Soziologisch-philosophische Betrachtungen zur Jugendarbeitslosigkeit im Prenzlauer Berg

(mit blöden Anmerkungen)

von Rudi-Mentea Primiv
aus telegraph 9/1996 ( #91

„Worum es vielmehr geht ist, daß der letztliche Ursprung der Sinnproblematik nach unserer Auffassung in der Eigenschaft der menschlichen Arbeit zu sehen ist, zweckmäßige Tätigkeit zu sein“ (Erich Hahn). Gut, nicht? an solcher Art tiefsinnig-problematischen Gedankengängen wird es nicht mangeln in den nachfolgenden Unterweisungen zur Jugendarbeitslosigkeit im Prenzlauer Berg aus der Feder eines Kenners der Materie. Es lohnt sich also weiterzulesen.

Vor ein bißchen mehr als 5 Jahren kamen die Segnungen von Freiheit und Demokratie mit einer Vehemenz gleich der des Hammers von Thor oder des jährlichen Ersäufnisses in Bangladesh über den Osten unseres geprüften Landes, so daß den Bewohnern jener Striche meistenteils die Kinnlade runterfiel, wovon sich kaum einer richtig erholt hat. Ordentliches Geld, als solche zu bezeichnende Autos, richtige Wahlen sogar, das erstaunlich vielfältige und bunte Angebot der Erotik- und anderer Märkte änderten schlagartig das Leben des geschundenen Zonis. Nun kann nicht immer eitel Sonnenschein sein, und so gab es dazu allerlei kleine Ärgernisse wie tausendprozentige Mietsteigerungen gegenüber rapide sich verschlechternden Fernsehprogrammen, Vertreter aller Art, Hannelore und den anderen Kohl nebst Theo Waigel und die Arbeitslosigkeit, um nur einiges zu nennen.

Letztere kennzeichnet den Zustand eines Menschen außerhalb eines geregelten Beschäftigungsverhältnisses; gemeinhin gilt sie als Vorstufe einer Art gesellschaftlichen Aussatzes, dessen Endstadien meist völlige (materielle wie geistige) Verarmung, Kriminalität, Obdachlosigkeit und Drogensucht sind. Die Betroffenen trinken unmäßig Dosenbier der Billigmarken Hansa, Karlsquell oder Tip und fangen an, Frau und Kinder zu schlagen, so vorhanden. Wem solch trübes Schicksal droht, sollte man meinen, wird sein Sinnen und Trachten darauf richten, der Arbeitslosigkeit, dieser gräßlichen Geißel der Moderne zu entgehen. Nun hüpft sie aber schon auf dem Rücken manches jungen Menschen in unserem traditionellen Asi-Proll-Viertel, hämisch kichernd und seit geraumer Zeit.

Alle drei Monate zum Amt ist eigentlich zu schaffen, zumal als Gegenleistung ein mehr oder minder bescheidener Beitrag zum Überleben des Opfers der Gesellschaft rauskommt. Dem Neuling wird hier erst mal eröffnet, daß es keine Schande ist und daß er sich nicht schämen muß; das kann nämlich jedem passieren und jeder Bürger hat einen Anspruch. Zum Sozi geht man schon weniger gerne, Geld für nix gibt’s da aber auch, vorausgesetzt die Fähigkeit, Papiere vollzumalen. Hilfreiche und mitfühlende Bearbeiter sind hier wie da von Nutzen, aber bei weitem nicht so häufig, wie das wünschenswert wäre. Und wer sich aus diesen oder jenen Gründen trotzdem nicht marktkonform verhalten kann, sieht sich vielleicht gezwungen, arbeiten zu gehen, weil er arbeitslos ist.

Meine Recherchen im Milieu der jugendlichen Tagediebe und Nichtsnutze des Prenzlauer Bergs führten zu folgenden Erkenntnissen:

Man schläft erstmal gerne aus. Das Fehlen eines Zeitlimits für Aufwachen und Morgentoilette ist der meist gelassenen heiteren Gemütsart der Untersuchten überaus zuträglich. Den Rest des Tages im Sumpf des Freizeitparks lustig zuzubringen, bereitet ihnen daher kaum Schwierigkeiten. Diverse mehr (Imbiß Böhm, Sredzkistraße!) oder weniger gute preiswerte Frühstücks-Krippen werden gerne frequentiert. Danach kann man z. B. in die Sauna in der Oderberger Straße (Bewilligungsbescheid mitnehmen!), lesen oder sich anderweitigen Künsten widmen, Billard spielen, werkeln und basteln, die Karkasse mit sportlichen Übungen stählen bzw. mal den Abwasch erledigen. Wer nicht 10 Stunden am Tag hinter den Brötchen herrennen muß, kann auch ab und an ins Grüne fahren, wo es in der Woche ruhiger ist. An dieser Stelle ist zu erwähnen, daß es in diesem mistigen Land nicht mehr möglich ist, eine poplige Plötze aus Gottes freier Natur zu zerren, ohne von irgendwelchen Fischereiaufsichtsidioten wegen Schein und so belästigt zu werden. Sogar in Mecklenburg! Aber das nur am Rande.

