von MaG
(Aus telegraph #1 _ 1998)
„Willst du nicht was über Internet schreiben?“ fragte man mich, als der „neue“ telegraph etwas konkreter wurde. „Klar, kein Problem“, war meine etwas vorschnelle Antwort. Zu sagen gibt es darüber sicherlich viel, aber wo anfangen?
So spontan fielen mir da einige Sachen ein. Von der Crypto-Debatte bis zum neuen Telekommunikationsgesetz, über Kinderporno, EC-Karten und elektrisches Geld… und natürlich über das Böse in Gestalt kleinweichen Krakentums. Auch über faschistische Umtriebe, Thule & Nordland vereinigen sich gerade wieder(1), wäre sicherlich einiges zu sagen.
Eine der Sachen, die mich an solchen Diskussionen am meisten stören, ist, daß viele eigentlich gar nicht so genau wissen, worüber sie da eigentlich reden. So ziemlich jeder wird irgendwo schon einmal „Internet“ gesehen haben, meistens wohl irgendeine „Homepage“ irgendeiner Zeitung oder irgendeiner Organisation; auch die „Linke“ scheut ja mittlerweile die Präsenz im „Internet“ nicht mehr, die Zeit der Maschinenstürmer scheint langsam vorüber zu gehen. Technik tötet nicht mehr immer…
Aber was „das Internet“ so richtig ist, darüber sind sich die Wenigsten im klaren.
Nun, das ist keine Zeitung für abgehobene Technik-Freaks, aber ich möchte im Folgenden versuchen, zumindest einen groben Überblick zu geben.
„Internet“ ist weniger ein Objekt als eher eine Eigenschaft; will heißen: „Das“ Internet gibt es eigentlich so gar nicht. Techniker unterscheiden zwischen „einem“ Internet und „dem“ Internet, wobei ersteres Voraussetzung ist. „Ein“ Internet ist ein Rechnerverbund, der sich an bestimmte Konventionen hält. Das setzt ziemlich weit unten in der Netzwerkschicht an und hat erst einmal gar nichts mit den später auf dem Netz übertragenden Daten zu tun. TCP/IP (transmission control protocol/internet protocol) heißt das Zauberkürzel, das ein Netzwerk zum Internet macht. Der Witz dabei ist die Art und Weise, wie die Texte/Bilder/Töne oder was auch immer ihren Weg vom Sender zum Empfänger finden. TCP/IP-Pakete „suchen“ sich ihren Weg selber; es gibt per Definition keinen festgelegten Weg, den eine Email oder eine WWW-Seite nimmt (nun, das ist eine recht grobe Umschreibung und stimmt so eigentlich nicht). Hartnäckig hält sich das Gerücht tcp/ip wäre ein Produkt der amerikanischen Militärs, die ein atombombensicheres Computernetz in Auftrag gegeben haben. Eingefleischte Netz-Profies bestreiten das vehement. Fakt ist, daß das ARPA-Net, Vorgänger des Internets, sehr wohl ein militärisches Netz war, das in den frühen 70er seinen Weg in die amerikanischen Unis gefunden hat. Fakt ist aber auch, daß das Militär sich frühzeitig aus dem Computerverbund zurückgezogen hat: die Vorstellung, amerikanische Atom-U-Boote per Modem weltweit dirigieren zu können, war wohl selbst den Amis etwas zu heiß.
Seit einigen Jahren hat auch der Kommerz das Internet entdeckt. Hauptaugenmerk wird dabei auf das World Wide Web gelegt; sämtliche in der Werbung veröffentlichte Adressen beziehen sich auf das WWW.
Aber „das Web“ ist nicht das Internet, es ist nicht einmal der Teil, der das größte Datenaufkommen verursacht. Das Internet wird für eine Reihe von Anwendungen (service oder Dienste) benutzt, die Wichtigsten will ich im Folgenden umreißen.
