Arbeitstreffen der Initiative Vereinigte Linke

aus telegraph 9/1989
vom 29. November 1989

Zu harten Auseinandersetzungen zwischen Vertretern verschiedener Strukturauffassungen kam es am gleichen Wochenende auch auf dem Arbeitstreffen der Vorbereitung für eine Vereinigte Linke. Das hatte sich schon im Vorfeld angedeutetet, als bei Sitzungen von Arbeitsgruppen und Plena immer nur ein Minimalkonsens möglich war. Kein Wunder, denn das Spektrum der Interessenten ist weit gefächert, von SED-Mitgliedern und ehemaligen SED-Mitgliedern über demokratische Sozialisten und Trotzkisten bis hin zu Anarchisten.

Immerhin wirkten diese Differenzen eher harmonisch gegenüber dem heftigen Gezänk, das VertreterInnen linker Sekten und Parteien des Auslands auf dem Arbeitstreffen untereinander austrugen und in den Arbeitsgruppen geltend zu machen suchten. Eine wohltuende und angemessene Zurückhaltung war eigentlich nur bei den französischen Trotzkisten und den westdeutschen und Westberliner Autonomen bemerkbar.

Die Vereinigte Linke hatte bei einem der Gespräche mit SED-Funktionären vor dem Roten Rathaus für ihr Treffen das Haus der Jungen Talente erwirken können. Für den Massenandrang, über 600 Teilnehmer, hatte das Haus genau den richtigen Zuschnitt. Unter dem Banner Rosa Luxemburgs, hieß es in der Eröffnungsansprache, wolle man antreten und in der Hoffnung nicht zu spät zu kommen. Es ginge um Formen direkter Demokratie, um Selbstverwaltung in Betrieben und Kommunen.

Die Arbeitsgruppen lahmten an einem erstaunlichen Mangel an Grundvoraussetzungen. So mußte in der Gruppe, die mit Energiepolitik beschäftigt war, erst einmal die Faktenlage in Bezug auf Atomenergie geklärt werden. In einer anderen Gruppe, die sich mit Formen der politischen Selbstbestimmung beschäftigte, wurde nach Stunden gefragt, was eigentlich Räte und Selbstverwaltung sind. Nur die wenigsten Gruppen konnten auf dem Arbeitstreffen konkrete Ergebnisse erarbeiten. Immerhin bleibt das Wenige interessant genug.

Die Geschichtsgruppe beschloß die Einrichtung eines Archivs, das „Erlebnisberichte, Prozeßberichte und Namen sowie andere Angaben“ zur Entwicklung linker Alternativen in der DDR, zum Stalinismus sowie zu internationalen Zusammenhängen enthalten soll. Bunt war ein Forderungskatalog, den die Kulturgruppe entwarf: z.B. freie Entfaltung des Menschen, Entwicklung alternativer Lebensprojekte und Freigabe von Häusern für selbstverwaltete Projekte, Offener Strafvollzug. „Weg von einer sexistischen Gesellschaft“, hieß es, „hin zu einer erotischen Gesellschaft; Proletarier aller Länder erlebt euch!“ Eine Frauengruppe wurde ad hoc gebildet und der feministisch-sozialistische Forderungskatalog der Berliner Gruppe „Lila Offensive“ diskutiert. Unter anderem ging es um Quotenregelung, eine Neubestimmung der Familienpolitik und eine Frauenfraktion in der Volkskammer.

Die Ökonomiegruppe konnte sich nur auf die Kernpunkte der Böhlener Plattform einigen („gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln als die vorherrschende und perspektivische Grundlage sozialistischer Vergesellschaftung, Ausbau der Selbstbestimmung der Produzenten in Verwirklichung realer Vergesellschaftung der gesamten ökonomischen Tätigkeit, konsequente Verwirklichung des Prinzips der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Gesellschaftsmitglieder, politische Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, konsequente Verwirklichung der ungeteilten Menschenrechte und freie Entfaltung der Individualität jedes Gesellschaftsmitglieds, ökologischer Umbau der Industriegesellschaft“). Hinzugesetzt wurde, daß diese Punkte im weltweiten Kontext gelten. Alternative Wirtschaftsvorstellungen wurden in der Gruppe nicht konkretisiert.

