Die unwiderrufliche Notwendigkeit des großen Bumm Bumm

Und sie besucht weiter fleißig ihren Schauspielkurs, die Gräfin, lässt sich mit Bundesliga-Stars ablichten, mit Tatort-Kommissaren, lächelt in die Kamera, schickt ihre eigenen Kinder ins Harvard Camp, nicht nach Kandahar, Nein, Nein, niemals, die sollen nicht im Sarg zurück. Um Himmels willen! Und die Särge werden angesaust kommen! Unter Garantie. Massenweise.

Von Jannis Poptrandov

Habe ich gerade von meiner Küche gesprochen? Von meiner Herdplatte? Nein, ich muss mich entschuldigen, ich bin verwirrt, durcheinander, völlig balla balla. Ich befinde mich in einer Küche, ja ja, das stimmt, das entspricht der absoluten, reinen Wahrheit, der Mokka zischt hoch, jetzt in diesem Augenblick, auch das stimmt, ich nehme das Kännchen von der Platte, aber das hier ist NICHT meine Küche, Nein, das sind nicht meine vier Wände. Es ist kurz vor Mitternacht und der Neandertaler, er wollte mir nicht glauben, dass nichts passieren kann, dass niemand in diesen Räumen Verdacht schöpfen wird, dass hier sein Zeug absolut sicher ist. Hier? Was heißt hier?
Na los, erzähl schon, vorwärts marsch!
Die Sache ist mehr als simpel, völlig logisch nachzuvollziehen, ohne große Bedeutung. Ich brauchte einen neuen Job und klopfte an die Scheibe dieses Kinderladens. Das war´s. Fertig. Aus. Vorbei. Mehr gibt´s dazu nicht zu sagen. Wann können Sie anfangen?, wurde ich gefragt. Ab sofort, meine Antwort. Sehr gut, sehr gut. Willkommen an Bord. Wählen Sie einen Mitarbeiterschrank. Sie nehmen den Schrank mit dem Frosch? Hervorragend. Eine brillante Wahl. Es handelt sich hierbei um einen äußerst stabilen Schrank aus Edelstahl, dies ist nicht zu unterschätzen, im Gegenteil, dies ist extrem wichtig für die Fortsetzung der Geschichte, der true story, ein außerordentlich bedeutsames Detail.
Ich werde näher darauf eingehen, aber nicht jetzt, gleich, ich bitte um Geduld, erst mal muss ich diese kleine, weiße, griechische Tasse finden, für den Mokka, ich soll mir ein Projekt ausdenken, irgendetwas, Roboter basteln, Müll sammeln, Insekten ins Terrarium packen und füttern, egal was, Hauptsache die Eltern sind zufrieden, aber das sind sie sowieso. Ein Mann! Endlich. Wie wichtig und ungewöhnlich und selten. Ich bin stets frisch rasiert und lächle und die Kinder, sie freuen sich und im Schrank liegt ein verstaubter Weihnachtsmann ohne Kopf, ein in Gips gegossener Fußabdruck, beides Erbstücke meiner Vorgängerin, ansonsten ist der Schrank seit einigen Tagen mit Päckchen gefüllt, vollgestopft, bis oben hin, zack, bis zur Decke, ohne Gnade, absolut nichts passt mehr rein, nichts, ich bekomme die Tür kaum zu, noch ein winziges Staubkörnchen und es macht PENG, hinter dem Frosch stapelt sich das eingeschweißte Glück, das Feuer der Anden für die Kindeskinder der Love Generation, es ist nicht der Igel, auch nicht der Elefant. Nein, der Frosch! Der Frosch ist der große Hüter.
Manchmal pfeife ich, wenn ich in seiner Nähe bin, hinten im letzten Zimmer, summe einen aktuellen Radiohit, und meine beiden Kolleginnen, die Damen in Schwarz, sind misstrauisch, verstehen mich nicht, wie kann man nur so gut drauf sein? Das ist doch ein Ding der Unmöglichkeit! Warte nur ab, denken sie, bis du zwanzig Jahre in diesem Beruf arbeitest, dann wird dir das Lachen schon vergehen. Warte nur ab! In ihrer Gegenwart schließe ich den Schrank selbstverständlich NIE auf, aber das brauche ich nicht großartig zu erwähnen, das versteht sich von selbst, vollkommen logisch, dass ich ihnen das Zeug nicht präsentiere, das Power-Puder im Wert von …
Die Nachfrage ist riesig, monumental, glaubt man den Erzählungen des Neandertalers, alle dreißig Sekunden landet ein Flieger in der Stadt, die easy jet Groupies brauchen ihre Medizin, ihr Marschpulver, ihre Sitzung bei Professor Plemm Plemm, sofort, schnell, schnell, damit sie die Nächte durchstehen, damit sie das Maximum herausholen, kaum verlassen die Kids das Terminal, rollen hinaus in die Freiheit, schon werden sie geschnappt, eingekesselt, umzingelt, ja, der Neandertaler, er bietet 1a Service, direkt am Kunden, seine Schatten sind flink und diskret, allgegenwärtig, besser vernetzt als der geheimste Geheimdienst, nicht nur auf den Flughäfen, überall stehen sie stramm, stecken Scheinchen ein, lassen die Kasse klingeln, wenn er das jetzt alles lesen würde, der Höhlenmensch, au Backe, dann … ich hätte keine Chance, er würde sich sofort auf mich stürzen und meine Augen zu Hackfleisch verarbeiten.
Kein Wunder also, dass er soviel bunkert, dass Señor Frog soviel in Reserve halten muss, das ist wichtig und notwendig, das sichert das Überleben seiner Spezies, das hält die Nationale Ordnung aufrecht, beruhigt die Stimmung im Land, das besänftigt Türsteher, Barbie-Puppen, Priester mit bunt gekachelten Visionen, siebentausend menschliche Zeitbomben aus dem Umland, Sex-Freaks, Finanzberater, Kurdische Zocker, minderjährige Rekruten, ja, die auch! Die erst recht. Die verdrücken am meisten. Ballern sich alles rein was sie kriegen können. Ohne Gnade. Müssen erst mal klar kommen, dass sie von Gräfin Ursula reingelegt wurden. Hier sicherst du deine Zukunft, und die von Deutschland. Haben sich für zehn Jahre verpflichtet, müssen jetzt ihre Nerven in den Griff bekommen. Werden demnächst in die Wüste geschickt, um das Blut aufgeplatzter Pferdeköpfe zu trinken, um staubige Steine zu bewachen, bevölkert von Sandflöhen und der Ritsch-Ratsch Bande.
Und gleich morgen früh werden die nächsten Kids in den Bundeswehr Showroom geschleift, von ihren Lehrern, im Gänsemarsch, hopphopp, auf zur Friedrichstraße 147, eine hervorragende Perspektive, die Bundeswehr, jaja, natürlich, bei der Auswahl heutzutage, täglich zehn Stunden Handy-Verträge aufquatschen oder Kotze auf Bahnhöfen wegwischen oder Supermarktregale auffüllen, Nein, Nein, dann lieber das Abenteuer wählen, Superheld sein, in ultracoolen Tarnklamotten, merken jetzt, auf dem harten Boden liegend, dass … diese riesige Kakerlake … siebenunddreißig Augen hat … und immer näher und näher kommt … die messerscharfen Zähne … an denen blutige Gehirnmasse klebt … Wählen also die Nummer des Neandertalers. Brauchen unbedingt das ZEUG, das große C, Nasi Goreng. Die Nerven müssen stabilisiert werden. Aber das hatten wir schon. Sind jetzt bereit für die große Sause, die staatstragende Mission. Der Neandertaler sorgt für das Durchhaltevermögen, das Motivations-Pulver im Marschgepäck. Sehen dort, in der Wüste, durchgeschnittene Kehlen und verstümmelte Kinderbeine und ausgerissene Zungen, bekommen einen Lachanfall, Tränen zischen aus ihren Augen, sie schwitzen, beginnen zu zittern, und das hier ist jetzt keine Bundeswehr Reality-Soap auf youtube, das hier ist nicht Die Rekruten – Deine Grundausbildung als Webserie, Nein, das passiert wirklich, die Lippen färben sich blau, sie pumpen Luft in ihre Lungen, hektisch, immer heftiger, sie pinkeln sich ein, alles voll, klitschnass, eine gigantische Pfütze, und kurz vor dem finalen Ende, kurz bevor sie von der Kakerlake ver-schlungen werden, rufen sie nach ihrer Mammi.
