NowOSTi

aus telegraph #3 _1999

10 JAHRE MAUERFALL

„Jeder fünfte Westler und 14 von 100 Ostdeutschen wünschen sich die Mauer wieder zurück“
Quelle: Radio 1 (Potsdam) am 3.10.99

Wer die Macht hat… I
„Der westliche Sprachgebrauch wird im Osten übernommen“, sagt die Berliner Sprachwissenschaftlerin Ruth Reiher. Andererseits gebe es keine Chance, dass etwas aus dem Osten im Westen übernommen wird. „Die Frage nach einer gesamtdeutschen Sprache stellt sich nicht. In der wiedervereinigten Republik wird Westdeutsch gesprochen“.

Befragungen in Städten wie Berlin, Greifswald oder Passau zeigten, dass DDR-typischer Wortschatz immer mehr verschwindet oder Wörter mit einer neuen Bedeutung versehen werden, sagt die Sprachwissenschaftlerin der Humboldt-Universität Berlin. Dabei gilt die Grundregel, je näher der Westen, desto schneller vollziehen sich die Wandlungen im ostdeutschen Sprachgebrauch. Am besten lasse sich das bei Veränderungen am Wortschatz nachweisen. War 1993 für 67 Prozent der Befragten in Ostberlin das Wort „Broiler“ noch eine gängige Bezeichnung für ein Brathähnchen, war die Zahl fünf Jahre später auf 45 Prozent gesunken. Besonders schnell verändere sich die Sprache in Berlin, weil dort
Ost- und Westdeutsche auf engem Raum zusammenleben. In Mecklenburg-Vorpommern halten sich ostdeutsche Besonderheiten am längsten. In Greifswald war 1993 der „Broiler“ noch für 92 Prozent der Befragten ein Begriff, bei der Befragung im Jahr 1998 gaben immerhin noch 76 Prozent an, das Wort zu benutzen. Gegentest im bayerischen Passau: „Broiler“ sagte dort keinem einzigen der Befragten etwas.

Ähnliche Ergebnisse brachten die Untersuchungen auch bei Wortpaaren wie Plaste (Ost) und Plastik (West) oder Drei-Raum-Wohnung (Ost) und Drei-Zimmer-Wohnung (West). Im Prinzip setzt sich das durch, was der größte Teil der Menschen benutzt. Im Osten gibt es aber auch zahlreiche Fälle, bei denen Begriffe nicht mehr benutzt werden, weil sie ideologisch belastet sind. Das „Team“ setzte sich gegen das mit einem negativen Image versehene „Kollektiv“ durch. Es habe Fälle gegeben, in denen Ostdeutsche in Bewerbungsgesprächen von ihrer Arbeit im alten „Kollektiv“ berichtet hätten. „Die sind dann nicht eingestellt worden, weil der Westchef keine roten Socken wollte.“
Quelle: Frankfurter Neue Presse, 25.10.1999

Wer die Macht hat… II
Ostdeutsche Themen werden in den überregionalen Fernsehsendern noch zu selten und

zu einseitig aufgegriffen. Nur etwa fünf Prozent der gesamten Berichterstattung des Fernsehens beschäftigt sich nach Aussage von Professor Hans-Jörg Stiehler, Universität Leipzig, mit ostdeutschen Ereignissen. Nach den Ergebnissen erfährt der Westen damit viermal soviel Aufmerksamkeit wie der Osten.
Gleichwohl macht Stiehler einen bedenkenswerten Zustand aus: das Schweigen zwischen Ost- und Westdeutschland. So gebe es im Informationsangebot der großen Sender ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und Pro Sieben keine wirkliche Auseinandersetzung mit gesamtdeutschen Themen. Da würden Ost- und Westdeutschen im Fernsehen zwar bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, aber zu einem Gespräch beider Fraktionen käme es praktisch nie.

So werde Ostdeutschland vor allem als ökonomische und politische Problemzone thematisiert, Ostdeutsche würden selten in ihren Berufsrollen, dafür häufiger als Privatpersonen dargestellt. Des Weiteren wird in der Berichterstattung über ostdeutsche Akteure in aller Regel darauf hingewiesen, was diese in der DDR-Zeit gemacht haben. Von einem gesamtdeutschen Fernsehen könne deshalb auch zehn Jahre nach dem Wendeherbst keine Rede sein, urteilt Stiehler.
Quelle: „Lausitzer Rundschau“, Cottbus, 07.10.99

Bedrohungsängste
„Das Thema Ost-West hat in den letzten Jahren an Brisanz zugenommen“, sagt Stefan Strohschneider (42), Psychologe an der Uni Bamberg. „Viele Westdeutsche haben erst jetzt gemerkt, dass sich auch ihr Leben ändert.“ Erfolgreiche Firmen aus dem Osten und Politiker, die mit ihrer Ost-Biografie selbstbewusst umgehen, lösen „diffuse Bedrohungsängste“ aus. Ein großer Angstmacher für Westdeutsche ist die PDS. Stroh

schneider: „Die SED-Nachfolgepartei als zweitstärkste Fraktion im Thüringer Landtag – da sträuben sich dem rheinischen Katholiken die Nackenhaare.“
Quelle: Berliner Kurier, 16.09.1999

Deutsche Einheit I
„Ich habe das Staunen über die deutsche Einheit noch nicht verlernt“
Quelle: Bundespräsident Rau Berliner Zeitung vom 04.10.1999

Deutsche Einheit II
„Der gesamtwirtschaftliche Aufholprozess der neuen Länder“ habe sich „seit vier Jahren nicht mehr fortgesetzt“. Das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt verharre bei nur 60 Prozent des westdeutschen Standes. Die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern ist doppelt so hoch wie im Westen. Mehr als ein Viertel aller ostdeutschen Erwerbspersonen ist offen oder verdeckt arbeitslos. Zur gesamten deutschen Wertschöpfung würden die ostdeutschen Unternehmen nur zu sieben Prozent beitragen. Der Anteil der ostdeutschen Firmen am gesamtdeutschen Export betrage (ohne Westberlin) nur 3,8 Prozent. Die neuen Bundsländer könnten nur 42 Prozent ihrer Ausgaben mit eigenen Steuereinnahmen finanzieren.
Quelle: Aus dem Jahresbericht 1999 der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit vom 13.10.99

„Entweder man hat die Zonis unter der Knute, oder man hat sie am Hals“
Quelle: die tageszeitung, 30.9.99, Wiglaf Droste „Zehn Jahre Zonis sind genug!“

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