aus telegraph #2-98
von Matthias Bogisch, Dietmar Wolf
Der Satz „Wer in Ostdeutschland linke Politik macht, kommt an der PDS kaum noch vorbei.“ ist in letzter Zeit immer häufiger zu hören. Seit dem letzten Bundestagswahlkampf stellt sich die PDS gerne als einzige relevante linke Kraft dar. Viele Linke, die mit Parteien und Parlamentarismus eigentlich nicht viel am Hut hatten, sehen dies ähnlich und geben ihre Stimme bei der PDS ab. Dieser Habitus wird heute von der PDS mehr denn je geltend gemacht. Der nachfolgende Artikel soll Schlaglichter auf die PDS setzen, um diese Partei in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit darzustellen.
Wo wir sind, ist vorn!
Die PDS als Bündnispartner
Eine breite Außerparlamentarische Opposition konnte sich in Ostdeutschland bisher nicht in ausreichendem Maße entwickeln. Bei vielen kränkelnden und um ihre Existenz ringenden Gruppen ist die PDS aufgrund ihrer ökonomischen, organisatorischen und personellen Potenz deswegen ein gern gesehener Partner bei der Durchführung von Straßenfesten, Demonstrationen und sonstigen politischen Aktionen. Besonders in Regionen, wo Strukturen wenig oder gar nicht existieren, ist diese finanzielle und logistische Unterstützung oftmals existentielle Grundlage für linke Aktivitäten.
Diese Hilfe wird natürlich nicht aus Jux und Dollerei, sondern aus politischen Interessen gewährt. Das Vorgehen der PDS ist dabei nicht einheitlich, sondern situationsbedingt. Beim Berliner Bündnis gegen Sozialabbau präsentierte sie sich erfreulicherweise als Teil des Bündnisses und nicht als Wahlpartei, um den außerparlamentarischen Charakter der Aktionen nicht zu gefährden. Hingegen wurden in der Vergangenheit des öfteren Bündnisveranstaltungen mit Wahlkampfmaterialien vom Kondom („In ist, wer drin ist.“) bis zum Kugelschreiber überschüttet. Dies führt nicht selten dazu, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, daß es sich um reine Veranstaltungen der PDS handele. So wurde ein Berliner Bündnisfest zum 1.Mai 1997 im „Neuen Deutschland“ kurzerhand zum PDS- Fest erklärt. Auch die Verteilung des Geldsegens ist von taktischen Erwägungen geprägt. Während das Bündnisfest am 1.Mai 1998 auf dem Kreuzberger Mariannenplatz mit fünfstelligen Geldbeträgen bedacht wurde, hatte die Partei für das Bündnisfest im Prenzlauer Berg nur Gelder aus der Handkasse übrig. Da die PDS in Kreuzberg relativ strukturschwach ist und noch händeringend Wähler für den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde sucht, sitzt sie im Prenzlauer Berg fest im Sattel und kann nicht mehr mit einem großartigen Wählerzuwachs rechnen. Auf ihrer permanenten Suche nach Wählerstimmen – besonders im Westen – ist sie sich dann auch nicht zu schade, ein seit Jahren sehr rücksichtsvoll geführtes tête à tête mit der SED-Schwester-Partei DKP zu pflegen. Trotz des Abgrenzungsbeschlusses vom Schweriner Parteitag ´97 erstaunt doch immer wieder, wie sehr die PDS um ein gutes Verhältnis zur DKP bemüht ist. Regelmäßig ist in den Augen der PDS-Funktionäre blankes Entsetzen zu sehen, wenn es auf diversen Bündnisveranstaltungen zu Auseinandersetzungen zwischen anderen Gruppen und der DKP kommt. Ausgrenzungsforderungen unabhängiger Gruppen versucht die PDS nicht selten mit taktischen Argumenten, wie „Wir dürfen unser altes Klientel nicht verprellen.“, abzuwimmeln. Es ist bemerkenswert, daß sie sich seit Jahren von einer Partei erpressen läßt, die im Osten ca.350 Mitglieder zählt und für PDS–Maßstäbe eigentlich nicht relevant sein dürfte. Bietet die Zusammenarbeit in sozialen Bündnissen für alle Beteiligten Vorteile, ist der Dauerflirt mit westdeutschen Sektierergruppen, wie zum Beispiel der DKP, mit rationalen Beweggründen kaum noch nachvollziehbar.
Problematisch und bedenklich ist, daß die unabhängigen Gruppen durch eine allzu herzliche Umarmung der PDS mit einem verstärkten Identitätsverlust zu kämpfen haben, besonders in Regionen, in denen die unabhängige Linke tendenziell schwach vertreten ist.
Doch wo die PDS Abhängigkeiten schafft, muß es immer jene geben, die sich auf diese Abhängigkeit einlassen. Das Dominanzverhalten der PDS in Bündnissen wird nicht selten erst durch die Bequemlichkeit vieler Gruppen begünstigt. Verantwortung wird nur zu gerne abgegeben. Daß sich diese Gruppen – teilweise auch zu recht – den Vorwurf der Fremdsteuerung gefallen lassen müssen, ist nur zu verständlich.
Ganz anders sieht das bei der alltäglichen Basisarbeit vor Ort aus. Gerade die Basisgruppen und einzelne PDS-Mitglieder sind es, die in ihren Stadtteilen engagiert und selbstlos arbeiten und außerparlamentarisch tätig sind.
Gysis bunte Truppe
Über das Verhältnis von Basis und Überbau in der PDS
Der Spagat, der schon in der Zusammenarbeit mit Gruppen außerhalb der Partei deutlich wird, setzt sich in dauernden Querelen der verschiedenen Fraktionen innerhalb der PDS fort. Um alle Fraktionen bei der Stange zu halten, werden die erstaunlichsten Manöver vollführt. Bis heute setzt sich die Partei nicht konsequent mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinander. Mit Rücksichtnahme auf Wählerklientel werden Gruppen wie die Kommunistische Plattform und das Marxistische Forum seit Jahren stillschweigend geduldet. Politisch werden sie jedoch ausgebremst und ihre Bedeutung in der Öffentlichkeit heruntergespielt. Daß es mit wirklicher Pluralität in „Gysis bunter Truppe“ nicht weit her ist, zeigt ein Beispiel vom Rostocker Parteitag, das in der Öffentlichkeit für Wirbel gesorgt hat. Ein vom Marxistischen Forum eingebrachter und von Uwe-Jens Heuer vorgetragener Zusatz zum PDS–Wahlprogramm wurde in Rostock mit Beifall bedacht. Dies veranlaßte das Präsidium, auf eine Abstimmung zu verzichten und den Antrag direkt ins Wahlprogramm zu übernehmen. Doch zum Erstaunen des Marxistischen Forums fehlten im Nachhinein die folgenden zwei Sätze:„Kritisch durchdacht- im Sinne gründlicher Analyse und konsequenter Auseinandersetzung mit Irrtümern, Fehlern und mit Unrecht – gibt der in der DDR unternommene Sozialismusversuch Mut, an die heutige Gesellschaft neben allgemeinen demokratischen auch sozialistische Maßstäbe anzulegen. Im Ringen um soziale Gleichheit und solidarisches Verhalten zueinander verteidigen wir heute und künftig die Berechtigung und Rechtmäßigkeit einer über den Kapitalismus hinausgehenden gesellschaftlichen Entwicklung auf deutschem Boden.“ In diesem Zusammenhang ist eine Äußerung des Pressesprechers der Partei, Hanno Harnisch, drei Wochen später interessant. In einem Interview in der „Jungen Welt“ erklärte Hanno Harnisch, daß zwei Mitglieder des Bundesvorstandes „ein Gespräch (mit Heuer d.A.) führen“ sollten. Auf die Frage, welches Ziel das Gespräch hätte, erwiderte er : „Ich sage mal, wie es unter Genossen in einer gemeinsamen sozialistischen Partei üblich ist: einen Konsens zu finden. Wozu führt man sonst Gespräche.“ Dieses Beispiel zeigt, wie ernst der Bundesvorstand Entscheidungen der Basis – immerhin in Gestalt eines Bundesparteitages – nimmt. Auch bei anderen Abstimmungen wurde deutlich, daß die Delegierten des Parteitages nur als Manövriermasse betrachtet werden. Einige Abstimmungen, die zuungunsten des Parteivorstandes ausfielen, wurden mit fadenscheinigen Gründen (Zitat Dietmar Bartzsch „Ich bin offensichtlich nicht richtig verstanden worden. Alle, die mit Ja stimmen wollen, heben jetzt die Hand.“) wiederholt, was dazu führte, daß diese Entscheidungen im Sinne des Parteivorstandes ausfielen.
Wer in dieser Partei wirklich das Sagen hat, zeigte in beeindruckender Weise auch die Kandidatenkür für den Bundestagswahlkreis Prenzlauer Berg/Mitte. Ohne die Basis vorher zu fragen, präsentierte das PDS – „Küchenkabinett“ (Gysi, Bisky, Brie und Bartzsch) den abgehalfterten Ex–MAD–Chef Schmähling als ihren Direktkandidaten für diesen Wahlkreis – um ihn dann mit Hilfe der westdeutschen Justiz wieder abzusetzen.
So positiv einzelne pluralistische Bestrebungen innerhalb der PDS auch sein mögen, zeigt sich doch, daß Wahlkampfstrategien und politische Entscheidungen auf einer „höheren“ Ebene ausgearbeitet werden, und somit die PDS in diesem Punkt eine Partei wie jede andere ist. Die Basis gleicht einer Ansammlung von Güterwagen, die vom Rangiermeister nach Gutdünken hin und her geschoben wird, oder um es mit dem Genossen Stalin zu sagen : „Wenn die Linie klar ist, entscheiden die Kader alles.“.
Kämpfer für den kleinen Mann oder ostdeutsches Sparschwein?
Die PDS in kommunaler Verantwortung
Die PDS stellt zur Zeit 196 Bürgermeister und zahlreiche Stadt/Landräte. Einerseits setzen die Mandatsträger alles daran, Regierungsfähigkeit zu beweisen, andererseits stehen sie bei ihren Wählern im Wort und können Zusagen häufig nicht einhalten.
Wie zwiespältig die Bilanz der PDS-Kommunalpolitik ist, zeigt sich am Beispiel des Lichtenberger Bürgermeisters Dr. Friedersdorff, der sich in rührender Weise für besetzte Häuser in der Pfarrstraße eingesetzt hat, die Räumung durch den Berliner Innensenator Schönbohm, General a.D. (CDU) aber trotzdem nicht verhindern konnte. Im Gegensatz dazu glänzt der Bezirk Lichtenberg mit einer „vorbildlichen“ Politik der Haushaltskonsolidierung und wird so zu einem der größten „Sparschweine“ in Berlin; gerade im sozialen Bereich fehlt das Geld an allen Ecken und Enden. Andere PDS–regierte Ostbezirke, die die Sparvorgaben des SPD/CDU–Senats nicht akzeptiert haben, wurden erst mit der Androhung von Zwangsverwaltung der Gelder gezähmt.
Von Bezirk zu Bezirk unterscheidet sich auch die Art der Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen: Während der PDS-Bezirksbürgermeister von Berlin- Hellersdorf Uwe Klett 1997 zusammen mit autonomen Antifas eine Demo gegen einen NPD – Aufmarsch organisierte, stellte der PDS-Kulturstadtrat von Berlin- Marzahn Wolfgang Kieke in diesem Jahr der NPD den bezirkseigenen großen Saal im Freizeitforum Marzahn zur Verfügung, obwohl alle anderen Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung inklusive seiner eigenen Partei dagegen votierten.
Die Frage, ob die PDS den Spagat zwischen Sachzwängen und Wahlversprechen meistern kann, steht im Raum und muß sehr häufig mit Nein beantwortet werden. Das Tolerieren der Minderheitsregierung aus SPD und Bündnis 90 / Grüne nimmt die PDS in die Verantwortung. Bezeichnend ist, daß die PDS in Sachsen–Anhalt ihren Status als Protestpartei gerade bei den Erstwählern zum Teil verloren hat. In Sachsen- Anhalt – zu DDR-Zeiten der Landstrich mit dem höchsten Anteil an industrieller Produktion – findet man die höchste Arbeitslosenquote in den neuen Ländern. In der letzten Legislaturperiode ist es der PDS nicht gelungen, diesen Trend umzukehren und der Bevölkerung zu erklären, warum ausgerechnet das Magdeburger Modell keine Verbesserung der sozialen Situation ermöglichen kann. Das Ergebnis war, daß ein großer Teil der sogenannten Protestwähler, die 1994 noch PDS wählten, diesmal ihre Stimme bei der DVU abgaben.
Wir lieben Euch doch alle!
