Quo vadis Antifa ?

von Dietmar Wolf
aus telegraph 4/1996

Mit dem Verbot von diversen faschistischen Organisationen 1992/93 schlug das deutsche Innenministerium zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen verbannte man die Neonaziszene, die zuvor billiges Instrument zur Durchsetzung eines verschärften Asylgesetzes darstellte und nun eher lästig wurde, von der Bildfläche und Demonstrierte gegenüber der besorgten Weltöffentlichkeit, daß man alles im Griff hätte und die Demokratie nicht gefährdet sei. Außerdem wurde etwas erreicht, was mit Repression nie zu schaffen war: der Zusammenbruch der Antifa-Szene. Denn das Dilemma der Antifa war nun, daß ihnen der Staat plötzlich das Feindbild genommen hatte. Die Politik der meisten Gruppe bestand bis dahin im wesentlichen aus einem Reagieren auf Aktivitäten der Neonaziszene. So bestanden die alljährlichen Highlights der Antifa in Gegendemos, Blockaden, Schutzaktionen, die sich jeweils an Aktionstagen der Nazis orientierten: 30. Januar, 20. April, Wunsiedel, Passau, Halbe etc., etc.

Mit dem Verschwinden der Naziszene von der Bildfläche brach die große Ratlosigkeit in der Antifa aus. Durch die zunehmende Konspirativität der Nazis wurde zudem der Informationsstand immer dürftiger. Man verlor den Überblick.

Hinzu kam, daß das Interesse der Öffentlichkeit zunehmend abnahm. Den Menschen im Lande war es ausreichend, daß das Bild vom kahlschädligen, bomberjackentragenden Nazideppen aus der Öffentlichkeit verbannt war. Daß die meisten Faschisten unter Wahrung der Konspirativität weiter arbeiten und ihre organisationsübergreifende Zusammenarbeit stetig weiter betreiben, wurde nicht gesehen und war kaum von Interesse. Einen nicht unwesentlichen Anteil an dieser Blindheit hat die bürgerliche Presse, die nach den Verboten allgemeine Entwarnung signalisierte.

Mittlerweile entwickelt sich die Situation der Antifa-Szene zum Debakel. Gruppen, die sich auf spezielle Nazigruppierungen wie zum Beispiel der FAP eingeschossen hatten, wissen nun nach dem Verbot dieser nicht mehr, was sie machen sollen. Im Land Brandenburg zum Beispiel, wo noch 1993 Gruppen wie Pilze aus dem Boden schossen, um sich der offenen Repression durch die Nationalistische Front und ihren Folgeorganisationen „Förderwerk Mitteldeutsche Jugend“ (FMJ) und „Direkte Aktion/Mitteldeutschland (JF)“ zu erwehren, tritt man seit Längerem auf der Stelle.

War es 1992/93 in breiten Kreisen der linksradikalen Szene plötzlich schick Antifa-Arbeit zu betreiben, ist den damaligen Hyperaktivitäten mittlerweile allgemeines Desinteresse gewichen. Als der deutsche Staat begann offen gegen die lästig gewordenen Faschisten vorzugehen, war es vielen Antifas zufrieden. Statt sich nun zum Beispiel mit dem staatlichen Rassismus gegen Nichtdeutsche zu befassen, zogen sich die Aktivisten zurück.

Aber auch Gruppen, die seit Jahren kontinuierlich Antifapolitik betreiben, wissen nicht was zu tun ist, denn man weiß auch in diesen Gruppen nicht mehr wo der Gegner ist, geschweige denn, was er macht und plant.

Auch im Zeitungsbereich sieht dies nicht anders aus: Unzählige kleine und kleinste, meist regional angesiedelte Antifa-Blätter stellen ihr Erscheinen ein oder spielen mit dem Gedanken. Selbst das überregionale „Antifaschistische Infoblatt“ aus Berlin, eine der wichtigsten und bedeutendsten Antifa-Fachzeitschriften, wackelt. Geldmangel und eine gefährlich zusammengeschmolzene Leserschaft stellen die zunehmend kleiner werdende Redaktion vor immer größere Probleme. Zeitgleich mit unserer Notausgabe veröffentlichte auch das „Antifaschistische Infoblatt“ einen Hilferuf.

Ein weiteres Problem ist, daß alteingesessene Gruppen an Überalterung leiden. Es wird immer schwerer, jüngere Leute für kontinuierliche Antifa-Arbeit zu begeistern und sie für länger als ein bis zwei Jahre in den Gruppen zu binden. Selbst bei Jugendgruppen, wie den Edelweißpiraten, tritt das Problem auf, daß sich Mitglieder, die altersbedingt ausscheiden, ins Privatleben zurückziehen und nicht in andere Gruppen überwechseln.

Kurz und gut: es liegt im Argen mit der Antifa. Beszeichnend ist, daß genau zu der Zeit, in der selbstorganisierte Antifagruppen zunehmend in die Krise taumeln, dogmatische, hierarchisch organisierte Gruppen an Bedeutung und leider auch an Zulauf gewinnen. So müssen sich die meisten Berliner Antifas mit dem Dilemma auseinandersetzen, daß die neuerdings in Antifaschistische Aktion unbenannte AAB0-Gruppe A&P mittlerweile zur mitgliederstärksten Antifa-Gruppe herangewachsen ist (man spricht von 50 Aktiven, was für normale Gruppenstrukturen mehr als überdurchschnittlich ist, die Edelweispiraten mal ausgenommen) und auch offen die Führungsrolle in Berlin und seit einiger Zeit auch im Land Brandenburg beansprucht. Mit der zunehmenden Tatenlosigkeit der übrigen Gruppen ist die Antifaschistische Aktion leider auch drauf und dran, durch ihre auf Öffentlichkeitshascherei ausgerichteten Militanzfetischismus und ihre Schnellschuß- und Kampagnenpolitik ohne Tiefenwirkung und Zukunftsorientierung, die angemaßte Monopolposition zu erreichen und gerade in ungestümen und zunehmend theoriefeindlichen Schüler- und Jugendkreisen zunehmend Anhänger zu gewinnen.

Ein weiteres Phänomen ist, daß mit dem Verlust der gängigen Feindbilder nun zunehmend Feinde in den vermeintlich eigenen Reihen, bei den Linken gesucht werden. In der sowieso schon immer „pseudokommunistisch“ angehauchten Antifa wird neben der stets liebevoll gehegten Theorie des „Sozialfaschismus“ der „Anti-Anarchismus“ gepflegt: der Versuch, Protagonisten anarchistischer oder undogmatischer Auffassungen in die Nähe des Faschismus zu rücken und sie der Paktiererei mit diesem zu bezichtigen. Hier soll zum einen die Kampagne gegen Silvio Gesell und seine Freiwirtschaftsteorie erwähnt sein, dem man Ökofaschismus, Rassismus, Sexismus, völkisches Denken und was weiß nicht noch alles unterstellte. Gerade diese Kampagne erlebte im letzten Jahr eine jähe Renaissance, die quer Beet von allen Gruppen aufgegriffen und übergreifend betrieben wurde. Eine Neuauflage dieser Hetzkampagne kann man in der Ausgabe der etablierten überregionalen Antifazeitschrift „Der rechte Rand“ erhalten. In einem Aufruf, in dem die Autoren appellieren auf keiner Ebene mit Faschisten zu kommunizieren, wird darauf hingewiesen, daß immer wieder linke Leute den Dialog mit Faschisten suchen. Als historischer Beleg wird unter anderem behauptet, daß schon der anarchistische Humanist Erich Mühsam in den 30er Jahren den Dialog mit den Faschisten suchte. Als Beweis werden nach altbewährter Manier aus dem Zusammenhang und dem historischen Kontext gerissene Sätze aus Mühsams Zeitschrift „Fanal“ angeführt.

Derartige inquisitatorische Hetze ist nicht nur lächerlich, sondern hat eine böse Kontinuität. Schon im Spanischen Bürgerkrieg wurden die anarchistischen und trotzkistischen Milizen von der kommunistisch beherrschten republikanischen „Volksarmee“ unter dem fadenscheinigen Vorwurf der Kollaboration mit den Faschisten entwaffnet und unzählige Milizionäre eingesperrt und abgeschlachtet.

Es ist schon erstaunlich, wie schnell sogenannte Antifas Sündenböcke für ihre diversen Unfähigkeiten suchen und immer wieder finden. Und wie immer wieder versucht wird, über den Faschismusvorwurf vermeintliche „Nebenbuhler“ auszuschalten. Und besonders natürlich, wenn es in den eigenen Reihen nicht so gut läuft.

Fazit: Die Antifaszene taumelt. Während sich der eine Teil langsam darauf vorbereitet, schlafen zu gehen, holt ein anderer Teil die alten RFB-Uniformen raus, kramt die eingestaubten, verbeulten Schalmeien wieder hervor und läßt olle Teddi Thälmann zum 110. Geburtstag hochleben, wie letztens im 3.-Welt-Laden BAOBAB geschehen, wo sich die AAB0, speziell die stalinistische „Rote Antifaschistische Initiative“ unter dem Tarnnamen „Roter Geschichtsarbeitskreis“ einschlich und unter den Augen der etwas peinlich betroffenen BAOBAB-Mitarbeitern (die bis auf einige Ausnahmen erst an jenem Abend begriffen was sie sich schon wieder für ein Ei ins Nest haben legen lassen), eben diesen deutschen Stalinisten hochleben ließen.

Doch man sollte die Hoffnung nicht ganz aufgeben. Immerhin gibt es noch viele gute und aktive Streiter in der Antifa-Szene, die die alltägliche wichtige Arbeit machen. Bleibt zu hoffen, daß wir bald, wie unser aller Kanzler immer gern sagt, die Talsohle durchschritten haben. Bis die Leute wieder merken, daß einfache Raster untauglich und kontinuierliche politische Arbeit mühsam aber unerläßlich ist, dürfen die verbliebenen Antifas die Zähne zusammenbeißen und dreifache Arbeit tun.

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