Wie Walter Gorrish Episoden aus dem Spanischen Bürgerkrieg erzählte

Von Hans Scherner

Ich war ein Kind, das in Geschichte genau hinhörte. Insbesondere, wenn jemand gewonnen oder verloren hat, und warum. Die Lehre war einfach: Ob beim Spartakusaufstand die Sklaven, oder im Bauernkrieg die Bauern, oder in der Pariser Kommune die Pariser, in der Novemberrevolution die Spartakisten, oder im Spanischen Bürgerkrieg die Volksfront: Wenn die fortschrittlichen Kräfte unterlegen waren, lag das an der Rückständigkeit des Proletariats, am Verrat der Sozialdemokraten und dem Fehlen einer führenden Partei neuen Typs, wie z.B. der SED. Die hatte aus der Geschichte die Lehre gezogen, die Macht nicht mehr aus den Händen zu geben.
Das hörte ich mir lange an. Ich schrieb mir diesen Generalplatz aber nicht auch noch von der Tafel ab. Wegen mangelnder Heftführung bekam ich Fünfen und musste in den Ferien für meine Eltern nachpinseln.
Vielleicht 1963/64 hatte ich mich eines Mittwochs fein gemacht, mit weißer Pionierbluse und blauem Halstuch. In den Pioniernachmittag kam Walter Gorrish. Ich kannte den großen hageren Mann, der auf mich Verstand und Würde ausstrahlte. Gorrish war richtig Arbeiter gewesen, Kommunist, Spanienkämpfer, zur Roten Armee übergelaufener Soldat des Strafbataillons 999, Filmemacher und nun Kandidat des ZK.
Was er in die Klasse hinein über den Spanischen Bürgerkrieg sagte, wusste ich freilich bereits. Bei zwei Episoden habe ich aber hingehört und mir diese gemerkt:

I Über den Stolz der Spanier

Spanier sind ein stolzes Volk. Sie setzen den Wasserkrug nicht an die Lippen, sondern schütten von oben in den Mund. In einer Kampfpause gehen die Interbrigadisten in eine Senke, in der ein Kirschbaum voller Früchte steht. Kirschen prangen rot im grünen Geäst. Eine erholsame Pause inmitten des Krieges. Die Kämpfer essen genüsslich von den Früchten. Da kommt der Bauer und haut den Baum mit einem Beil um.
In meiner Kinderseele schlug sich nieder, dass der Kampf für die Befreiung Anderer, geradezu eines anderen Volkes, womöglich missverständlich ist. Allein schon wegen der Andersartigkeit.

II Über die Anarchisten

Von Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg war mir als Kind angetragen worden, dass sie an der Niederlage des spanischen Volkes mitverantwortlich waren. Sie ordneten sich keiner Disziplin unter. Sie lehnten sogar ab, in diesem mit modernen Waffen geführten Krieg Schützengräben auszuheben, und fielen scharenweise im Kugelhagel der Faschisten. Die armen Kerle. Na ja, mit (politischer) Disziplin hatte ich auch meine Probleme. Daher vielleicht das wiederholte Warnen vor den Anarchisten durch meine Eltern.
Gorrish erzählte an jenem Nachmittag dem Schlusse näherkommend, als wäre es grad gestern gewesen:

In ruhmreicher Schlacht.

In einer der Schlachten, (war es am Ebro, war es am Jarama?), hielten Kämpfer der Interbrigaden mit einfachen Gewehren ihren in gerader Linie auf einer Anhöhe gezogenen Schützengraben. Sie kämpften heldenhaft gegen den anrückenden übermächtigen Feind. Und die anrückenden Moros, die von Franco mitgebrachten Marokkaner, waren waghalsig und nicht zimperlich. Da kamen von weit links und rechts je ein deutscher Panzer den Schützengraben mit MG-Feuer entlanggefahren. Für die Interbrigadisten gab es kein Entrinnen. Die Panzer hatten freies Schussfeld auf die Unseren, insbesondere, weil der Schützengraben (von den Kommandierenden?) nicht im Zickzack angelegt war; wie man schon im ersten Weltkrieg gewusst hatte, dass das getan werden muss. Um nicht mit einem Mal ausgelöscht zu werden.
Ich hatte den Eindruck, mit seinen Geschichten ging Gorrish etwas über das hinaus, was er ansonsten öffentlich äußern würde. Für uns Kinder. Ich fühlte mich geehrt. Und hatte im Weiteren viel Gelegenheit, mich an derlei erinnert zu fühlen, wenn es um Siegen oder Unterliegen geht.

Zu Walter Gorrish einige Ergänzungen durch die Redaktion:
Gorrish (1909 – 1981) wurde nach Volksschulbesuch in Wuppertal Stukkateur, trat 1928 in den Kommunistischen Jugendverband (KJVD), 1931 in die KPD ein.
1933 emigrierte er in die Niederlande, Belgien und Frankreich. 1936 wurde er Interbrigadist in Spanien, zum Offizier befördert, war Adjutant von Ludwig Renn, dem Stabschef der XI. Internationalen (Thälmann-) Brigade. 1939 wurde Gorrish in Frankreich interniert und nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht 1940 an diese ausgeliefert. In Deutschland kam er für drei Jahre ins Zuchthaus, dann ins Strafbataillon 999. Beim Einsatz des Strafbataillons an der Ostfront desertierte Gorrish zur Roten Armee. 1945 kam er nach Deutschland zurück und war am Aufbau der Polizei in der Sowjetischen Besatzungszone beteiligt. Ab 1949 war er freischaffender Schriftsteller, schrieb Romane und Drehbücher, sein wohl bekanntestes Drehbuch war das für den DEFA-Film „Fünf Patronenhülsen“ (1960; Regie: Frank Beyer; mit den Schauspielern Erwin Geschonneck, Manfred Krug, Armin Mueller-Stahl, u.a.), dessen Handlung im Spanienkrieg spielt. Er war Mitglied im Deutschen Schriftstellerverband und Kandidat des Zentralkomitees der SED 1963 – 1967.

Hans Scherner lebt nach Arbeit in der Jugendhilfe berentet aber historisch
interessiert in Berlin.