Mediales

Neues aus der Bücherwelt

von Knobi
aus telegraph 4/1996

Wen kümmern schon „Feiertage“, vor allem Tage, an denen es eigentlich nichts zu feiern gibt – und vor allem, an denen man/frau noch nicht mal arbeitsfrei hat. Der 8. Mai ist ein Tag an dem verschiedene Menschen verschiedenes zu feiern, oder zu gedenken hätten: Am 8 Mai ist z.B. Muttertag, oder Nazi-Deutschland hatte vorerst kapituliert, Kambodscha erkannte 1969 die DDR an, 1945 begann in Algerien ein Volksaufstand, bei denen ca. 45.000 Algerier von französischen Kolonialisten massakriert werden.

Zum 20. Male jährt sich an diesem 8. Mai die Ermordung der Ulrike Meinhof. Aus diesem Anlaß brachte die Zeitschrift Die Beute (1/96, Ed. ID-Archiv / 128 S. / 16,–DM) ein Schwerpunktheft heraus mit dem Titel: Mythos RAF. U.a. enthält das Heft ein Interwiev mit Irmgard Möller (19 Seiten), der einzigen Überlebenden der Stammheimer Todesnacht von 1977 und vieles andere mehr.

Fast wäre ja Flaute in den Computerläden eingezogen (in Berlin öffnen jährlich ca. 1000 Läden und die gleiche Anzahl geht auch jährlich pleite), wenn das Zauberwort „Internet“ nicht wieder für Aufschwung gesorgt hätte. Datenautobahn sind vielleicht auch besser als ein Meter Beton, aber auch die Sicherheit sollte bei der globalen Vernetzung nicht zu kurz kommen. Nun hat die Edition ID-Archiv, bevor ein Fachverlag mal wieder mit einem 78,–DM-Wälzer kommt, die Nase vorn gehabt. Der kleine Abhörratgeber – Computernetze, Telefone, Kameras, Richtmikrofone; incl. Diskette mit Verschlüsselungsprogramm (143 S. / 20,–DM), heißt der Titel, der in den Niederlanden bereits 1994 erschienen ist und von so namhaften Autoren wie Backslash, Hack-tic, Jansen & Janssen und dem AutorInnenkollektiv „Keine Panik“ herausgegeben wurde. Nicht Paranoia sollte hier der Kaufgrund sein, aber informativ ist dieses Buch auf alle Fälle, zumal ja auch allgemein bekannt ist, daß jener Deutsche Staat, der im Moment überlebt hat, viel gründlicher über seine BewohnerInnen bescheid weiß, als jener, der als Spitzelstaat abgewickelt wurde.

Die Edition ID – Archiv ist ja nicht nur für ihre Politbücher bekannt, sondern in den ca. 8 – 10 Titeln, die im Jahr hier erscheinen, hat auch die Kultur ihren Stammplatz erhalten. Das soeben erschienene Buch Jutta Koether, KAIROS – Texte zu Kunst und Musik (190 S. / 24 DM), zeugt davon. Die in Köln lebende Mitherausgeberin der Zeitschrift „Spex“ ist nicht nur einfach eine Theoretikerin, sondern selbst als Künstlerin aktiv.

Ein Künstler war auch Erich Mühsam, der als Antifaschist auch in der DDR zu ehren kam, aber als Anarchist (vor allem seine Schriften wie „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“) eher verschwiegen wurde. Dies spürte vorallem seine Frau Zensl Mühsam, der 1933 kein anderer Ausweg blieb, als ins Exil nach Moskau zu gehen, der sich zum Leidensweg, und einem jahrelangen Kampf um den Nachlaß von Erich Mühsam erwies. Eine Auswahl ihrer Briefe aus einer Zeitspanne von 1918 – 1959 dokumentiert das Leben dieser tapferen Frau. Diese Broschüre (104 S. / 10,–DM. Schriften der Erich-Mühsam-Gesellschaft Nr. 9, Bezug: Kunsthaus Lübeck, Königstr. 20 in 23552 Lübeck, Porto nicht vergessen.) wurde Herausgegeben von Chris Hirte und Uschi Otten.

Ein Künstler der Sprache ist auch der mexikanische Subcommandante Marcos, von dem jetzt einen Sammelband mit Erklärungen, Briefen etc. vorliegt: Botschaften aus dem Lakandonischen Urwald – Über den Zapatischen Aufstand in Mexiko (252 S. / 29,80 DM / Edition Nautilus). Nie waren politische Pamphlete poetischer und ausagekräftiger – unbedingt empfehlenswert!

Den Freiheitskampf in Chiapas verbanden einige Leute aus Zureich mit dem 75. Jahrestag des Kronstädter Aufstandes und nannten ihre 16 Seiten umfassende Zeitung kurz isvestja. Einzeln kostet das Heft, das von zwei Seiten her zu lesen ist 2, 50 DM (ab 10 Ex. 1,50 DM) und ist zu beziehen über: isvestja, Postfach 8616, CH-8036 Zürich (oder ihr fragt mal in einem Infoladen oder politischen Buchladen nach).

Wesentlich trockner liest sich, falls das überhaupt jemand tut, die kostenlosen „Informationen zur Volksabstimmung am 5. Mai 1996 über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg -keine kommerzielle Werbung.“ Auf der einen Seite schon verdächtig genug, daß CDU und SPD gemeinsam dafür sind, umso komischer ist die Allianz der GegnerInnen aus PDS, Bündnis/Grüne, rechte CDUler und Jusos. Warum Hamburg oder Bremen noch nicht auf diese tolle Idee des Sparens und Umwandeln in blühende Landschaften gekommen sind, bleibt offen. Die Tatsache, daß nur ein Viertel der Wahlberechtigten (! also 1 Mill. Jasager), ausreicht um Politik zu machen, scheint nicht unbedingt palamentarísche Geflogenheit zu sein, aber schließlich kommt es ja immer darauf an, welche Minderheit bestimmt.

Von einer ziemlich bestimmenden Minderheit mit immer mehr Einfluß zeugt das Buch: Drahtzieher im braunen Netz – Ein aktueller Überblick über den Neonazi-Untergrund in Deutschland und Österreich (Konkret Literatur Verlag / 270 Seiten / 28,–DM). von einem antifaschistischen Autorenkollektiv. Dieses Buch erschien bereits 1992 in der Edition ID-Archiv zum ersten Mal. Jetzt, aktualisiert, ist es leider immer noch genauso wichtig geblieben, wie vor einigen Jahren, selbst, wenn das nazistische Autreten von nationalen Dumpfbacken zur Zeit rückläufig geworden ist (und mit ihm leider auch die Aktivitäten der Antifa). Es bleibt leider eine Notwendigkeit sich über die Aktivitäten von braunen Schlips- und Glatzenträgern zu informieren.

Einen feineren Umgang mit der deutschen Sprache pflegte der Dichter Franz Fühmann (1922 – 1984), einer der wenigen Dichter, dessen Kommentar zum Mauerfall vielleicht ein Genuß gewesen wäre. In zweiter Auflage erschien jetzt das Buch Urworte Deutsch (Hinstorff Verlag / 80 S. / geb. / 19,80), dessen Wortspiele und gewollter Nonsens einen Lesespaß der ruhigen, schmunzelnden Art verspricht. Die farbigen, surrealen Collagen von Alfred T. Mörstedt unterstützen die poetischen Reimereien.

Wenn man/frau sich doch bloß immer auf alles einen Reim machen könnte…

Gruß Knobi

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