Bei Auslandseinsätzen mit entsprechendem Gerät werden In- und Ausländische NATO-Truppen nach Leipzig verlegt und von dort an die Kampfschauplätze gefl ogen. Dabei können auch ABC-Waffen (atomare, biologische und chemische Mittel) zum Einsatz kommen, sieht der entsprechende NATO-Plan vor. Nach Auffassung von Völkerrechtlern widerspricht diese Nutzung zentralen Bestimmungen des 2-plus-4-Vertrags von 1990, mit dem die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland zustimmten.
Von Torsten Schleip
aus telegraph 124
Leipzig Herbst 1989
Zehntausende friedliche Demonstranten zwingen eine eklatanter Fehleinschätzungen verfallene Partei- und Staatsführung zunächst zu den üblichen vehementen Reaktionen und letztendlich zur Kapitulation. Die „friedliche Revolution“ führt zum Fall der Mauer, zur Veränderung Europas und schließlich zu einer vollständigen Erneuerung des politischen Gefüges der Welt. Nicht in jeden Fall zu ihrem Vorteil. Von der Euphorie anfänglicher Erfolge bleibt in der Stadt und im Land ein (ostdeutscher?) Traum von der Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durch eine ausreichende Menge von Individuen. Alles schien machbar: echte Demokratie, eine „Friedendividende“, der Wegfall des Wettrüstens und die Umwidmung von Militärausgaben für soziale Belange, die Reduzierung und Aufl ösung der Armeen (zunächst mal in Deutschland), die Abschaffung des Blockdenkens des kalten Krieges. Eiapopeia.
Leipzig irgendwann zwischendurch
Mit typisch sächsisch-provinziellem Größenwahn wird der Ausbau des saisonalen Messeflughafens Leipzig-Schkeuditz zum Interkontinentalflughafen betrieben. Vor allem werden Kosten nicht gescheut: bislang über 1,1 Milliarden Euro. Es zahlt der Steuerzahler – also keiner (oder alle?). Die bisher vorhandene Südlandebahn wird an der Autobahn A 13 gespiegelt. Visionen: das nun entstandene Konstrukt wird noch einmal an der A 9 gespiegelt. Mit dann vier Start- und Landebahnen sind wir die Größten. Dauert aber noch ein wenig, also: Neubau der Terminals B und C, Parkhaus, Mall, Ausbau zum europäischen Frachtdrehkreuz, logistische Anschlüsse an Straße und Bahn, riesige Hallenkomplexe und Triebwerkstesteinrichtungen. Und nicht zuletzt eine nahezu uneingeschränkte Nachtflugerlaubnis. Prognosen: zehntausende Arbeitsplätze, 7 Millionen Passgiere pro Jahr.
Täuschland Frühjahr 2003
Die rot-grüne Bundesregierung hält, nachdem sie 1999 mit Scharping-Hufeisen, Fischer- Rampe und medialer Überbeanspruchung den Bombenkrieg aus „humanitären Gründen“ der Öffentlichkeit im Fall Serbien so richtig ans Herz und ins Hirn gelegt hat, den deutschen Michel wohl doch nicht so ganz für kriegsdienstverwendungsfähig. Regierung und Opposition erklären unisono: Wir werden uns an einem Bush-Krieg gegen den Irak nicht beteiligen. Jedenfalls nicht so ganz. Nicht so offi ziell. Nicht mit Soldaten. Stattdessen: unbegrenzte Überflugrechte, Rhein Main Air Base, Rammstein, Büchel, Bewachung amerikanischer Kasernen, BNDInformationen zur Bombenlenkung usw. usf. Merkt ja k(aum)einer.
Leipzig seit 23. März 2006
Da NATO-Truppen weltweit an immer mehr Stellen den imperialen Anspruch der westlichen Welt durchsetzen müssen, mangelt es dem Militärbündnis an Transportkapazitäten. Über die verfügt der ehemalige jetzt kapitalisierte Erzfeind mit dem Großraumstransporter AN 124. Da treffen sich dann Angebot und Nachfrage und weil Outsourcing gerade groß in Mode ist, gründen NATO und die Wolga-Dnepr-Gruppe eine gemeinsame Firma namens SALIS (Strategic Air Lift Interim Solution). Weil es bei der Verlegung von militärischem Material auch auf Geschwindigkeit ankommt, wird noch ein nicht genügend genutzter Zivilfl ughafen in Mitteleuropa benötigt und gefunden, auf dem dann mindestens zwei und maximal sechs AN 124 geparkt und gewartet werden. Zur feierlichen Begrüßung der Maschinen wird die angekarrte Militär- und Politprominenz auf dem Flugfeld mit Schnittchen versorgt, die Protestler gegen Lärm, Kerosin und Uniformträger dürfen immerhin bis zum Zaun. Und immer ist noch reichlich Überkapazität vorhanden.
Als dann ebenfalls 2006 durch Proteste und Aktionen am Flughafen Shannon an der Westküste Irlands amerikanische Truppentransporte in den Nahen Osten und nach Afghanistan nicht mehr problemlos durchgeführt werden konnten, standen die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen am Flughafen begeistert Landekelle bei Fuß. Bestehende moralische oder verfassungsrechtliche Bedenken wurden abgebügelt: die Maschinen würden nur betankt, es handele sich ausschließlich um Urlaubsfl üge, die US- bzw. NATO-Truppen würden ja schließlich nicht stationiert, „die Nutzung des Flughafens Leipzig- Halle als Be- und Endladeort wird eher die Ausnahme darstellen“ (Verteidigungsministerium). Inzwischen werden jährlich „ausnahmsweise“ ca. 500.000 GIs über den Flughafen in kampfesmutfördernde Rekonvaleszenz oder in Krieg und Tod transportiert. Und zur Schönung der Statistik als Passagiere gezählt. Trotz aller statistischer Schönfärberei aber steht eines fest: der Flughafen Leipzig-Halle bleibt ein hochsubventioniertes Millionengrab. Er hat bisher keinen einzigen Euro Gewinn erwirtschaftet, jeder Passagier wird vom Freistaat Sachsen mit 20 Euro, jede Tonne Fracht mit 50 Euro subventioniert (kleine Anfrage der Abgeordneten Gisela Kallenbach von den Grünen an die sächsische Staatsregierung). Da fällt es kaum ins Gewicht, dass auch die Bundeswehr als gern geförderter Gast bei Auslandseinsätzen der 13. Panzergrenadierdivision mehrere tausend Einsatzkräfte und Material via Flughafen nach Afghanistan oder in den Kosovo expediert. Wenn es so leicht ist, den Steuerzahler zu schröpfen, wollen natürlich alle profi tieren. Zwar sind die Verhandlungen der Post-Tochter DHL als alleinigem Logistikdienstleister des Kriegsministeriums nicht zum Abschluss gekommen, trotzdem besitzt das Unternehmen das Monopol auf den Transport von Kleingerät bis 50 kg (da gibt es eine Menge außer Feldpost). Das europäische Drehkreuz der DHL befi ndet sich – na klar – in Leipzig und wird geleitet vom ehemaligen Flughafenchef Eric Malitzke.
Bei so trauter Einigkeit von Wirtschaft, Politik und Militär fällt es leicht, den Protest gegen militärischen Missbrauch und uneingeschränkte Nachtfl ugerlaubnis zu ignorieren. Zumal sich die Würdenträger auf vasallentreue Verwaltungsrichter verlassen können. Die geben keinen Deut auf anerkannte Luftfahrtexperten und sehen weder rechtliche Bedenken noch können sie einen Konfl ikt mit dem 2+4-Vertrag erkennen und lehnen die Klagen der Anwohner im Sommer 2007 ab. Fiat justitia et pereat mundus.
Und so geht alles seinen Gang, auch wenn die Passagierzahlen mit GIs bei 2,5 Millionen herumdümpeln, der Dresdner Flughafen den Leipziger ohne Militär überholt hat und es mit der Eröffnung von BER auch nicht besser werden dürfte. Da wird der sächsische Wirtschaftsminister noch einige Euros in die Heimat überweisen müssen, aber das Geld ist ja gut angelegt. Bei wem auch immer. Ach so: aus den zehntausend Arbeitsplätzen ist natürlich auch nichts geworden. Nur das sich an dieses einstmals so gefeierte Argument kaum einer mehr erinnern kann (oder will).
Und trotzdem ist nicht alles trostlos und Widerstand kann auch Spaß machen: am 4. September 2011 gestaltete LEBENSLAUTE im Terminal des Leipziger Flughafens ein klassisches Konzert. Misstrauisch beobachtet von ansonsten in Reglosigkeit verharrender Security und Polizei, umrahmt von zahlreichen Transparenten gegen den militärischen Missbrauch, mit Applaus bedacht von Fluggästen und Sympathisanten und unterbrochen von Redebeiträgen mit selten gehörten (oder zur Kenntnis genommenen) Hintergründen ertönte über eineinhalb Stunden anklagende Musik gegen Krieg, Tod und militärischen Wahn.
Torsten Schleip ist Lehrer für Mathematik, Physik und Französisch. Seit Wendezeiten aktiv in der Initiative für eine Vereinigte Linke, Friedensweg Leipzig, Friedenszentrum Leipzig und DFG-VK.
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