RAUSCHEN IM BLÄTTERWALD
aus telegraph 2/98
von Knobi
Kultstatus hat inzwischen die politisch-literarische Zeitschrift Sklaven erreicht. Seit Anfang des Jahres erscheint Sklaven als „Doppeltes Lottchen“. Die Redaktion hat sich gespalten, und somit gibt es zwei Sklaven, einmal Sklaven(zu beziehen unter der alten Adresse beim Basis Verlag) und Sklaven Aufstand (petersen press, Schliemannstr. 23, 10437 Berlin / 40 S. / 5,–DM) mit den Redakteuren Annett Gröschner, Andreas Hansen, Wolfram Kempe und Bert Papenfuß. Beide erscheinen im gleichen Layout und zum selben Preis (hoffentlich nicht auch noch mit den selben Artikeln).
Seit 1994 erscheint die Zeitschrift Die Beute (ID-Verlag Berlin / 240 S. / 28,–DM), jetzt: Halbjährlich, neues Outfit, neues Konzept (Schwerpunktthemen) = Neue Folge — die Richtung ist geblieben (fast): Linksradikalismus & Kunst. U.a. mit Diedrich Diederichsen über Politik und Kultur, Roberto Ohrt über Christoph Schlingensief (böse), ein Interview mit Iggy Pop usw. Zur Unterstützung der neuen Beute gibt es sogar eine Soli-CD mit Musik der Indipendent-Scene á la Blumfeld, Schorsch Kamerun u.v.a.
Nichts geändert, und — in gewohnter Qualität — hat sich bei Die Aktion 1/98 (Ed. Nautilus Hamburg / 130 S. / 14,–DM). Schwerpunkt ist hier, passend zum Jubiläum „Mai 1968“, mit dem Tagebuch von Maurice Brinton zum Pariser Mai, und den Beiträgen und Flugblätter der Surrealisten zu diesem Thema, sowie ein Artikel von Albrecht Götz von Olenhusen über die Walter Benjamin-Rezeption während der Studentenbewegung in West-Deutschland uvm.
Ebenfalls bei der Ed. Nautilus erschien zum gleichen Thema ein Buch: Das Leben ändern, die Welt verändern! – 1968 Dokumente und Berichte. (Hrsg.) Lutz Schulenburg ( 480 S. / 39,80 DM). Das Buch gehört nicht zur Nabelschau von selbstherrlichen Alt-68ern. Es umfaßt den Zeitraum von 1967 bis 1969 und enthält literarische und dokumentarische Zeugnisse aus Westeuropa und den USA (incl. dem ersten Militäreinsatz deutscher Soldaten im Ausland, der NVA in Prag). Ein Muß für alle, die sich mit diesem Themen komplex auseinandersetzen wollen.
Außerdem erschien in der Ed. Nautilus ein neues Buch des philosophischen Veteranen der „Situationistischen Internationale“ Raoul Vaneigem; An die Lebenden! Eine Streitschrift gegen die Welt der Ökonomie (191 S. / 29,80 DM). Vaneigem (Jahrgang 1934) gehört zu den letzten großen französischsprachigen Philosophen, denen es nicht um das Rechthaben geht, der auch keine fertigen oder einfachen Lösungen bietet. Ein Buch, welches zum Denken anregt. Und manchen soll das ja Spaß machen, entgegen zur landläufigen Meinung, daß eigenständiges Denken wehtut.
Passend auch zum Jubelthema 30 Jahre verpasste Chancen ist die Broschüre: Etwas Bewegung kannn nicht schaden (Selbstverlag / 60 S. / 5,–DM), Texte zur Veranstaltungsreihe über die „Bewegung 2. Juni“ in der SFE vom 30. Mai – 1. Juni 1997. Also: Stadtguerilla vom Feinsten.
Lesestoff zum Antesten bietet der Unrast Verlag, Postfach 8020 in 48043 Münster. Er hat ein 96seitiges Lesebüchlein herausgebracht mit Ausschnitten aus 10 im Verlag erschienenen politischen Romanen. Das Buch kann gegen 2,–DM in Briefmarken über den Verlag bezogen werden.
Im Berliner Oppo-Verlag erschien als Reprint ein Klassiker der anarchistischen Literatur: Gustav Landauer; Aufruf zum Sozialismus (158 S. / 24,–DM) mit einem Nachwort von Siegbert Wolf. Aus libertärer Sicht eines der wichtigsten Texte des 1919 ermordeten Mitgliedes der Münchner Räterepublik.
Im Oktober 98 jährt sich zum 20. Mal der Todestag des unbequemen Essayisten Jean Améry. Hierzu ist frisch erschienen: Harry Rosina; Jean Améry – P-R-A-U-S-T oder Der Letalfaktor (Edition Anares Bern / 64 S. / 10,–DM). Diese gefühlvolle Einführung in Werk und Leben Amérys ist sehr gelungen, es enthält außerdem einen kleinen Originalbeitrag von Günter Kunert.
In München erscheint eine Zeitschrift mit „Informationen über Anarchisten in Italien und Anderswo“ mit dem Titel Ausbruch (Mai ‘98 / 28 S. / 3,–DM). Sie enthält neben den im Untertitel erwähnten Infos ein längeres Interview mit dem Anarchisten Alfredo Bonanno über den z.Zt. laufenden Prozeß gegen Anarchisten in Italien, die aufgrund eines Konstruktes zur Terroristischen Vereinigung gemacht werden soll. Bezug: Solidaritätskommitee Italien c/o Infoladen, Breisacherstr. 12 in 81667 München.
Vom eben genannten Bonanno wird vermutlich noch einiges in Deutschland zu hören bzw. zu lesen sein. Allerdings wohl vornehmlich in Broschürenform und Zirkulationen. So ist eben eine Broschüre erschienen mit dem Titel Die bewaffnete Freude (Kolkraben Edition / ohne Ort / 44 S. / 6,–DM). Bonanno vertritt in diesem 1977 in Italien erschienenen Text einen militanten Anarchismus, wie er in Deutschland längst ausgestorben zu sein scheint.
In Leipzig gibt es seit einiger Zeit ein Max-Stirner-Archiv (c/o Kurt Fleming, Eisenacher Str. 33 in 04155 Leipzig), welches auch eine kleine Zeitschrift (Der Einzige á 5,–DM) herausgibt sowie eine Reihe von Broschüren. Neben Texten zum Philosophen Stirner (1806-1856) werden auch Texte von Dr. Rolf Engert (1889-1962) in Broschürenform veröffentlicht.
Viele, viele Bücher gibt es auch beim AurorA-Buchversand, der die Tage sein Bücher-Info frisch verschickt hat. Dieses kann kostenlos bei: AurorA, Knobelsdorffstr. 8, 14059 Berlin bestellt werden.
Soweit für heute. Wir sehen uns bei derVerhinderung der Rekrutenvereinigung vor dem Berliner Roten Rathaus.
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