Dem Buch ist es egal, wo es gelesen wird.
Von Jochen Knoblauch
aus telegraph #125|126
Und immer öfter muss es auch heißen, dem Text ist es egal, wie er gelesen wird. Nachdem einige Jahre lang das E-Book verschmäht worden ist, wie E 10 an der Tankstelle, wird es sich demnächst wohl doch durchsetzen. Denn Argumente wie etwa das Platzproblem („Ich kann 100 Bücher mit in den Urlaub nehmen …“ – aber wer liest schon 100 Bücher im Urlaub? usw.), werden auch diesem technischen Schnickschnack zum Durchbruch verhelfen. Aber ehrlich gesagt, finde ich es wichtiger, dass Bücher überhaupt gelesen werden, und dabei spielt für mich das Wie erstmal eine untergeordnete Rolle. Inzwischen kann mensch selbst bei linken Verlagen beobachten, dass sie neben dem althergebrachten Druckerzeugnissen auch E-Books, Pdf-Versionen usw. anbieten, und das nicht nur für vergriffene Titel, sondern bereits auch bei Neuerscheinungen. O.k., wenn es der Sache dient. Das gedruckte Buch wird so schnell nicht untergehen. Da bin ich mir sicher.
Deshalb hier ein paar Hinweise auf Neuerscheinungen – die es z. T. nicht als E-Book gibt – aber trotzdem empfehlenswert sind.
Lifestyle
Nun, wenn VerlegerInnen anfangen zu schreiben, könnte man ihnen unterstellen, dass sie mit den Texten ihrer AutorInnen nicht ganz zufrieden sind, aber manchmal haben sie eben die Doppelbegabung gute Autoren zu sein und gleichzeitig gute Verleger wie etwa im Fall von Klaus Bittermann. Der Inhaber der Edition Tiamat, inzwischen seit Jahrzehnten in BerlinKreuzberg ansässig, legte jetzt mal wieder erneut ein eigenes Werk vor: Klaus Bittermann; Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol. Kreuzberger Szenen. Edition Tiamat Berlin 2011 / Reihe Critica Diabolis 190 / mit einigen Abb. / 191 S. / 14,00 Euro. Mit Witz, Eigenironie und dem Blick eines Kiezflaneurs beobachtet Bittermann seine Umgebung. Ob Gentrifizierung, oder Verrohung der Sitten, ob nun die Nachbarschaft im Positiven – aufeinander achtgebend – oder im Negativen – sich gegenseitig kontrollierend. Bittermann ist in seinen Beobachtungen nicht moralisierend, wenngleich er eine Meinung hat, und die kruden, schrägen und sonst wie Personen, die einem täglich so über den Weg laufen, haben es ihm besonders angetan. Und sicherlich ist der Kreuzberger Kiez hier nicht einzigartig, ähnlich geht es wohl auch in anderen Städten zu. Sehr unterhaltsam.
Ein anderer Kulturkritiker auf seiner Weise – wenngleich hier die Rubrik „Lifestyle“ etwas kurz greift – ist der ehemalige Stadtguerillero Nobert „Knofo“ Kröcher, dessen gesammelte Aufsätze und Texte jetzt erstmals als Buch erschienen sind: Norbert „Knofo“ Kröcher; „…warum mir die Linke“ – Knieschüsse oder: Die Kritik als Waffe. Verlag Edition AV Lich/Hessen / 149 S. / 12 Euro. Knofo, der auch im Blätterwald der Berliner Alternativ-Zeitungen immer mal wieder zu Wort meldet, vertritt einen unerbittlichen Standpunkt des wütenden Nonkonformisten. Keine Macht den Doofen und keine für political correctness. Hier bekommen einige ihr Fett weg, die sonst eher geschont werden, und Knfo scheut nicht die Polarisierung. D. h., einige werden sich köstlich amüsieren und andere ärgern. Ich gehöre zu den Ersteren.
Anarchismus
Der Verlag Edition AV hat eine kleine neue Reihe, die sich subversiv nennt, in der bestimmte Themen abgehandelt werden sollen u. a.: Hans Jürgen Degen; „… den rostigen Tod einer Maschine.“ Vom Unfug des Staates. Verlag Edition AV Lich, Hessen 2011 / Reihe: subversiv 1 / 157 S. / 14,00 Euro. Das Schöne an diesem Büchlein ist etwa, dass hier nicht die üblichen Zitate von AnarchistInnen verwendet wurden, um die Unsinnigkeit des Staatswesens zu dokumentieren, sondern sie stammen vornehmlich von Staatsapologeten, die Zweifel am eigenen Denken und Handeln üben. Dieses Büchlein sollte jeder Abgeordnete lesen – aber bitte mit der Konsequenz nicht nur „weniger Staat“ sich auf die Fahne zuschreiben, sondern dessen Abschaffung zu betreiben.
In derselben Reihe erschienen noch von Hans Jürgen Degen Texte über den Individualismus (ohne die heute postmodernen Einwürfe) und über das Thema Freiheit.
In der politischen Szene gibt es einige Themen, die gerne unter den Tisch gekehrt werden, aber wo es anscheinend in den letzten Jahren doch ein Diskussionsbedürfnis zu geben scheint. Ein solches Thema versucht das Buch: Johanna Rottenbach; Anarchie und Spiritualität. Selbstbestimmtes Leben als Therapieform. Karin Kramer Verlag Berlin 2012 / 148 S. / 14,80 Euro, aufzugreifen. Hier geht es vor allem um Buddhismus und um den Versuch, den religiösen Anspruch des Eins-Seins mit der Welt mit einem politischen bzw. libertären Anspruch zu verbinden. Ein durchaus diskussionswürdiger Ansatz. Sind wir nicht alle „Gläubige“? Durchaus interessant.
