe beeindruckend, die er im Antwortbrief auf die freche Attacke des “ND” gegen seine Rede zum Ausdruck brachte: “Als mir am Fuß der improvisierten Tribüne eine Welle von Haß entgegenschlug, wußte ich, daß ich an Blaubarts verbotene Tür geklopft hatte, die Tür zu dem Zimmer, in dem er seine Opfer aufbewahrt.”3
Doch wer hinter dieser “Initiative für unabhängige Gewerkschaften” steckte und was aus ihr wurde, wissen nur die wenigsten selbst von denen, die sich in der “Wende” maßgeblich engagierten. Denn der Gang der Geschichte wurde von ihr so wenig geprägt, wie die Entwicklung in den Betrieben eben bestimmend wurde für den Ablauf der “Wende”. Die hinter dem Kampf für Bürgerrechte auftauchende soziale Frage fand nicht im Kampf für selbstgeschaffene betriebliche und überbetriebliche Interessenvertretung und Selbstbestimmung der Werktätigen ihren Ausdruck, sondern in D-Mark und “Wiedervereinigung”, d.h. auch: der Übernahme der westdeutschen Interessenvertretungen für Lohnabhängige.
Für die staatstragenden Kräfte in Ost und West bildeten die auf eigenständige Organisation von unten setzenden Kräfte aus der DDR-Opposition ohnehin nur einen Störfaktor; die IUG wurde wie alle eigenständigen Versuche zur Interessenvertretung von unten für FDGB einer- und DGB andererseits zur störenden “Splittergruppe”. Im Spektrum von DDR-Opposition und Bürgerbewegung eine Minderheit darstellend und von den staatstragenden Kräften in Ost und West ignoriert oder bekämpft, war bis auf eine dokumentierende Selbstdarstellung der Initiative für unabhängige Gewerkschaften bisher wenig über sie bekannt4. So ist sehr erfreulich, daß nun erstmals ein Buch erschienen ist, daß sich ausführlich mit der Geschichte dieser Initiative (künftig: IUG) beschäftigt: Martin Jander, Formierung und Krise der DDR-Opposition, Die Initiative für unabhängige Gewerkschaften – Dissidenten zwischen Demokratie und Romantik.5 Auf den 269 Seiten breitet der Autor, der bereits vor der “Wende” über gute Kontakte zu DDR-Oppositionellen verfügte und nach dem Fall der Mauer als ÖTV-Funktionär selbst aktive Unterstützung für in DDR-Betrieben sich entwickelnde Ansätze unabhängiger Interessenvertretungen bot, eine Fülle akribisch gesammelten Materials über die Geschichte der IUG und ihres Umfeldes aus. Obwohl der Autor mit diesem Buch sein antisozialistisches Outing betreibt, erschließt diese umfassende Materialsammlung den Leserinnen und Lesern nicht nur die Geschichte der IUG selbst. Es läßt sich nach dem Erscheinen von Jander’s Buch Umfang und Art der betrieblichen und überbetrieblichen Bewegung für neue, unabhängige Interessenvertretungen der Beschäftigten in der “Wende” recht gut skizzieren, in die die Initiative für unabhängige Gewerkschaften eingebettet war.
Doch vor aller Auseinandersetzung mit diesem Buch, wie mit der in ihm dargestellten Gruppierung haben die Leserinnen und Leser das Recht, zu erfahren, daß der Autor dieser Zeilen als Aktivist der “Initiative für eine vereinigte Linke” (VL) in der “Wende” zu den faktischen Konkurrenten der IUG gehörte und in erheblichem Maße Mitverantwortung für jene Grundsatzerklärungen und Verlautbarungen der VL trägt, die sich auf ihre Betriebs- und Gewerkschaftspolitik beziehen. Im Unterschied zu jenen Kolleginnen und Kollegen der IUG, die von Anfang an auf die Schaffung unabhängiger, von unten kommender Gewerkschaften setzten, war die grundsätzliche Position der VL darauf gerichtet, alle unabhängigen, von unten kommenden Interessenvertretungen der Belegschaften zu unterstützen. Für die praktische Politik der VL in der “Wende” war jedoch die Konzentration auf die Schaffung neuer und unabhängiger Betriebsräte bestimmend, (das hieß für uns: im Minimum mit Veto-Rechten hinsichtlich Personal-, Produktions und Investitionsplanung ausgestattet, im Maximum Oberstes Organ der Arbeiterselbstverwaltung). Doch die Leserin und der Leser brauchen nicht zu befürchten, daß sie nun eine Flut von Richtigstellungen oder Zänkereien über sich ergehen lassen müssen. Soweit Kritik notwendig ist, ergibt sich diese anderweitig. Da über die IUG nur wenig bekannt ist, bietet es sich aber geradezu an, dank Martin Jander ihre Geschichte hier bekanntzumachen.
Zur Geschichte der IUG
Wer und was die IUG war, erschließt sich den Leserinnen und Lesern Jander’s durch eine Fülle von Material, das sich z.T. auf Interviews der Engagierten, aber auch auf Texte und Dokumente, z.B. Anwesenheits- und Verteilerlisten, stützt. Darunter befinden sich u. a. auch die Wiedergaben und teilweisen Abschriften von Tonbandmitschnitten der Versammlungen der IUG, v. a. ihrer Gründungsversammlung. Hierdurch ersteht die Zeit der “Wende” auch für diejenigen Leserinnen und Leser, die sie entweder gar nicht oder eben nicht in den Betrieben miterlebten, in großer Lebendigkeit wieder auf.
Die Geschichte der IUG beginnt damit, daß sich am 20. Oktober 1989 erstmals 8 Leute aus der DDR-Opposition in einer Wohnung im Prenzlauer Berg trafen, um darüber zu sprechen, daß die Demokratiebewegung endlich auch Betriebe und Gewerkschaften erreichen muß (S. 60). Die Mehrzahl hatte ein marxistisches Selbstverständnis und war unzufrieden damit, daß Betriebe und Gewerkschaften in den bis dahin vorliegenden Äußerungen der Bürgerbewegungen weitgehend ausgespart blieben. Aus ihrer Sicht ging es nicht um eine Reform der vorhandenen Institutionen des SED-Staates wie des FDGB, weil es sich nach ihrer Auffassung in der DDR nicht um eine sozialistische Gesellschaft handelte. Sie wollten, daß sich neue und unabhängige Interessenvertretungen der Beschäftigten von unten bilden. Gegen das ursprünglich ins Gespräch gebrachte Vorhaben von Uwe Bastian, eine politische Gruppe namens Arbeiterdemokratie zu gründen, die an die revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegung anknüpfen würde, setzt sich bei diesem ersten Gespräch der Vorschlag von Joachim und Renate Hürtgen durch, mit der Initialisierung von unabhängigen Gewerkschaften eher an alltägliche Bedürfnisse der Arbeiter anzuknüpfen. Im Ergebnis des Treffens beschloß man eine Initiative für unabhängige Gewerkschaften ins Leben zu rufen und einen Aufruf zu verfassen, über dessen Grundzüge man sich verständigte. Für alle Beteiligten war es Konsens, daß sich solche Interessenvertretungen der Beschäftigten durch Selbstorganisation von unten bilden sollten, die den staatlichen oder (künftig auch wieder) privaten Managern der Betriebe als Interessengegner gegenübertreten müssen. Sich selbst verstand die Gruppe als Katalysator einer erhofften und erwarteten sozialen Bewegung der Beschäftigten in den Betrieben, nicht als deren Organisator von außen (S. 92, 100 – 108).
Als die ersten Gespräche über diese Probleme unter den Initiatorinnen und Initiatoren begannen, die sich zuvor z.T. nur flüchtig kannten, hatte die politische Dynamik des Umschwungs bereits begonnen, obwohl die institutionelle Macht des SED-Regimes noch bestand: Nach der Massenflucht in den Sommermonaten und dem “Plattformfieber” der oppositionellen Gruppen seit September hatte die SED-Spitze unter dem Druck eskalierender Massendemonstrationen am 2. (Leipzig), 3. (Dresden), 7. (Berlin) und 9. Oktober (Leipzig) die “Dialogpolitik” begonnen (11. Oktober) und mit dem Sturz Honeckers am 18. Oktober die “Wende” ihrer Politik eingeleitet. In diese Änderung der Politik schwenkte auch der FDGB mit ein, der ebenso wie die SED von der Krise erfaßt wurde (S. 61, 83 – 86). Daß die Ideen von unabhängigen Interessenvertretungen der Werktätigen nicht nur solche kleinen Diskussionsrunden im Prenzlauer Berg bewegten, zu der in diesem Fall Wissenschaftler/innen und Kulturschaffende gehörten, während nur ein Teil in Betrieben arbeitete (siehe Janders biografische Angaben zu den Initiator/innen, S. 62 bis 73) sondern daß sie im Zuge des Aufbruches der DDR-Gesellschaft lagen, drückt sich gerade darin aus, daß in den Betrieben Unruhe vorhanden war und zur gleichen Zeit unabhängig von bisherigen Oppositionellen solche Ideen geboren wurden. Nachdem bereits am 29. September 20 FDGB-Vertrauensleute des Berliner Großbetriebes Bergmann Borsig einen Protestbrief an Harry Tisch, dem FDGB-Vorsitzenden und Politbüromitglied, geschrieben hatten, über den auch Westzeitungen berichteten (S. 84 und 117), wurde am 17. Oktober im Reglerwerk Teltow eine Initiative zur Gründung einer unabhängigen Betriebsgewerkschaft “Reform” gegründet, deren Aufruf allerdings via Westmedien erst am 23. Oktober in der DDR weitgehend bekannt wurde (S.61). In drei Betrieben im Bezirk Erfurt gab es ähnliche Versuche (S. 87). Aus anderen Quellen ist bekannt, daß auch in Leipzig um diese Zeit über die Bildung unabhängiger Interessenorgane der Beschäftigten nachgedacht wurde, die später in der ersten Gründung eines Betriebsrates in der DDR mündeten. Die Initiative zu einer überbetrieblichen unabhängigen Interessenvertretung der Werktätigen gab es allerdings noch nicht. Einen interessanten Einblick in die Stimmung in den Betrieben jener Tage gibt auch Jander’s Darstellung der Krise im FDGB (S. 83 – 86). So zitiert Jander mit Bezug auf Theo Pirker, daß die Organisationsabteilung des FDGB-Bundesvorstandes am 9. Oktober eine “konterrevolutionäre Situation wie 1953”, also einen Aufstand, befürchtete (S. 85). Am 2. November (also zwei Tage vor der Demo auf dem Alex) muß Harry Tisch, der zu den “Umstürzlern” im Politbüro gehört hatte, als FDGB-Vorsitzender zurücktreten, nachdem er bei zwei Betriebsbesuchen die Schuld an der Krise auf die Betriebe abzuwälzen versuchte und damit eine riesige Protestwelle an der Basis des FDGB hervorrief. Er wird durch die bis dato als Berliner FDGB-Cheffin tätige Anneliese Kimmel ersetzt. Am Tage zuvor hatte die Gewerkschaftszeitung “Tribüne” ein Diskussionspapier der FDGB-Hochschule in Bernau veröffentlicht, in dem zur grundsätzlichen Reform des FDGB und zu einem außerordentlichen FDGB-Kongreß aufgerufen wurde (S. 86).
Nach dem ersten Treffen am 20. Oktober begann der Kreis der Initiator/innen mit der Ausarbeitung des Aufrufes, mit der Gewinnung neuer Interessent/ innen für diese Initiative und mit der Suche nach einem Raum. Als man sich noch ein-, zweimal getroffen hatte (am 26. 10. war das zweite, anscheinend das eigentliche Gründungstreffen), wobei sich der Gründungskreis inzwischen auf 12 Menschen erweitert hatte, beschloß man den Versuch zu machen, den Aufruf auf der für den 4. November – also zwei Wochen nach dem ersten Treffen- geplanten Demonstration zu verlesen und zu verteilen, die von den Theaterleuten organisiert und zu der auch von den oppositionellen Gruppen mobilisiert wurde. Nachdem es gelungen war, den Druck von 5 000 Exemplaren des Aufrufes in der Umweltbibliothek zu organisieren und auf der Demo zu verteilen, wurde die Verlesung des Aufrufes auf der Demo nur durch ein Husarenstück möglich. Da das Anliegen, selbst den Aufruf auf der Kundgebung vorzutragen vom Vorbereitungskomitee der Theaterleute mit dem Hinweis auf ein volles Programm abgelehnt wurde (und wir wissen heute, was damals nur zu vermuten war: Mielke hat bei der Gestaltung der Demo so kräftig mitgemischt, daß von den 26 Redner/innen überhaupt nur vier von den oppositionellen Gruppen zu Wort kamen), machten einige aus dem Gründungsaktiv den Versuch, am Morgen des 4. November einen der vorgesehenen Redner der Kundgebung für die Verlesung des Aufrufes zu gewinnen. Da sie nur Stefan Heym und Heiner Müller einen solchen Akt zutrauten und Heiner Müller als erster in jenes Cafe am Alex kam, wo sich die Rednerinnen und Redner aufhielten, wurde er angesprochen. Nach einem Überfliegen des Textes erklärte er sich bereit.
Durch diesen, von Heiner Müller (nicht in Gänze) verlesenen Aufruf, in dem der FDGB angeklagt wurde, die Interessen der Werktätigen nicht vertreten zu haben, in dem ebenfalls dazu aufgerufen wurde, die Betriebsleitungen zur Rechenschaft zu ziehen und in dem zur Bildung unabhängiger Gewerkschaften aufgefordert wurde (S. 80), bekam die Initiative eine DDR-weite Öffentlichkeit. Die Kundgebung wurde ja vom DDR-Fernsehen übertragen.
Doch die Resonanz war zunächst gering. Konnte man die während der Rede Heiner Müllers zu hörenden Pfiffe mit der Anwesenheit von FDGB-Funktionären erklären, wie es auch Müllers eigener Eindruck war (S. 82), so blieb der Beifall auf der Kundgebung doch recht spärlich – obwohl in dem Aufruf auf Forderungen, wie der nach Streikrecht, zunächst verzichtet wurde, um die Werktätigen nicht zu überfordern. Man wollte nicht zu sehr an Solidarnosc und an die von den meisten Werktätigen abgelehnten “polnischen Verhältnisse” erinnern (S. 61, 83). In der Auswertung der Demo wurde deshalb von einigen Aktivist/innen auch der Eindruck aus ihren Betrieben wiedergegeben, daß insbesondere jene Teile des Aufrufes, die auf Arbeitszeitverkürzung und andere soziale Forderungen Bezug nahmen, von ihren Kolleginnen und Kollegen als illusionär angesehen wurde (82f), weil es doch “jetzt eher darum gehen müßte, mehr zu arbeiten”.
Als die Gruppe am 15. November, also eineinhalb Wochen nach der Alex-Demo, erstmals ihre auf dem Flugblatt angekündigte öffentliche Sprechstunde in einem Raum des Literaturklubs “Konrad Blenkle” durchführte, kam außer einem Journalisten der FDGB-Zeitung “Tribüne” lediglich eine einzige neue Kollegin aus einem Betrieb, die nicht zum Initiativkreis gehörte (S. 102). Allerdings hatte sich auch das Umfeld der Aktivitäten inzwischen drastisch verändert: am 9. November war die Mauer gefallen (was bekanntlich nicht nur dazu führte, daß zahlreiche Aktivitäten zunächst zusammenbrachen und durch Besuchs- und Einkaufsfahrten in den Westen ersetzt wurden, sondern auch, daß hierdurch wilde Privatisierungen und marktwirtschaftliche Lösungen auf Seiten der Betriebsdirektoren begannen). Doch trotz des enttäuschenden Anfangs sind die Initiator/innen wegen der Anwesenheit der Presse nun erstmals gezwungen, zu präzisieren, was sie überhaupt konkret wollen, d.h. der eigentliche Selbstverständigungsprozeß darüber, wie denn eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung aussehen könnte, beginnt erst jetzt (S.106). Und wie überall im Lande, begann man auch hier erstmals zu lernen, wie man mit vielen Menschen freie Versammlungen durchführt (S. 106).
In einem Flugblatt, das zur ersten Sprechstunde angefertigt wurde und für die Verteilung in den Betrieben vorgesehen war, wurde vorgeschlagen, über Abteilungs- und Vollversammlungen “Arbeiteraktive” zu bilden, die das bisherige FDGB-Statut außer Kraft setzen und die Mitgliedsbeiträge zunächst auf betrieblicher Ebene einbehalten sollen. Zu gegebener Zeit, wenn dieser Prozeß auf breiter Ebene in Gang gekommen ist, könnten sich diese betrieblichen Aktive überbetrieblich neu zusammenschließen. Angesichts der gerade stattfindenden Veränderungen im FDGB, wollte man allerdings trotz aller Skepsis auch nicht ausschließen, daß auf eine generelle Neugründung einer Gewerkschaft verzichtet werden könnte, “vorausgesetzt, daß eine Neuorganisation der Gewerkschaft von unten stattfindet” (S. 103).
Trotz dieses ersten Fehlschlags wurden fortan zweimal in der Woche öffentliche Sprechstunden durchgeführt, die in den kommenden Wochen immer mehr Zulauf erhielten. Wegen eines am 22. November in der “Tribüne” erschienenen Artikels über die IUG wurde ihre Adresse DDR-weit bekannt und immer mehr Post aus verschiedenen Städten der DDR traf ein. Durch diesen ansteigenden Zulauf entwickelte sich zwar eine kleine organisatorische Struktur, die auch außerhalb der Sprechstunden arbeitete, aber der Selbstverständigungsprozeß der Gruppe, deren Kern auf 20 Personen wuchs, fand in den öffentlichen Sprechstunden statt (S. 101f). Im Dezember, also rund vier bis sechs Wochen nach der Veröffentlichung des Aufrufes, riß der Besucherstrom nicht mehr ab und in die halbwöchentlichen Sitzungen kamen regelmäßig 50 bis 60 Kolleg/innen aus nicht ganz so vielen Betrieben, vor allem aus Berlin, aber auch seinem Umland. Der Verteiler für Flugschriften und Informationsblätter der IUG, der bis zum Jahresende zustande kam, enthielt 205 Adressen aus Ostberlin, 72 Kontakte in die DDR (darunter alle Bezirksstädte und einige größere Kreisstädte) und 12 aus Westberlin (S.104f), ohne die regelmäßigen Besucher der Beratungen. Was sich hinter den einzelnen Adressen und Kontakten verbarg, war dabei zunächst sehr unterschiedlich; mal waren es Einzelpersonen, mal Gruppen, die unabhängige Gewerkschaftsaktive in ihren Betrieben bildeten, mal FDGB-Funktionäre aus den Betrieben, die den FDGB von unten erneuern wollten (S. 103f). Eine enge Verzahnung gab es mit den beiden Gewerkschaftsgruppen des NEUEN FORUM in Berlin, in Prenzlauer Berg und in Schöneweide. Diese Zusammenarbeit fand zum Teil deshalb statt, weil spätere IUG-Mitglieder sich schon zuvor für das NEUE FORUM engagiert hatten, zum Teil aber auch, weil sich gewerkschaftlich engagierende Mitglieder mit ihren Themen im NEUEN FORUM kein Gehör fanden und sich deshalb in die IUG einbrachten (S. 160 – 163). Aus dem NEUEN FORUM in Dresden entstand eine eigene AG “Freie Gewerkschaften und Betriebsräte” die sich später zu einer entsprechenden “Bezirkskoordinierungsgruppe” Dresden formierte und mit der in Berlin entstandenen IUG kooperierte (S. 164ff)
Von Anfang an entwickelte sich die Debatte über die Einschätzung des FDGB und seine Reformfähigkeit zu einer zentralen Frage in den Versammlungen. Auch hinsichtlich der eigenen ökonomischen und sozialen Forderungen mußte man sich positionieren, da das Plädoyer für unabhängige Gewerkschaften durch die feindselige Berichterstattung des “ND” über die Rede Heiner Müllers am 4. November im Geruch stand, für überzogene Forderungen einzutreten. Der Kern der entwickelten Argumentation bestand darin, daß man wohl keine volkswirtschaftlich ruinösen Forderungen stellen könne, aber, daß man zunächst umfassende und wahrheitsgemäße Informationen brauche sowie den bürokratischen Apparat der Gesellschaft nicht mitbezahlen wolle (S. 107). Ebenso lehnte man es ab, daß die Fehler, die dieser unkontrollierte Apparat begangen hatte, nun auf die Werktätigen abgewälzt werden.
Die komplizierteste Situation ergab sich für den Kreis der Initiator/innen daraus, daß ihn Besucher/innen der Sprechstunden alsbald mit Erwartungen konfrontierten, die seinem Verständnis von der eigenen Rolle konträr gegenüberstand: Es wurde von ihm erwartet, daß er eben jenen Prozeß, dem er doch nur Impulse geben und Rahmenbedingungen verschaffen wollte, der doch aber nach seiner Vorstellung in den Betrieben von den Werktätigen selbst in die Hand genommen werden sollte, nun von sich aus organisieren und leiten sollte (S. 107f). Das begann mit der Versammlungsleitung in den Sprechstunden und ging im Laufe der Diskussion in den kommenden Wochen bis hin zur Erwartung der Gründung einer eigenen Gewerkschaft. Man verstand sich aber als Katalysator, nicht als Organisator (S. 109). Dieser Konflikt, den eine der Aktivistinnen im Nachgang gegenüber Jander auf die Formel brachte, “daß man niemals selbst Gewerkschaftsfunktionär(e) werden wollte” (S. 14), obwohl es ein bestimmender Teil eben jener Menschen, auf die die Initiator/innen setzten, von ihnen erwartete, war ein grundlegender Konflikt, der sich in der IUG seit Dezember durchzog. Er hatte allerdings verschiedene Facetten und wurde von anderen Konflikten überlagert. Denn obwohl im Dezember ein deutlicher Aufschwung der IUG und der Auseinandersetzungen in den Betrieben überhaupt zu verzeichnen war, entwickelte sich die Situation jedoch anders, als von den Initiator/innen erhofft. Gründungen unabhängiger Gewerkschaftsinitiativen blieben in den Betrieben eher marginal. Dominant wurden statt dessen verschiedene andere Formen der Herausbildung von Interessenvertretungsorganen der Werktätigen, vom Belegschaftskontrollrat über die Neuwahl der BGL bis zum Betriebsrat (siehe Janders detaillierte und exemplarische Schilderung der Entwicklung in fünf verschiedenen Großbetrieben, S. 112 bis 133). Das waren allesamt Entwicklungen, die zwar einen deutlichen Aufschwung nahmen, aber keinesfalls den Charakter einer Massenbewegung erhielten. Und vor allem: alle diese Varianten waren nicht auf die Schaffung unabhängiger überbetrieblicher Strukturen ausgerichtet und trugen teilweise den Charakter von Organen der Kooperation mit dem Management, während die Initiator/innen der IUG doch das Gegenteil wollten. Insbesondere um die Schaffung von Betriebsräten entbrannte eine heiße Diskussion innerhalb der IUG und zwischen ihr und anderen Initiativen, wie Teilen des NEUEN FORUM oder der VL. Diese Auseinandersetzungen hatten durchaus praktische Brisanz, weil sich viele, neugegründete Betriebsratsinitiativen als erstes das Betriebsverfassungsgesetz der BRD vornahmen und diese Niederlage der westdeutschen Gewerkschaftsbewegung kopierend, West-Betriebsräte als Organ der Sozialpartnerschaft mit den Unternehmern zum Vorbild nahmen.
Neben der Auseinandersetzung über diese Formen neuer Interessenvertretungen verstärkte sich auch die Diskussion über den Umgang mit dem FDGB innerhalb der IUG. Denn obwohl der FDGB immer weiter in die Krise geriet, die neue Vorsitzende Kimmel nach einer Reihe öffentlich gewordener Finanzskandale des FDGB am 9. Dezember zurücktreten mußte und die Führungen der Einzelgewerkschaften des FDGB ihre Selbständigkeit gegenüber dem Bund einforderten (S. 108f), gab es trotz der verschiedenen Versuche, in den Betrieben zu neuen Interessenvertretungen zu kommen, keine massive Bewegung zur Delegitimierung des FDGB-Apparates, weder aus den Betrieben heraus, noch von den Bürgerbewegungen. Im Gegenteil, in der IUG befürchtete man die Möglichkeit, daß sich dieser Apparat durch eine Reihe von Manövern, wie dem geplanten außerordentlichen Kongreß im Januar 1990, erhalten könnte.
Nachdem im Dezember der Besucherstrom in die Versammlungen der IUG eingesetzt und die Debatten der ersten Wochen vor allem einer ersten Selbstverständigung, der Schilderung der Situation in den Betrieben und vor allem der verschiedenen Formen eigenständiger Organisation neuer Interessenvertretung gedient hatten, wurde zum 20. Dezember eine Grundsatzdiskussion über den FDGB und eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung vereinbart. Diese Debatte, an der 60 Kolleg/innen aus 40 Betrieben teilnahmen (S. 133), drehte sich sehr schnell um die Frage, ob man den FDGB reformieren oder eigene unabhängige Gewerkschaften gründen solle. Von den Initiator/innen der IUG wurden zunächst der für den FDGB-Kongreß veröffentlichte neue Satzungsentwurf eines reformierten FDGB und die Kernbestimmungen des vom FDGB vorgeschlagenen Gewerkschaftsgesetzes vorgetragen und als weiterhin zentralistisch kritisiert. Ebenfalls vorgetragen wurden vorläufige Grundsätze für eine unabhängige gewerkschaftliche Interessenvertretung (S. 133). Hierin wurde nicht nur die Unabhängigkeit von Staat, Parteien und Betriebsleitungen formuliert, sondern auch umfassende Mitbestimmungsansprüche in Betrieben, Territorien und des ganzen Landes eingefordert. Die Struktur unabhängiger Gewerkschaften sollte basisdemokratisch sein, d.h. konkret, die Gewerkschaft sollte zwar über einen hauptamtlichen technischen Apparat (wie Sekretärinnen usw.) verfügen, aber die Leitung sollte ehrenamtlich erfolgen (S. 195, 231f). Ablehnend war man gegenüber Betriebsräten, da diese Vollstrecker des Unternehmerinteresses seien (S.134).
In der Debatte wurde von zahlreichen Anwesenden kritisiert, daß man sich noch derart intensiv mit dem FDGB befasse. Man solle schnellstens eine eigene Gewerkschaft gründen. Den einen war der FDGB überhaupt unglaubwürdig, andere argumentierten damit, daß die Wahl der Delegierten zum außerordentlichen FDGB-Kongreß vom Apparat zusammengeschoben würde, so daß klar wäre, daß mit diesen Leuten keine Reform zustande käme (S. 134ff). Ein eigene Gründung würde in jedem Fall Druck auf den FDGB in den Betrieben erzeugen. Obwohl vom Initiativkreis geltend gemacht wurde, daß in der Kürze Programm und Statut einer neuen Gewerkschaft nicht ausgearbeitet werden könne, viele Schilderungen aus den Betrieben erhebliche Zweifel an einer Massenbewegung für unabhängige Gewerkschaften und eine abwartende Haltung der Belegschaften gegenüber dem FDGB-Kongreß deutlich machten, und obwohl manche Kolleg/innen immer noch eine Reform des FDGB von unten nicht ausschlossen, schloß man einen Kompromiß hinsichtlich der Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft: Es wurde aufgerufen, definitiv in den Betrieben unabhängige Gewerkschaftsgruppen zu gründen, deren Vertreter dann am Jahresanfang 1990 auf einer überregionalen Konferenz darüber entscheiden sollten, ob sie eine eigene Gewerkschaft gründen oder nicht. Damit sollte auch ein öffentliches Signal ausgesandt werden, daß Druck auf den FDGB macht (S. 135f). Trotz des Druckes vieler Betriebsleute auf den Initiativkreis, der zum Beschluß über einen Gründungsprozeß geführt hatte, blieben Vorbehalte gegen die Grundsätze einer unabhängigen Gewerkschaft im Raum. Insbesondere der Anspruch auf umfassende Mitbestimmung in Betrieb, Territorium und im Land war umstritten. Damit wurden bei Manchem Assoziationen an den FDGB wach, der ja auch in der Volkskammer saß. Statt dessen sollte sich eine unabhängige Gewerkschaft – so ein Teil der Ansichten -auf typische gewerkschaftliche Kernaufgaben konzentrieren und die Politik den Parteien überlassen werden (S.136ff). Auch hier wurden unterschiedliche Positionen deutlich, was denn die Unabhängigkeit einer unabhängigen Gewerkschaft bedeutet. Unabhängig von den Strukturen des SED-Apparates war Konsens, doch “Unabhängigkeit im Sinne einer weitgehenden Selbstbestimmung der Arbeitnehmer war selten das Ziel” (S.138). Ebenso umstritten blieb die Einschätzung der Betriebsräte.
Widerwillig hatte sich die Mehrheit des Initiativkreises beauftragen lassen, die mögliche Gründung unabhängiger Gewerkschaften vorzubereiten. Programm- und Satzung mußten in Kürze erarbeitet werden, da sie mit der Einladung der für den Januar vorgesehenen Gründungskonferenz verschickt werden sollten. Für Programm und Statut wurden je eine Arbeitsgruppe gebildet. Bis zum Jahresanfang (3. und 8.1.) sollten aber noch Vorschläge eingereicht werden können. Die Zeit war extrem kurz. Zusätzliche Schwierigkeiten gab es durch die Kündigung des Raumes im Konrad-Blenkle-Klub zum Januar 1990. Als am 16. Januar der innere Kreis zusammentrifft, zu dem aber jetzt nicht mehr nur die ursprünglichen Initiator/innen gehörten, um die Konferenz vorzubereiten, prallen die ungelösten Gegensätze aufeinander. Eben jenes Mitglied, das auf der Versammlung am 20.12. die eigene Gewerkschaftsgründung forciert hatte, verläßt jetzt die Gruppe nach einem Streit. Wiederum war die rasche Gründung eine_ewerkschaft sollte noch vor dem FDGB-Kongreß zusammentreten, um mit eigenem Rechtsstatus, eigenen Mitgliedern und Geldern zum Machtfaktor in der Gestaltung der künftigen Gewerkschaftslandschaft zu werden. Doch die Mehrzahl der Initiator/innen hatte gegen die Zweckhaftigkeit einer Gründung ohne den Druck einer Massenbewegung ohnehin Einwände, zumal der Zeitfaktor hinzu kam. Doch auch ein anderer Aspekt war umstritten: Der Charakter eines eigenen Gewerkschaftsapparates. Das nun ausscheidende Mitglied bestand auf einem hauptamtlichen Apparat, während die Initiator/innen doch eine ehrenamtliche Leitung wollten (S. 145f).
Auch ein anderes Mitglied der Initiativgruppe schied unter dem Streß des Zeitdrucks aus, in den man geraten war. Die ursprünglichen Initiator/innen sahen die Gründung auch deshalb mit sehr skeptischen Augen, weil die Arbeit der beiden Arbeitsgruppen zu Programm und Statut sich äußerst kompliziert gestaltete: Von den je 15 Mitgliedern wurden es bei zwei bis drei Treffen immer weniger, so daß die, die auf eine rasche Gewerkschaftsgründung gedrängt hatten, am Ende gar nicht mitmachten, während die, die skeptisch waren, nun zu zweit oder dritt die Grundsatzdokumente ausarbeiteten (S. 144f). In den anfänglichen Diskussionen der Arbeitsgruppen sind die schon vorhandenen Unterschiede zum Gründungszeitpunkt oder zum basisdemokratischen, “an den Bürgerbewegungen orientierten” Konzept, in dem ökonomische und politische Funktionen integriert wurden (S. 146), kontrovers diskutiert worden. Durchgesetzt hat sich in den Entwürfen aber der basisdemokratische Ansatz der Initiativgruppe. Im Satzungsentwurf wurden drei relevante Konstruktionsprinzipien verankert (S. 147f): 1. Gegensatz von “Unternehmern und Werktätigen” in allen Wirtschaftsformen, womit der Grundsatz der Gegnerfreiheit verbunden ist (was bedeutet, das staats- und wirtschaftsleitende Kader nicht in die Gewerkschaft dürfen, ein Aspekt, der in der “Wende” nur schwer zu vermitteln war, weil ja eben diese Kader auch FDGB-Mitglied waren); 2. Ablehnung des Industriegewerkschaftsprinzips zugunsten des Betriebskomitees und seiner flexiblen Zuordnung.; 3. Basisdemokratische Struktur ohne Funktionäre, die “ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit Gewerkschaftsarbeit verdienen” (S. 147).
Im vorbereiteten Programmentwurf wurden neben verschiedenen Rechten, wie dem Recht auf Arbeit, Streikrecht usw. auch für staatliche Wirtschaftsplanung und ein “Interventionsrecht der Gewerkschaften in allen betrieblichen und gesamtgesellschaftlichen Fragen” plädiert (S. 148). In diesem Programmentwurf wurde sich auch gegen solche Betriebsräte ausgesprochen, die kein Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen besaßen oder als Ersatz überbetrieblicher gewerkschaftlicher Vereinigungen gedacht waren. Nur von unten gebildete, rechenschaftspflichtige und jederzeit absetzbare Räte wurden akzeptiert und für starke Gewerkschaften in derem Rücken plädiert. Diese Position, die vor allem auf eine Ablehnung von Betriebsräten entsprechend dem westdeutschen Betriebsverfassungsgesetz zielte, aber sich faktisch auch gegen die in der Entstehung befindlichen Betriebsräte in der DDR und damit gegen die oftmals ersten und einzigen wirklich unabhängigen Interessenvertretungen in den DDR-Betrieben stellte, blieb innerhalb der IUG umstritten.
Während sich der Initiativkreis der IUG in Berlin auf die überregionale Gründungskonferenz vorbereitete, kam es am 13. 1. 1990 zu einem überregionalen Treffen in Jena, dessen Ursprung außerhalb der Debatten in der IUG lag. An ihm nahmen außer Vertretern der IUG in Berlin noch andere, regional verankerte Gruppen teil, die für eine Reorganisation der Gewerkschaftsbewegung von unten eintraten. Dieses Treffen ging auf eine Initiative der Aktivisten der Betriebsgewerkschaft “Reform” im Reglerwerk Teltow am Rande einer “Gesamtdeutschen Konferenz” der Vereinigung der Arbeitkreise für Arbeitnehmerpolitik zurück. Es wurde von einem Aktivistenkreis unabhängiger Gruppen in Jenenser Betrieben organisiert und sollte der Findung einer DDR-weiten Globalorientierung der verschiedenen unabhängigen Gruppen mit ihren verschiedenen Ansätzen dienen. Allerdings war kein Gründungskomitee einer unabhängigen Gewerkschaft angestrebt (S. 149f). Außer den Jenensern waren die Dresdener “Bezirkskoordinationsgruppe Betriebsräte und Freie Gewerkschaften”, die IUG und die VAA anwesend. Bei diesem Treffen der 31 Teilnehmer/innen aus Jena, Dresden, Ost- und Westberlin, die “mehr als ein Duzend Betriebe” repräsentierten, waren die verschiedenen Tendenzen einer überregionalen Koordination der unabhängigen Initiativen vertreten. Insbesondere die Jenenser waren dafür, keine neue Gewerkschaft zu gründen, um den FDGB durch eigenständige Initiativgruppen von unten umzugestalten. Mit der Rechtsnachfolge sollten auch die erworbenen Rechte und das Eigentum des FDGB übernommen werden (S. 150). Über Vertrauensleutevollversammlungen sollten in den Betrieben die Grundlagen neuer Industriegewerkschaften und über diese ein neuer Gewerkschaftsbund geschaffen werden. Der Apparat sollte von den Bürokraten befreit und verkleinert werden, ein Mindestapparat erschien notwendig.
Auf besonderes Interesse der Anwesenden stießen die Berichte von zwei Kollegen aus Jenenser Betrieben, wo es im Unterschied zu den meisten Betrieben, in denen die unabhängigen Gruppen nur Minderheiten blieben, gelungen war, die Gesamtbelegschaft für die neuen Initiativen zu gewinnen (S. 151). Insgesamt hatten die Teilnehmer/innen des Treffens aber den Eindruck aus den verschiedenen Städten gewonnen, daß “unabhängige betriebliche Initiativen in der Auseinandersetzung um die neue Entwicklung der Betriebe, ihre Privatisierung etc. keine große Rolle spielen würden” (S. 151). Trotzdem wurde ein flammender Appell für neue Interessenvertretungen verabschiedet. Darin wurde aufgerufen “basisdemokratische Interessenvertretungen” zu bilden, gleich “ob sie Betriebsrat heißen oder nicht” (ebenda). Die Finanzierung demokratisch nicht gewählter Funktionäre des FDGB-Apparates sollte eingestellt und sich überbetrieblich zusammengeschlossen werden. Angesichts der Verhandlungen der Direktoren mit Westunternehmern sollte das Arbeitsgesetzbuch eingehalten bzw. überarbeitet werden, während “Grundsatzentscheidungen” in den Betrieben nicht an den Belegschaften vorbei gefällt werden dürften (ebenda).
Schließlich richtete man noch einen Brief an den DGB-Bundesvorstand, der dann gemeinsam mit der IUG in Berlin abgeschickt wurde. In diesem Brief wurde kritisiert, daß der DGB mit dem FDGB und nicht mit den neuen demokratischen Initiativen zusammenarbeite. Der DGB wurde aufgefordert, das Eigentum des FDGB im Interesse der unabhängigen Initiativen im Osten zu behandeln. Man plädierte für eine Selbstauflösung des FDGB, die einen Weg zur Gründung wirklich freier Gewerkschaften ebnen würde. Das Eigentum sollte unter Treuhandverwaltung gestellt werden (S. 151f). Bereits am 19.1. 1990 kam die Antwort des DGB, in dem die IUG an den DGB-Landesbezirksvorsitzenden Berlin verwiesen wurde. Auf die Fragen des FDGB-Eigentums wurde nicht eingegangen.
Am 3. Februar 1990 trat schließlich die überregionale Gründungskonferenz einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung in der DDR zusammen. In der Auseinandersetzung mit jenen, die noch vor dem FDGB-Kongreß eine Gewerkschaft gründen wollten, hatte sich schließlich die Mehrheit des Initiativkreises durchgesetzt. Der Gründung einer eigenen Gewerkschaft ohne Massenbasis skeptisch gegenüberstehend, die Terminnot im Nacken und den Ausgang des FDGB-Kongresses abwarten wollend, war schließlich der Termin auf den 3. Februar festgelegt worden.
Nur wenige Tage vorher hatte der außerordentliche Kongreß des FDGB stattgefunden. Die mittlere Funktionärsebene des alten Apparates, die seit Dezember aus sich selbst heraus ein “Komitee zur Vorbereitung eines außerordentlichen Kongresses” installiert hatte, nachdem am 9. Dezember die alte Leitung abgesetzt wurde, versuchte eine Reorganisation des FDGB aus dem Apparat heraus durchzusetzen. So wurden wieder bisherige hauptamtliche BGLer zu Delegierten, teils wurden in den Betrieben und Institutionen die Delegierten von oben bestimmt, teilweise delegierte sich aber auch der Apparat selbst (siehe etwa die Schilderungen über die Wahlvorbereitung und Kongreßablauf S. 134 und 213f). Eine Bestimmung der Delegierten von der Basis her, z. B. über Vertrauensleutevollversammlungen oder Urabstimmungen, fand jedenfalls kaum statt und rief die Kritik der Erneuerungskräfte in den Betrieben hervor. Allerdings bestand auch im Apparat erhebliche Unruhe. Während an der Gewerkschaftshochschule Bernau sogenannte Basistreffen abliefen, wurde deutlich, daß hier Teile des Apparates und seiner untersten Ebene, vor allem BGLer in Bewegung gerieten. Der FDGB-Kongreß selbst wurde vor allem ein Kampf um eine Erneuerung, die außer einigen Sündenböcken, wie Harry Tisch, niemandem weh tat, weil die Probleme auf “Amtsmißbrauch” reduziert wurden. (S. 155). Praktisch wurde dieser Kongreß vor allem eine Auseinandersetzung zwischen den sich neu konstituierenden Apparaten der Einzelgewerkschaften und dem über ihnen schwebenden des Bundes. Während es den Einzelgewerkschaften gelang, sich erstmals Finanz- und Tarifautonomie zu erstreiten, konnte sich der alte Zentralapparat durch die Beibehaltung des FDGB-Feriendienstes und die Verwaltung der Sozialversicherung am Leben erhalten. Das vorbereitete und verabschiedete Statut bewegte sich in Richtung des DGB, der ebenfalls auf autonomen Einzelgewerkschaften aufbaut. Durch diese Veränderungen konnte die Gesamtheit des alten Apparates modernisiert und zugleich erhalten werden. In einem verabschiedeten Entwurf für ein Gewerkschaftsgesetz und für dazu notwendige Verfassungsänderungen versuchte der FDGB z. B. über die betriebliche Finanzierung von Gewerkschaftsfunktionären sein Monopol in den Betrieben zu erhalten (S. 155).
Zum wirklichen Skandal und zum Ausdruck für den Gesamtcharakter der verkündeten Erneuerung wurde die Beschneidung des Rederechtes der Delegierten auf dem Kongreß. Dazu war es gekommen, nachdem ein Antrag der IG Metall Dresden, den hauptamtlichen FDGB-Funktionären das aktive und passive Wahlrecht zu entziehen, eine knappe Mehrheit erhielt. Nach Tumult und Unterbrechung des Kongresses wurde ein Kompromiß ausgekungelt, der darin bestand, daß dieser Antrag zurückgezogen und das Ergebnis als nichtexistent gewertet wurde (S. !54). Zugleich wurde fortan nur je einEr Redner/in aus jeder Gewerkschaftsdelegation Rederecht zu jedem Tagesordnungspunkt erteilt. Da aber die Materialien, die Anträge usw. den meisten Delegierten erst am Vortag übergeben wurden, lagen die Hauptamtlichen natürlich vorn. Mißliebige Diskussionsbeiträge wurden somit weitgehend ausgeschaltet und im Zweifel jemand auch mit Gewalt vom Saalmikrofon weggeholt (S. 154, S. 213f).
Trotz dieser offensichtlichen Manipulationen hat die Kongreßregie aber funktioniert und die Delegierten haben fleißig alles abgesegnet, weil ihnen die Richtung paßte: eine notwendige Veränderung, die aber niemandem weh tat Zwar hatte die IUG vor Berliner Betrieben und auf dem Kongreß ein Flugblatt verteilt, in dem einige statutenwidrige Delegiertenwahlen belegt wurden, einige Kongreßdelegierte kamen auch in das Büro der IUG, aber es gab keine Auswirkung auf den Verlauf des Kongresses.
Als nun am 3. Februar die nach vielen Auseinandersetzungen zustanden gekommene Gründungskonferenz zusammentrat, kamen weit weniger Kolleg/innen, als erhofft. Statt der erwarteten 300 Menschen waren rund “80 Kollegen aus der DDR und einige Gäste” (S. 170) anwesend. An der entscheidenden Abstimmung am Schluß der Konferenz wurden 56 Stimmen abgegeben (S. 176). Die Einladung war in 60 Städte und Ortschaften der DDR geschickt worden.
Zunächst wurde von der Initiativgruppe der Verlauf des FDGB-Kongresses beurteilt und u. a. eingeschätzt, daß die dort durchgesetzten größeren Spielräume der Einzelgewerkschaften noch nicht mehr Rechte für die Basis bedeuten. Vermutet wurde auch, daß die neuen Führer der neuen Einzelgewerkschaften vor allem versuchen werden, als Sozialpartner anerkannt zu werden, weshalb weiterhin Druck von der Basis notwendig sei. In der daran anschließenden Debatte über die Situation in den Betrieben kam von etlichen Anwesenden immer wieder Kritik auf, daß man sich immer noch mit dem FDGB beschäftige, statt eine neue Gewerkschaft zu gründen. Doch das Bild, daß sich aus den Schilderungen der Situation in den Betrieben ergab, zeigte ein weitgehend ähnliches Bild: Die Gruppen unabhängiger Kandidaten waren klein und hatten wenig Einfluß, während die BGL noch funktionierte oder mangels einer Alternative im Betrieb bestätigt wurde (S. 172). In der Debatte, in der die Themen ziemlich durcheinander liefen, wurde das erarbeitete Statut sowie die Grundsatzerklärung von Mitgliedern des Initiativkreises ebenfalls begründet.
Die sich zuspitzende Debatte drehte sich auch hier um die drei zentralen Themen, wie schon in den Wochen zuvor: Die Einschätzung der Betriebsräte, der Charakter einer unabhängigen Gewerkschaft und das Hauptproblem, ob und wie man eine neue Gewerkschaft gründen solle oder nicht: Wobei sich hinsichtlich dieser neuen Gewerkschaft auch hier wieder die beiden Positionen gegenüberstanden, eine eigene zu gründen oder den FDGB durch “die Unabhängigen” zu übernehmen. Die dritte Position, der die Mehrzahl der IUG-Initiator/innen zugehörte, hielt weder die eine noch die andere Variante im gegebenen Moment mangels Masse für realisierbar, wie sich ja schon in der vorhergehenden Diskussion seit Dezember gezeigt hatte (siehe auch das abgedruckte Protokoll der Gründungskonferenz S. 211 – 240, v.a. S. 222, 236). Deutlich wurde allerdings, daß die Initiator/innen der IUG kein eigenes Konzept hatten, wie mit dieser Situation, in der so gegensätzliche Bestrebungen aufeinandertrafen umzugehen ist.
Die Debatte über die Betriebsräte zeigt erneut, daß sie innerhalb der IUG ähnlich verlief, wie zwischen ihr und anderen Initiativen. Die Argumente derjenigen, die sich gegen die Kritik an den Betriebsräten aussprachen, ähnelten z.B. sehr den Argumenten, wie sie von der VL seinerzeit gebraucht wurden. So wurde z. B. darauf verwiesen, daß sie nicht dem Unternehmen verpflichtet und jederzeit abwählbar sind (S. 234), d.h. real mehr Rechte erkämpft hatten, als das westdeutsche Betriebsverfassungsgesetz zuläßt. Die Debatte hierüber endete jetzt mit dem Kompromiß, daß man die Unterstützung solcher betrieblichen Interessenvertretungsorgane am Inhalt fest machen wolle, nicht am Namen. Das bedeutete, daß sie dann unterstützt werden, wenn sie keine Organe des Betriebs- und Unternehmenswohls, sondern der Belegschaftsinteressen sind und von unten kommen. Insbesondere die Vertreter der Dresdener “Bezirkskommission Betriebsräte und Freie Gewerkschaften” hatten dagegen votiert, beide gegenüberzustellen.
Zum Problem des Apparates gab es nur die unterschiedlichen Standpunkte, aber keine Entscheidung. Die Diskussion hierüber wurde überlagert von der, ob man überhaupt eine eigene Gewerkschaft gründen solle oder nicht. Letztere Debatte hatte sich vor allem erregt, als Vertreter der Dresdener “Bezirkskommission” vorschlugen, angesichts der fehlenden Massenbasis einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung durch einen Putsch im FDGB die Macht zu übernehmen (S. 222 – 224). So könnten z. B. unabhängige Betriebsgruppen Kreisvorstände des FDGB und deren materielle Möglichkeiten übernehmen, wurde vorgeschlagen. Dagegen wurde gehalten, daß man ohne reale Massenbasis dann selbst nur ein anderer FDGB-Funktionär sei.
Angesichts der stagnierenden Debatte sich ausschließender Standpunkte über eine Gewerkschaftsgründung hatte dann ein Mitglied des Initiativkreises aus Sorge, daß die Beratung ohne Beschluß bleibt und die Bewegung zerbröselt, in einem leidenschaftlichen Appell, der offenbar vor allem auch auf den Initiativkreis selbst gemünzt war (S. 175), dafür geworben, mit einer Vernetzung der Gruppen zu beginnen. Dabei wurde sich aber scharf von dem Versuch, im FDGB zu putschen, abgegrenzt. In einem, aufgrund der Zustimmung zu dieser Rede formulierten, Antrag wurde für die Bildung eines Gründungsausschusses und für die Bildung von Bezirkskomitees votiert, die die vorhandenen Betriebsgruppen vernetzen sollten. Dieser Antrag wurde mit 53 Ja-Stimmen, 1 Gegenstimme und 2 Enthaltungen angenommen. Im Anschluß wurde ein Gründungsausschuß der Unabhängigen Gewerkschaftsbewegung (UGB) konstituiert, dem Vertreter/innen der verschiedenen Regionen angehörten. Vom ursprünglichen Initiativkreis der IUG waren zwei Vertreter im Gründungsausschuß vertreten.
Drei Wochen später, am 24. Februar tagte der Gründungsausschuß das erste und letzte mal. Deutlich wurde, das sich in ihm bereits eine Änderung der Positionen zu Betriebsräten und Westgewerkschaften abzeichnete, als sie der bisherige Berliner Initiativkreis der IUG vertreten hatte. Betriebsräte sollten nun als “konsequente Interessenvertretung der Arbeitnehmer” z. B. unbedingt unterstützt werden. Während des Treffens konnten sich insbesondere die Vertreter der IUG in Berlin und die Dresdener “Bezirkskoordinierungsgruppe” nicht über den weiteren Weg einigen. Während die Dresdener bereits Kontakt zum DGB und seinen Einzelgewerkschaften aufnehmen wollten, plädierten die Berliner dafür, zuvor einen eigenen Dachverband unabhängiger Gewerkschaften zu gründen. Das im Anschluß an des Treffen in Dresden formulierte und bereits von der ÖTV-West gedruckte Flugblatt mit dem Aufruf der UGB sprach bereits davon, daß die UGB davon ausgeht, daß in absehbarer Zeit die Einheit Deutschlands verwirklicht wird. Deshalb wurde eine enge Zusammenarbeit mit den westdeutschen Gewerkschaften angestrebt. In den verschiedenen Regionen wurde der eigene Mißerfolg der unabhängigen Gewerkschafter/innen nun zum Anlaß für die Kooperation mit Westpartnern genommen. Jetzt bekamen sie auch großen Zulauf.
“Die eben erst gegründete UGB war mit ihrem ersten Flugblatt gestorben. Viele der betrieblichen Vertreter im Gründungsausschuß orientierten sich seit Februar auf den raschen Aufbau bundesdeutscher Gewerkschafts- und Betriebsrätestrukturen in der DDR” (S.177f).
Das Scheitern der Bemühungen um den Aufbau unabhängiger Gewerkschaften war den Gründern der IUG nach dem 3. Februar 1990 klar. Man begann sich darauf vorzubereiten, den Prozeß der gewerkschaftlichen Vereinigung der abhängig Beschäftigten in Ost- und Westdeutschland im Interesse eines selbstbewußten Lernprozesses der Arbeitenden kritisch zu begleiten und, wo möglich, jede selbständige Aktion von unten zu unterstützen.
Eine gewisse Erfahrung mit den Westgewerkschaften gab es bereits: deren Ignoranz allen neuen Initiativen gegenüber. Anfänglich hatten sie sogar direkt die Apparatreformer im FDGB unterstützt, erst nach dem FDGB-Kongreß, als sie merkten daß mit diesen nichts mehr zu löten ist, zumal die allgemeine politische Situation auf Wiedervereinigung gerichtet war, begannen sie mit ganzer Macht den Aufbau ihrer eigenen Strukturen im Osten. Dabei konnten sie Aufmüpfige im Osten natürlich ebenso wenig gebrauchen, wie im Westen. Und dort hatten sie denen schon oft genug die Rote Karte gezeigt. Einzige Ausnahme blieb eine Zeit lang die DAG, die ohne Bedingungen zu stellen, technische Unterstützung gewährte.
