Roter Alarm in Chiapas

Die Versuche zu einer friedlichen Lösung der mexikanischen Krise scheinen am Ende

von Wolfgang Rüddenklau
aus telegraph 9/1996 ( #91 )

Während wr im letzten „telegraph“ über einen ersten provisorischen Abbruch der Friedensverhandlungen durch die EZLN berichteten, wurde der endgültige Abbruch am 25 . August bekanntgegeben (in den den Nachmeldungen der Internet-Aufgabe berichteten wir darüber). Die bereits abgeschlossenen Verhandlungspunkte, teilte die EZLN mit, seien „totes Papier“, weil die Regierung keine entsprechenden Maßnahmen ausgeführt hat. In den noch anstehenden Punkten zeige die Regierungsdelegation nicht den mindesten Willen, auf die Forderungen der EZLN einzugehen. Vorraussetzung für die Fortsetzung der Verhandlungen sei der ernsthafte Wille der Regierung, die Forderungen der Indigenas zur Kenntnis zu setzen und dann auch umzusetzen. Bevor sie an den Verhandlungstisch zurückkehren fordern die Zapatistas, daß die Regierung den Verhandlungsführer austauscht und eine Reihe von Unterstützern freiläßt, die entgegen den Vereinbarungen des Waffenstillstandes eingesperrtt wurden. „Die Zapatisten wollen Frieden, aber nicht um jeden Preis,“ heißt es in einem am 29. August erschienenen Kommuniqué, unterzeichnet vom Generalkommando der Zapatistischen Armee. Die Zapatisten teilten mit, daß sie weiterhin die Feuerpause einhalten.

Die besondere Schwierigkeit der Situation war durch eine neu aufgetauchte Guerilla-Gruppe, die Volkstümlichen Revolutionären Armee (EPR) entstanden. In Verlautbarungen der Regierung war im Unterschied zur EPR, die Ende August mehrere militärische Aktionen durchgeführt hatte, die EZLN als positives Beispiel für eine Guerilla mit sozialer Basis angeführt worden, die zudem mit der Regierung in den schönsten Verhandlungen stehe. Dem von der Regierung so erzeugten Anschein mußte die EZLN gegensteuern. „Es gibt keine gute oder schlechte Rebellen,“ schrieb Subcommandante Marcos, einer der Hauptsprecher der EZLN, „sondern nur bewaffnete rebellische Bürger, deren Anhänger es müde geworden sind, die Deklarationen über ökonomische Erholung und Bonanzas zu hören, während sie die Realität des Elends erleben.“

Zugleich aber distanzierte sich die EZLN dennoch scharf von der EPR, die erklärt hatte, daß sie Präsident Zedillo gewaltsam beseitigen und eine revolutionäre sozialistische Regierung errichten wolle. Subcommandante Marcos schrieb: „Ihr kämpft, um die Macht zu ergreifen. Wir kämpfen für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit. Das ist nicht dasselbe…“ Marcos verurteilt die Aktionen der Volkstümlichen Revolutionären Armee in Chiapas als „nutzlos und bestenfalls dumm.“ Die Zapatisten, sagte er, seien „keine Feinde“ der neuen Guerilla und würden sie nicht angreifen. Er riet ihnen: „Geht euren Weg und laßt uns den unseren gehen.“

Schon seit einiger Zeit gab es Gerüchte über den Zusammenhang der Volkstümlichen Revolutionären Armee (EPR) mit dem Rauschgifthandel. In Zusammenhang mit der Verhaftung von zwei Mitglieder der Regierungspartei PRI, die Anhänger der EPR gewesen sein sollen, wurden wird in zum Teil renommierten amerikanischen Blättern wie „La Journada“ und „Wallstreet-Journal“ neue Vermutungen gehandelt: Die EPR sei Ausfluß der Verschwörung eines Flügels der PRI zur Absetzung von Präsident Zedillo. Das braucht keineswegs im Gegensatz zu der früheren Rauschgifttheorie zu stehen, denn dieser Handel wird in Mexiko maßgeblich von Regierungsbeamten betrieben. Ebensogut ist es aber möglich, daß die angeführten Meldungen dem Zweck dienen, dem wohl tatsächlich vorhandenen Einfluß der EPR mindestens in der Bevölkerung des Bundesstaates Guerrero gegenzusteuern.

Während die Regierung behauptet, sie führe nur militärische Aktionen gegen die EPR-Rebellen aus und hätte in der sogenannten „Konfliktzone“ seit einem halben Jahr ihre Positionen nicht verändert, wird dies in einer Erklärung der EZLN vom 17. September zurückgewiesen. „Die in La Garucha und Patiwitz stationierten Truppen setzen ihr Vordringen zu den Positionen der EZLN in den Bergen fort. Am 13. 14. and 15. September die Patroullien der Regierungstruppen in die Schluchten von Patiwitz ein. Auf dem Höhepunkt der Aktion quartierten sich die Bundestruppen in den Eijidos San Caralampio and Calvariohave ein und bei Manövern am 17. September verkündeten sie, daß sie San Jose‘ im Tals des Flusses Perlas „umfaßt“ und „umzingelt“ habe. Dabei wird, wie es in der Erklärung heißt, modernes miliärisches Ausrüstungsmaterial, das zum großen Teil aus den USA stammt, natürlich auch in der sogenannten „Konflikzone“ verwendet. Beispielsweise wird eine US-Spionageflugzeug namens „Kondor“, das mit Infarot-Sensoren ausgerüstet ist und sehr leise fliegen kann, seit Mai zur Ausspähung von Kommandopoasten der EZLN in den Bergen eingesetzt. Zugleich treiben im Norden von Chiapas natürlich die Privarmeen der Farmer, die sogenannten „Weißen Garden“ ihr Unwesen und verfolgen Sypathisanten der EZLN und andere Leute, die sich für soziale Veränderungen einsetzen.

Um die wegen der schleichenden Miltarisierung des Landes durch die Regierung drohende Gefahr des Bürgerkriegs zu bannen, wollen mexikanische Bürgerrechtsorganisationen eine Aktion für den Frieden starten: Vom 8. bis 12. Oktober wird in Mexiko-City der Nationale Kongreß der Indigenas stattfinden. Unter den Vorbereitern ist die EZLN und eine Delegation der EZLN wird auch am Kongreß teilnehmen. Einige Regierungsmitglieder haben mitgeteilt, daß sie der EZLN-Delegation nicht erlauben werden, nach Mexiko City zu reisen. Es ist nicht klar, ob die Armee die Abreise aus Chiapas verhindern wird, ob die Delegation während der Reise verhaftet wird oder ob sie infolge der der Unterstützung der Zivilgesellschaft und der internationalen Gemeinschaft schließlich doch an der Konferenz teilnehmen können. Deshalb wird die nationale und internationale Zivilgesellschaft wurde aufgerufen, einen Kordon zu bilden, um den Zapatistas zu ermöglichen, unbehelligt aus ihren Begen nach der Hauptstadt zu reisen. Die Reise beginnt am 5. Oktober. Offentliche Demonstrationen, Kundgebungen, Aufrufe und Unterschriftsammlungen zur Unterstützung dieser Aktion sind erwünscht, ebenso die Anwesenheit von nationalen und internationalen Beobachtern oder die direkte Beteiligung an dem Friedens-Kordon. Finanzielle kann, wie es heißt, an die Kontonummer 6746497 der Banamex-Bank, Zweigstelle 0532, auf den Namen Miguel Angel Lopez Diaz“ eingezahlt werden.

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