Und Gräfin Ursula, sie wird beklatscht, gibt Autogrammstunden,tritt in Talkshows auf, darf dort kostenlos ihr Produkt vermarkten. Stellen Sie sich vor, es ist Krieg und keiner geht hin, dann kommt der Krieg zu uns. Erhält täglich Schauspielunterricht, muss die öffentliche Meinung auf Kurs bringen, die Botschaft verklickern, die unwiderrufliche Notwendigkeit des großen BUMM BUMM predigen. Hillary steht leider nicht mehr zur Verfügung, also muss die Gräfin ran. The point of no return ist erreicht, schon lange, das soll sie verkünden, so lautet die Regieanweisung, die Marschroute. Hinz und Kunz müssen begreifen, dass das nicht mehr so weiter gehen kann. Das ewige Eierschaukeln. Hartz IV kassieren. Jetzt wird’s ernst! Das Land muss runter vom riesigen Sofa, und zwar pronto! Das ist die klare Ansage der Gräfin. Und natürlich! Sie darf in die Staatskasse greifen, darf soviel Kohle verballern wie sie will, gigantische Summen verjubeln für die Internetpräsenz ihrer Truppe auf facebook, twitter, instagram, youtube, spiegel.online, gmx.de, kicker.de, playboy.de, usw., usw., damit sich ihr Produkt ins Bewusstsein drängt, allgegenwärtige Präsenz zeigt, zur NORMALITÄT wird, wie Würstchen braten, Kinder zur Schule bringen. Ja! Das ist der große Plan! Soldaten als Normalität. Deshalb ihre Plakate, überall im Land, diese Dinger mit dem Tarnmuster, dem Eisernen Kreuz, ÜBERALL, unübersehbar, an jeder Ecke, ihre Wir. Dienen. Deutschland. -Boys und -Girls.
Und der Spaß geht weiter, die Party hat noch lange nicht den Siedepunkt erreicht. Ursula schläft nicht, ist auf Zack, hat grandiose Ideen, verkauft ihren youtube-Knaller Die Rekruten – Deine Grundausbildung als Webserie an RTL 2, an den Lieblingssender der perspektivlosen Kids aus den Randbezirken, den tristen Vorstädten, den verfallenen Dörfern. Eine taktische Meisterleistung! Halligalli in den Kasernen, Super-Fun, Anerkennung, glühende Kameradschaft, göttliche Ehre flimmert zur besten Sendezeit in die Zimmer der Sechzehnjährigen ohne Schulabschluss, deren einziger Lebensinhalt der Besuch der Shisha-Bar im Nachbar-Ort ist. Und nicht nur Ursula reibt sich die Hände, lässt Sektkorken knallen, nein, auch der Neandertaler. Na klar, völlig logisch warum, muss nicht mehr großartig erklärt werden. Die Frischlinge werden in Uniformen gesteckt, müssen durch Jauche kriechen, in Schweine-Pisse baden, brauchen Motivation, bekommen die Nummer des Höhlenmenschen und so schließt sich der goldene Kreis, die heilige Allianz. Die Gräfin und der Neandertaler. Das Traum Duo. Arbeiten Hand in Hand. Können sich aufeinander verlassen. Aber nur Ursula bekommt das Bundesverdienstkreuz.
