aus telegraph 2/98
von Dirk Teschner
“ Das war schon zu DDR-Zeiten so, es gab immer Interesse von Künstlern an Politik, während es nie Interesse der Politischen an Kunst gab… Das Interesse ist immer sehr einseitig, und wenn die Kunst nicht mehr gebraucht wird, wirft jeder Politiker die Kunst sehr schnell über Bord.“
Was kann Kultur im momentanen gesellschaftlichen Kontext bewirken, welchen Stellenwert hat Kultur in einer linken Debatte?
Vor allem die seit Jahren in Berlin vor sich herboomende Kunst- und Clubszene, die sich im Osten in maroden Kellerräumen, seit Jahrzehnten leerstehenden Läden des Einzelhandels und in Hallen der zerschlagenen DDR-Industrie etablierte, führte zu einer gespaltene Beziehung.
Im Westen wird eine Kampagne, unterstützt von den Zeitschriften Konkret, Jungle World und diversen Autonomen-Blättchen, gegen „Kulturlinke“ oder „Poplinke“ geführt. Im Osten haben im wesentlichen Vertreter einer Yuppisierungs-Erklärung, einer lustfeindlichen political correctness oder der Heisig-Freunde der guten alten Sozialistischen Realismus-Schule, Akzente gesetzt. Die Sichtweise der Rechten und der systemerhaltenden Kulturschaffenden und Kritiker soll uns jetzt nicht weiter interessieren.
Das verwundert nicht weiter, gibt es doch aus dem Lager der im Osten agierenden Kulturaktivisten nicht viel Theoretisches zu vermelden. Das ist im Anbetracht einer rechten Jugendkultur um so ärgerlicher. Wir dokumentieren zwei Manifeste von den Gruppen T-set und U-Kunst. Sie beleuchten den im Kunstkontext in der Minderheit auftauchenden Ansatz von Produzenten, sich dem kapitalistischen Kunstmarkt entziehen zu wollen.
Mit dem Namen U-Kunst wurden vor allem in Berlin shops für Kunst, für meist kurze Zeit, in leerstehenden Läden geschaffen. Die Arbeiten sollen für alle bezahlbar sein, so wie das Bier soll auch die Kunst für alle in Besitz genommen werden. Das übliche Abhängigkeitsverhältnis zwischen Künstler und Galeristen soll abgeschafft werden.
Dirk Teschner
Vorschlag zum ersten Realisierungsschritt Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, und es ist seltsam still. Nicht nur, daß nahezu alle Beteiligten in einer angenehmen Starre versunken scheinen. Die einzig wahrnehmbaren Aktionen sind entweder auf eine Besitzstandswahrung ausgerichtet oder auf den verzweifelten Versuch, mit allen Mitteln doch noch zum vermuteten einen Drittel der Gewinner vorzustoßen. Das letzte Überbleibsel des gesellschaftlichen „Transformationsriemens“ wird so zum letzten Angebot einer Illusion in der sich erneuernden Gesellschaftsformation der völligen Individualisierung. Es ist zugleich die Grundlage dieser Veränderung und Mythos der Zukunft: Jeder ist seines Glückes Schmied.
In Phasen des Wandels ist aufgrund der historischen Erfahrung und daraus resultierend einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung mit aktuellen und visionären Einlassungen aus dem künstlerischen und intellektuell/wissenschaftlichen Bereich zu rechnen. Aber auch hier ist es mehrheitlich ruhig, so daß es scheint, als ob die traditionelle Autonomie dieser Bereiche im Zuge der gesellschaftlichen Umstrukturierung verloren gegangen wäre.
Was ist los mit den Künstlern, wo ist ihre visionäre Kraft?
Die Kunst hat sich dem Primat des Kapitalismus ergeben und ist zur Ware geworden, die sie eigentlich nicht sein kann auf einem Markt, der eine Fiktion ist. Endlich erscheint die Kunst in einem klaren Licht: nur die Ware, die sich auf einem Markt behauptet, ist der Beachtung würdig, hat sie doch einen Wert. Die Künstler scheinen, schon aus Gründen der Existenzsicherung, nicht zum Widerspruch bereit, oder werden aufgrund ihrer „Wertlosigkeit“ nicht wahrgenommen. Denn die Rezipienten besitzen nun ein geeignetes Mittel zur Kategorisierung – Benjamin zum Trotz gewinnt die marktwerte Kunst ihre Aura zurück. Die stil- und wertsicher gewordene Kunst füllt die Sammlungen der Welt mit den immer gleichen Ikonen der Kunstgeschichte und okkupiert so die Kunst als ereignis- und zeitlosen, aber kulturell bedeutenden ästhetischen Ausdruck.
– Kunst ist aber ein Akt der Kommunikation.
– Der Wert der Kunst ist ideell, nicht materiell.
– Die Definition der Kunst obliegt dem Künstler, nicht dem Markt.
So ist die Zeit reif, in die Vergangenheit zu schweifen und etwas Altertümliches zu tun. Kraft zu schöpfen, um dem Gesellschaftsphänomen der zunehmenden Individualisierung und des drohenden Verlustes des freien künstlerischen Ausdrucks etwas entgegenzusetzen: Wir bilden eine Gruppe.
Die Gruppe ist die einzig denkbare Antwort auf die „angenehme Starre“ der Einzelnen, sie ist Netzwerk und Resonanzboden im Dienst der Gruppenmitglieder. Die Gruppe soll eine Konzentration und Stärkung von Kräften ähnlicher Wachheit, Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit in der künstlerischen Arbeit gewährleisten, ohne eine formale Annäherung des künstlerischen Ausdrucks anzustreben – um deren Verhinderung es ja gerade geht.
Die Gruppe tritt an, ihre Kunst aus dem Verwertungszusammenhang zu lösen, damit Visionen entwickelt werden können. Sie tritt an, dem definitionsgewaltigen Kunstmarkt und seinen öffentlichen Agenturen (Galerie, Museen etc.) ein Risiko gegenüberzustellen: die Kunst für die Kunst. Und nicht zuletzt den erlebnishungrigen Rezipienten zu zeigen, daß die Kunst ein Informations- und Kommunikationsangebot ist, dessen Wert mit dem Attribut „teuer“ nicht erschöpfend beschrieben werden kann.
Die Gruppe verzichtet auf das formende Geld des Kunstmarktes und besinnt sich auf die eigene kreative Kraft. Sie bietet die Nutzung dieser Kraft feil, ohne sie als Kunst zu verstehen: sie nutzt ein künstlerisches Potential, um die materielle Voraussetzung für die unabhängige künstlerische Arbeit und deren Präsentation zu schaffen. Der besondere Charakter der angebotenen Dienstleistung ist, sie als Produkt der Kunst zu begreifen, das für einen anderen Bereich einen hohen Nutzen hat (spin off). Sie dient nicht dem Beginn einer Karriere in der Kommunikationsbranche, sondern existiert nur, solange die Gruppe ihrem Zweck, der künstlerischen Verwirklichung der Gruppenmitglieder, treu bleibt.
Die Gruppe emanzipiert sich vom Mythos der geldwerten Kunst, löst sie aus ihrem Verwertungszusammenhang und aus dem Sog der Gesellschaftsentwicklung. Damit stellt sie den Freiraum zur Verfügung, der für Neuerungen notwendig ist. Sie tritt offensiv mit Ausstellungen und Veranstaltungen an die Öffentlichkeit, um den Informations- und Kommunikationscharakter der Kunst zu vermitteln. Sie finanziert ihre Kunst mit eigenem Mitteln, ganz im Sinne eines „Selfsponsorings“, und stellt sich gegen die Vereinnahmung der Kunst durch den Markt.
Erklärung der Gruppe T-set U-Kunst Theorie
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: es ist schwer zu verstehen! Einzig, der sich aus kennt, wird in der Lage sein, auch nur annähernd die Komplexität von U-Kunst in ihrer Identitätsproblematik nachzuvollziehen, nicht nur aus Gründen der begriffsdefinitorischen Stringenz, sondern vielmehr im Hinblick auf die polyformen Erscheinungs- und Welterzeugungsweisen, als eine möglichst treffende Deskription, fokussierend auf eine identitätsstiftende Authentizität.
Gilt es also die Frage zu klären, wer oder was U-Kunst ist, ohne diesen unsäglichen Zustand des Festgenageltseins erleiden zu müssen, und dennoch gleichwohl den Nagel mit einem einzigen Paukenschlag einzuschlagen, einem gewaltigen Manifest gleich:
1. U-Kunst ¹ Kunst
2. Die logische Operation widerlegt sich in der Eindeutigkeit von Kunst selbst.
Wer versteht Kunst 70% glauben, daß es bei Kunst nichts zu verstehen gibt, wissen nicht warum ein Bild 10000,- kostet und ein anderes nur 5000,-, aber im Grunde ist das ihnen auch völlig egal.
25 % bedauern, daß ihnen die nötige Bildung fehlt, aber vielleicht steht ja im Katalog…
5% Experten streiten um unser kulturelles Erbe und sorgen dafür, daß es nie mehr als 5% werden.