Eine andere Gruppe, die sich mit Außen-, Deutschland- und Militärpolitik beschäftigte konnte sich nicht zur dringend notwendigen Stellungnahme zu aktuellen Fragen wie der sogenannten „Wiedervereinigung“ entschließen. Stattdessen entstand eine recht formalistische Diskussion zur Militärpolitik, zB. Einrichtung von Arbeiter- und Matrosenvertretungen, Abschaffung der kasernierten Volkspolizei. Die Arbeitsgruppe „Volksbildung und Jugendpolitik“ forderte ein einheitliches Schulsystem ohne Zulassung von Privatschulen. Eine Alternative sahen sie in unabhängigen Schüler- und Studentenvertretungen, Einbeziehung von Behinderten in Schul- und Lebensalltag, der Abschaffung von FDJ und Pionierorganisation als alleinvertretende Organisationen. Von Prinzipien einer modernen demokratischen und freiheitlichen Pädagogik war keine Rede.

Ein wenig bunter war dann schon wieder die Arbeitsgruppe Partizipation und Gerechtigkeit. Die Arbeits-und Lebenszusammenhänge, hieß es, müssen ganzheitlich betrachtet werden, bedarfsorientierte statt bedürfnisorientierte Wirtschaft muß geschaffen werden. Dabei sollen vorhandene Strukturen nicht auseinandergebrochen werden, sondern kleine selbstverwaltete Projekte jeglicher Couleur geschaffen und dadurch die Entfaltung jedes Einzelnen ermöglicht werden. Interessant war auch die Idee der Schaffung eines alternativen Weltmarktes zwischen sozialistischen Zusammenhängen und der dritten Welt.

Im Laufe des Arbeitstreffens wurde von den Teilnehmern zunehmend kritisiert, daß die Vorgaben der Koordinierungsgruppe die Einbringung neuer Vorstellungen nicht ermöglichte. Die Gesprächsleiter blockierten häufig mit eigenen Konzeptionen die Diskussion in den Gruppen.

Im Plenum am Samstag Abend kam es zu ersten Konfrontationen. Die Patriarchatsdiskussion der Frauengruppe stieß bei SED-Leuten und dogmatischen Linken auf einen weißen Fleck („Wo bleiben die Schwulen und Behinderten?“, „Da können wir ja auch eine Bauerngruppe gründen!“). Die „Effektivisten“ (wie sie sich dann nannten) verloren die Geduld, sich mit „Nebenwidersprüchen“ und Inhalten auseinanderzusetzen und begannen mit der Strukturdiskussion. Ihnen ging es um feste organisatorische Strukturen der Vereinigten Linken. Eine starke Minderheit von Undogmatischen bis Anarchisten widersprach ihnen.

Am Sonntag stießen die Fronten erneut aufeinander. Bereits am Samstag war, von allen als einsichtig empfunden, eine aus Vertretern der Arbeitsgruppen bestehende Strategiegruppe zur inhaltlichen Auswertung, Vorbereitung und gegenseitiger Information gewählt worden. Eine Strukturgruppe aber, die als Vertreter von Vertretern auf Betreiben eines Mitglieds des Sprecherrates aus der Strategiegruppe gewählt worden war, entpuppte sich als Instrument der Effektivisten. Die Ergebnisse dieser Gruppe, die am Sonntag nachmittag beim Strukturplenum vorgestellt wurden, entsprachen hauptsächlich den Vorstellungen der nach einer einheitlichen Organisation strebenden Mehrheit. Bezeichnenderweise ging das mit einer inhaltlichen Verflachung einher. Eine „liberalisierte“ Fassung der oben zitierten Kernpunkte der Böhlener Plattform sollte nach den Vorstellungen der Strukturgruppe eine breitere Resonanz der Vereinigten Linken bei anderen Parteien und Organisationen ermöglichen. Dieser Vorschlag wurde ebenso wie eine überregionale Redaktion, die sich aus lokalen Vertretern zusammensetzen sollte, vom Plenum abgelehnt. Maßgebend wurde dabei das Argument der Vermeidung von „Berufsrevolutionären“. Dagegen fand ein Alternativvorschlag Zustimmung, der die Bildung einer Arbeitsgruppe vorsieht, die ein Konzept für eine überregionale Zeitung ohne Funktionäre entwirft. Ein Vorschlag für einen „Kongreß der Werktätigen“ und sodann einen „Volkskongreß“ wurde angesichts der bisher mangelhaften Resonanz der Vereinigten Linken in Betrieben abgelehnt. Auf Widerstand des Plenums stieß auch der Vorschlag, sich ab jetzt definitiv „Vereinigte Linke“ zu nennen. Weiterhin soll nach dem Willen des Plenums der offizielle Name „Initiative für eine Vereinigte Linke“ die nicht beendete aber fortzusetzende Bemühung um ein Aktionsbündnis andeuten.