Eines der praktischsten Sachen ist Email, die elektronische Post. Email ist keineswegs nur auf das Internet beschränkt, mittlerweile sind praktisch alle Computernetze erreichbar (ja, es gibt auch noch andere Netze als das Internet; FIDO ist ein solches, in Deutschland spielt auch das ZNETZ eine gewisse Rolle); zwischen den verschiedenen Netzen bestehen Brückenköpfe (gateways), die die Nachrichten entsprechend umsetzen. Das Praktische daran: Email ist billig, wenn mensch eh Computer nutzt, Email ist schnell, und Email ist international. Es spielt fast keine Rolle, ob ich nach Australien, Frankreich oder Nordafrika schreibe. Aber: Emails sind offene Nachrichten, vergleichbar mit Postkarten. Sie werden u.U. durch Dutzende von Rechnern geschleust, und (fast) jeder kann mitlesen. Es ist ein offenes Geheimnis daß so ziemlich alle internationale Post von staatlicher Seite gescannt wird(2). Drum haben sich ein paar schlaue Leute hingesetzt und Abhilfe ersonnen. Verschlüsselung heißt die Lösung. Am Gebräuchlichsten ist ein Programm namens PGP (Pretty Good Privacy), das für wirklich alle Rechner existiert. Es ist also egal, was für einen Rechner der Gesprächspartner hat, vom PC bis zum Großrechner kann jeder die so verschlüsselten Texte lesen, so er den passenden Schlüssel hat. Das besondere an PGP: es arbeitet asymetrisch, das heißt zum Ver- und zum Entschlüsseln werden verschiedene Schlüssel benutzt. Der Witz dabei: wenn ich den einen Teil des Schlüssels habe, kann ich daraus nicht den anderen Teil ableiten (zumindest nicht so einfach; das ist eine Aufgabe die lösbar ist, letzte Hochrechnungen kommen zu dem Ergebnis, daß, bei vernünftiger Schlüssellänge, das Universum ein wenig älter werden muß als bisher angenommen, um das Ergebnis auszurechnen – die Schätzungen variieren von zwei bis sechs mal so alt – für die Mathematiker: es geht um Primfaktorisierung). Durch diese asymetrische Verschlüsselung wird es möglich, daß ich den einen Teil des Schlüssels offen verschicken kann; jeder der diesen Schlüssel erhält kann mir eine private Nachricht schicken, aber nur der Besitzer des entsprechenden Gegenparts kann den Text wieder lesbar machen. Das Verfahren gilt als sehr sicher. Es ist bisher kein erfolgreicher Angriff auf PGP bekannt, obwohl viele es versucht haben, u.a. Leute, die wirklich Ahnung von der Materie und excellente Hardware haben.
PGP hat es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht, nicht nur in Computerkreisen. In Amerika gilt „harte“ (also nicht triviale) Verschlüsselung als Waffe (abhängig von der Schlüssellänge) und fällt unter das Außenhandelsgesetz. Der Export ist strafbar. Der Autor von PGP (Phil Zimmermann) sah sich mit mehreren Anklagen konfrontiert, von Geheimnisverrat bis Waffenhandel. Übrig blieb zum Schluß „nur“ ein Verstoß gegen das Außenhandelsgesetz. Witzigerweise hat der Staat Amerika letztendlich einen Rückzieher gemacht. Die Anklage wurde fallengelassen, ohne daß in der Sache entschieden wurde. Die Solidaritätswelle war wohl zu groß und die Anklage hatte zu wenig Substanz.
PGP und Verschlüsselung allgemein ist den Mächtigen unheimlich. Es gibt Diskussionen, harte Verschlüsselung zu verbieten, Diskussionen die von erschreckender Inkompetenz der Diskutanten strotzen. Die Politiker wissen einfach nicht, worüber sie reden und sind nicht in der Lage die Problematik zu begreifen (das gilt international). Einer der diskutierten Vorschläge ist das Hinterlegen eines Drittschlüssels (key escow) für jede verschlüsselte Nachricht bei einer „Vertrauens“-Behörde (trust center). Bei den Amis ist dieses Modell durchgefallen, es gab starke Proteste von allen Seiten, am wirkungsvollsten waren wahrscheinlich die Proteste der Banken, für die eine vertrauensvolle Verschlüsselung vital ist. Neuerdings wird dieses Modell auch in Deutschland diskutiert. Interessant sind in diesem Zusammenhang Gerüchte über ein Agreement zwischen der deutschen und der amerikanischen Staatsmacht, daß Kryptographie (also Verschlüsselungstechnik) zu reglementieren ist („Die wesentlichste Äußerung [des BMI] war: ‚Wir können nicht anders, das ist höhere Politik.’“ (3)).
Ein weiterer interessanter Teil des Internets ist das Usenet, eine thematisch sortierte Sammlung von Diskussionsforen. Hier treffen sich die Freaks und Experten mit den Laien. Zu so ziemlich jedem vorstellbaren Thema findet mensch hier Diskussionspartner, von Startrek bis Kochrezepte. Aber auch Fotos von div. wenig bekleideten Damen und Herren, auch „Kinderporno“ soll hier zu finden sein.
