Sport lebt von einfachen Regeln. Es gibt Gewinner und Verlierer, Punktestände, Bestzeiten und es gibt Männer und Frauen. Doch die idealisierte und simple Sportwelt nimmt wenig Rücksicht auf ganz natürliche Erscheinungen außerhalb der Turnhallen, Stadien und Schwimmbäder. Das erfährt Ulli aus Berlin Kreuzberg Tag für Tag.
Von Jenz Steiner
aus telegraph #125|126
„Ich habe jahrelang alles in mich hinein gefressen. So konnte es nicht weitergehen. Ich hab nie mit jemandem darüber geredet. Ich wusste einfach, ich gehöre hier nicht hin. Ich spiele einfach für die falsche Mannschaft. Ich wusste, ich kann so nicht in einem Jungen-Verein spielen. Aber trotzdem wollte ich schon weiter Sport machen.“
Ulli ist 18, steht auf Fußball und hat eigentlich einen anderen Namen, Ulli gilt als transsexuell. Das heißt, er wurde als Mädchen geboren, fühlt sich aber als Junge. Ulli liebt Sport – wie viele andere Jugendliche. Nicht nur Fußball, auch Tennis, Schwimmen und Fitness. Im Mädchen- Team fühlt er sich fehl am Platz. Bei den Jungen hat er noch nicht mitgespielt.
Welchem gesellschaftlichen Druck Menschen wie er im Alltag ausgesetzt sind, weiß die Sozialpädagogin Alice Stein. Sie beschäftigt sich professionell mit Ulli und anderen transsexuellen Jugendlichen. Sie betreut Ulli in einer Jugend-WG im Berliner Stadtbezirk Kreuzberg-Friedrichshain. Sie kennt seine Probleme auf der Suche nach Identität. Aus Erfahrungsberichten weiß sie, wie Sportvereine und Lehrkräfte mit Jugendlichen wie Ulli umgehen. „Statt einfach zu sagen: Okay, Du kannst jetzt mit den Jungen oder Mädchen trainieren. Wenn sich eine Veränderung im Geschlecht abbildet, wird häufig gesagt: Du musst jetzt weiter mit den Mädchen trainieren.“ „Sport sei unheimlich wichtig, weil es da um ein Spüren und ein Auseinandersetzen mit dem eigenen Körper ginge“, sagt Alice Stein. „Oft ist es so, dass Menschen, die transident sind, erstmal mit einem Körper leben, den sie ablehnen, den sie so nicht möchten. Der Umgang mit dem Körper ist ein sehr abgespaltener.“
Gerade in der Teenager-Phase spielt die Körperwahrnehmung eine große und wichtige Rolle. „Sport ist schon eine Möglichkeit, den Körper, obwohl er nicht den Merkmalen entspricht, die sie gerne hätten, gut zu spüren, den zu trainieren oder dem irgendwie Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Da könnte Sport eine Menge bewirken. Aber eben auch Sport im Verein“, meint die Berliner Sozialpädagogin. Duschen, umziehen, Trainingsklamotten an und ab zum Sport. Was für die meisten Menschen ganz normal ist, stellt für Menschen mit nicht eindeutiger Geschlechtsidentität eine große Herausforderung dar.
Separate Kabinen für Transsexuelle gibt es nicht. Die meisten Menschen machen sich darüber natürlich keine Gedanken. Was genau beschäftigt Menschen, deren Körper vom rein Äußerlichen in die eine, vom Selbstverständnis her aber in die andere Richtung gehören?
„Innerlich bin ich ein Junge. Ich spüre mich so. Aber äußerlich? Ich gehe natürlich in die Herren-Umkleide, aber ich ziehe mich da nicht um. Ich komme natürlich mit Sportsachen, packe meine Sporttasche rein. Aber allein schon das Gefühl dazu zu gehören, allein schon in die richtige Umkleidekabine zu gehen, das ist stärkend“, sagt Ulli mit sehr euphorischer Stimme und großen Handbewegungen.
„Ein Außenstehender kann sich das, glaube ich, gar nicht vorstellen. Allein, dass ich in die Herrenumkleidekabine gehen kann, ist für mich ein Stück Freiheit.“ Gleichzeitig scheinen in ihm Ängste oder schlimme Erinnerungen zu erwachen. Seine Stimme wird ruhiger und langsamer. „Wenn jetzt manche Männer wüssten: Oh Gott, da ist jetzt jemand, der sich im falschen Körper fühlt, aber noch einen weiblichen Körper hat. ‚Ey, ’ne Transe!‘ oder was weiß ich. Das kennt man schon. Na klar, gibt es auch Leute, die dann auch diskriminiert werden, auch beim Sport.“ Wenn Ulli über Demütigungen und über Beleidigungen spricht, dann nur in der dritten Person. Ulli wirkt nach außen stark, souverän und sehr refl ektiert. Dennoch ist er sehr behutsam, wenn er an die Öffentlichkeit tritt.