Geht es dann auf den Abend, möchte man entspannen. Der Tag geht, Johnny Walker kommt, der jugendliche Arbeitslose ist schon da. Wenn das Fernsehen mal wieder nur zum Kotzen ist, geht man halt Billard (Wiederholung, ja, ja, ich weiß) spielen, Leute besuchen, persönliche und geschäftliche Beziehungen pflegen usw. Gastronomische Einrichtungen gibt es reichlich, wobei zu sagen ist, daß die wenigsten ansprechendes Ambiente und realistisches Preis-Leistungsverhältnis vereinbaren. An dieser Stelle sei auf meine Denkschrift „Prenzelberger Kneipen-Un-Kultur“ verwiesen.

Auch möchte ich hiermit einige Forderungen der ALHI-Empfänger-Front AEF an die Öffentlichkeit bringen:

Die Ecke am Wasserturm muß bombardiert werden, wobei die Kommandantur zu verschonen ist, der Kollwitzplatz wird gründlich gesäubert und durch die Husemannstraße gehören 20 Bulldozer geschickt. Touristen sollten vogelfreien Status haben; und Thomas Krüger und Bärbel Bohley werden nach Marzahn zwangsumgesiedelt. (Eine meiner wichtigsten Beraterinnen sagt, der Satz geht so nicht, er wäre „zu polemisch“. Sicher hat sie recht, ich würde ihn trotzdem gern drin lassen.) Der Kampf geht weiter!

Hier (sagt meine Beraterin) sind ein paar ernsthafte Worte zu den Vorstellungen jugendlicher Arbeitsloser von einer besseren Welt angebracht. Also: Es soll kein Krieg mehr sein und die Leute sollen sich vertragen. Es ist auch nicht gut, daß immer noch so viele Kinder Hunger haben müssen, wo ständig Mondraketen gebaut werden. Angeregt durch eine Idee unserer Volksvertreter vom letzten Jahr fordert manch einer, seine Stütze an das Durchschnittseinkommen von, nun, sagen wir Zahnärzten anzugleichen. Der physischen Vernichtung aller Politiker, Sportkommentatoren und ähnlich gearteter Subjekte steht die gesellschaftliche Konvention wie ein Fels im Wege, aber das weiche Wasser bricht den Stein, und auch der größte und härteste Fels fällt irgendwann. Bis dahin könnte man die Säcke in den Straßenbau stecken. In den Wartezimmern der Arbeits- und Sozialämter sollten Videoanlagen installiert werden, auf daß man sich nicht ständig die Larven der Konkurrenz angucken muß.

Richtig nett wäre auch, wenn man sich Arbeitszeit und -umfang nach Notwendigkeit und momentanem Lustigkeitszustand einrichten könnte. (Gewisse ethnische Gruppen laufen beispielsweise pro Tag zwei Stunden durch die Gegend, um Karnickel zu morden und Beeren zu pflücken, von denen sie sich ernähren; die restliche Zeit obliegen sie sinnvollen Tätigkeiten, Schwimmen meinetwegen oder GV). Das würde aber eine tiefgreifende politische und ökonomische Umwälzung erfordern sowie eine gelöste Einstellung der Menschen zu ihrem Treiben und sich selbst, also vergessen wir`s erst mal.

Die netten Leute von der Neutralen Zone (Ex-Propella, Kastanie) haben mich übrigens gebeten, meine publizistischen Fähig- und Möglichkeiten in den Dienst der Werbung für ihr Etablissement zu stellen, was ich hiermit tun möchte.

Heftige Mucke, abgefahrene Figuren, Szene pur etc., also hin da, Ihr Säcke!

Da tagelange Sauforgien kaum arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, kommen von jugendlicher Arbeitslosigkeit Betroffene in der Regel besser und schneller über persönliche Katastrophen (Fahrrad geklaut, eheähnlicher Partner weg, Pflanzen eingegangen o.ä.) hinweg als normale Menschen. Segensreich für die Befriedigung kultureller Bedürfnisse ist z. B. die KVU in der Kremmener Straße. Die größten Punk-HC-Konzerte dieses Erdballs werden nach wie vor im legendären XXX zelebriert. Gegen diese Stätte jugendlichen Frohsinns kämpft übrigens eine eigens zu diesem Zweck gegründete Bürger-Ini mit diffamierenden Anrufen bei der Polizei, was einem manchmal ziemlich auf den Kranz geht.

Wie sehen diese Wesen nun aus? Gehen Sie einmal bei Tageslicht von der Dimi bis zur Stargarder durch die Schliemannstraße, dann wissen Sie’s. Aber nicht vor Mittag. Die Objekte unserer Betrachtung sind meist von humanoidem Typus, billig und schadhaft gekleidet und von schlechtem Ernährungszustand. Zum größten Teil sorgt die AOK für ihre gesundheitliche Versorgung; daher haben sie meist kaputte Zähne und widerliche Hautkrankheiten. Manch einer neigt zu merkwürdigem Haarschnitt, glasigem Blick und nachlässiger Körperhaltung, was merkwürdigerweise Vorurteile und Ressentiments gegen diese Bevölkerungsgruppe aufkommen ließ, obwohl unser Schöpfer ganz sicher nicht gewollt hat, daß seine Kinder glattrasiert, gefönt und gebügelt mit mintgrünen Jackets und schwachsinnigen Disney-Krawatten über seine Erde gehen, wie es bei vollwertigen Menschen (Uni-Profs, Banklehrlingen) immer mehr üblich zu werden scheint. Nun, hier wie da hüte man sich vor Verallgemeinerungen und voreiligen Schlüssen ob der evtl. vorhandenen inneren Qualitäten des Betreffenden, wobei festzuhalten und zu bekräftigen ist, daß Disney-Krawatten einfach Scheiße sind.

Befragt zu ihrer Einstellung zur Arbeitswelt, die viele bei gelegentlichen legal-illegal-scheißegalen Jobs ab und an noch studieren, äußerten meine Gesprächspartner in etwa dies: Jahrelang 8 Stunden am Tag zu schubbern und sich von Chefs und Kollegen nerven zu lassen (Mobbing!) geht an keinem vorbei, ohne mehr oder minder schwere körperliche, geistige und seelische Schäden und Deformationen zu verursachen. Von den paar Kröten, die der arbeitende Mensch (im Sinne Norbert Blüms) verdient, kriegt er knapp die Hälfte abgezogen, auf das Finanzamt, Bundeswehr und Volksvertreter aller Sorten nicht verhungern mögen. (Was arbeiten die eigentlich?) Rente gibt es eh nicht mehr, wenn wir mal 60 sind. Und der neue 3er BMW, dämliche Pauschalreisen in den 3 Wochen Urlaub und ähnliche Wichs-Vorlagen unseres in einem traurigen Zustand sich befindenden Volkes dürfen solche bleiben.

„Durch seine Hände Arbeit wird man auch nicht gleich zum Scheich“, so die Onkelz. Das ist natürlich Unsinn, Arbeit hat überhaupt noch niemand reich gemacht, egal wie lang man ackert. Unsere Gesellschaft ist auf einer Stufe ihrer kulturellen und ökonomischen Entwicklung angelangt, auf der es zur Sicherung der materiellen Existenz angebrachter ist als Arbeit, seine verröchelnde Großmutter zu filmen und das Tape an RTL zu schicken. Rauschgifthandel im größeren Stil, eine führende Position im Prostitutionsgewerbe und Politik können auch gut ihren Mann ernähren. Am effektivsten und unverfänglichsten ist es nach wie vor, andere für sich arbeiten zu lassen.

Die (Jugend-)Arbeitslosigkeit wird ihre medienpolitische Bedeutung neben Sujets wie Balkankonflikt, die Ehen von Liz Taylor, Naturkatastrophen, Terroranschlägen usw. behalten, nur daß sie etwas trockeneren Stoff liefert als Harald Juhnke. Hand in Hand mit Mickey Mouse und dem StGB der BRD kamen sie über uns. Für viele mag sie ein großes Problem sein und bleiben. Gut jetzt, ich hab ja nicht ewig Zeit. Das Zitat ganz am Anfang ist aus einem Buch, welches mir ein Mann gab, der ein Jahr später in die Nervenklinik mußte. Er war mein Stabülehrer. Ich möchte diese Betrachtungen auch mit einem Zitat aus eben jedem Buch endigen:
„Ich halte nicht viel von solchen Diskussionen, weil sie mir sinnlos erscheinen… Spart Euch die Arbeit!“ (Andrea Kädtler)