Wichtig ist das Usenet vor allem für Technik-Freaks. Hier werden die neuesten Techniken vorgestellt und diskutiert, Fragen beantwortet. Oder aber auch illegal Programme verbreitet. (4)
Aber nicht nur für Technoholiker ist das Usenet interessant. Es gibt auch einen guten Überblick, was in der Welt so passiert. Von den neuesten Intrigen der Lindenstraße kann mensch hier genauso lesen wie von Anarchismus und ob Bakunin das geistige Leitbild von Stalin war, über Polizeiaktionen und Demonstrationen und was die Staatsanwaltschaft so über Zensur in den Medien denkt..
Es liegt in der Natur und in der Tradition des Usenets, daß grundsätzlich jeder zu Wort kommt. Eine Zensur oder Moderation findet i.d.R. nicht statt. Mensch beachte das „i.d.R.“; es gibt sehr wohl moderierte Gruppen, in denen Postings erst nach Sichtkontrolle veröffentlicht werden; das ist aber eher selten und betrifft eigentlich nur das FIDO-Netz.
Ein demokratischeres, aber auch anarchistischeres Medium ist eigentlich kaum vorstellbar. Wirklich jeder kommt hier zu Wort. Das hat aber auch seine Nachteile. Sieht mensch davon ab, daß oft recht abstruse, manchmal auch krankhafte Persönlichkeiten die Gelegenheit nutzen, endlich mal zu Wort zu kommen und ungefragt ihre meistens seitenlangen Ergüsse der Öffentlichkeit feil zu bieten, schlägt auch hier die Marktwirtschaft zu. Obwohl Werbung in fast allen Foren ausdrücklich unerwünscht ist, wird oft das Usenet als billiger Werbeträger mißbraucht. Es kostet fast nichts und erreicht ein breites Publikum. Neben diverser Werbung für diverse Porno-Angebote im WWW (Pamela Anderson scheint immer noch die am meisten erwähnte Person im Internet zu sein, und immer ist sie nackt) wird auch die Spezialisierung der Gruppen ausgenutzt.
Innerhalb des Usenet hat sich eine eigene Gesprächskultur entwickelt. Da es keinen visuellen Kontakt gibt, fällt es oft schwer, genau nachzuvollziehen wie jemand etwas jetzt meint. Eine der Krücken sind die „Smilies“ sowas wie : – ) oder auch ; – ) … mensch drehe das Heft um 90 Grad und weiß was gemeint ist. Es gibt auch soetwas wie einen Verhaltenskode, die Nettikette, an den zu halten empfehlenswert ist. „Flames“, also flammende Anmachen und Beleidigungen sind mehr als verpönt, überhaupt ist mensch zu Höflichkeit angehalten. Dazu gehört auch das Nennen des richtigen Namens als Absender eines Artikels.. Mißachtung der Nettikette zieht erst empörte Antworten, mit dem Verweis an den „Newbie“ (Neuling) an de.newuser.answers (eine der Gruppen, sowas wie eine Gebrauchsanleitung fürs Usenet) nach sich, und wird im Wiederholungsfall mit Ignorieren der eigenen „postings“ bestraft.
Der „kurze Überblick“ ist jetzt schon ziemlich lang geworden, und eigentlich habe ich erst die zwei „wichtigsten“ (das ist Geschmackssache) Möglichkeiten des Internet angerissen. Über das Web ist hier noch gar nichts gesagt, IRC („internet relay chat“, sowas wie digitale Unterhaltungen in Echtzeit) , Mailinglisten, Suchmaschinen, gopher, alles Sachen, die ich eigentlich noch erwähnen wollte. Die Redaktion sagte mir, ich soll zwei Seiten schreiben.. Also werde ich wohl einen Mehrteiler daraus machen. Also: nächstes mal mehr, wahrscheinlich wird es ums Web und „Linke“ in genau diesem gehen.
Anmerkungen:
1) zur Textlegung war das gerade aktuell – das ist allerdings auch schon wieder ein viertel Jahr her.
2) siehe dazu auch die c’t 5/98, wenn es jemand genauer belegt haben will
3) Zitat Lutz D. in de.org.ccc
4) gerade diese illegalen Inhalte werden von einigen Anbietern zum Anlaß genommen, bestimmte newsgroups zu sperren; das neue TKG (Telekommunikationgesetz) sieht eine Haftung des Anbieters für illegale Inhalte vor, von denen er KENNTNISS erhält; im Klartext heißt das, ein Anbieter kann zur Verantwortung gezogen werden, wenn er „WAREZ“ (illegale Raubkopien) oder Kinderpornographie auf seinem „Server“ (also seinem Computernetz) zuläßt. Das ist im Moment noch eine juristische Grauzone – Es gibt dazu bisher keine eindeutige Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang ist auch die Sperrung der „radikal“ im letzten Jahr zu sehen.
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph