Ergebnisse der Arbeitsgruppe 6 des 20. Strafverteidigertages (1996):

Strafverfolgungsmaßnahmen gegen KurdInnen

aus telegraph 4/1996

I. Seit dem letzten Strafverteidigertag hat sich die Tendenz zur umfassenden Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden verstärkt; die Grundrechte der Vereinigungs-, Demonstrations,- Meinungs- und Pressefreiheit sind faktisch für alle Kurden abgeschafft, die mit der PKK in Verbindung gebracht werden, manifestiert in den größten polizeirechtlichen Massenfestnahmen der Nachkriegsgeschichte – in Baden-Württemberg sogar vorbeugend über 3 Tage bei mehreren hundert Kurden aufgrund hektographierter Gerichtsbeschlüsse.

II. Mit dem „PKK-Verbot“ (korrekt dem Betätigungsverbot für PKK und ERNK) hat die Bundesrepublik Deutschland die politische Auseinandersetzung mit dem kurdischen Unabhängigkeitskampf zugunsten seiner polizeilich/ polizeistaatlichen Unterdrückung aufgegeben. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Kurden sind – mit dem PKK- Verbot bereits erkannte und provozierte – Folge der mit dem Verbot eingeschlagenen Politik, nicht ihre Ursache.

III. Die „konsequente Durchsetzung des PKK-Verbots“ führt zur flächendeckenden Erfassung politisch aktiver Kurden mit den Mitteln des Strafprozeßrechts und der Unterbindung der Unterstützung des kurdischen Unabhängigkeitskampfes aus der Bundesrepublik Deutschland heraus mit den Mitteln des Strafrechts.

IV. § 20 Abs. 1 S. 4 VereinsG ist neben § 129a StGB wichtigstes Instrument zur Kriminalisierung politisch aktiver Kurden und zur Rechtfertigung umfassender strafprozessualer Eingriffe in die Rechte von Kurden. Dabei knüpfen das PKK-Verbot und seine polizeiliche wie strafrechtliche Umsetzung zum Teil ausdrücklich an das KPD-Verbot und die hierzu während des „Kalten Krieges“ ergangene Rechtsprechung an.

Zwar hat der 3. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 24.01.1996 – dies in eklatantem Gegensatz zur ständigen Eingriffspraxis der Ermittlungsbehörden – bekräftigt, daß allein das öffentliche Verwenden oder Verbreiten von Kennzeichen der PKK oder ERNK nicht § 20 Abs. 1. S. 5 VereinsG unterfallen; er hat jedoch zugleich § 20 Abs. 1 S. 4 VereinsG eine derart uferlose Auslegung gegeben, daß praktisch jede auf PKK oder ERNK bezugnehmende politische Betätigung als Verstoß gegen das Betätigungsverbot des § 18 S. 2 VereinsG erfaßt werden kann. Nach dieser Entscheidung ist verboten jede Handlungsweise, die konkret geeignet ist, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen, ohne daß es auf einen tatsächlich eingetretenen meßbaren Nutzen ankäme.

Diese Auslegung des § 20 Abs. 1 S. 4 VereinsG verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 GG und das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.

V. In dem Bestreben einer immer umfassenderen Verfolgung der PKK als sog. terroristische Vereinigung kreiert die Bundesanwaltschaft neue Organisationsstrukturen, die sie als terroristische Vereinigung definiert, und setzt sich hierbei auch über bisher in der Rechtsprechung anerkannte Grenzen dieses Tatbestandsmerkmals hinweg. Dies zielt letztlich darauf, die PKK in ihrer Gesamtheit als terroristisch abzuqualifizieren. Dabei ist die Bundesanwaltschaft gezwungen, als Beweismittel zunehmend auf in ihrer Motivation und ihrem Aussageverhalten fragwürdige und von Zeugenschutzprogrammen und Existenzzusagen abhängige Kronzeugen zurückzugreifen.

VI. PKK-Verbot, Verbot von Demonstrationen für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden und strafrechtliche Verfolgung der PKK nach § 129a StGB verstoßen gegen zwingendes Völkerrecht. Danach erfüllt der Unabhängigkeitskampf der Kurden gegen die rassistische und koloniale Unterdrückung durch die Türkei die Voraussetzungen eines legitimen nationalen Freiheitskampfes i. S. der UN-Charta und des humanitären Kriegsvölkerrechts.

VII. Eine weitere Eskalation der Auseinandersetzungen zwischen deutschem Staat und Kurden läßt sich nicht durch zusätzliche Gesetzesverschärfungen, ständig zunehmende Kriminalisierung oder ausufernde Ausweisung verhindern. Dies kann allein durch eine Änderung der Politik gegenüber dem türkischen Staat und den die Kurden repräsentierenden politischen Organisationen, einschließlich der PKK, u. a. durch Aufhebung des PKK-Verbots sowie der Wiederherstellung der selbstverständlichen Grund- und Freiheitsrechte der hier lebenden Kurden erreicht werden.

Zu fordern ist daher:

– Stopp der Waffen- und Wirtschaftshilfe für die Türkei – keine Abschiebungen von Kurden – Aufhebung des Verbots kurdischer Vereinigungen – keine Gesetzesverschärfungen bei Ausweisung und Abschiebung – Wiederherstellung der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit für Kurden

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