Sasportas: …Ich habe gesagt, dass die Sklaven keine Heimat haben. Das ist nicht wahr. Die Heimat der Sklaven ist der Aufstand.*
In Japan fliegen die unsicheren Reaktoren in die Luft. Der Atomunfall in Fukushima wird von Fachleuten mittlerweile ähnlich eingestuft, wie die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Die deutsche Atomlobby hat ihre Werbung für „sichere und saubere Energie“ vorübergehend eingestellt, im Hintergrund zieht sie an den Strippen des parteipolitischen Marionettentheaters. Alle setzen auf Zeit, mit der Hoffnung auf partielle Amnesie.
Der Westen führt immer neue Kriege, in den verschiedensten Teilen der Welt. Als das Übel der Welt wurde Ende letzten Jahres in Deutschland jedoch der Kommunismus ausgemacht.
Mit Griechenland, Irland, Portugal, vielleicht demnächst Spanien und den USA, geraten nach den Großbanken ganze Staaten ins Wanken. Der „Krisengewinnler“ Deutschland jubelt – noch!
Hektisch werden unvorstellbare Milliardenund Billionensummen in alle möglichen Maßnahmen gepumpt, von denen kein Schwein weiß, ob und wie lange sie überhaupt greifen, während fortwährend die „Eliten“ ihre eigene Gesellschaft unterhöhlen. Ex-IWF-Chefökonom Simon Johnson bestätigte neulich in einem Interview, dass die Banken weiter extrem waghalsige Risiken eingingen. Sie nähmen enorme Kredite auf, denen kaum Eigenkapital entgegenstehe. Das alte Spiel laufe ungebrochen weiter: Gehe die Wette auf, kassierten einige wenige Investmentbanker riesige Profite. Platze die Wette, wird die Rechnung den Steuerzahlern übergeholfen. Mit Hilfe ungeheurer Beträge wird eine Art Staatssozialismus für Reiche praktiziert. Von diesen Beträgen können normale Leute nur träumen, für die ist das Gelaber von „Schuldenbremse“ und „Sparpaket“. Sollte aber der Zustand eintreten, dass die Staaten wieder und wieder Massen von Geld in den finanzwirtschaftlichen Abgrund werfen und am Ende so bankrott sind, dass sie ihre sozialen Mindeststandards nicht mehr bezahlen können, so wird wohl spätestens dann von einer Mehrheit die Frage sehr laut gestellt werden: Wie legitim ist diese kapitalistische Gesellschaftsordnung überhaupt noch? Wir erinnern uns: Wenn eine gesellschaftliche Ordnung große Teile ihrer Legitimität verliert, spricht man gewöhnlich von einer revolutionären Situation. Die Antwort auf die in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtige Frage nach dem revolutionären Subjekt, wird möglicherweise auch die Frage nach unserer Zukunft entscheiden – gehen wir den Weg in Richtung einer gerechten und freien Gesellschaft oder in den zivilisatorischen Zusammenbruch – überlassen wir unsere Zukunft den Kapitalismus-Modernisierern, den Parteipolitikern oder gar den Rechten, oder nehmen wir unsere Sache in die eigenen Hände.
Die „Musik“ spielt derzeit aber ganz woanders. Und auch dort ist noch offen, ob der gesellschaftliche Prozess der Veränderung in Richtung Emanzipation, Modernisierung oder Mittelalter gehen wird.
Die Aufstände und blutigen Proteste in der arabischen Welt sind spannend und erinnern uns oft an unsere eigene Revolutionsgeschichte – von den fast täglichen Massendemonstrationen, über die Erstürmung der Geheimdienstzentrale bis zur „Aneignung fremder Arbeit“ durch die Reaktion, der Vorbereitung von „freien“ Wahlen und dem Ende forcierter Emanzipation und Selbstbestimmung.
Ein anonymer Fotograf aus Ägypten überließ uns das auf unserem Titel zu sehende Foto – ein Schnappschuss aus der ägyptischen Revolution.
Unsere Autoren widmen sich im vorliegendem telegraph neuen Aufstandstheorien aus Frankreich, einer verlogenen „Kommunismusdebatte“, erfolgreichem Antimilitarismus und Obamas Kuba-Politik. In Deutschland fast unbemerkt, fanden in den USA gerade die größten Massendemonstrationen seit dem Vietnamkrieg statt. Der Grund war das massive Vorgehen reaktionärer Kreise gegen die dortigen Gewerkschaften. Michael Moore hält das für einen Klassenkrieg. Wir drucken eine Rede ab, die der bekannte Filmemacher im Verlauf der Kämpfe auf einer Demonstration hielt.
Außerdem haben wir zwei kontroverse Positionen zum Thema „Linkssozialismus“, einer sozialistischen Strömung jenseits von Sozialdemokratie und doktrinärem Parteikommunismus im Heft. Die beiden Autoren prüfen seine zeitgenössische politische Bedeutung und die zeithistorische Verortung dieses „Sozialismus zwischen allen Stühlen“.
Im Kulturteil hat sich Jenz Steiner für uns nach neuen Tendenzen in der Musikszene umgeschaut. Anne Alex steuert einige Rezensionen bei und natürlich müsst Ihr auf Knobis Bücherschau nicht verzichten.
Die Zeichnungen in diesem Heft sind von Christoph Zedler aus Erfurt. Wir haben eine neue Kontonummer, sie lautet: 66 787 59 00.
Für die erhaltenen Briefe, Kommentare, emails und uns zugesendeten Texte wollen wir uns hier mal wieder bedanken und freuen uns weiter über Eure Beteiligung an unserem gemeinsamen „Projekt“.
Eure Redaktion telegraph
* Heiner Müller: „Der Auftrag“
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph