Der Blues muss bewaffnet Sein

aus telegraph #3 _ 1999
von Bert Papenfuß

Für Dieter Ehrlich in der Bredouille

Die selbsternannten Systemverbesserer der siebziger Jahre waren schwer auf der Hut – vor sich selbst, vor Andersdenkenden, vor dem Aufsichtspersonal – und das mit Recht. Vorauseilende Leuchttürme der Kundenbewegung – Satan, der Bummser, Sprilli, Speiche, Sackhaar usw. – nahmen einen auf den Diensteid und leisteten der Trainingshose Vorschub. Die langen Marschierer verdauten sich selbst, und der kulturelle Widerstand war unpolitisch, zumindest: eigentlich unpolitisch, und verströmte das strenge Odeur des Antikommunismus in ein Phantasiebürgertum, das Steppenwolf dem Osten übergebraten hatte, mit ausdrücklichem Serviervorschlag, chartsgerecht aktualisiert durch arschtretende Hetzsender. Schmutz und Schund hielt uns gesund – und bei der Fahnenstange.

„Wenn ich im Westen bin, geh ich erst mal ins Puff und dann zur Wehrsportgruppe Hoffmann“, war eine oft zu hörende Voraussage. „Ich werd‘ zum Faschisten“, war die verbale Eruption einer angestrebten Kraftmaximierung, ein fast schon geflügeltes Wort. Ich kann mich an kaum ein Jahr erinnern, in dem der Führergeburtstag gänzlich übergangen worden wäre. Die Zonen-Hippies waren schon eine spezielle Ausgeburt der realen Evidenz. Gewiß, es gab derer auch andere.
Aufs Schlimmste zu, immer mehr, lebt der Mensch, und er bewegt sich – doch – noch.
Ein Sozialismusbegriff mit speziellem Pfiff wurde in den Jungen Gemeinden gehegt, und mit Dissidenz garniert in der Vorhölle des totalen Blockflötenkreises zu Tode gepflegt. Theologiestudenten mit dem Rotkreuzbesteck in der Hand ahnten dunkel, was die RAF wollte, und etwas weniger dunkel, daß selbst der Frieden, dem nicht zu trauen war, bewaffnet sein müsse, zwar nicht im Elbsandsteingebirge, aber in Elfenbeinküste. Einhelligen Schulterschluß allerdings provozierten Solidaritätsveranstaltungen mit obskuren nationalen Befreiungsbewegungen an der Gulaschkanone. Ein Licht jedoch ging ihnen auf, wenn sie die Westpakete der von Gott und Staat unterholfenen Brüder und Schwestern aufrissen, als hätten sie ein Jahr lang nicht geschissen. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier – und schon stand Wolf Biermann vor der Tür. Im Charisma der Dissidenz erstrahlten Realitätsverlust und Religionsersatz. Hinter vorgehaltener Hand tat sich Kultur kund. Die Bringer Beethovens schlossen einen Debattierklub, und ein Trotzkistenzirkel ließ einen Solidarfurz.

Unterdess im „Kaffee Burger“: Ekke „Bulat“ Murger langte zum Würger und gabs dem sozialistischen Bürger. In trauter Runde mit einigen informellen Mitarbeitern wurde ein Gebetskreis zur Rettung des angewandten Altruismus inthronisiert, mit Gedichtevorlesen und allem Pipapo. Das war die Geburtsstunde der im nachhinein von Adolf Endler so genannten Prenzlauer Berg Connection. In ihren Verstecken die verbotenen Maler bildeten Spalier: „Wisch du ma‘ mir“ – „Alles ist Bier“. Die Interdisziplin wurde aus der Traufe gehoben, und uneigennützig in die Regale der Sammler rübergereicht.

Freygang wurde losgelassen und knallundfall war der „Schwarze Kanal“ Punk. Wer sich die Haare abschneiden ließ, wurde als Langhaariger behandelt. Platzverweis war Ehrensache, Repression bekam Kultstatus. Mit eiskalter Selbstverständlichkeit gab man beim Besuch eines Rock-Konzerts im Haus der Jungen Talente die Lederjacke und die andere Hirnhälfte an der Garderobe ab. Im Vergleich zum Einlasser, Aufpasser und ondulierten Anmacher anbei, war die Bullerei noch das geringere Übel hierbei. Bei besonders schwierigen Fällen blieb nichts übrig, als nach Matth. 17, 21 zu verfahren – Verfluchen und Niedersaufen. Oder sich die Fresse zu merken und beim nächsten Festival des politischen Liedes zurückzuschlagen.

Um ein paar Ecken stieß uns Oberst Reuter Bescheid, was feindlich sei, und direktemang, was einwandfrei. Aus der Reserve gelockt, ließen wir das Unpolitische hinter uns und wußten erst mal nicht, wohin mit dem Beschwerdebuch. Hochprozentig irritiert starteten wir eine Versuchsreihe der experimentellen Lyrik. Und siehe, ausgesprochen widerwillig antizipierten wir die Avantgarde und schufen Feix – uns zum Korrektiv.

Da niemand wusste, wie man ein Geschäft macht, gaben wir unser Geld aus, über das wir zum ersten Mal nachdachten, und wurden, was wir waren – Anarchisten. Mit effizienten antipolitischen Aktionen gingen wir zwar nicht hausieren, wussten aber um unsere Verantwortung, die sich indessen literarisch niederschlug, anstatt den Staatsapparat niederzustrecken. Wir sind manchen Streich schuldig geblieben. An der antifaschistischen und demokratischen Grundsubstanz gabs ja erst mal wenig zu rütteln, außer daß es ihrer irgendwie grundsätzlich ermangelte.

Aber auf der Mangelwirtschaft kann man gut tanzen und im Schatten des Schutzwalls war gut munkeln und kungeln.

Als Namenlos „MfS-SS“ brüllte, war das keine politische, geschweige eine antipolitische Tat, sondern lediglich der Gipfel des Unpolitischen, aber immerhin. Honecker in seinem Wahn war ja auch kein Vollstrecker der Expansionsgelüste eines Wirtschaftsmagnatentums, und somit kein Politiker im herkömmlichen Sinne. Honecker war unpolitisch, Mielke, der scharfe Hund, wollte in Ruhe seine Eier schaukeln, Krenz sich in aller Gemütlichkeit ein drittes züchten, um den gewachsenen Ansprüchen zu genügen. Stefan Döring war unpolitisch, die ganze DDR war unpolitisch, außer Jan Faktor, der war wenigstens Antikommunist, aber das blieb unter uns. Ich krieg gleich eine Reversion.

Die achtziger Jahre verliefen geflissentlich, wir kriegten was ab, im Guten und im etwas weniger Bösen. Kokett und hedonistisch schrieben wir Literaturgeschichte und arbeiteten mittelständischer Selbständigkeit zu. Die Stilblüte der Neuen Deutschen Welle welkte, nur Otze bölkte. Dröhnung und Drohung ließen nach. Von allen guten Pfaffen verlassen, verpfaffte die Szene zusehends. Kummer wurde Kümmernis – die Zukunft verkam. Worauf es ankam, flog ohrenbetäubend vorbei. Die Augen stiegen und die Ohren wurden länger. Die Sinnverknappung kam langsam auf den Punkt, aber das menschliche Antlitz der realen Existenz lastete schwer auf dem Widerstand, und wies ihn in die Schranken des Bürgerrechts und infolge in den goldenen Käfig der salärprallen Reaktion, die aus Ex-Positionen Pöstchen schliff.

Konsum schlich sich ein, wir ließen uns was kommen, und das was kosten. Geld spielte langsam Geige. Serviererinnen standen hoch im Kurs. Ich persönlich habe das Prinzip Bedienung nie verstanden. Bedienung ist trügerisch, hält auf Distanz, traut mir nicht, läßt mich nicht in die Küche und kassiert ab. Bedienung macht uns zu Kokotten unserer selbst. Wer bedient, serviert auch die eigene Brut, und Geschäft ist, wie wir wissen, Betrug. Bei Prostitution hört bei mir der Spaß auf – auf meiner Flur ist Platz.

Ende der Achtziger wurde Ausbeutung nicht mehr hinterfragt, Verkäuflichkeit galt als schick, ein hoher Preis hatte Stil und gemäßigte Anpassung brach Ansprüchen Bahn. Über Nacht wussten plötzlich alle ganz genau, was ihnen „gemäß“ war, aber woher nehmen … Die unüberholende Weltmarktpolitik der RGW-Stümper, die ebenfalls schwer an gewachsenen Ansprüchen litten, schlug niederschmetternd aufs Gemüt, und machte uns reif für Marktwirtschaft, Neoliberalismus und Weltuntergang. Die so genannte Wende vollzog dann die Wende.

Die Randnotiz wurde ausverkauft, die Demokratie nahm ihren Lauf. Das Niedersaufen des Aufbegehrens wurde von starken Worten begleitet, nach dem Ausbreiten der Niederlage hatte man Zeit für leisere Töne, und meine lieben Schwäne. Der revolutionär verwurzelte Antikapitalismus und Antiimperialismus wurde in dogmatische Zirkel delegiert. Das ungezogene und gemaßregelte Kind stellte sich auf den verbliebenen, aber eigenen Fuß oder beim Arbeitsamt an – oder haute gleich in den Sack. Prenzlauer Berg verkommt zur Kulisse, und wir zu Statisten unserer selbst, hin und wieder rausgelassen zu spektakulösen Rückzugsgefechten.

Und der Punk heutzutage
Ist sich für Rache zu schade.

Friede den Palästen, Geld den Anapästen. Alkoholischer Linkssentimentalismus erwies sich als Krepel einer eingeholten Emotionalität, und promilleschwere Aggression als Kümmerform des sozialrevolutionären Impulses. Punk hingegen war die Erkenntnis, daß es von befreiender Wirkung ist, das Reglement zu verletzen und die Etikette zu benetzen – daß der Kampf gegen das System Lebensgewinn ist. Punk ist Mitfreude, Gegenwehr und Selbstbehauptung. Punk war Rock, Rock war Blues, Blues war Ragtime und um ein paar Ecken Kubo-Futurismus. Der ausgeschlachtete Punk wurde zum rausgerutschten Ende einer Welle von ausgelutschten Jugendkulturen. Punk ist steinalt. Punk ist unter uns. An dieser Stelle sei grenzübergreifend dem Doktor des bewaffneten Blues, Norbert Knofo Kröcher, mal gehuldigt. Wo steckt eigentlich A-Micha?

Die Untermüpfigkeit wurde der realen Existenz zum Verhängnis. Unpolitisch ist rechts. Eine politische Überwältigung des Dreifaltigen Oppressors ist unmöglich, zumal in der Übergangsphase der Spezialdemokratie linke Ideenlosigkeit grassiert, bzw. stagniert. Medial präsente Unterhaltungskunst ist als Unding anzusehen, die Kanäle hoch und runter. Die Kontroverse steckt in der Krise, Anarchisten sind heute Akmeisten, Rufer nach der Bürste. Die antipolitische Tat jedoch erfordert die direkte Aktion des Eingreifens und Verhinderns. Die direkte Aktion ist eine Wohltat des Ausübenden, Kulturkampf hierbei Selbstverteidigung und Absicherung der Entspannung, die uns Deckung gibt und bei der Stange hält, an der keine abgedroschene Fahne weht, sondern das Banner des Chaos, das wir verkörpern. Haut euch die Taschen voll. Ausübung sichert keine Pfründe, sondern Abgründe. Gewinst sinkt, Wagnis siegt. In unserem eigenen Interesse. Bewaffnet sei der Blues.

Schrott vom Leder
Schleift Schröder, blöder
Konnt’s nicht kommen, uns frommt
Keinerlei Entkommen – die Mauer ist weg.

Frisch von der Leber
Fordern wir uns selber …
Intrige, Ringelpietz und Eiertanz
In Anbetung der Maulaffenmonstranz.

Trotz Mummenschanz und alledem
Treibt Anti-Trott voran, ihr seid spät dran.
Schwer aus der Reserve gelockt,
löckt wider!
Schwarzes Blut schäumt auf und
kocht gleich über –

NO FUN – NO PASARAN!

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