Wäre die Klarheit dessen, was wir als Kunst bezeichnen gegeben, d. h. ließe sich die Position von Kunst genauer bestimmen, ließe sich U-Kunst wiederum ebenso eindeutiger definieren. So aber bleibt die Struktur der logischen Operation – nicht gleich – der bestimmende Faktor, ein Abgrenzungsmanöver zur Positionsbestimmung. Eine Festlegung mit inhaltlicher Aussagekraft scheint damit geschaffen, diesen Ansatzpunkt gewählt zu haben: Kunst. Knüpft man offensichtlich an eins der offensten, weitesten und gleichzeitig unklarsten Bezugssysteme an, ist es wie eine Weichenstellung in der Rezeption alles Hervorgebrachten. Nur wohin geht die Fahrt? Voll voraus in den klar bestimmten Ort Nirgendwo?! Wie kann man heute angesichts eines postmodernen Denkens und stets bewußt vergleichenden Historisierens, und dadurch permanenten Relativierens und Integrierens, das ganz Andere trotzig empor recken?
Es lebe U-Kunst! Nichts, so scheint es, könnte hervorgebracht werden, einmal in den omnipotenten Kontext Kunstgestellt, das nicht sogleich theoretisch vereinnahmt werden könnte, subordiniert unter einen der Stile, Strategien und Ismen der Moderne oder ihrer Historie. Selbst die Negation bleibt ein haariger Versuch, wie beispielsweise der manifestfleißige Dadaismus, der selbst die Sinnproduktion und Aussagehaftigkeit lustvoll ad absurdum führt.
Oder denken wir an das System von Kunst, an seine Institutionen und den Prozeß der Wertsetzung. Wieviel Duchamps, Popart, Warhol oder Beuys ist es, die Künstlerrolle und das Kunstwerk in seinem Originalcharakter, d. h. seinem Wert zu entfetischisieren oder alltägliche Dinge (gemachte oder gefundene Objekte) aufzuladen, konzeptuell mit Bedeutung zu schwängern, Alltagshandlungen zu Aktion und Performance zu sublimieren? All diese etablierten Werte umzuwerfen im Dienste einer Strategie der Popularisierung? Jeder ist ein Künstler? Für fünfzehn Minuten? Mit Industrieprodukten und den Medien – Klasse für die Masse?!
Und wer kauft eigentlich Kunst
85 % der Bevölkerung haben wirklich andere Sorgen, und noch nie daran gedacht, Kunst zu kaufen.
14% hätten ja schon mal gerne, allein die Preise scheinen ihnen ein bißchen übertrieben.
1% hat wirklich schon mal Kunst erstanden und dafür 1000,- oder mehr hingeblättert.
Fazit: Wenn nur 5% Kunst verstehen und nur 1% Kunst kaufen kann, dann ist das doof!
Das ist U-Kunst.
All diese Dilemmata zu kennen, zu leben und zu arbeiten und dennoch gleich der Reise nach Jerusalem, sich zwischen den Stühlen zu befinden und dabei mit Spaß um den letzten Stuhl zu wetteifern ist U-Kunst.
Die Dynamik des Systems, angelegt in seiner auf Mehrwert orientierten Gefräßigkeit, sorgt für Ismen und Theorieverschleiß, Bilderfluten und Massenproduktion mit garantierter Bedeutungsreduktion.
Art-light. Ohne Kalorien, ein fettes Festival fröhlichen Kunstgenußes des Anything goes? Ja – aber konkret: mehr das was zuletzt fehlte kompensieren, das Soziale, das authentische Moment in der Kunst, das was die Menschen wieder stärker integriert, Interaktiv.
Und alles ganz solide, wissenschaftlich begegnet man heute dem Legitimationsdruck des mit dem Label Kunst versehenen. Objektivität schafft Relevanz, neutral sei der Standpunkt, Realismus bestimmt die Präsentationsform.
U-Kunst ist das Virus Unter systemtheoretischen Überlegungen zum offenen System scheint echte Opposition, eine Position des Außerhalb nicht wirklich denkbar. So folgt, daß von innen eine sabotageartige Strategie einzig eine Systemveränderung bewirken kann. Gleich einem Virus im System der Kunst werden die dynamischen Kräfte sich ausbreiten um intrinsisch eine Dissoziation voran zu treiben. Die Geschwindigkeit der Dynamik dieser transformativen Prozesse mündet in polysynthetische Mikrostrukturen, Konglomerate von U-Kunst, die sich unaufhaltsam ausbreiten…
p.j. maysea alias Peter Maibach
¹ Die Beute Neue Folge, Nr. 1, S. 79
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph