Kommentar: Egon und die Detektive

aus telegraph 9/1989
vom 29. November 1989

Von der Stasi zur Nasi

Markus Wolf hat´s gefordert, Hans Modrow angekündigt und Generalleutnant Schwanitz will es verwirklichen – die Transparenz des Geheimdienstes, vom Volk zärtlich „Stasi“ genannt oder auch nur einfach „die Firma“. Ein für die Öffentlichkeit durchschaubarer Geheimdienst – das wäre in der Tat eine Weltpremiere, eine historische Spitzenleistung, ganz und gar konkurrenzlos und ein Schrecken für alle einschlägigen Fachleute. Ob zivilisiert oder nicht – alle Völker der Welt schauen auf die DDR, um dieses Schauspiel nicht zu verpassen.

Leider ist es bisher ausgeblieben; statt dessen erleben wir das Zünden von Nebelbomben. Zunächst wurde das Etikett geändert – aus dem gefährlichen Ministerium wurde ein bescheidenes Amt. Dann wurde uns mitgeteilt, daß sich inzwischen viele Mitarbeiter der Stasi-Nasi in der Volkswirtschaft nützlich tun (wobei sie natürlich dem Amt unterstellt bleiben). In der Presse finden sich sogar Rührstücke von arbeitslos gewordenen Tschekisten, die einer ungewissen Zukunft entgegensehen. Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder.

Ein besonders schönes Beispiel für die stille Kooperation von Presse und Stasi-Nasi bietet natürlich das ND in einem Interview mit dem neuen Leiter der Nasi, Generalleutnant Schwanitz, vom 23. November. Welche „Fehler und Irrtümer“ es gab, wird vom ND gefragt und er antwortet, daß der „Vertrauensschwund“ auf eine „falsche politische Grundorientierung“ zurückzuführen ist, für die natürlich die alte Partei- und Staatsführung verantwortlich war. Immerhin gesteht Schwanitz ein, daß der „Eindruck“ berechtigt ist, das Volk würde von der Stasi überwacht. Unter seiner Leitung, so Schwanitz, würde jetzt gegen Andersdenkende nicht mehr ermittelt. Die Nasi wolle das Vertrauen der Bürger erwerben und konzentriere sich auf die Bekämpfung „verfassungsfeindlicher Aktivitäten“, insbesondere des Rechtsradikalismus.

Mit Verlaub gesagt: Wenn das Amt in Zukunft nur noch verfassungsfeindliche Aktivitäten bekämpfen will, ist es auf absehbare Zeit arbeitslos, denn die Ulbricht´sche Verfassung von 1968 wurde inzwischen auch von Egon Krenz als vollkommen untauglich bezeichnet, nicht nur ihr Paragraph 1.

Wirkliche Enthüllungen bringt das Interview nicht. Zwar wird den Lesern des ND mitgeteilt, daß das Amt 8.000 Mitarbeiter abbauen will, aber wieviele es eigentlich beschäftigt, erfahren wir nicht. Das ND will den Genossen Schwanitz nicht in Verlegenheit bringen. Wie aber will die Stasi-Nasi um Vertrauen werben, wenn nicht endlich einmal dargestellt wird, über wieviele unserer Bürger es eigentlich Akten besitzt und was mit ihnen geschehen soll. Ob es wirklich irgendeinen Jungpionier gibt, der nicht erfaßt wurde? Wieviele Lehrer, Kaderleiter, Hausmeister usw. haben dem Amt eigentlich Berichte geschrieben? Wieviele Telefone wurden abgehört, wieviele Briefe gelesen? Hat die Stasi nicht bei den Wahlen immer auch eine dritte, geheime Wahlliste geführt, um das Wahlverhalten der Bürger zu registrieren? Das ND fragt nicht danach und Schwanitz fühlt auch keine Verpflichtung, hier Aufklärung zu geben.

Zur Ehrenrettung des Journalistenstandes sei gesagt, daß es auch andere Berichte gibt, nur stehen sie eben nicht im ND. So deckte jetzt die Rostocker CDU-Zeitung „Der Demokrat“ auf, wie gründlich in den Postämtern die Post geöffnet und überwacht wurde. Im zentralen Briefverteilamt am Rostocker Bahnhof habe es eine besondere Etage gegeben, die über einen eigenen Zugang nur der Stasiu zugänglich war und in die über einen extra Fahrstuhl alle West-Post geschickt werden mußte. Bei den Mitarbeitern des Postamtes hieß diese Etage nur „Herbert“.

So wird es wohl nicht nur in Rostock gewesen sein, und Schwanitz ist dem Volk darüber Rechenschaft schuldig. Trotzdem sollte er sich nicht einbilden, die Stasi-Nasi könnte je beim Volk Vertrauen gewinnen. Sie war eine verbrecherische Einrichtung gegen das eigene Volk. Sie kann deshalb auch nicht reformiert werden. Sie gehört aufgelöst bis auf den letzten Mann und Diensthund, geschleift bis auf die Grundmauern.

p.h.

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