Die online frei zugängliche Studie „Transgender EuroStudie“ von Professor Steven Whittle von Manchester Metropolitan University aus dem Jahr 2008 besagt, dass 64 Prozent der Transmänner und 44 Prozent der Transfrauen in der Schule gehänselt oder bedroht wurden, nicht nur durch Mit-schüler. 21 Prozent der Transfrauen und 28,7 Prozent der Transmänner wurden demnach auch von Lehrerinnen und Lehrern für Nichtgeschlechtskonformes bestraft oder gedemütigt.
Wer sich bedeckt hält, wer sich nicht zeigt, hört auch keine blöden Sprüche. Das ist die Erfahrung vieler Menschen mit nicht eindeutig zuweisbaren Geschlechtsmerkmalen. Was aber passiert da, wo nackt sein einfach dazugehört, wie im Schwimmbad? In Berlin verabreden sich seit Juni Transsexuelle zum regelmäßigen Schwimmen als Gruppe. Nicht nur allein, sondern auch mit ihren Bekannten, mit ihren Freundinnen und Freunden. Sie nennen das „Queer Guerilla Swim“. „Guerilla“ deswegen, weil es für die Mehrheit der Mitmachenden ein revolutionärer, ein emanzipativer Akt ist, ein Schwimmbad zu betreten. Womit man als Guerilla-Schwimmer innerlich und äußerlich zu kämpfen hat, erklärt der aus Kanada stammende Frank, einer der Organisatoren.
„Der Queer Guerilla Swim ist eine Möglichkeit für Leute, zusammen ins Schwimmbad zu gehen und zu sagen: Wir sind hier und wir sind nicht allein.“ Für Frank begann alles an den ersten heißen Tagen des Jahres mit einem damals noch utopischen Wunsch. „Ich wollte mit einer großen Queer-Gruppe ins Schwimmbad, damit wir zusammen gehen können, denn ich hatte Angst allein. Da bin ich auf diese Idee gekommen. Schließlich gibt es kein Trans-Schwimmbad. Es gab vorher viele Gespräche und Diskussionen. Gehen wir ohne T-Shirts, gehen wir mit? Zeigen wir die Titten? Am Ende sind viele von uns ohne T-Shirt in den Pool gegangen.“ Bald unterlagen die eigenen Ängste dem großen Triumph. „Wir hatten keinen Stress. Als wir ins Wasser gegangen sind, ohne T-Shirt und so, das war ein Statement.“ Diese Aktion funktioniert, weil die Leute gemeinschaftlich auftreten, obwohl sie sich sonst nicht in diesen öffentlichen Raum trauen würden.
Ulli zeigt sich nicht so offen wie der schon etwas ältere Frank. Er möchte so schnell wie möglich ein Mann sein, um fertig zu sein, um ans Ziel zu kommen, wie man im Sport vielleicht sagen würde. Er will, dass endlich alle Unklarheiten beseitigt sind. „Ein großes Ziel ist eigentlich, wirklich im Sommer oben ohne schwimmen zu können. Einfach so in Freiheit zu sein.“ Freiheit, frei von Zweifeln, frei von doofen Sprüchen, auch als Sportler, im Fitnessstudio oder beim Fußball. Dabei bezieht sich Ulli direkt auf Personen des öffentlichen Lebens, die ähnliche körperliche Erfahrungen wie er durchlebt haben. Balian Buschbaum war erfolgreich im Spit zensport und steht im Fokus der Medien, hat als Yvonne Buschbaum große Erfolge erzielt, Meisterschaften gewonnen. „Balian Buschbaum ist jetzt groß rausgekommen. Aber auch erst, nachdem er fertig war. Hat er sich jemals gezeigt, als er im Umlauf war? Auch nicht! Wahrscheinlich wären dann auch Sprüche gekommen. Na klar, jetzt sieht er aus wie ein Mann. Heute würde niemand mehr sagen: Ach sie waren mal biologisch eine Frau.“
Der Hamburger Queer-Forscher und Autor des Buches „Boymen“ fand in einem Interview mit der Tageszeitung „taz“ eine treffende Erklärung für diese Sichtweise. „Ein Mann ist nicht nur, wer keine Frau ist, sondern auch mit dieser Sex hat. Lesben und Schwule und Transgender stören dieses Modell, in dem Heterosexualität Gendervorstellungen naturalisiert.“
In anderen Lebensbereichen geht Ulli offensiver mit seiner Transsexualität um. Mit Freunden und Familie, selbst mit seinem Chef hat er schon beim Einstellungsgespräch darüber gesprochen. Im Sport dagegen hält er sich noch bedeckt. Er will abwarten, bis die Geschlechtsangleichung abgeschlossen ist. Dann will er als freier Mann Sport treiben.
Jenz Steiner ist Musiker, Autor, Radiomoderator und Betreiber des Prenzlauer Berg-Blogs: www.reifenwechsler.blogspot.com
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