Ein Interview mit Lutz Schulenburg über das Unsichtbare Komitee und den Kommenden Aufstand
aus telegraph #122/123
Seit einiger Zeit sorgt ein Buch in Europa für Diskussionen, erst in Frankreich, dann in England und seit ein paar Monaten auch in Deutschland. Du hast das Manifest Der Kommende Aufstand der anonymen Verfasser Das unsichtbare Komitee in der deutschen Ausgabe herausgebracht. Der radikale Text behauptet, die Macht in der westlichen Gesellschaft sei dezentral und allgegenwärtig, die Herrschaft totalitär. Das erfordere den totalen Bruch mit ihr. Was steht noch drin?
Lutz Schulenburg: Reicht das nicht an Inhalt? Die anonymen Autoren haben eine kohärente Analyse über die gegenwärtigen Lebensverhältnisse geschrieben. Scharfsichtig und in einem herausforderndem Stil. Sie haben einige bekannte Tatsachen in Erinnerung gerufen, die durch einen politischen Scheinaktivismus unter die Räder gekommen sind. Sie fordern dazu auf, unkontrollierbar zu bleiben, als handelnde wie denkende Individuen das revolutionäre Denken ernst zu nehmen und kommunitäre Gemeinschaften zu bilden. Die Autoren sind der Ansicht, nur im Bruch mit dem totalen Staat, seiner Ökonomie und seinen politischen Apparaten, nicht in deren Ausgestaltung, Teilhabe oder gar Eroberung finden sich die Kräfte, die eine freie Gesellschaft schaffen werden. Für ein neues Beginnen ist es notwendig, sich der lähmenden Konformität zu entziehen. Verborgen sein ist eine Voraussetzung für ein unverwechselbares Leben. Die Autoren setzen, um mit den vielfältigen Formen der Vermittlung zu brechen, auf eine Guerilla-Mentalität.
Oft wird im Zusammenhang mit dem Unsichtbaren Komitee das französische Autorenkollektiv Tiqqun genannt. Kannst Du uns mehr über die Hintergründe und die Autoren sagen?
Lutz Schulenburg: Die einen lesen, was die anderen schreiben, und umgekehrt. Sicherlich sprechen die Genossinnen und Genossen auch miteinander – kann ich mir jedenfalls vorstellen. Oder anders gesagt, der Satz »Unsere Ideen sind in den Köpfen aller«, der auf die eine oder andere Weise in den verschiedenen Epochen von Revolutionären ausgesprochen wurde, sollte wörtlich genommen werden.
Aus Frankreich kommen wütende Schriften wie der Der Kommende Aufstand oder Stephan Hessels Empört Euch! In Deutschland werden rassistische Bücher wie das von Sarrazin zu Bestsellern. Welchen Stellenwert haben die Debatten über Aufstand und Revolution bei unseren Nachbarn tatsächlich? Dort gibt’s ja auch Figuren wie Le Pen, Wilders, Berlusconi oder Orban.
Lutz Schulenburg: Genauso wenig wie die soziale Revolution national begrenzt sein kann, ist die Konterrevolution das unglückselige Privileg einer Nation.
Bürgerliche Medien von FAZ und SPIEGEL bis Deutschlandfunk besprachen den kommenden Aufstand überwiegend wohlwollend, die taz und Jungle World lehnten die Schrift eher ab. Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung könnte es das wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit werden. Die tageszeitung bezeichnete das Buch als »eine rechte, von Heidegger und Carl Schmitt inspirierte, antimoderne Hetzschrift«. Was sagt Lutz Schulenburg dazu?
Lutz Schulenburg: Was kann ein Verleger über Kritiker eines seiner Bücher schon sagen? Manches ist einfach dumm, einiges unverschämt. Statt Schmitt und Heidegger fielen mir beim Lesen des Manuskriptes (neben anderen) Bloch, Landauer, Marcuse und Benjamin ein. Für die taz ist es allerdings bezeichnend, dass sie einen derartigen Müll gegen das Buch abdruckte,– scheinbar gehen Schmitt und Heidegger im Bewusstsein eines Redakteurs um wie Spukgestalten einer abgewrackten Bildung, lebendiger jedenfalls, als die von mir genannten revolutionären Denker. Die, zeigt die taz – immerhin ein Blatt, das bei seiner Gründung mit dem Anspruch antragt, sich jeden Tag neu zu erfinden!– aus der Gegenwart verbannt und durch allerlei geistes Schwachmatentum und Pseudodenkerei ersetzt wurden.
Das Unsichtbare Komitee weiß zwar Missstände zu benennen – der elitäre Klassenstaat, das Schulsystem als Hüterin der rassistischen Schichtung etc. -, kann in seiner Kritik aber keine Antworten darauf finden. Stattdessen Geschichtspessimismus und abstrakter Antikapitalismus. Was hältst Du beispielsweise von dieser Kritik Andreas Fanizadehs (taz). Offensichtlich lesen Leute das Buch, vermissen aber am Ende konkrete Lösungsansätze.
Lutz Schulenburg: Lösungen finden sich nicht in Büchern, sondern in dem praktischen Tun von Menschen. Ansonsten würde ich Ratlosen empfehlen: Nochmal lesen. Und ganz nebenbei möchte ich an eine bekannte Tatsache erinnern: Ein Wegweiser geht nicht in die Richtung, in die er weist.
Während in Berlin die Polizei immer wieder kleine linke Buchläden, auf der Suche nach subversiven Veröffentlichungen, mit Razzien nervt, liegt das Werk des Unsichtbaren Komitees in vielen großen Buchladenketten unbehelligt in den Regalen, in manchen gleich stapelweise. Wie es aussieht, verkauft sich der „Aufstand“ gut. Du kennst nicht nur den linken Buchmarkt seit vielen Jahrzehnten. Ist so etwas für eine linksradikale Schrift nicht ungewöhnlich?
Lutz Schulenburg: Natürlich ist das ungewöhnlich, für mich als Verleger ist jedenfalls dieser »Verkaufserfolg« eines revolutionären Textes bislang einmalig. Die banale Erkenntnis allerdings, dass im Kapitalismus eine Diktatur der Warenform herrscht, sollte nicht die fühlbare Wahrnehmung, dass wir derzeitig eine ausgesprochen aufrührerische gesellschaftliche Stimmung erleben, verdecken. Die Staatsmacht trägt dieser unberechenbaren Stimmung auf präventive Weise Rechnung – wie beispielsweise die Hartnäckigkeit, mit der die Berliner Polizei gegen die linken Buchhandlungen vorgeht.
Es kursieren noch weitere Übersetzungen als Broschüre und im Internet als Text und als Hörbuch. Stört Dich das als Verleger der deutschen Ausgabe?
Lutz Schulenburg: Klar stört mich das. Erstens ist meiner Meinung nach unsere Übersetzung besser, und sogar autorisiert, und zweitens, bekommen die Autoren vom Verkauf unserer Ausgabe ihren Anteil an dem Honorar, das Aufgrund des Vertrages, den wir mit dem französischen Originalverlag abgeschlossen haben, ihnen zusteht.
Rechnest Du mit weiteren Veröffentlichungen des Unsichtbaren Komitees?
Lutz Schulenburg: Wer weiß schon, wie Unsichtbare in Erscheinung treten.
Der Verleger Lutz Schulenburg ist Mitgründer des Hamburger Verlags Edition Nautilus und Herausgeber der Zeitschrift Die Aktion.
Das Interview führte Andreas Schreier
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