Zu einem Eklat kam es dann bei der Forderung der Strukturgruppe nach Schaffung einer Informationszentrale für die linken Gruppen. Eine starke Minderheit machte schlechte Erfahrungen mit dem Machtmißbrauch geltend, die aus einer Zentralisierung von Informationen erwächst. Eine Abstimmung zeigte eine Mehrheit von 73:33 für die Effektivisten. Einige vermittelten. Ein Konsens sei nötig. Diejenigen, die eine feste Partei gründen wollten, müßten in einem Zusammenhang „Vereinigte Linke“ zurückstecken und auf die anderen Rücksicht nehmen. Ein Kompromißvorschlag sah die Bildung eines Informationsnetzes zwischen den Gruppen der Einzelnen Regionen unter Einbeziehung der bestehenden Informationsnetze vor.

Die Effektivisten entschlossen sich nach dem Plenum, ihre Pläne zu einer festeren Organisation in einer eigenen Gruppe anzubahnen. Sie tauschten Adressen aus, bildeten eine gemeinsame Informationsstelle und eine gemeinsame Zeitschriftenredaktion und vereinbarten „Schulungen“(?). Im Abschlußplenum leugneten sie dann, daß diese Vereinbarungen die Bildung einer Fraktion bedeuten.

Natürlich war das Arbeitstreffen der Vereinigten Linken insgesamt ein disharmonisches Wochenende. Aber bei der Vielfalt von linken Ideen war ein weitgehender Konsens gar nicht zu erwarten. Entscheidend bleiben Punkte, auf die sich die TeilnehmerInnen des Arbeitstreffens einigen konnten, neuerarbeitete Inhalte aber auch Fragestellungen. Nur in einem ständigen fruchtbaren Streit und wahrscheinlich immer hart am Rande der Spaltung wird sich eine Arbeitsgemeinschaft der Linken in unserem Lande formieren können. Auch die Bildung der Fraktion der Effektivisten kann sich am Ende eher konstruktiv auswirken, falls die Gegengruppe, nennen wir sie mal „die Bunten“ dadurch endlich zur Erarbeitung ihrer gemeinsamen Inhalte veranlaßt werden. Hier nämlich, nicht in der Frage, wogegen sich Undogmatische bis Anarchisten wehren, würde ein Anfang für eine neue Art von Gesellschaft liegen.

Ein nicht wieder gutzumachendes Versäumnis der Arbeitstagung der Initiative Vereinigte Linke aber bleibt, daß sie über dem Streit um Ideen und Fraktionen nicht dazu kam, sich zu aktuellen Entwicklungen auszusprechen: zum Ausverkauf des Landes, zum Aufkauf durch kapitalistische Firmen und Regierungen, zu kurz- und mittelfristigen Ansätzen für eine alternative Politik, die moralischen Druck auf die gegenwärtige DDR-Regierung ausüben könnten. Es reicht eben nicht aus, sich für Gespräche am runden Tisch zu entscheiden. Es wäre gut zu wissen, was dort vertreten werden soll.

r.l., d.w., d.t., s.

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