Bohème und Diktatur in der DDR, Gruppen, Konflikte, Quartiere. 1970 – 1989.
Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin.
von Dirk Teschner
(Aus telegraph #1 _ 1998)
Bohème war in der DDR kein gebräuchlicher Begriff, vielmehr führt er jetzt zu einer entpolitisierenden und nostalgischen Verklärung. Eine Bohème im Niemandsland ! – heißt es in der Ausstellung. Avantgarde in der DDR ! – ist dem zu entgegnen, aber dann wäre es eine völlig andere Ausstellung geworden, die aus Sponsoren- und tagespolitischen Gründen niemals eine Chance auf Realisierung gehabt hätte.
In der Ausstellung wird versucht alles was Künstler, Literaten, Pop und politische Opposition in der DDR war – jenseits von Hager und FDJ – zu einem großen nationalen Märchen aufzublähen. Mit allen Leiden und Schmerzen ist die DDR zum nationalen Erbe geworden – schrieb der Direktor des Deutschen Historischen Museum Christoph Stölzl im Vorwort des zur Ausstellung erschienenen Katalogs. Wie es um die konzeptionelle Haltung der Ausstellungsmacher Claudia Petzold und Paul Kaiser steht, zeigte sich an der Gestaltung der Museumsräume. Eine Mischung aus Gulag-Flair und Kleingärtnerromantik. Sinnlos platzierte Holzwände zerschneiden die Räume und errichten so, ein zeitlich und thematisch geteiltes Heimatmuseum.
Am Eingang der Ausstellung passieren wir einen Raum mit bemalten Klotüren bedeutender Bohemiens, um gleich darauf mit einer geballten Ladung Underground-Musik konfrontiert zu werden. Auf der rechten Seite wurde exemplarisch die Musikformation Freygang mit Konzertbildchen und Auftrittmitschnitten gewürdigt. Rechtzeitig bemerkte deren Sänger André Greiner-Pol, daß mit der Ausstellung auch Kohle zu machen ist, und drohte bei Nichtzahlung eines Honorars für die zur Verfügung gestellten Exponate mit der Gema und Liebesentzug. Dafür wurde er mit einem Auftritt als Salonanarchist der zur Ausstellungseröffnung belohnt. Freygang gegenüber – Hörproben per Kopfhörer. Harte Rhythmen erklingen, von Sandow, Die Art, Gregor Gysi, AG Geige, Günter Schabowski, FEELING B, Christa Wolf, Die Vision, Stefan Heym und Kurt Demmler.
Ein weiteres Highlight der Show über Töpfer, Sammler und Jäger war der Raum über Halle an der Saale. Die Wiege allen revolutionären Handelns und bohemescher Lebensweise, ob in Halle oder Berlin, war die Familie Bohley. Im Haus Friedensstraße 31 in Halle trafen sich 32 Bohleys samt Anhang regelmäßig zum umstürzlerischen Lesekreis. In der baufällig gewordenen, durch die gemeinsame Wirkung von Chemie und Totalitarismus entstellten Stadt Halle fand sich eine echte Intelligenzia, die nicht den Druck des schrecklichen Spiels Èrniedrigung nachgab, das in der gesamten DDR gespielt wurde. Es existierte ein Kreis von Menschen, die einander anhand von halben Worten verstanden, – dazu gehörten Naturwissenschaftler, Künstler, Musiker, Ärzte und Geistliche – beschrieb der russische Biologe Aleksej Parin das nonkonforme Leben im Hause Bohley. Und was da gelesen wurde! Dante, Goethe, Thomas Mann, Hölderlin, Robert Walser, Walter Jens, Franz Kafka, Canetti, Joseph Roth, Kleist und Shakespeare. Wie wir uns so einen Lesekreis vorzustellen haben, zeigen die Fotos in der Ausstellung. Neben langweiligen Gruppenbildern zeigen sie auch zwei Bohley Brüder, abwesend an einer nicht erwähnten Frau rumgrabschen. Das ist bezeichnend für viele Fotos in der Ausstellung. Einige erinnern an Kameradschaftsbilder vom Fronturlaub, aufgenommen im Bordell Boheme. Unterzeilen solcher Fotos lauten dann: Drang nach Freizügigkeit, erotische Abenteuer, die freie Natur bot unentfremdete Aktionsräume zwischen Ostseeurlaubern und Radfahraktionen, Wanderbruderschaften und Lebensreform-Anklängen oder eindeutige Gesten wiesen die Richtung beim tabulosen Miteinander.
Aber noch einmal zurück zu den Lesekreisen. Eine ähnliche bedeutende Literaturwiderstandsgruppe wie in Halle gab es auch in Dresden. Dort veranstalteten Christine und Steffen Heitmann einen Hauskreis und Notwehrfeste. Der Werdeganges von Steffen Heitmann wurde in der Ausstellung nicht kommentiert, ganz zu schweigen von aktuellen politischen Ereignisse, wie die erfolgreiche Verhinderung der Ernennung von Hans-Jochen Vogel aus Chemnitz, der in der Ausstellung als Unterstützer der Szene in Karl-Marx-Stadt gewürdigt wird, zum Gefängnisseelsorger in Sachsen durch Heitmann in seiner Funktion als Justizminister Sachsens. Denn H.-J. Vogel und andere Kollegen betrieben in der Zeit, als Heitmann Bundespräsident werden wollte, öffentliche Aufklärungsarbeit über das Handeln Heitmanns vor und nach 1989. Während Frau Christine ihren Sammeltassenschrank für den Hauskreis öffnete, hielt Steffen Heitmann die Türen seiner Kirche für Oppositionelle fest verschlossen. Aber auf politische Themen wollten die Ausstellungsmacher nicht eingehen.
Keine DDR – Ausstellung ohne Stasi. Um einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Problematik aus dem Weg zu gehen, bedurfte es eines Alibi – Spitzel. Deshalb wurde ein großes Foto von Sascha Anderson präsentiert, mit der Unterzeile: Das Arschloch. Es war das einzige Foto in der Ausstellung ohne Quellenangabe. Dem Foto gegenüber wurden dann in einer Endlosschleife Filme der Sendung Kontraste vorgeführt, die Sascha Andersons als Stasispitzel bloßstellen sollten. Die Konzentration und Verallgemeinerung der Thematik Staatssicherheit kontra Kunstszene auf eine Person, mit dem Ergebnis Arschloch war exemplarisch. Aber die Ausstellungsmacher wollten ja auf keinen Fall eine politische Botschaft transportieren.
Anders dagegen die in die Gästebücher kritzelnden deutschen Museumsbesucher. Da war von entarteter, undeutscher Kunst bis zu staatstragender Literatur der DDR die Rede. Mehrere Schulklassen betonten, daß sie gezwungen worden seien, die Ausstellung zu besuchen, aber: Das schönste an der Ausstellung waren die vielen Titten auf den Fotos/ Schüler der EWOS ( Erich-Weinert-Oberschule). Interessant auch die Beschwerde eines deutschen Patrioten, der die Ausstellungsecke über Kunst in der Ständigen Vertretung der BRD kritisierte: Der Begriff BRD ist eine Erfindung der Stalinisten und die Verwendung in der Ausstellung zeigt, daß die Organisatoren sich noch nicht freigemacht haben vom Ungeist der DDR.
Alles im allen also eine gelungene Ausstellung, eine Ausstellung die dem Kanzler Freude macht.
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