Die PDS im Parteienspektrum
Die PDS ist auf dem Weg, ihre Rolle als oppositionelle Partei aufzugeben. Sowohl auf programmatischer Ebene, als auch in der Frage der Zusammenarbeit werden Unterschiede zu den anderen Parteien immer mehr verwischt. Klauseln aus Programmen der Wendezeit: „Wir verstehen uns als eine antikapitalistische Bewegung mit sozialistischen Zielsetzungen. Nur bei Veränderung der Eigentumsstrukturen können die Mißstände (…) beseitigt werden.“ (Wahlaussage 1990) steht eine fast gleichlautende Aussage aus dem Wahlprogramm 1998 gegenüber: „Die PDS ist die sozialistische Partei der Bundesrepublik. Sie nimmt in den sozialen und politischen Auseinandersetzungen radikaldemokratische und antikapitalistische Positionen ein.“
Wahlaussagen sind das eine, die Realität ist das andere. Eine Partei, die eine Innovationsbank – Ost fordert und ständig bemüht ist, sich vom Radikalismusvorwurf der anderen Parteien reinzuwaschen, hat die Hafeneinfahrt der bundesdeutschen Gesellschaft bereits passiert. Dies wird durch eine zunehmende Akzeptanz bei den ostdeutschen Mitgliedern und Funktionären der anderen etablierten Parteien deutlich. In einer vom „Spiegel“ zitierten Studie des Politikwissenschaftlers Bodo Zeuner würden 11 Prozent der CDU – Fraktionsvorsitzenden mit der PDS kooperieren und 26 Prozent würden sich einer Zusammenarbeit in den Kommunen und Landkreisen nicht entgegenstellen. 85 Prozent der befragten SPD – Fraktionsvorsitzenden sehen die PDS auf Kreisebene als ganz normale Partei, 41 Prozent sogar in Bund und Ländern. 69 Prozent bei der FDP betrachten die PDS als eine Partei wie alle anderen. Am erstaunlichsten sind die Zahlen der Bündnisgrünen: hier würden 87 Prozent der Befragten mit der PDS in ostdeutschen Stadträten zusammenarbeiten, 51 Prozent können sich sogar eine Zusammenarbeit auf Bundesebene vorstellen.
Es ist seit Jahren gängige Praxis, daß – quer durch alle Parteienlager – Posten verschoben und Bündnisse quer durch alle Konfessionen geschlossen werden. Laut „Spiegel“ behaupteten schon vor 3 Jahren 30 Prozent aller PDS–Funktionäre „gelegentlich oder häufig mit der CDU zu kooperieren“. So ist es möglich, daß zum Beispiel in Thüringen 27 PDS–Bürgermeister regieren, ohne in einer der Gemeinden über eine absolute Mehrheit zu verfügen.
Wer uns wählt, wählt nie verkehrt!
Zur Wählbarkeit der PDS
Ein in der „Linken“ oft bemühtes Argument lautet „wer nicht wählt, wählt rechts“. So wird behauptet, die immer größer werdende Partei der Nichtwähler trage dazu bei, daß rechte Parteien immer bessere Wahlergebnisse erzielen. Den „Rechten“ den Zugang zu den Parlamenten zu verwehren, ist sicherlich notwendig. Doch das läßt sich nur über konsequentes antifaschistisches Engagement erreichen. Nur wenn rassistische und nationalistische Inhalte von einem Großteil der Bevölkerung geächtet werden, können die Rechten nicht in Parlamente einziehen.
Nach all dem Gesagten bleibt auch bei der PDS die Frage, ob man es dem Wähler überhaupt zumuten kann, seine Stimme „abzugeben“. Während der gesamten Legislaturperiode trägt der Wähler für alle Entscheidungen Mitverantwortung – reale Einflußmöglichkeiten hat er nicht. Dazu bemerkte Rousseau schon im 18. Jahrhundert: „Das englische Volk bildet sich ein, ein freies Volk zu sein, aber es täuscht sich gewaltig; frei ist es nur während der Wahl der Parlamentsmitglieder; sobald sie gewählt sind, ist es Sklave, ist es nicht. [… ] Ab dem Moment, in dem ein Volk Repräsentanten wählt, hört es auf, frei zu sein.“
Wir haben fertig!
Die PDS stellt sich äußerst widersprüchlich und vielschichtig dar. Nicht selten werden positive Ansätze, die auf allen Ebenen der PDS erkennbar sind, durch die eigene Partei konterkariert. Sie ist eine klassische Partei mit in letzter Konsequenz klassischen Strukturen. Politischer Pluralismus wird häufig der Parteiräson geopfert. Die von der Parteiführung vorgegebene Marschrichtung ist offensichtlich. Die PDS soll dauerhaft zum festen Bestandteil des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland werden. Sie unterwirft sich schon jetzt den Regeln des Systems und wird auf längere Sicht von der BRD sozialisiert. Die Systemfrage wird nicht gestellt, statt dessen beteuert man immer wieder, sich auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bewegen. Letztendlich ist die Partei PDS nur eine Pseudoalternative zu den anderen Parteien. Es ist nicht ersichtlich, wie sie ihre sozialistischen Zielsetzungen unter Beibehaltung ihres derzeitigen Struktur- und Politikverständnisses verwirklichen will.
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