Zur geopolitischen Instrumentalisierung gesellschaftlicher Unzufriedenheit: die farb- und Blumenrevolutionen der 00er Jahre

Der Ablauf jeder zivilgesellschaftlichen Intervention zur Herstellung der westlichen Art von Demokratie könnte idealtypisch folgendermaßen dargestellt werden: Anfangs muss eine vorhandene, meist sozial konnotierte Unzufriedenheit „politisiert“, das heißt ihrer gefährlichen sozialrevolutionären Elemente entkleidet werden. In einem zweiten Schritt folgen intensive Kaderschulungen in Studiengängen zur bürgerlich-liberalen Demokratie, entsprechendem Nation-Building bzw. State-Building und Regime-Change. Reichen die zivilgesellschaftlichen Interventionen nicht, um missliebige Regierungen los zu werden, dann kommt Militär zum Einsatz.

Von Hannes Hofbauer
aus telegraph #125|126

„Es ist Zeit“, so übersetzt man den Namen „Pora“, den sich die ukrainischen Revolutionäre zu Anfang der 00er Jahre gegeben haben. Metaphorisch will das heißen: Zeit zum Abdanken für den damaligen Präsidenten Kutschma, Zeit zur Befreiung der Ukraine von der Oligarchendiktatur.

Im Kiewer Bezirk Podol – nahe der Metrostation „Kontraktov-Platz“ – treffe ich im Frühjahr 2005 Michajlo Svistowitsch. Er ist einer der führenden Figuren von „Pora“. Das Hauptquartier der Gruppe erinnert an ein besetztes Haus im Berliner Kreuzberg der späten 1980er Jahre: die Wände sind mit Parolen beschmiert, in den Zimmern stapeln sich Matratzen und Bettgestelle. Vor zwei, drei Computern sitzen junge Leute und surfen ein wenig gelangweilt durch die virtuelle Welt. Nach einigem Suchen finden wir ein ruhiges Plätzchen zwischen Bergen von Schlafsäcken, um das vereinbarte Interview halbwegs ungestört führen zu können. Dass wir den Kontakt über die Soros-Gesellschaft „Renaissance- Stiftung“ aufgenommen haben, erleichtert hier die Kommunikation. „Ja, in der Renaissance-Stiftung sitzen die, die Geld geben“, weiß Michajlo Svistowitsch, der nicht unbedingt dem klassischen Bild eines jugendlichen Revolutionärs entspricht. Als 38-jähriger hatte er eine Karriere als Filialleiter einer Bank hinter sich, bevor er sich entschied, gegen Kutschma und seine Entourage zu Felde zu ziehen. Die Idee für die Bildung einer revolutionären Avantgarde, als solche verstehen sich die Teilnehmer von „Pora“, entstand im September 2001, „nach einem Seminar mit Vertretern der serbischen Gruppe ‚Otpor’“, wie der frühere Banker einräumt.

In der Folge haben dann zwei Gruppen, die Jugendlichen um die Internetzeitung „Majdan“ in Kiew und die „Jugend-Otpor“ aus Lviv/Lemberg zu „Pora“ fusioniert. Januar und Februar 2004 wurden als die Rekrutierungsphase genützt. Auf etwa 20 Seminaren mit Belgrader „Otpor“-Führern tauchten Tausende junge Ukrainer auf, von „denen wir uns die Besten für unsere Organisation auswählten. Die serbischen ‚Otpor‘-Leute erzählten über ihre Erfahrungen beim Kampf gegen Milosevic und wir lernten daraus“. Von Anfang an hatte „Pora“ die ukrainischen Präsidentschaftswahlen im Visier. Dass diese gefälscht werden würden, davon gingen die aus großteils studentischem Milieu stammenden jungen Menschen schon lange vor deren Abhaltung aus. „Wir mussten das Volk darauf einstellen, dass die Macht verbrecherisch war. Und eine gute, möglichst führungslose Struktur aufbauen, um nicht mit einem Schlag durch Verhaftungen außer Kraft gesetzt werden zu können.“

„Pora“ startete in der Nacht vom 28. auf den 29. März 2004. „In 17 Regionen der Ukraine klebten wir Plakate, auf denen nur die Frage stand: ‚Was ist Kutschmismus?’; und darunter unsere Internetadresse.“ Michajlo Svistowitsch erklärt die Revolutionsstrategie detailliert. Nach dieser Aktion wurden 14 Leute kurzfristig festgenommen, um nach ein paar Stunden wieder auf freiem Fuß zu sein. „Wer einmal mit der Polizei Kontakt hatte, den holten wir in die zweite Reihe zurück. Dadurch entwickelte eine Reihe von Leuten Führungsqualitäten.“ Die 2. Etappe des Angriffs von „Pora“ bestand in der „Dekodierung des Kutschmismus“. Im April 2004 wurden zu diesem Zweck Ukraineweit fünf verschiedene Plakate affichiert. „Kutschmismus ist Verbrechen“, lautete das frechste davon. Außerdem wurden dem herrschenden System Arbeitslosigkeit, Armut, Hoffnungslosigkeit und Korruption vorgeworfen.

Nun war der Durchbruch gelungen. „Pora“ hatte ein revolutionäres, regierungsfeindliches Image. Junge Leute an den Universitäten begannen, im Namen von „Pora“ zu demonstrieren. Während der orangenen Revolution hat Pora dann im Hintergrund agiert. „Wir spielten in der Zeltstadt am Majdan-Platz nur eine geringe Rolle“, weiß Svistowitsch. „Stattdessen blockierten wir die Generalstaatsanwaltschaft, besetzten das Bildungsministerium und waren auf den Bahnhöfen, um ankommende Janukowitsch- Anhänger umzuorientieren.“

Auch Straßen, die von Osten her in die Hauptstadt führten, wurden von „Pora“- Aktivisten blockiert. Das hatte zum Ziel, Anhängern von Viktor Janukowitsch die Anreise in die Hauptstadt unmöglich zu machen.

Während also Tausende und Abertausende mit Bussen und Zügen aus Lviv, Ivano-Frankivsk, Cernivci/Cernowitz und anderen westlichen Städten nach Kiew kamen und hier das Rückgrat der Demonstrationen bildeten, gab es ein eigenes Kommando, die „Pora“-Garden, das Kiew von Janukowitsch-Anhängern frei hielt. Ob sich das auf den Bahnhöfen friedlich abgespielt habe, wenn ein Zug mit Leuten aus dem Donezk-Gebiet angekommen sei, will ich vom „Pora“-Führer wissen. „Ja, es gab keine Gewalt. Wir leisteten Überzeugungsarbeit. Da waren ständig einige Hundert von uns, die am Bahnhof ausharrten, um Janukowitsch- Anhänger wieder zurückzuschicken.“ Und noch eine Kleinigkeit verriet mir Michajlo Svistowitsch: „Der Unterschied zwischen uns und ihnen bestand auch darin, dass wir bereit waren, für die Sache zu sterben.“ Ich muss mir kurz vorstellen, wie überzeugend es wohl ist, von ein paar Hundert sterbensbereiten Aktivisten am Bahnhof umringt zu sein.

Auch woher „Pora“ das Geld für all diese Aktionen erhielt, erzählt Svistowitsch bereitwillig: „Das Geld für die ersten Plakate kam von der ‚Westminster-Stiftung’ und dem ‚Moser-Fonds’. Es wurde während der ‚Otpor‘-Seminare ausgeteilt, desgleichen Mobiltelefone und Büromaterial. Später sammelten wir dann über unsere Internetseite auch Geld im Lande selbst.“ Die 1992 gegründete „Westminster-Stiftung“ ist eine von der britischen Regierung ins Leben gerufene Nichtregierungsorganisation (NGO) und wurde damals von Tony Blair patroniert. Zudem dürften in Kanada ansässige Auslandsukrainer sehr freigiebig gewesen sein. Von ausländischen Interessen oder inländischen Oligarchengruppen missbraucht, fühlt sich der „Pora“-Kämpfer nicht. Er streitet ab, dass die USA eine Rolle während des orangenen Dezemberumsturzes gespielt haben. „Außer dass sie uns moralisch unterstützt und finanziell geholfen haben.“

Mit dieser kleinen Reportage 1 über die bekannteste und effektivste Farbrevolution, den orangenen Umsturz in der Ukraine, kehrte ich im Frühjahr 2005 aus Kiew nach Wien zurück. Damals war den wenigsten Beobachtern bewusst, wie stark die lokal vorhandene Unzufriedenheit von westlichen Demokratie-Instituten gefördert und finanziert worden war. Heute weiß man um das Zusammenspiel von osteuropäischen bzw. nordafrikanischen NGO mit vorwiegend US-amerikanischen und britischen Stiftungen, die allesamt staatlich finanziert sind und nichtsdestotrotz den Status von NGOs in Anspruch nehmen, wiewohl sie das „N“ zu Unrecht auf ihrer Etikette führen.

Wie das orange Abenteuer der Ukraine ausgegangen ist, hat uns die Geschichte gezeigt. Die Revolutionäre von „Pora“ sind nach Hause gegangen oder haben es sich in unteren Chargen von westaffinen Parteien bequem gemacht, die Zweier-„Koalition der Willigen“ aus Viktor Juschtschenko und Julija Timoschenko ist im Machtrausch zerstoben und der von ihnen als Feind von Demokratie und Volk titulierte Viktor Janukowitsch hat die nachfolgenden Wahlen gewonnen.

Dass Timoschenko noch immer hohe Sympathiewerte im deutschen Blätterwald genießt, sagt mehr über die hiesige Ratlosigkeit im Umgang mit der Ukraine aus als über die politische Strahlkraft der Gasprinzessin. Die medial verbreitete Empörung über ihre juristische Verfolgung folgt einem – freilich missverstandenen – Kalkül in Brüssel und Washington, die heute 51-Jährige dereinst neuerlich als politisches Werkzeug, als „unsere Frau“ in der Ukraine positionieren zu können. Das hat schon 2004 nur sehr eingeschränkt funktioniert, als Timoschenko den größten Stahlkocher des Landes den Fängen der Kutschma-Familie entriss und ihn dem Weltmarktführer Mittal in einer zweiten Privatisierungsrunde auf dem Silbertablett servierte. Ansonsten war ihre Regierungszeit mehr von internen Querelen als von Dankbarkeit gegenüber westlichen Unterstützern geprägt.

Auch die Selektivität, mit der die ukrainische Staatsanwaltschaft – übrigens in Deutschland weit mehr als in der anglophonen Welt – kritisiert wird, trägt nicht zur Glaubwürdigkeit der Argumentation bei, es handle sich um einen durch und durch parteipolitisch motivierten Prozess zur Ausschaltung einer Konkurrentin um den Posten des Präsidenten. Wie sonst wäre es zu erklären, dass sich niemand hierzulande empörte, als das Justizsystem in der Ukraine 2005, also mitten in der orangenen Periode, einen politischen Gegner Timoschenkos, den Chef der Donecker Gebietsverwaltung Boris Kolesnikow, verhaften ließ, die wichtigste Säule von Viktor Janukowitsch. Auch herrschte mediale Stille im Fall des politischen Weggefährten Timoschenkos der ersten Stunde, Pawlo Lasarenko, als dieser in den USA wegen Korruption, Geldwäsche und Amtsmissbrauch während seiner Zeit als Ministerpräsident in den Jahren 1996/97 zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. 2

Wendezeiten sind Hochzeiten großangelegten Diebstahls, Julija Timoschenko ist diesbezüglich keine Ausnahme, das wusste, wer es wissen wollte, schon vor ihrer Inthronisierung als Ministerpräsidentin. In der Ukraine selbst will jedenfalls kaum jemand mehr an die orangene Zeit erinnert werden.

Wer revoltiert?
Rosen in Georgien (2003), Zedern im Libanon (2005), Tulpen in Kirgisien (2005), Kornblumen in Belarus (2006) … die meisten Farbrevolutionen benannten sich nach Blumen oder Pflanzen. Ihre radikalsten AktivistInnen versammelten sich unter schlagkräftig klingenden Namen wie „Kmara“ („Genug“/Georgien), „Mjaft“ („Genug“/ Albanien), „Zubr“ („Wisent“/Belarus) oder „Kifaya“ („Genug“/Ägypten). Gemeinsam war und ist ihnen ihr jugendliches Alter, die Sehnsucht nach westlichem Lebensstil, ein hervorragendes Englisch und – zuvorderst – der Hass auf die herrschenden politischen Machtverhältnisse im Land. In aller Regel vom jeweiligen System gut ausgebildet, kann ihnen dieses nach erfolgreichem Studium keine adäquate Nutzung ihres Wissens anbieten. Das mag politische oder wirtschaftliche Gründe haben, die jungen Menschen können sich in die Gesellschaft nicht integrieren. Ihre in beiden Bereichen – Politik und Lebensstandard – zu hohen, letztlich enttäuschten Ansprüche führen sie schnurstracks in die Opposition. Ihnen gegenüber orten sie die lokale Macht: politisch erstarrt, wirtschaftlich korrupt, kulturell rückwärtsgewandt. So jedenfalls empfinden es die am sozialen Aufstieg Gehinderten. Die strukturellen Ursachen dieses gesellschaftlichen Zustandes werden in aller Regel nicht diskutiert oder spätestens im Angesicht finanzieller Unterstützung aus dem Westen argumentativ verworfen. Derweil handelt es sich bei all diesen farbigen oder blumigen „Revolutionen“ im Kern um soziale Unzufriedenheit, die den Zusammenbruch von sozio-ökonomischen Strukturen an den Rändern EU-Europas – im Osten und im Süden – reflektiert. Überall dort hat die sogenannte Transformation die Länder de-industrialisiert und ökonomisch peripherisiert, ohne den „Reform“- Gesellschaften eine neue Perspektive zu bieten. Die Revolte begreift die Jugend als einzige Alternative zur Emigration.

Es begann in Serbien
Die Mutter aller farbigen Revolutionäre war schwarz-weiß. Ihr Name: „Otpor“, zu Deutsch: „Widerstand“. Im Symbol führte sie die geballte weiße Faust auf schwarzem Grund, alles Rote war ihr verhasst. Gegründet wurde „Otpor“ bereits Anfang der 1990er Jahre in Belgrad, zeitgleich und in scharfer Gegnerschaft zum rasanten Aufstieg von Slobodan Milosevic. Ihr Schlachtruf lautete: „gotov je“, „er ist fertig“. Gemeint war damit das große Feindbild: Milosevic. Erste Demonstrationen im Sommer 1988 gegen seine „Sozialistische Partei Serbiens“ hatten durchaus sozialen Charakter, die Menschen gingen gegen Preiserhöhungen auf die Straße, die vom IWF diktiert waren. „Otpor“ formte aus Teilen dieser sozialen Protestbewegung eine politische Kraft, die ein einziges Ziel verfolgte: den Sturz des Autokraten, wie sie Milosevic bezeichneten.

Theoretische Grundlagen ihres Widerstandes fanden die Mitglieder von „Otpor“ beim US-amerikanischen Politologen Gene Sharp in dessen 1973 erschienenem Buch „The Politics of nonviolent Action“. Im Osteuropa der 1980er Jahre galt seine Anleitung für gewaltfreien Protest und gesellschaftliche Boykott-Haltung kleinen Dissidentenkreisen als Bibel. Nach dem Ende der Sowjetunion und Jugoslawiens stand die Frage der Legitimität von Herrschaft im Zentrum politischer und philosophischer Debatten. Wo die alte Führung oder vermeintliche Wiedergänger derselben nicht weichen wollten, fühlten sich Oppositionelle legitimiert, ihren Sturz zu betreiben. So war es auch in Serbien. Dort hatte sich Slobodan Milosevic mit seiner SPS zur Jahreswende 1990/1991 von der Schocktherapie des IWF losgesagt, indem er ohne in Washington nachzufragen, die Notenpresse zum Druck von Dinar für Lohnauszahlungen an Staatsbedienstete in Gang gesetzt hatte und damit den von den internationalen Finanzorganisationen oktroyierten Sparkurs torpedierte. Dies brachte ihm zwar Zustimmung im Volk samt mehreren Wahlsiegen, aber Ablehnung im Westen. „Otpor“ blieb dabei: „Milosevic muss weg“. Es sollte ein paar Jahre dauern, bis westliche Geldgeber das Potential dieser Protestbewegung für sich zu nutzen lernten.

Zivilgesellschaftliches Intervenieren
Seit Mitte der 1990er Jahre tummeln sich Horden von NGOs in den ehemaligen Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe und Jugoslawien. Ihre „mission“, wie es auf Englisch heißt, begegnet einem unter verschiedenen Schlagworten. Die eindringlichsten lauten: Democracy, Nation-Building und New Governance. Mit seinem Theaterstück „Die Fahrt im Einbaum“ hat Peter Handke dieser Spezies von fragwürdigen Helfern am Beispiel Bosnien-Herzegowinas ein dramaturgisches Anti-Denkmal der besonderen Art gesetzt. Wiewohl der immanente Zweck ihrer Tätigkeit in monatlichen Überweisungen auf ihre Lohnkonten in mehrfacher Höhe des Lohns der von ihnen betreuten „locals“ besteht, lassen sie dennoch das höhere Ziel nicht aus den Augen: die politische Intervention.

Die kräftigste Missionsgruppe in Sachen Westdemokratie für Ost- und Südländer ist die US-Stiftung „National Endowment for Democracy“ (NED). 1983 vom USKongress ins Leben gerufen und seither jährlich mit dreistelligen Millionenbeträgen (in Dollar) direkt vom US-Außenamt finanziert, verteilt das NED die Gelder über vier sogenannte Nichtregierungsorganisationen an farbig und blumenrevolutionär Gesonnene in Osteuropa, Asien und Afrika. Die vier Organisationen sind das den Demokraten nahestehende „National Democratic Institute for International Affairs“ (NDI), sein republikanisches Gegenstück „International Republican Institute“ (IRI), eine Außenstelle der US-Handelskammer „Center for International Private Enterprise“ (CIPE) und ihr Gegenüber „American Center for International Labor Solidarity“ (ACILS). Die Grundlage von Stiftungen wie dem NED, der staatlichen Entwicklungsagentur USAID, dem ebenfalls von US-Staatsgeldern finanzierten „Freedom House“ oder seiner britischen Kopie, der „Westminster Foundation for Democracy“, bildet ein besonderes Demokratieverständnis mit universalistischem Anspruch. Dieses weltweit zu verbreiten, haben sich US- und GB-Stiftungen zur Aufgabe gemacht. Es ist die in Westeuropa und Nordamerika seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelebte Demokratie. Ihr Konzept basiert auf unumstößlichen konkurrenzkapitalistischen Notwendigkeiten und deren Verwaltung durch politische Organe. Diese werden entsprechend einem als nicht hinterfragbar geltenden marktwirtschaftlichen Prinzip gewählt. Am idealsten ist diese Art von Demokratie, die auf einem „konstitutionellem Liberalismus“3 beruht, in einem bürgerlich-parlamentarischen Zweiparteiensystem unter einem starken Präsidenten ausgeprägt. Die dabei offerierte Wahlmöglichkeit schließt Systemfragen aus und reduziert sozio-ökonomische Debatten im weitest möglichen Fall auf steuerpolitische Maßnahmen.

Das Demokratieverständnis osteuropäischer und nordafrikanischer Revolutionsbewegungen war und ist freilich ein breiter angelegtes, dient es doch nicht in erster Linie der Verteidigung auf welche Art auch immer erworbenen Eigentums, sondern ist jedenfalls in der Selbstwahrnehmung ein revolutionäres. Umbruchzeiten eröffnen systematisch radikale Perspektiven. Diese in die Bahnen eines liberalen Demokratieverständnisses zu lenken, ist die eigentliche Aufgabe der missionierenden Interventionen von NED, USAID, „Westminster“, „Freedom House“ oder der Soros- Stifung. Der damals leitende Redakteur der meinungsbildenden US-Zeitschrift „Foreign Affairs“, Fareed Zakaria, hat in Bezug auf osteuropäische Wahlgänge, die nicht entsprechend bürgerlich-liberale Mehrheiten ergeben haben, das Unwort von der „illiberalen Demokratie“ geprägt, z. B. im Fall der Wahl von Vladimir Meciar in der Slowakei. Hier war, so meinte er, weniger die Demokratie an sich (faire und freie Wahlen), sondern der konstitutionelle Liberalismus angekränkelt. Demokratie ohne liberales Grundgerüst betrachtet er gar als eine gesellschaftliche Gefahr: „Demokratie ohne konstitutionellem Liberalismus ist nicht bloß unzulänglich, sondern gefährlich“4, gibt Zakaria, politischer Chefkommentator von CNN bis Time Magazine, die ideologische Linie vor.

Meciar, Iliescu, Milosevic, Janukowitsch … sie alle haben Mehrheiten an der Urne erhalten und wurden bzw. werden dennoch im Westen als Despoten, Autokraten, Nationalisten, Kommunisten oder Nationalkommunisten diffamiert. Im Monopolanspruch der Demokratie als einer bürgerlichen, konstitutionell-liberalen begründet sich die Aufgabenstellung westlicher Stiftungen, den Protestbewegungen ihre Farbe aufzudrücken.

Der Ablauf jeder zivilgesellschaftlichen Intervention zur Herstellung dieser westlichen Art von Demokratie könnte idealtypisch folgendermaßen dargestellt werden: Anfangs muss eine vorhandene, meist sozial konnotierte Unzufriedenheit „politisiert“, das heißt ihrer gefährlichen sozialrevolutionären Elemente entkleidet werden. In einem zweiten Schritt folgen intensive Kaderschulungen in Studiengängen zur bürgerlich-liberalen Demokratie, entsprechendem Nation-Building bzw. State-Building und Regime-Change. Damit sind die Aufgaben sogenannter zivilgesellschaftlicher Interventionen umschrieben. Oder, wie es einer der Gründerväter von NED, Allen Weinstein, bereits im September 1991 treffend formuliert hat: „Eine Menge von dem, was wir heute tun, wurde vor 25 Jahren von der CIA verdeckt getan.“5 In manchen Fällen, wie dem von James Woosley, lässt sich diese Entwicklung auch biografi sch nachzeichnen. Woosley war zwischen 1993 und 1995 Chef des CIA, um später den Board von „Freedom House“ zu leiten. Reichen die zivilgesellschaftlichen Interventionen nicht, um missliebige Regierungen los zu werden, dann kommt – wie gegen Jugoslawien 1999 – Militär zum Einsatz. Die Verschränkung von zivilen Missionen und militärischer Drohung bzw. militärischem Eingriff ist erstmals unter US-Präsident Bill Clinton in Jugoslawien/Serbien im Sinne ihres Erfinders erfolgreich durchgeführt worden, war anschließend in den 00er Jahren in vielen Ländern Osteuropas im Einsatz und hat unter Barack Obama auch den arabischen Raum erreicht.

Die serbische „Otpor“-Gruppe entwickelte – mit tatkräftiger Hilfe der oben genannten westlichen Stiftungen – aus der serbischen Oppositionsbewegung ein Exportmodell. Von Georgien über die Ukraine bis nach Belarus wurden Schulungen und Seminare für zivilen Widerstand abgehalten, um dem Westen nicht entsprechend willfährige Regierungen wie die von Schewardnadse, Kutschma/Janukowitsch oder Lukaschenka zu stürzen. Dass es nicht überall nach Plan verlief, zeigt das Beispiel Belarus, wo die örtlichen Farbrevolutionäre politisch verfolgt wurden und mit ihren Infrastruktureinrichtungen wie Radiosendern oder Zeitungen nach Polen oder Litauen fliehen mussten.

Moskau ist gewarnt
Im Juli 2012 hat die russische Duma mit nur drei Gegenstimmen ein Gesetz zur Offenlegung von Geldflüssen ausländischer Organisationen für russländische Nichtregierungsorganisationen beschlossen. Die einzelnen NGOs werden damit gezwungen, ihre Geldgeber und die Höhe der Zuwendungen zu nennen, der Staat behält sich eine rigide Kontrolle der Finanzierungsströme vor, im Nichteinhaltungsfall drohen Geld- und Haftstrafen. Die Empörung über dieses Gesetz in EU-Europa und US-Amerika wirkt gekünstelt. Denn einerseits ist seit mehreren Jahren die finanzielle und logistische Interventionskraft ausländischer Stiftungen in Osteuropa, Asien und Afrika für regierungskritische, farbrevolutionäre Oppositionsbewegungen offenkundig. So werden z. B. im Jahresbericht des NED von 2011 Höhe und Adressaten von Unterstützungsgeldern beispielsweise für osteuropäische Oppositionelle penibel aufgelistet. Der finanzielle Schwerpunkt lag in diesem Jahr, wenig erstaunlich, bei Belarus, wo für Organisationen wie „Freedom of Information“ (1,23 Mio. US-Dollar) oder „Civil Society“ (310.000 US-Dollar) insgesamt 3,5 Mio. US-Dollar bereitgestellt wurden. 6 Auch ist Russland nicht das erste Land, das sich in jüngster Zeit gegen die zivilgesellschaftlichen Interventionen westlicher Stiftungen zur Wehr setzt. Bereits im Dezember 2010 hat Venezuela die Schließung des NED-Büros in Caracas veranlasst; und im Dezember 2011 kam es in Kairo zur Durchsuchung von fünf Stiftungen – darunter die Konrad Adenauer Stiftung – und anschließenden Anklageerhebung gegen über 40 verantwortliche Mitarbeiter wegen Betreibens „illegaler ausländischer Aktivitäten mittels illegaler Geldtransaktionen“.7

Auf der anderen Seite kann es doch wohl nach den Erfahrungen in Serbien, der Ukraine oder Georgien nicht verwundern, wenn sich Moskau gegen zivilgesellschaftliche Interventionen von außen zu schützen beginnt. Man denke nur an die Reaktionen im umgekehrten Fall. Wie würde beispielsweise die EU reagieren, wenn russische oder chinesische Gelder für Oppositionsgruppen flössen – etwa zur Unterstützung von Gruppen, die für „nationale Selbstbestimmung“ eintreten. Damit könnte man in Moskau oder Peking übrigens eins zu eins das Argument der deutschen Parteinahme für Kroatien oder Bosnien im jugoslawischen Zerfallsprozess übernehmen. National artikulierte Unzufriedenheit ist weitum in EU-Europa vernehmbar. Von Griechenland bis zu den Niederlanden ließen sich rasch junge Menschen finden, die gegen das EU-Establishment zu Felde zögen; Geldzuwendungen von russischen Stiftungen würden ihre Arbeit erleichtern. Kapitalkontrollen für solche Zuschüsse wären von Seiten der EU rasch bei der Hand. Nichts anderes hat die Duma in Moskau beschlossen, als sie die Offenlegung von ausländischen Geldern für sogenannte Demokratie-Projekte gesetzlich festschrieb.
Im Übrigen agiert Moskau weit unbeholfener als der Westen. Da werden als Nichtregierungsorganisationen getarnte Unterstützer für Putin ins Leben gerufen, die unter Bezeichnungen wie „Naschi“ („Unsere“) Euphorie für das Regime simulieren sollen. Auch in der international nicht anerkannten „Republik Transnistrien“ war mit russischer logistischer und wohl auch finanzieller Hilfe phasenweise eine Jugendgruppe aktiv. Unter dem Namen „Proriv“ („Durchbruch“), im Logo ein schwarzer Schriftzug vor gelbem Hintergrund mit Guevara-Konterfei, startete sie Aktionen gegen die OSZE, als deren US-amerikanischer Leiter vor den anstehenden Wahlen in Tiraspol verlauten ließ, den Ausgang des Urnengangs keinesfalls anerkennen zu wollen. Das zivilgesellschaftliche Terrain ist als Kampffeld für geopolitische Auseinandersetzungen jedenfalls auch von Russland erkannt worden. Verglichen mit US-Stiftungen kann deren Schlagkraft allerdings vernachlässigt werden. Die Lenkung und Instrumentalisierung von jugendlichem Engagement für die Durchsetzung auswärtiger Interessen ist bislang vornehmlich ein in den USA und Großbritannien betriebenes Projekt.

1 Aus: Hannes Hofbauer, Mitten in Europa. Politische Reiseberichte aus Bosnien-Herzegowina, Belarus, der Ukraine, Transnistrien/Moldawien und Albanien, Wien 2006, S. 99f..
2 Vgl. Frank Schumann, Die Gauklerin. Der Fall Timoschenko, Berlin 2012.
3 Vgl. Ingo Pies/Martin Leschke (Hrsg.), F. A. von Hayeks konstitutioneller Liberalismus, Tübingen 2003.
4 Fareed Zakaria, The Rise of Illiberal Democracy, in: Foreign Affairs 76 (1997), Heft 6, S. 42.
5 Washington Post vom 21. September 1991.
6
7 Vgl. die Homepage der Konrad Adenauer Stiftung: .

Hannes Hofbauer, Jahrgang 1955, ist Historiker, Journalist und Verleger. Zuletzt ist von ihm erschienen: Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument, Wien 2011 (Promedia Verlag).

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