So wurden von der IUG also kritische Partner in Ost und West gesucht. Trotz und wegen der schrumpfenden Zahl der Aktiven wurde der Kontakt zur Gewerkschaftsgruppe des NEUEN FORUM gehalten und nach anderen verbliebenen Aktiven der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausschau gehalten. Da die verschiedenen betriebs- und gewerkschaftspolitischen Ansätze, die im Herbst 1989 in den Betrieben auf die Schaffung basisdemokratischer Strukturen gesetzt und in der einen oder anderen Weise daran gearbeitet hatten, spätestens nach dem 18. März immer noch schon wieder in der Opposition waren, fanden sie auch schließlich zueinander. Im Juni 1990 wird die Initiative für Kritische Gewerkschaftsarbeit gegründet, der auf Ostseite die geschlagenen Reste jener Gruppierungen in Ostberlin angehören, die ihr basisdemokratisches Anliegen in der “Wende” nicht vergessen haben: IUG, NEUES FORUM, VL. Die Initiative für Kritische Gewerkschaftsarbeit wurde deshalb nicht – hier irrt Jander (S. 178f) in der Einschätzung – die Fortsetzung der IUG unter anderem Namen, sondern das gemeinsame Projekt der basisdemokratischen Betriebs- und Gewerkschaftslinken Ostberlins. Nun aber bereits auch gemeinsam mit Partnern aus Westberlin. Am Ende des Jahres 1990 geht die Ostberliner Initiative für Kritische Gewerkschaftsarbeit, an der bereits Westkolleg/innen mitarbeiteten, auf in einem gemeinsamen Projekt von Kritischen Gewerkschafter/innen aus Ost- und Westberlin: Im Januar 1991 tagt erstmals das Bündnis Kritischer GewerkschafterInnen Ost/West und protestiert gegen den Golfkrieg. Dessen Spuren finden sich ebenso, wie die des NEUEN FORUM, in der Ostdeutschen Betriebsräteinitiative oder in Bischofferode. Und: dieses Bündnis gibt es immer noch. Erstaunlich, aber wahr.
Umfang und Art der Bewegung für eigenständige Interessenvertretungen der abhängig Beschäftigten in der “Wende”
Obwohl Martin Jander’s Buch eine Fülle von Fakten und Quellen wiedergibt, die die Beantwortung dieses Problems zulassen und obwohl erst eine Zusammenschau des Ausmaßes der Gesamtbewegung gestattet, eine Einordnung der Aktivitäten der IUG in den Gesamtprozeß vorzunehmen, verzichtet der Autor leider auf einen solchen Überblick. Bereits die Darstellung der Geschichte der IUG hatte gezeigt, daß sie keine spinnerte Idee einiger Leute aus dem Prenzlauer Berg, sondern eingebettet war in eine wirklichen Prozeß in den Betrieben, auch wenn dieser nicht so verlief, wie es die Aktivist/innen sich wünschten. Eine wirklich umfassende Bewertung der IUG kann jedoch nur vorgenommen werden, wenn sie in den Gesamtzusammenhang dieser Bewegung gestellt wird. Deshalb ist eine solche Zusammenschau unbedingt notwendig und mit dem zusammengetragenen Material Jander’s -zumindest im Umriß- möglich. Unter Zugrundelegung der von Jander zusammengetragenen Fakten und Quellen und unter Heranziehung eigener Kenntnisse, soll dies hier für die Leserinnen und Leser in einer kurzen Skizze versucht werden. Der Bereich von Aktivitäten, von dem hier die Rede ist, bezieht sich auf jene in den Betrieben, in denen Belegschaften oder Teile derselben versuchten, neue, demokratisch gebildete Organe der Interessenvertretung zu schaffen, die von dem alten stalinistischen Machtapparat unabhängig waren. Die Versuche zur Reorganisation des FDGB-Apparates aus dem Apparat heraus werden hier nicht betrachtet, obgleich es damit zum Teil Überschneidungen gab.
1. Das zeitliche Ausmaß der Bewegung
Jander’s Arbeit belegt für die IUG, was auch die Erfahrungen der VL waren: Die “Wende” in den Betrieben fand vor allem in den Monaten Dezember und Januar statt. Obgleich seit September in den Betrieben Unruhe und Aufmüpfigkeit herrschte und einige erste Ansätze zu unabhängigen Interessenvertretungen bereits im Oktiober 1989 gemacht wurde, fand die eigentliche Bewegung auf den Straßen statt. Erst nach dem Mauerfall begann in den Betrieben verstärkt eine Neuorganisation der Interessenvertretung, die ab Dezember zu einer verbreiteten Bewegung wurde. Ende November/ Anfang Dezember entwickelte sich wegen der politischen Lage verbreitete Streikbereitschaft. Ab Februar war die eigenständige Bewegung mit Modrows “Deutschland einig Vaterland” zu Ende. Jetzt wurde massenhaft nur noch auf die DM und die westdeutschen Interessenvertretungsstrukturen für abhängig Beschäftigte gewartet. Ein großer Teil der Unabhängigen beteiligte sich an der Organisierung dieser Strukturen.
2. Der Umfang der Bewegung
Leider nimmt Jander die Einschätzung, die maßgebliche Aktivistinnen der IUG über den Umfang ihrer Aktivitäten selbst gaben, in seine Arbeit nicht auf. Leonore Ansorg und Renate Hürtgen schrieben in ihrer von mir mehrfach erwähnten Dokumentation über die IUG: “Allen Widrigkeiten zum Trotz standen Anfang Januar über 250 Interessenten aus etwa 170 Betrieben, davon zahlreichen Berliner Großbetrieben, aus Dresden, Jena, Plauen, Chemnitz, Rostock, Stralsund, um die größten Städte zu nennen, in der Kartei der IUG, die bis auf wenige Ausnahmen, alle eine Gruppe (zwischen 5 und 500 Kollegen) hinter sich wußten. Aber was sind 20 000 von 8 Millionen? Und auch 800 000 Austritte aus dem FDGB sind nur 10%! Die einzig nennenswerte “Gegenbewegung” der FDGB-Mitglieder waren und blieben die ab November erfolgten Beitragsverweigerungen.” Die 60 Städte und Ortschaften der DDR, die in dieser Kartei verzeichnet waren, lagen in allen Ecken der DDR, von Nord bis Süd. Soweit überbetriebliche Koordinationen innerhalb der UGB erkennbar sind, bestanden diese offenbar vor allem im Berliner Raum (IUG), in Dresden (“Bezirkskommission Freie Gewerkschaften und Betriebsräte”) und Jena (ohne besonderen Namen).
Das Ausmaß der Gesamtbewegung wird jedoch erst deutlich, wenn man die anderen Formen von Aktivitäten zur Bildung unabhängiger Interessenvertretungen noch hinzu rechnet, die sich in diesen zwei Monaten entwickelt hatten. Am Tage, an dem die IUG ihre Gründungskonferenz durchführte, also am 3. Februar 1990, veranstaltete die VL die erste Konferenz unabhängiger Betriebsräte. Zu dieser Konferenz kamen 150 Menschen aus 70 Betrieben (Jander, S. 168), vorwiegend aus dem Berliner Raum. So kann geschätzt werden, daß sich an diesem Tag Vertreterinnen und Vertreter aus 80 bis 100 Betrieben allein des Berliner Raumes trafen. Hinsichtlich der territorialen Verteilung und Koordination kann für die VL noch beigetragen werden, daß die Betriebsgruppe in Halle im Januar und Februar Arbeitstreffen der Betriebsräteinitiatven organisierte, an denen etwa 20 bis 30 Betriebe teilnahmen. In Karl-Marx-Stadt war sie gemeinsam mit NEUEM FORUM und anderen an der Schaffung der dortigen Initiativgruppe zur Bildung eines Rates der Werktätigen beteiligt, die seit Dezember 1989 in zahlreichen Betrieben Belegschaftsräte initiierte und koordinierte. Während in Leipzig das von der VL initiierte “Büro der Werktätigen” wieder einschlief, welches die Herausbildung unabhängiger Interessenvertretungen unterstützen und beraten wollte, wurde das vom NEUEN FORUM gebildete Büro zur Beratung von Betriebsräten für viele Betriebsgruppen wirksam. In Rostock bildete sich der “Hafenrat” zu einem Koordinierungsorgan.
Trotz der Marginalität der unabhängigen Gruppen und Initiativen in den Betrieben, dürfte aber für die Einschätzung ihrer realen Bedeutung auch relevant sein, daß seit Ende November in erheblichem Umfang Streikbereitschaft vorhanden war, um die SED und ihren Apparat aus den Ämtern zu jagen, was sich an der großen Popularität der “Generalstreik”-Losung im ganzen Land zeigte. Im Dezember und Januar fanden dann etliche kleinere Streiks statt. Bedeutsam für diesen Vorgang dürfte insbesondere auch die in Magdeburger Großbetrieben des Schwermaschinenbaukombinat “Ernst Thälmann” entwickelte Initiative für einen Generalstreik sein, der Anfang Dezember 1989 an das NEUE FORUM herangetragen wurde.
3. Die vorherrschenden Formen der Bewegung
Diese werden von Jander ausführlich am Beispiel der Entwicklung in fünf Großbetrieben dargestellt.
a) Geräte- und Reglerwerk Teltow (S. 112ff): Hier bildete sich sehr früh eine unabhängige Gruppe, die bereits im Oktober den Versuch machte, eine neue Betriebsgewerkschaft zu gründen. Dieser Versuch kam über Anfänge nicht hinaus und scheiterte an fehlender Unterstützung in der Belegschaft. Die meisten Kolleg/innen wollten kein Risiko eingehen und aus dem FDGB nicht austreten. (Risiko deshalb, weil der FDGB in der DDR vor allem ein Apparat der Sozialversorgung war, z. B. verwaltete er Urlaubsreisen und andere soziale Dienste). Ende November wurde von den Akteuren ein provisorischer Betriebsrat neben der BGL gegründet. Dieser Versuch eines unabhängigen Interessenorgans bekam auf Anhieb große Unterstützung. Niemand mußte aus dem FDGB austreten. Nach einer Zeit der Doppelherrschaft, die deshalb zustande kam, weil sich die Mehrheit des Betriebsrates nicht zu einer revolutionären Absetzung des alten Herrschaftsapparates aus Betriebs-, Partei- und Gewerkschaftsleitung entschließen konnte, etablierte sich der Betriebsrat schrittweise zum anerkannten Interessenorgan im Betrieb. Eine Absetzung der BGL war aber nicht gelungen.
b) Bergmann Borsig Berlin (S.117ff): Bereits im September 1989 hatten 20 FDGB-Vertrauensleute mit ihrem Protestbrief an Harry Tisch für erheblichen Wirbel im Betrieb gesorgt, zu dem die BGL eine lavierende Haltung einnahm. Nach heftigen Diskussionen im Betrieb im Oktober und dem Versuch, die SED aus dem Betrieb zu drängen, versuchen die alten Betriebskader durch einen “Runden Tisch” mit NEUEM FORUM und den aufmüpfigen Vertrauensleuten die Situation zu beruhigen. Alle anderen lehnten aber den Vorschlag ab, da “Parteiarbeit” im Betrieb nichts zu suchen hat. Ein Versuch, durch einen Aufruf für eine Reform des FDGB von unten eine neue Interessenvertretung zu schaffen, in den auch die BGL einbezogen wurde, verläuft im Sande. Nach einer Demonstration im Betrieb gegen den Direktor wird schließlich im Dezember ein “gesellschaftlicher Rat” zur Untersuchung von Machtmißbrauch und Korruption eingesetzt, dessen Arbeit allerdings nichts bewirkt. Nach hierzu parallel ablaufenden Diskussionen unter den Erneuerern, zu denen nun auch PDS-Mitglieder stoßen, die der neuen Parteilinie folgen, wird in Abstimmung mit der BGL im Januar ein “Belegschaftskontrollrat” eingerichtet, der nach Vorliegen gesetzlicher Bestimmungen in einen Betriebsrat umgewandelt werden soll. Dieser wird basisdemokratisch gewählt. Der Betriebsrat sollte die Aufgaben der betrieblichen Interessenvertretung wahrnehmen, während die BGL die im Arbeitsgesetzbuch festgelegten gewerkschaftlichen Aufgaben zu erfüllen hatte. Am Zustandekommen des Belegschaftskontrollrates war -nach vielen Versuchen zuvor- ein Mitbegründer der IUG maßgeblich beteiligt. Eine umfassende Neukonstitution der Gewerkschaften hat aber nicht stattgefunden.
c) Werk für Fernsehelektronik Berlin (S. 120ff): Von Mitte November bis Mitte Februar gab es heiße Diskussionen im Betrieb, die Wandzeitungen quollen über. Als die Macht der SED auf den Straßen bereits wankte, wurde im November ein “Runder Tisch” eingerichtet, an dem auch Aktivist/innen der IUG saßen. Ausgehend von den FDGB-Vertrauensleuten begann aber eine Reorganisation des FDGB. Diese bildeten von sich aus eine Koordinierungsgruppe mit eigenen Sprechern und mehreren Ausschüssen, die ein Programm zur Umgestaltung des FDGB erarbeitete Die Gewerkschaften sollten von der Basis her reorganisiert werden, “damit sie echte Interessenorganisationen der Arbeitnehmer werden”. Der BGL wurde Mitte Dezember von der Vertrauensleutevollversammlung das Mißtrauen ausgesprochen, die danach zurücktrat. Mit der Neuwahl im Januar 1990 kam eine erneuerte BGL zustande, deren Mitglieder später den Betriebsrat bildeten.
Auf diesen Ablauf, dem sie mißtrauten, hatten die Mitglieder des NEUEN FORUM im Betrieb wenig Einfluß. Sie wollten keine Reform des FDGB, sondern den Aufbau einer gewerkschaftlichen Basisgruppe im Betrieb. So nahmen sie Kontakt mit der IUG auf und organisierten im Betrieb eine IUG-Gruppe. Ohne Räume und Material, überwacht von der Betriebshierarchie, blieb die Gruppe aber recht wirkungslos. Mißtrauisch gegenüber den BGL-Erneuerern, in denen man alte Seilschaften sah, organisierte man bei der BGL-Wahl im Januar1990 eine Wahlbeobachtung.
Einen relativ geringen Einfluß auf die Entwicklung einer unabhängigen betrieblichen Interessenvertretung im Betrieb hatte auch der von einem Mitglied der VL in diesem Betrieb unternommene Versuch zur Bildung eines “gesellschaftlichen Aufsichtsrates”, der das Werk aus Vertretern der Gewerkschaft, der Gewerkschaft und der Konsumenten leiten sollte. Eine im Dezember gebildete Gruppe, die zur neuen BGL, ebenso wie zur IUG, in Konkurrenz trat, versuchte bei den Vertrauensleuten eine Klärung herbeizuführen.
Bei der Abstimmung darüber, ob man einen “gesellschaftlichen Aufsichtsrat” oder einen“ Wirtschaftsausschuß der BGL” einrichten soll, entschied sich die Mehrheit für einen “Wirtschaftsausschuß der BGL”.
d) Kabelwerk Oberspree (S.124ff): Auch hier vollzieht sich eine “Selbsterneuerung” des FDGB, aber nicht durch die Vertrauensleute, sondern durch die BGL selbst. Nach heftigen Diskussionen im Betrieb und der Einleitung der “Dialogpolitik” der SED wird ein offener Brief von SED-Mitgliedern an das ZK in der Betriebszeitung veröffentlicht. Da die BGL selbst zu den Kräften im FDGB gehört, die sich für die Absetzung Harry Tischs einsetzte und selbst eine offensive Dialogpolitik im Betrieb verwirklichte, gab es keine breite Basis für eine Alternative zum FDGB. Als die BGL auch noch zurücktrat und der stellvertretende BGL-Vorsitzende, der am Sturz Harry Tischs aktiv beteiligt war, eine enge Zusammenarbeit mit der West-IG Metall betrieb, galt dies erst Recht. Im Frühjahr 1990 wurde eine neue BGL gewählt, die eine große Kontinuität des Personals aufwies. Die Versuche einer Gruppe von lange schon renitenten Wartungsingenieuren im Rechenzentrum, die zur IUG Kontakt aufnahmen und die versuchten, die alte Mannschaft der BGL abwählen zu lassen bzw. neue Vertretungsstrukturen gegen den FDGB aufzubauen, scheiterten. Auch deshalb, weil die West-IG Metall, zu der die BGL Kontakt aufgenommen hatte und auf die die Arbeiter im Betrieb schließlich setzten, der BGL den Rücken stärkte und sich gegen eine Betriebsratsbildung aussprach. Erst, als nach der Wiedervereinigung im Herbst 1990 ein Betriebsrat gewählt werden mußte, gelang es der oppositionellen Gruppe frischen Wind in die Interessenvertretung zu bringen – allerdings, wegen der anhaltenden Unterstützung der IG Metall für die BGL-Fraktion, auf der Liste der DAG.
e) Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin (S. 129): In diesem Betrieb wurden bereits im September und Oktober verschiedene Proteste von ehrenamtlichen Gewerkschaftsfunktionären organisiert. Ein Protestbrief wird im FDGB-Bundesvorstand abgegeben, ein Abteilungsgewerkschaftsvorsitzender, der später zur IUG geht, fordert die Einberufung einer Vertrauensleutevollversammlung zum Protest gegen die Medienpolitik der Partei von der BGL. Nach der Knüppelorgie am 7. Oktober läuft das Faß über: Mitarbeiter des Betriebes, die vorwiegend Ingenieure waren und die sich im Umfeld der Veranstaltungen der Kirchen und des NEUEN FORUM kennengelernt hatten, bildeten im Oktober ein Aktionskomitee ‘Neues EAB’. Zu ihnen stoßen aufmüpfige Basisfunktionäre des FDGB. Schnell vergrößert sich das Komitee von 10 auf 50 Personen. Das Komitee bestand bis zum Januar 1990. Das Komitee richtet einen umfangreichen Forderungskatalog an den FDGB und die betriebliche Führungstriade (SED, staatliche Leitung, FDGB). Man will die “Wende” im Betrieb politisch und ökonomisch mitgestalten. Hauptforderung ist, daß die SED aus dem Betrieb verschwinden muß. Vom FDGB wurde eine grundsätzliche Neugestaltung der Strukturen und eine demokratische Wahl aller Führungsgremien gefordert. Auf einer Betriebsversammlung am 2. November explodierte die Stimmung. Der Rücktritt des Parteisekretärs wurde erzwungen. Der Versuch der SED im Betrieb zu verbleiben und einen neuen Parteisekretär zu wählen, wurde durch das Komitee mit einem persönlichen Rauswurf aus dem Betrieb beantwortet. Die BGL, die zunächst eine Wendehalspolitik versuchte, mußte im Dezember zurücktreten. Ein Teil des Komitees und Gewerkschafter aus verschiedenen Abteilungen bildeten einen vorläufigen Arbeitsvorstand einer Betriebsgewerkschaft. Der Forderungskatalog an die Erneuerung der Gewerkschaften wurde erweitert: die Einzelgewerkschaften sollten Tarifautonomie erhalten, das System sozialer Dienstleistungen der Gewerkschaft und ihre Arbeit in der Volkskammer in Frage gestellt werden. Der Betriebsdirektor, der in der Wende zunächst noch bleiben durfte, wurde später durch einen Mitbegründer des Komitees ersetzt.
f) Ein Arbeiterrat in Dresden (S. 164): Anläßlich der stattfindenden Montagsdemonstrationen in Dresden verlasen am 17. Oktober 1989 zwei Mitarbeiter eines Betriebes in Dresden-Radebeul in der Kreuzkirche einen Appell, der von 40 Mitarbeiter/innen ihres Betriebes unterzeichnet war. Nach einer Verwarnung durch ihren Direktor am nächsten Tag fand eine Belegschaftsversammlung statt, auf der die mißbräuchliche Verwendung der FDGB-Mitgliedsbeiträge angeklagt wird. Dort wurde auch deutlich, daß die BGL nicht mehr handlungsfähig ist. Zunächst damit beschäftigt, sich Unterstützung wegen ihrer Verwarnung zu beschaffen, verkünden die beiden Mitarbeiter einige Tage später, daß ein Arbeiterrat gegründet sei. Daraufhin meldeten sich 18 Mitarbeiter, die mitmachen wollten.
Auf den Namen Arbeiterrat für ein neues, demokratisches Belegschaftsorgan kamen sie durch eine Filmemacherin, die sie nach dem Lesen ihres Aufrufes aus der Kreuzkirche spontan gefragt hatte, ob sie einen Arbeiterrat gründen wollten.
Kurzes Fazit
Als Anfang Dezember 1989 die Betriebsgruppe der VL ihr erstes Flugblatt entwarf, forderte sie auf: Wählt Räte in den Betrieben! Dabei konnte sie schon auf einige praktische Beispiele verweisen: “In den Betrieben Bergmann-Borsig Berlin, Fritz-Heckert Karl-Marx-Stadt, Tierpark Berlin arbeiten bereits solche Räte. Sie heißen Sprecherrat, Arbeiterrat oder Betriebsrat.” Die Namen waren eher zufällig, wie das Beispiel aus Dresden zeigt. Ihr Sinn aber nicht. Sie waren ebenso, wie die Versuche zur Bildung unabhängiger Gewerkschaftsgruppen, die ersten, tastenden, oft hilflosen Versuche einer unter der Despotie zur Bewegungslosigkeit gebrachten Lohnarbeiterschaft, wieder ans Leben zu treten. Deutlich wird an den gezeigten Beispielen, daß Jander nur zuzustimmen ist, wenn er schreibt: “Eine massive Einforderung neuer Interessenvertretungsstrukturen ließ sich in diesem Zeitraum gar nicht finden. Es blieb vielmehr bei einem relativ pragmatischen Umgang mit unterschiedlichen betrieblichen Konfliktsituationen. Eine Bewegung im Sinne einer breit getragenen, auf ähnliche Ziele gerichteten Anstrengung war nicht zu sehen” (S. 138). Aber eine Bewegung im Sinne des Sich-Bewegens durchaus – wenn auch nur in den ersten Ansätzen hin zu eigener sozialer Organisation als abhängig Beschäftigte.
Drei Hauptvarianten brachte diese Bewegung hervor, die sich teils bekämpften, teils überlagerten: die Reform des FDGB aus den Betrieben heraus, die Gründung unabhängiger Gewerkschaften und die Bildung betrieblicher Räte. Im Werk für Fernsehelektronik Berlin, fanden wir alle drei Formen zugleich vor, was selten genug der Fall war.
Die beiden ersten Varianten haben sich insofern nicht durchgesetzt, als sie die Bildung überbetrieblicher Interessenorganisationen bedeuteten. Hierzu hätte es eines gemeinsamen überbetrieblichen Kampfes bedurft. Die vereinheitlichende Bewegung kam erst mit dem Einmarsch der DGB-Gewerkschaften. Doch die Bewegung, die sie ausmachte, war nicht die eines gemeinsamen sozialen Kampfes als abhängig Beschäftigte, sondern nur die Bewegung der Hand bei der Unterschrift unter die neuen Aufnahmeanträge. Das Bedürfnis nach einem gemeinsamen überbetrieblichen Kampf hat sich erst nach der “Wende” unter nun ganz anderen Bedingungen gezeigt.
So blieben die einzelbetrieblichen Lösungen dominant. Die Erneuerung des FDGB in den Betrieben gehört hierzu. Dort, wo sie möglich war, war sie für die bisherigen Mitglieder die sicherste Form zu neuen Strukturen zu gelangen, ohne zunächst ihre Ansprüche an die Organisation zu verlieren. In der Kombination mit einem Betriebsrat als demokratisches Interessenorgan und als Druckmittel gegen die alten Strukturen der SED war eine relativ ausgewogene und für die Mehrzahl der Beschäftigten wohl optimale Form gefunden, um ohne große Kämpfe Erneuerung und Kontinuität auf betrieblicher Ebene zu verbinden. Insofern wurden die Betriebsräte zu den eigentlichen Matadoren in der Konkurrenz mit den beiden anderen Bewegungsformen, denn als betriebliches Interessenorgan bildeten sie zugleich den Zusammenhang zwischen den betrieblichen Erneuerungsprozessen in der DDR, dem teilweisen Übergang des BGL-Personals in den Betriebsrat und den Aufgaben der Weltmarktanpassung resp. der Verteidigung der Betriebe, wie sie sich nach der “Wiedervereinigung” stellten.
Doch beim Übergang aus der DDR in die BRD mußten die Betriebsräte noch ein erhebliche Umwandlung vollziehen. Waren sie in der DDR oft der erste, noch hilflose Ausdruck einer sich ihrer selbst nicht bewußten Kraft, die trotzdem den selbstverständlichen Anspruch stellte, daß über sie nicht mehr bestimmt werden soll, ohne daß sie gefragt wird, so sind sie in der Bundesrepublik eben gesetzlich wie außergesetzlich um jene Kraft kastriert, der sie in der DDR ihre Entstehung verdankten: der Erhebung von unten. Zu großen Teilen waren sie in der DDR eben Kontrollorgane der Direktionen. Deren Beschlüsse zu wesentlichen Fragen unterlagen der Zustimmung des Betriebsrates. Diese faktischen demokratischen Rechte der Kontrolle der Betriebsleitungen und der Mitsprache der Interessenvertretungen haben sich die Werktätigen in der DDR selbst erkämpft. Sie wurden ihnen von der Bundesrepublik nicht geschenkt, sondern wieder abgenommen. Gerade auch deshalb ist die heute unter bürgerlichen Politikern und ihren ideologischen Wasserträgern so beliebte These, daß die DDR-Bürger ihre Freiheit der “Wiedervereinigung” verdanken, ein besonders frecher Angriff auf alle Kräfte der demokratischen Bewegung im Herbst 1989. Aber gerade insofern bleibt auch festzuhalten, daß sich viele Kontroll- und Mitspracherechte, die sich die Werktätigen und ihre demokratisch gebildeten Interessenorgane in der “Wende” angeeignet hatten, für die Bundesrepublik immer noch aktuell bleiben.
Es ist zwar müßig, aber doch nicht ganz unrealistisch, zu vermuten, daß, wäre die Entwicklung der “Wende” nur ein wenig anders verlaufen, eine solche Lösung herausgekommen wäre, wie ein Kollege bei der Auseinandersetzung in der IUG recht typisch formulierte: “Wir wollen die Leute darüber aufklären, daß es nicht ausreicht, daß Betriebsverfassungsgesetz zu übernehmen, sondern daß man unser Arbeitsgesetzbuch und das Betriebsverfassungsgesetz zur Hand nehmen muß und vielleicht einen Mittelweg findet, der beiden Seiten zugute kommt” (S. 219). Doch die Lösungen der Konflikte, auch die “Mittelwege”, finden sich bekanntlich nur im Kampf. Ohne unseren Kampf gegen das Betriebsverfassungsgesetz wären auch solche Mittelwege nicht gefunden worden. Daß die basisdemokratischen Kräfte wahrscheinlich einen Weg der Verständigung gefunden hätten, wäre dafür mehr Zeit gewesen, wird nicht nur daran deutlich, daß sie es nach der “Wende” geschafft haben, sondern auch an der Verständigung, die auf der IUG-Konferenz selbst erzielt wurde. Hierfür wichtig zu erwähnen ist auch, daß der linke Flügel des NEUEN FORUM auf seiner Gründungskonferenz mit einem Drittel der Delegierten im Januar 1990 vehement für das Veto-Recht der Betriebsräte gestritten hat, während die VL sich faktisch schon im Januar, aber offiziell nach der Betriebsrätekonferenz am 3. Februar von den Hoffnungen, sie in Selbstverwaltungsorgane zu verwandeln, verabschiedet hatte.
Daß die faktischen Rechte, die sich die Bevölkerung der DDR in der “Wende” erkämpft hatte, ein Ausdruck realer Machtverhältnisse in Betrieben und Gesellschaft war, darf Mut für die Zukunft machen. Machtverhältnisse sind bekanntlich auch wieder veränderbar.
Doch das mag Martin Jander nicht mehr.
Fortsetzung folgt
1 Die Ausnahmen, soweit nicht nur einzelne OV’s bzw. Einzelvorgänge behandelt werden: Thomas Klein, Das verflixte zweite Jahrzehnt – Opposition und Anpassung in der DDR der sechziger Jahre, in: Zukunft. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, Nr. 7/ 1993; ders., Konvertiten und Verlierer – Opposition in der DDR und das Agieren der Bürgerbewegungen in der “Wende”, in: Sklaven, Nr. 13 und 14/15 (1995); Arche Nova, Opposition in der DDR. Das “Grün-Ökologische Netzwerk Arche” 1988-90, Herausgegeben von Carlo Jordan und Hans Michael Kloth, Berlin 1995; Wolfgang Rüddenklau, Störenfried. ddr-opposition 1986 – 1989, Berlin 1992 ; ders., verschiedene Einzelartikel im Telegraph; Klaus Wolfram, Die Geschichte des Guten Willens, Folge 1 bis 11, Sklaven, Nr. 1 bis 25, Berlin 1994 bis 1996; Gegen die Verdrängung im eigenen Kopf. Reader zur Oppositionskonferenz vom 5.11.’94 im Haus der Demokratie, Berlin, Herausgeber: Mathias-Domaschk-Archiv in der Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., Berlin o.J. (1995); Hinzu kommen allerdings einige ältere Arbeiten, die von “Ausreisern” in den 80er Jahren veröffentlicht wurden; das Gros der akademischen Darstellungen bezieht sich hinsichtlich der Quellen der Oppositionsentwicklung auch heute noch vorwiegend auf Rüddenklau.
2 Den in seiner Mischung aus akademischer Forschung und liberalen Ex-Oppositionellen bisher treffendsten Gesamteindruck etabliert bürgerlicher Darstellung der DDR-Opposition liefert die Eppelmamm-Kommission, die eben in dieser Mischungsbreite (richtiger: -enge) das Spektrum der Lehrmeinungen wohl auch für die kommenden Jahrzehnte darstellen wird. Siehe: Materialien der Enquete-Kommission “Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland” (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), Herausgegeben vom Deutschen Bundestag, vor allem Band VII/ I und VII/ II, Möglichkeiten und Formen abweichenden und widerständigen Verhaltens und oppositionellen Handelns, die friedliche Revolution im Herbst 1989, die Wiedervereinigung Deutschlands und Fortwirken von Strukturen und Mechanismen der Diktatur, Baden-Baden 1995;
3 Heiner Müller, Plädoyer für den Widerspruch, “Neues Deutschland” vom 14. Dezember 1989, nachgedruckt in: Leonore Ansorg/ Renate Hürtgen, “ABER JETZT GIBT ES INITIATIVE LEUTE UND DIE MÜßTE MAN EIGENTLICH ALLE AN EINEN TISCH KRIEGEN”. Die “Initiative für unabhängige Gewerkschaften (IUG) 1989 bis 1990. Darstellung und Dokumente, Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung, Nr. 73, Juli 1992, S. 14
4 siehe Leonore Ansorg/ Renate Hürtgen, a.a.O. Fußn. 3
5 Akademie Verlag, Berlin 1996; 269 Seiten, 98,00 DM
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