Die Jobbörse

Jeden Mittwoch- und Freitagmorgen um 9.00 Uhr stehen vor der Dimi 84 mal 10, mal 20 mehr oder weniger jugendliche Gestalten. Die Besten und Tapfersten von ihnen warten dort seit einer Stunde auf Einlaß in die Jobbörse; sie haben nichts Besseres zu tun, da sie arbeitslos sind oder Tätigkeiten obliegen, die nur kümmerlich sie zu ernähren geeignet sind. Es handelt sich bei den jungen Leuten vorwiegend um Träger von zottligen Langhaartrachten, Irokesen- und noch ganz anderen Schnitten. Zum Teil sind es auch gepflegte Bomberjackenträger/innen mit smarter Frisur. Neue Dieseljeans und gute Lederjacken sind selten unter diesem Volk, manch einer ist schwer gezeichnet von der letzten Nacht. „Das sollten meine sein!“ denkt sich der den Haufen passierende Arbeitnehmer älteren Jahrgangs auf dem Weg dahin.

Die Jobbörse vermittelt Gelegenheitsarbeiten an arbeitslose junge Erwachsene zwischen 18 und 27 Jahren, die im Prenzlauer Berg wohnen. Laut einem mir vorliegenden Infoblatt tut sie das unbürokratisch, schnell, kostenlos und mit Erlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit, und zwar in den Bereichen Garten, Büro/EDV, Bau, Handwerk, Renovierung, Transport, Gastronomie, Haushaltshilfen und Kinderbetreuung. Der Jobbörsenneuling hat ein Blättchen auszufüllen mit Angaben zur Person, sonstigem Broterwerb, Qualifikation und ähnlichem (welche nicht in übertriebenem Maße kontrolliert zu werden scheinen) und hat nun die Möglichkeit, sich ganz legal für absehbare Zeiträume an die kapitalistische Bestie zu verkaufen. Die Stundenlöhne liegen im Schnitt bei 15 DM, was von der Klientel allgemein als akzeptabel angesehen wird. So gesehen ist die Jobbörse für viele tatsächlich eine gute Gelegenheit zur unkomplizierten Geldbeschaffung, ein Quell bescheidener Finanzströme in einer Wüstenei von gesetzlichen Bestimmungen und bitterster Not des Nachwuchspöbels aus dem unteren Drittel.

Nachdem man sich also mit niveaulosen Gesprächsfetzen und platten Witzen die bis 9.00 Uhr verbliebene Zeit vertrieben hat, öffnet ein Mitarbeiter die Türe und muß zusehen, daß er sich nicht umrennen läßt. Jeder will der erste sein und trachtet den Flur so schnell als möglich zu durchqueren, vorbei an der Küche, den Toiletten und Plakaten mit Nummern von Selbstmordverhütungs-Hotlines. Oft wird man dabei an der Tür um seinen Namen zur ordnungsgemäßen Führung der Statistik angehalten, es empfiehlt sich daher, einige Zeit die eigene Person rücksichtslos in den Vordergrund zu spielen und die anwesenden Sozialarbeiter massiv mit Fragen und Gesprächen zu belästigen, bis sie den Betreffenden in einem nächtlichen Schneesturm auf 100 m erkennen. Dann stolpern die Arbeitswillgen vor der Pinnwand durcheinander und setzen alles daran, mit zittrigen Fingern ein in Frage kommendes Zettelchen zu erhaschen. Es wird nochmal kurz telefoniert, und dann hat man einen Job. Manchmal auch nicht, aber in jedem Fall ist es beruhigend, was versucht zu haben und dann nochmal ins Bett zu gehen.

Neben der finanziellen Vergütung sammelt der Jobber auch manches interessante Streiflicht und fragmentarische soziale Studien aus der Arbeitswelt ein. Häuschenbauende Familienväter, Opfer von Zeitarbeitsfirmen und die Verhältnisse auf Großbaustellen beispielsweise bieten mitunter Stoff und Anregungen zu erstaunlichen philosophischen Gedankengängen und Erkenntnissen. Vielen Angehörigen der Arbeiterklasse, der progressivsten gesellschaftlichen Schicht, scheinen ein neuer Spoiler für den Kadett und 2 % mehr Lohn bei 4 % Inflation weitaus lieber zu sein als die Erfüllung ihrer historischen Mission, welche laut Marx und Lenin die Befreiung des Menschen von der Ausbeutung durch den Menschen ist. Ihre Entwicklung geht in Richtung auf eine stumpfe degenerierte Masse von willfährigen Knechten der Marktwirtschaft, so steht zu befürchten. Das dürfte sich aber schlagartig umkehren, wenn die gesetzmäßig sich zuspitzende Krise des Kapitals uns polnischen Lebensstandard beschert haben wird. Genug davon.