Einen weiteren Tabubruch begeht das Buch: Uwe Timm; Gegen das Geschäft mit dem Klimawandel. Plädoyer für eine freie und soziale Gesellschaft. Edition Anares Bern 2012 / Sonderheft espero Nr. 13 / 99 S. / 12 Euro. Timm warnt hier vor Scharlatanerie, die als Wissenschaft daher kommt, und ein Szenario aufbaut, welches vor allem dazu dient, dass noch mehr staatliche Einmischung und Repression installiert wird. Wurde früher vor einer Ökodiktatur gewarnt, die von den GRÜNEN ausgehen könnte, so haben wir die schon (fast) jetzt von den konservativen Regierungen ausgehend. Ein durchaus anregender Text, zumal wenn wir uns überlegen, dass unter einer Rot-Grünen Regierung auf Autokraftstoffe eine Ökosteuer eingeführt worden ist, die mit Ökologie überhaupt nichts zu tun hat, sondern lediglich mit zusätzlichen Staatseinnahmen. Kein leichtes Thema, aber wer sich damit auseinandersetzen mag, sollte hier durchaus mal reinschauen.
Die anarchistischen Hardcoreansätze kommen derzeit aus den USA. Ein weiteres Buch der DIY-AktivistInnen liegt nun vor: Message in a Bottle. Crimethinc. Communiques 1996-2011. Unrast-Verlag Münster 2012 / mit Abbildungen / 290 S. / 16,00 Euro. Schon das im selben Verlag erschiene Buch „DIY. Von Anarchie und Dinosauriern“ verursachte hierzulande einige Diskussionen, und bei dem jetzt erschienenen Buch wird es nicht anders sein. Es geht ja eigentlich nicht um neue Theorien, sondern eher darum alte konsequenter anzuwenden. Aber auch hier schreien schon einige auf. Diese neue Jugendbewegung in den USA, die sich vor allem militant in der Anti-Globalisierungsbewegung entwickelt hat, gibt sich nicht mehr mit den alten Strukturen zufrieden, sie sucht sich eigene Anknüpfungspunkte. Erstmal besser als gar nix. Aber blind unterschreiben würde ich hier auch nicht alles.
Und jetzt (auch) zum E-Book: P. M.; Kartoffeln und Computer. Märkte durch Gemeinschaften ersetzen. Reihe: Nautilus Flugschrift. Edition Nautilus Hamburg 2012 / 76 S. / 6,90 Euro. Hier sind im Herbst gleich zwei neue Bücher vom Schweizer Kultautor P.M. erschienen. Wie so oft bei ihm erschienen abwechselnd ein Roman und ein Sachbuch – und hier erstmal das Sachbuch. Letztlich bewegt sich P. M. von seinem Bolo’bolo nicht allzu weit entfernt. Auch in dieser kleinen Schrift bleiben die Grundthesen dieselben. Es kann nicht oft genug gesagt werden, dass wir zwingend Ideen für eine andere, eine gänzlich neue Politik bzw. Gemeinschaft brauchen, und es betraf nicht der Revolution oder einer alles umfassenden Zerstörung der bestehenden Welt, sondern einfach ein geschärfteres Bewusstsein für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen, ein wenig mehr vom guten Leben für Alle, statt dem Ellbogenkapitalismus. Eine bessere Welt könnte so simpel funktionieren … Wieder ein großartiger Text von P. M. Für mich zählt es schon jetzt zu einem der besten Bücher dieses Jahres.
Antisemitismus
Hier noch kurz – wie ich meine – ein wichtiges Werk, wenngleich doch etwas sehr wissenschaftlich und vom Autor etwas oft betont, was er alles nicht leisten konnte zum Thema: Gilbert Achcar; Die Araber und der Holocaust. Der arabisch-israelische Krieg der Geschichtsschreibungen. Edition Nautilus Hamburg 2012 / 364 S. / 28 Euro. Ein Plädoyer für ein arabisch-israelisches Zusammenleben. Dass AraberInnen nicht per se antisemitisch sind und waren, wird in Israel gerne verdrängt, diesem Vorurteil versucht Achcar mit wissenschaftlicher Akribie entgegen zu arbeiten. Menschen, denrn an einem friedlichen Miteinander gelegen ist, sollten dieses Buch lesen.
Piraterie-Nachtrag
In der letzten Ausgabe hatten wir zwei Bücher zum Thema Piraterie (den historischen FreibeuterInnen, und nicht zu den digitalen fdp’lerInnen) und zu diesem Thema gehört auf alle Fälle noch das Buch des großartigen sozialkritischen Schriftstellers aus Mexiko: Paco Ignacio Taibo II, Die Rückkehr der Tiger von Malaysia Assoziation A Berlin – Hamburg 2012 / 304 S. / 19,90 Euro.
Der Abenteuerroman erzählt die Geschichte des malaiischen Prinz Sandokan und seiner Besatzung, der Tiger von Malaysia. Absolut empfehlenswert.
So, leider blieb – bis auf den Nachtrag – diesmal die Literatur etwas auf der Strecke, dafür beim nächsten Mal mehr … Und ob nun als E-Book, oder das geliebte bedruckte Papier, es bleibt wichtig, dass gelesen wird, was das Zeug hält bzw. was unsere Fantasie beflügeln kann, denn ohne geht es nicht weiter …
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