Und sie besucht weiter fleißig ihren Schauspielkurs, die Gräfin, lässt sich mit Bundesliga-Stars ablichten, mit Tatort-Kommissaren, lächelt in die Kamera, schickt ihre eigenen Kinder ins Harvard Camp, nicht nach Kandahar, Nein, Nein, niemals, die sollen nicht im Sarg zurück. Um Himmels willen! Und die Särge werden angesaust kommen! Unter Garantie. Massenweise.
Die Panzer sind blitzblank geputzt, noch 438 Tage und es geht los, das gigantische Feuerwerk, das größte Badabumm aller Zeiten, die Gräfin weiß Bescheid, ist bestens informiert … letztens jedoch … dieser amerikanische General, gemeinsam mit Ursula zu Gast im Zweiten Deutschen Fernsehen, gibt alles andere als Zunder, quatscht dummes Zeug, behauptet, dass verhandelt werden muss, keine Bomben werfen, Nein, keine Bomben, und das alles live und in Farbe … Unfassbar! … Was hat sich die Maybrit nur dabei gedacht, diesen Hampelmann einzuladen? Diesen Hanswurst. Pazifisten-Sau! Alles andere als hilfreich. Völlig daneben. Kontraproduktiv. Nein, das geht so nicht, der mächtige Knall MUSS kommen, schließlich will sie in die Geschichte eingehen, schließlich sollen Straßen nach ihr benannt werden, Plätze, Universitäten, Flughäfen, aber das geht nur wenn …
Sie beschwert sich, an oberster Stelle, beim großen Koordinator, dem Kerl mit der strahlend weißen Uniform und dem Stock, der aus zweieinhalb Kilo Elfenbein besteht und mit 670 Diamanten bestückt ist. Ursula verlangt eine Erklärung, bekommt eine saftige Ohrfeige, einen Tritt in den Hintern, wird angebrüllt, soll sich nicht in Dinge einmischen von denen sie keine Ahnung hat, soll ihre vorlaute Klappe halten, und jetzt versteht sie, die Gräfin, es macht Klick, alles nur Show, das Gequatsche von den Verhandlungen, taktisches Ablenkungsmanöver, um die Gegner in Sicherheit zu wiegen, ja sie versteht, beginnt zu weinen, bittet um Vergebung, küsst dem großen Koordinator die Füße, Schmatz, Schmatz, bekommt eine weitere Ohrfeige und eine letzte Chance. Noch so ein Ding und sie ist weg vom Fenster, ohne Probleme, irgendetwas wird sich schon finden um sie los zu werden, fertig zu machen, kalt zu stellen, so wie damals Karl-Theodor Von und Zu, der es wagte sich den heiligen Anweisungen des großen Koordinators zu widersetzen, und dementsprechend …
So, jetzt aber genug gelabert, ich bin schließlich nicht hier um zu philosophieren, den Adorno zu spielen, ich bin hier um etwas zu erledigen. Ihr wisst schon, der Neandertaler. Er wartet. Ich schnappe mir das Telefon, nicht meins, das vom Kinderladen, ich verdiene zu wenig, ich muss sparen, und wähle seine Nummer.
„Wie viel brauchst du?“
Er nennt die Anzahl der Päckchen.
„Wo treffen wir uns?“
Er nennt den Ort. Er möchte, dass ich in zwanzig Minuten da bin.
„Das schaffe ich niemals.“
„Dann nimm ein Taxi.“
„Ich bin in einer Stunde da.“
„WAAAS!?“
Ich lege auf.
Zehn Sekunden später klingelt erst das eine, dann das andere Telefon.

Jannis Poptrandov, hört, während er Gedichte schreibt, Sibelius in voller Lautstärke. Die Nachbarn beschweren sich und er dreht die Anlage bis zum Maximum auf.
Er lebt in Berlin.