In der Jobbörse bzw. seit einigen Monaten bei TriAs (Versuch einer Erklärung folgt) gibt es ab und zu Kaffee, wenn die Sozialarbeiter gut drauf sind, was fast immer der Fall ist. Der junge Arbeitslose erkennt einen guten Sozialarbeiter daran, daß er ihm subtil und unterschwellig das Gefühl vermittelt, akzeptiert zu werden; außerdem spendiert er Zigaretten. Der Sozialarbeiter hat studiert, ist sonst ganz cool und ernährt sich ebenfalls vom Busen der erwähnten Bestie, die den Schlamassel angerichtet hat, den auszubügeln er bemüht ist. Zur näheren Charakterisierung dieser Spezies höre man das erste Stück auf der LP „Der Heilige Geist greift an“ von den Kassierern. Im ganzen eine vernünftige und lobenswerte Sache, die Jobbörse bzw. TriAs.

Jetzt der angekündigte Versuch: Die Jobbörse ist seit einigen Monaten ein Teil von TriAs, einem „modellhaften Kooperationsprojekt zur Jugendberufshilfe zwischen der Jugendförderung und der Jugendberatung des Bezirksamts Prenzlauer Berg, Abteilung Jugend und Familie“. Die „Jobbörse am Prenzl’berg ist ein Projekt des Freien Trägers allgemeine jugendberatung e.V.“. Alles klar?

Die Jugendberatung ist für „psycho-soziale Beratung und qualifizierte Hilfe…in Bezug auf Krisensituationen, Familie, Unterbringung, Berufsausbildung etc.“ zuständig. Die Jugendförderung nun „hat als Arbeitsschwerpunkt die Jugendberufshilfe und ist der Teil des Projekts, der sich dem Aufbau und der Koordination dieses Arbeitsgebietes voll zuwendet.“ Wer das alles ein bißchen genauer wissen will, möge sich doch die entsprechenden Papierchen selber angucken oder vorbeigehen, ja? (komplizierte Aufteilung jedenfalls, Hauptsache sie sind da, finde ich)

„Unser Anliegen ist es unter anderem, Jugendliche zu unterstützen und zu beraten, die vom traditionellen Arbeitsmarkt nicht mehr erreicht werden oder aktuell keine Chance haben. Wir wollen die Ideen von jungen Leuten aufgreifen, und mit ihnen über eine existenzsichernde und für sie sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeit nachzudenken. Dabei orientieren wir uns an ihren Interessen und versuchen auch perspektivisch Wege in bezirksbezogenen Projekten zu finden“, so eine Mitarbeiterin des Projekts TriAs.

Die zahlreichen bzw. -losen bürokratischen, ökonomischen und sonstigen Hürden, die zum Beispiel vor einer Existenzgründung (was haben die Leute vorher gemacht?) zu nehmen sind, machen das oft zu einer Syphilisarbeit.

Thomas

Der Titel „Arbeitsloser“ impliziert das Bild eines am Boden zerstörten Menschen, mit abgefressenen Fingernägeln und leerem Blick tagein, tagaus in seiner wenn noch vorhandenen, in jedem Fall aber lange nicht bezahlten Wohnung hängt und den arbeitsmarktpolitische Hiobsbotschaften und amerikanische Bullen- und anderweitige TV-Serien langsam aber sicher dem Irrsinn in die Arme treiben. Ab und zu mag er sich eine Dose Ravioli zubereiten, aber selbst der gelegentliche Verzehr preiswerter italienischer Teigwarengerichte ändert nichts an seinem Status als marktwirtschaftliches Stück Scheißdreck. Ganz zum Schluß wird er sich in aller Regel das Leben nehmen. Man studiere dazu „Der Kaiser von Nordrhein-Westfalen“ von Walter Moers.

Thomas ist ein Rock’n Roll-Star. In dieser Eigenschaft bereiste er schon ferne Kontinente, sogar die Benelux-Staaten, z.B. Holland, Belgien, die Schweiz und Polen. Er spielt die Gitarre in einer Band, die den Namen einer grauenhaften Viruserkrankung trägt und in der Hauptsache eindringlich und gefühlvoll umherfliegende Leichenteile, pornographische Sujets aller Art, aber auch das Schlechte und Böse in dieser Welt besingt. Kurze Textprobe:

„Handyphoning yuppie scum, one day i’m gonna cum and shit in your mouth to see yer burstin’eyes…“

Als künstlerisch sensibler Mensch hat Thomas auch sein erstaunliches Händchen mit dem Zeichenstift.

„Ich hab mal Stuckateur gelernt. Meine Tätigkeit im Showbiz erlaubt mir leider nicht, diesen Beruf auszuüben. Der guten Frau beim A-Amt war das nicht schlüssig zu vermitteln, und so blieb mir auch die kleinste Beihilfe zur Erhaltung meines nackten Lebens von dort versagt. Der Sponsoringvertrag mit dem Sozialamt ist geplatzt, als man mir nahelegte, für drei Mark die Stunde zu arbeiten. Jetzt lebe ich von Luft, Liebe und Musik. Na gut, letztens hab ich meiner Oma die Küche gemalert und 200 Mark dafür gekriegt. Das ist aber verboten, deshalb mußt du auch meinen Namen ändern.“

In Berlin suchen tausende händeringend irgendeinen Job, denen will Thomas nicht in die Quere kommen. „Wann sollte ich denn die Touren machen, im Urlaub oder was? Außerdem kann ich nicht mit Geld umgehen. Sowie ich was in den Fingern habe, vergesse ich alle mir eigene natürliche Bescheidenheit und Demut, kaufe sauteure Schuhe oder vertrinke schlagartig alles.“ Lieber widmet er sich der Vervollkommnung und Erweiterung seiner Kunst. Ein Skaprojekt ist am Anlaufen, das textlich so weltbewegende Themen wie den gefächerten Harnstrahl behandeln wird. Wer dieses unterstützen möchte, wende sich mit großzügigen Spenden an den Autoren (bar hätten wir`s gerne).

Pit’s Botschaft

Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker. Das junge Prenzelberger Asselvolk ist bekannt für seine internationalistische Haltung und Toleranz dem Fremden gegenüber. Pit stammt aus dem fernen Baden-Württemberg, und trotzdem er daher kaum sich hinreichend zu verständigen in der Lage ist, lebt er seit einiger Zeit und immer noch recht gern hier. Unschwer ist er als Angehöriger der Punkrockbewegung zu identifizieren, und auf das Gräßlichste ist sein jugendliches Gesicht – gerade erst hat er das Alter von Volljährig- und Strafmündigkeit erreicht – gepierct. Um all seine wesentlichen Charaktermerkmale zu nennen, Pit ist dipsomanisch (nachschlagen, ihr Cretins!) veranlagt.

Eine mildtätige Stiftung nahm sich des Jungen an, als er 13 war, ihn zu retten aus unerfreulichen familiären Verhältnissen und setzte Unmengen von staatlich subventionierter Liebe, Christengeist und Geld darein, ihn zu einem ordentlichen Menschen zu machen. Es mißlang. Nach 2 Jahren sollte er der landschaftlichen und klimatischen Freuden des Südens teilhaftig werden und wurde in einen Bus nach Spanien gesteckt, der von der Straße in eine tiefe Schlucht fiel. Pit erkannte das Zeichen und ging fort wie Goldmund aus dem Kloster, weg von seinem Freund Narziss in die weite Welt, genauer nach Ost-Berlin, wie schon gesagt.

Hier mußte er sich, kaum flügge geworden, selbst ernähren. Bauhelfer war der anständigste Job, den Pit mal gemacht hat. Er versuchte Zeitungen zu verkaufen, aber die Leute fürchteten sich anzustecken. Sein kleiner Rauchwarenhandel ging bald wieder pleite. Nun scheint ihm wieder die Sonne.

„War ich doch letztens beim Soz, und die haben mir tatsächlich Geld gegeben. Und sogar die Kauleiste kriege ich jetzt gemacht!“ berichtet der junge Mann, strahlend, wobei deutlich wird, daß das auch dringend geboten ist.

Lesen tut er gerne Bukowski, U-Comics, Gorki und King. Von einem abenteuerlichen Schicksal gebeutelt, hatte Pit keine Zeit, was Anständiges zu lernen.

„Kann aber noch werden, mal gucken.“

Sein handwerkliches Geschick schult er z. Z. bei der Herstellung monströser Pfeifen, deren Erlös ihm den Erwerb des einen oder anderen zusätzlichen Pilsners ermöglicht.

Pit hat sich zu diesem Gespräch bereit gefunden, weil er eine Botschaft zu verkünden hat:

„Die Bugs-Bunny-Show muß auf einen anderen Sender, Pro 7 kriege ich nicht. Die Ausstrahlung brasilianischer Telenovelas und aller amerikanischer Serien außer Al Bundy ist eine unauslöschliche Schande für unsere Kultur und gehört verboten.“

Ein geradezu erotisches Verhältnis hat er zur Lindenstraße aufgebaut.

„Viele sagen, die Wurzeln allen Übels sind kalte Füße oder die Frauen; ich sage, es ist schlechtes Fernsehen.“

Was denn sonst?

Mit 16 hat man noch Träume

15, 16 ist ein gesegnetes Alter. Der zum Bersten mit Hormonen angefüllte Körper blüht auf, und der jugendliche Geist entfaltet sich auf das Lieblichste oder anderweitig. Erste Vollräusche und partnerbezogene sexuelle Handlungen bieten noch überraschende Aspekte, bisher ungeahnte Freuden wie Mopedfahren und Baggern in der Disco treten ins Leben der jungen Menschen. Wie gesagt, ein schönes Alter, sieht man vom kurz bevorstehenden Stoß in die kalte, rauhe und verseuchte See des Erwerbslebens ab.

Zu den diesbezüglichen Plänen, Erwartungen und Befürchtungen Jugendlicher fand kürzlich eine spontane lockere Talk-Runde im Atelier ’89 an der Greifswalder Straße statt. Das Patentrezept zum Vorwärtskommen im wie auch immer gearteten Beruf unter den Bedingungen der Marktwirtschaft wird etwa so umrissen: „Du muß in erster Linie, wenn nicht nur an dich selbst denken. Persönliche Kontakte, auch Freundschaften, spielen eine nebensächliche Rolle, wenn du Erfolg haben willst. Du mußt erst mal eine Menge schlucken, ohne Unterordnung und Anpassung geht nichts.“ Der Junge, der das sagt, ist 16 und im ersten Jahr Kochlehrling in Bayern, weil er in Berlin nichts gefunden hat.

Im Baubereich gibt es einiges an Ausbildungsplätzen, Berlin muß in ein paar Jahren soweit sein für Regierung, Daimler und Sony. Gefragt sind auch Lehren in Richtung Kaufmann/frau, Büro und Verwaltung, ein Betätigungsfeld, dessen Wachstum zumindest arbeitsmarktpolitisch nützlich und sinnvoll ist. Groß ist auch die Verlockung, einen Beruf zu ergreifen, in dem man bei lebenslanger reichlicher Versorgung minimale intellektuelle und sonstige Beanspruchung zu gewärtigen hat und mit zehn Jahren Schule garantiert ankommt: „Viele wollen jetzt zu den Bullen“, sagt einer.

Das bevorzugte Mobbing-Opfer meiner Schulklasse trug eine dicke Hornbrille, die eigentliche Ursache seiner Pein war aber sein infernalischer Körpergeruch und wäre durch primitivste Hygienemaßnahmen zu beseitigen gewesen. Heute ist das Gespött des Pausenhofs, wer sich keine 250-Mark-Baseball-Jacke leisten kann oder sich gar mit Nike-Schuhen sehen läßt, die vor zwei Jahren aktuell waren. Eine perfekte Vorbereitung zur Übernahme eines zeitgemäßen Wertesystems mit den Grundpfeilern Volkspartei wählen und asiatisches Mitteklassemodell. Der Gang zum Arbeits- oder Sozialamt ist für die meisten eine Vorstellung wie wochenalter Frischkäse.

„Wird ja alles immer mieser, überall wird gestrichen und gekürzt.“ Der Optimismus der heutigen Jugend ist ein ziemlich gebremster, was von Realitätssinn bezüglich der Lohnsklaverei zeugt. Wo wäre unsere Gesellschaft ohne unkomplizierte Erklärungsmuster? „Sind zu viele Ausländer hier“, so ein verbreiteter Denkansatz, wahrscheinlich genauso wichtig für’s Weiterkommen wie zuerst an sich selbst zu denken.

Sven

Sven ist 16 und weiß ziemlich genau, was er will, nämlich einen gutgehenden Beruf lernen und später nicht zum Arbeitsamt rennen. Dafür hat er sich in ein paar Monaten in Mathe, Deutsch, Englisch und Bio um ein bis zwei Zensuren verbessert, womit er den Realschulabschluß jetzt ziemlich sicher hat.

„Als es für mich noch nach erweitertem Hauptschulabschluß aussah, kam eigentlich nur Einzelhandelskaufmann in Frage. Da habe ich mich bei allen möglichen Baumärkten, Rundfunkläden und Kaufhäusern beworben, 20 mal ungefähr. Bewerbung, Lebenslauf mit Paßbild, immer schön mit Computer geschrieben, die letzten zwei Zeugnisse dazu, das Ganze in eine Klarsichthülle und die in eine Versandtasche, wie es sich gehört. Die Antworten waren lustig, eine davon mit krassesten Rechtschreibfehlern und die Papiere zerknüllt. Ein Kumpel von mir hat mal 140 Bewerbungen geschrieben, kannst dir vorstellen, wie der jetzt noch Bock drauf hat.“

Zur Zeit läuft eine Bewerbung für den Eisenbahn-Betriebsdienst bei der Deutschen Bundesbahn. „Da würde ich zum Beispiel als Zugbegleiter arbeiten können oder im Fahrscheinverkauf. Wenn alles gut läuft, gibt’s Aufstiegsmöglichkeiten zum Fahrdienstleiter, der ist zum Beispiel für die ganzen Pläne zuständig; das erfordert ’ne Menge technisches Verständnis und viel Verantwortung. Schicht- und Nachtdienst ist natürlich anstrengend, aber es gibt ja auch gut Geld. So was würde ich richtig gerne machen.“

Sven hat ein paar Freunde in Tschechien, ein Anreiz, sein Englisch zu verbessern. Beim Briefeschreiben ist der Computer nützlich, daher kennt er sich damit auch leidlich aus. Sonst geht er noch zu Discos, Partys, wie wahrscheinlich alle in seinem Alter. „Aber viele in meiner Klasse zum Beispiel lassen die Schule völlig schleifen und kümmern sich um nichts, als wenn’s ihnen egal wäre, ob sie eine Lehrstelle kriegen oder nicht. Jetzt weiß doch jeder, wie’s langgeht: Wenn du einmal kein Geld hast und vielleicht zum Sozialamt mußt, kommst du da ganz schwer wieder ‚raus.“ Sven macht am Tag meistens eine Stunde Hausaufgaben; ab und zu raucht er eine Zigarette, andere Drogen verkneift er sich.

Seine Bemühungen um Zugang zur Arbeitswelt haben ihm unter anderem enorme Zuwächse an Allgemeinbildung eingebracht. Zum Beispiel kann er alle Bundeskanzler (nach 45) in der richtigen Reihenfolge aufzählen. „Das gehört zu vielen Intelligenz- und Eignungstests. Was die da manchmal wissen wollen…“ (schüttelt den Kopf). Sven möchte irgendwann ‚mal eine sichere Arbeit, eine gute Wohnung und eine nette Familie. „Wenn das bei der Bahn nicht klappt, hänge ich erst mal wieder ziemlich in der Luft. Aber die Chancen stehen so bei fifty, fifty, denke ich mir.“

Ein bißchen langweilig

Cindy ist ein schmuckes Mädchen und hat im letzten Sommer einen sogenannten erweiterten Hauptschulabschluß gemacht. Das ist nicht ganz so toll wie ein Realschulabschluß, aber immerhin besser als Hauptschulabschluß ohne Erweiterung. Anfang der 10. Klasse machte Cindy mit einem Anwalt einen Ausbildungsvorvertrag, nachdem sie etwa 20 Bewerbungen in die Welt gesetzt hatte.

Die Zensuren waren „naja, so um den Durchschnitt“. Warum, weiß man nicht genau, auf jeden Fall überlegte sich der Anwalt ein paar Tage vor Beginn des Lehrjahrs, daß er doch keine Zeit und kein Geld hätte, sie zur Gehilfin auszubilden. Dumme Situation. Was macht man da? Man geht zu TriAs. Diese, in Zusammenarbeit mit dem Amt für Arbeit vermittelten sie auf dem letzten Drücker in einen Grundlehrgang zur Berufsvorbereitung für die Tätigkeit einer Kauffrau mit Bürokommunikation, kurz Tipse. „Danach bin ich zwar immer noch nichts und muß trotzdem drei Jahre lernen, aber ist besser, als nix zu machen.“

Von ihrer beruflichen Zukunft spricht Cindy mit einer Mischung aus angedeutetem Zweckoptimismus und mühsam verhohlener Abscheu. „Da lerne ich Buch- und Kontenführung, Schreibmaschine, Deutsch und Sozialkunde. Man muß sich ziemlich auf den Arsch setzen, aber was hilft’s?“ Angesichts der Tatsache, daß demnächst ganz Europa eine Aktiengesellschaft mit Zentrale Deutschland sein wird, sollte man eigentlich meinen, daß die Damen dieses Gewerbes voller Zuversicht von den nächsten Jahren sprechen.

„Zur Zeit wohne ich noch zu Hause, kriege ja keinen Pfennig Geld irgendwo her. Das nervt ganz schön.“ Später will Cindy in Berlin bleiben, eine eigene Wohnung und sich’s im Urlaub nett machen. Vielleicht Familie, Kinder usw., aber erst mal sehen. Irgendeinen Job kriegt sie bestimmt. Nur, „naja, vielleicht wird’s ein bißchen langweilig.“

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