Die jüngste Aufregung um das Reizwort „Kommunismus“ entpuppt sich als bizarre Mischung aus Feigheit und Heuchelei
Von Thomas Klein
aus telegraph #1227123
Ausgerechnet die Linkspartei-Vorsitzende Gesine Lötzsch hat in einem Text über „radikale Realpolitik“, der im Wesentlichen ihr Verständnis von einer Parteipolitik im Sinnes des demokratischen Sozialismus verbalisierte, einen Satz eingeflochten, der ihr ein überwältigendes Medienecho einbrachte und hat damit der „Partei Die Linke“ (PDL) nach Meinung der Parteimehrheit schweren Schaden zugefügt. Dieser Satz lautet: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“ Es nutzte nichts, dass Gesine Lötzsch ihre Sichtweise über „Wege zu einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus“ unter Berufung auf die Kommunistin Rosa Luxemburg entwickelte. Das interessierte weder die PDL, noch die Mainstream-Medien. Letzteren reichte die Erwähnung des Reizwortes „Kommunismus“ aus, um zu konstatieren, dass hier eine Selbstanzeige im Sinne einer Aufdeckung der wahren Ziele dieser Partei vorlag. Und das empörte wiederum die PDL – durchaus zu Recht und nicht nur wegen ihres Images im Superwahljahr 2011. Dazu später mehr.
Nachdem „alternativlos“ das Unwort des Jahres 2010 geworden ist, droht im deutschen Musterland des real existierenden Kapitalismus nun die Alternative „Kommunismus“ zum Unwort des laufenden Jahres zu werden: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet.“[1] Damals (anno 1847/48, als Marx und Engels ihr staatsfeindliches „Kommunistisches Manifest“ verfassten) waren dies „der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten“[2]. Heute in Deutschland sind es die entsetzte Kanzlerin und ihr sekundierende christdemokratische Grundgesetzhüter, „Pro-Deutschland“ und die publizistischen Sondereinsatzkommandos zum Schutze des Privateigentums, hechelnde Fernsehmoderator/Innen inmitten einer bigotten Journaille (voran der „Spiegel“), der Verfassungsschutz und wieder deutsche Polizisten.
Worum geht es eigentlich? Es geht nicht um dieses Wort. Geht es etwa um seinen gefährlichen Inhalt? Denn es ist „der Kommunismus … nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“[3] Eine wirkliche Bewegung gegen den jetzigen Zustand? Tatsächlich eine brachiale Kampfansage an die Adresse der Zustandsbewahrer – wenn auch etwas blumig. Aber eine solche soziale, gesellschaftliche Bewegung gibt es heute in Deutschland nicht. Sie ist auch nicht in Sicht. Und auch die PDL arbeitet nicht daran. Warum also die Aufregung? Oder geht es etwa doch um den Inhalt?
Wir ahnten es schon: Es ist ein ganz anderer Inhalt gemeint, als der beim naiven Rückgriff auf Marx zutage tretende. Dies führt sofort zur Frage, wer heute die Definitionsmacht über diese Inhaltsbestimmung hat und unter welchen (historisch-politischen) Umständen sie erworben werden konnte.
Vor 160 Jahren reichte es aus, eine Idee zu verbalisieren, der gemäß „alle Verhältnisse umzuwerfen [sind], in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“[4], um jene, die aus solchen Verhältnissen ihren Vorteil zogen, in Panik zu versetzen. Und wehe denen, die Ernst machten mit der Commune! Hier halfen nur noch Kanonen und die „Blutwoche“ des Mai 1871 besiegelte mit ihren 30.000 Toten das Ende der Pariser Kommune. Hier waren sich die französische und die deutsche Reaktion, eben noch Kriegsgegner, sofort einig. Warum? Zur Bekräftigung der Sozialreformen und des Anspruchs einer kompletten Neuordnung der Gesellschaft, die auf föderalistischen, freiheitlichen und humanistischen Prinzipien gründen sollte, verbrannten die Kommunarden in einem symbolischen Akt die Guillotine auf dem Place Voltaire. Die Pariser Bevölkerung sammelte erstmals Erfahrungen mit einer auf direkter Demokratie basierten Rätestruktur und die Frauen setzen fundamentale Gleichstellungsrechte durch. Und: Der revolutionäre Pariser Stadtrat verfügte unter anderem die Übernahme der von ihren Besitzern verlassenen Fabriken durch eine „kooperative Association der Arbeiter“ – eine genuin sozialistische Maßnahme.
Und hier kommen wir der Sache schon näher: „Der Kommunismus nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen, er nimmt nur die Macht, sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen.“[5] In dieser Konkretion ist die Marx/Engels´sche Kampfansage von 1845/46 schon nicht mehr ganz so blumig. Aus der Sicht der Besitzenden ist solches Denken radikal und sie denken zwangsläufig an Kanonen – eine radikale Gegenmaßnahme zum Schutze ihres Eigentums. „Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.“[6] Radikale Aufrührer packt man an der Wurzel, indem man sie vor ein Erschießungspeloton stellt. Zwangsläufig war auch die Lehre der Pariser Kommunarden aus dem blutigen Wüten der Regierungstruppen:
In Erwägung, ihr hört auf Kanonen,
andre Sprache könnt ihr nicht verstehn
müssen wir dann eben – ja das wird sich lohnen,
die Kanonen auf euch drehn[7]
Und schon sind wir bei der Frage der Gewalt. Wie zuverlässig die Dynamik „Aufstand und revolutionäre Zwangsmaßnahmen – konterrevolutionärer Terror – Roter Gegenterror – …“ funktioniert, ist längst Teil unseres Geschichtsgedächtnisses – spätestens seit der russischen Revolution 1917. Der Spartakusaufstand von 1919 steht beispielhaft für die Tatsache, dass zumeist der konterrevolutionäre Terror das letzte Kapitel solcher Revolten blieb. Damals öffnete erneut ein Zweckbündnis von reaktionären und republikanischen Akteuren (hier: Freicorps, Reichswehr, Mehrheitssozialdemokraten) den blutigen Ausweg, gipfelnd in der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Doch die abscheulichsten Akte konterrevolutionären Terrors wurden an ganz anderer Stelle verübt: Massenmord an tatsächlichen und erfundenen politischen Gegnern, Zwangsarbeitslager und Deportationen von (vermeintlichen) Feinden des Staatswesens und von ganzen Volksgruppen; ein despotisches Regime, das jede Selbsttätigkeit in der Bevölkerung erstickte und gegen jede Form demokratischer Regulative (und besonders gegen alle Bestrebungen in Richtung direkter Demokratie) drakonisch vorging. Nein, die Rede ist nicht von Hitlers Diktatur – wir reden hier von einer anderen Sorte einer Diktatur über das Proletariat. Nur Stalins Regime konnte hinsichtlich der Mordrate etwa an deutschen Kommunisten mit dem SS-Staat mithalten. Als Stalin 1936 für die UdSSR den Übergang zum Kommunismus ankündigte, näherten sich die Säuberungswellen, mit denen die herrschende Politbürokratie die monopolistische Staatspartei durchrüttelte, gerade ihrem Höhepunkt. Künftig wurde ein mit Spitzeln durchsetztes Kontrollsystem perfektioniert, welches die in Staatssklaven verwandelte Bevölkerung disziplinierte, demoralisierte und entpolitisierte. Kurz, dies war ein Regime, das den ihm unterworfenen Menschen in „ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen“ verwandelte – also ein antikommunistisches Regime, dessen Apparat sich als „kommunistische Partei“ etikettierte und nach dem Sieg über Hitlerdeutschland auch den Regimen in den Staaten ihrer Einflusssphäre seinen Stempel aufdrückte. Seinen Charakter als politbürokratische Despotie änderte das Regime auch nicht nach dem Ende seiner terroristischen Phase: Der bürokratische Absolutismus im Gewand der „Sowjets“ führte den Rätegedanken ad absurdum und die herrschende kommunistische Partei richtete die Paradigmen der Commune so nachhaltig hin, dass niemand mehr stutzte, als die Denkfigur vom Absterben des Staates im Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus komplett von der Wirklichkeit dementiert wurde.
Das historische „Verdienst“ dieser Herrschaftsform und dieses Zwangsvergesellschaftungstyps (nennen wir es stalinistischer und poststalinistischer Politbürokratismus) besteht unter anderem darin, vermöge der von ihr hinterlassenen Blutspur so nachhaltig die revolutionäre Perspektive einer kommunistischen Gesellschaftsverfassung diskreditiert zu haben, wie es die Ideologen eines „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ nie vermochten. Mehrere bundesdeutsche Generationen übten den mit Beginn des Kalten Krieges staatlich verordneten Antikommunismus mit Blick auf die benachbarte unappetitliche Ulbricht-Honecker´sche Despotie anschaulich ein. Honecker und Kohl waren sich einig in der Formel „Es gibt keine Alternative jenseits von Kapitalismus und real existierendem Sozialismus.“ Auch in der Bevölkerung diesseits und jenseits der Mauer war ein anderes Denken schließlich wie ausgelöscht. „Alternativlos“ war schon vor 2010 eine veritable allseits beliebte ideologische Denkverbotsvokabel. Solche Scheuklappen waren immer schon Geburtshelfer für diverse andere Unworte. Erinnern wir uns: Nach 1956 war in der DDR „Stalinismus“ ein Unwort – wer es gebrauchte, machte sich verdächtig, den zeitgenössischen sozialistischen Gehalt des später sogenannten „real existierenden Sozialismus“ anzuzweifeln. Nach 1968 war dann „demokratischer Sozialismus“ ein Unwort – wer es verwandte, machte sich verdächtig, die real existierende Despotie für undemokratisch zu halten und mit dem „Prager Frühling“ zu sympathisieren.
Wie ist es heute? „Stalinismus“ wird neuerlich mehr und mehr zum Unwort, denn sein Gebrauch lässt vermuten, dass jene, die es noch verwenden, unter Kommunismus etwas anderes verstehen. Die Vokabel „demokratischer Sozialismus“ wird auch immer unbeliebter. Denn die eingebürgerte Gleichsetzung von Stalinismus und Kommunismus sowie die transitive Projektion auf den Begriff Sozialismus „wie wir ihn aus der DDR kennen“ wird plausibler, wenn man Demokratie und Sozialismus für a priori unvereinbar erklärt, „wie wir an der DDR gesehen haben“. Selbst der SPD, die in ihrem Berliner Programm noch nicht auf dieses Wort verzichten wollte, wird es immer unangenehmer, seit die „Freiheit-statt-Sozialismus“-Partei auch auf ihre Kosten die „Rote-Socken“-Kampagne fortsetzt.
Doch alles Räsonieren hilft nichts. Die Definitionsmacht und Deutungshoheit über den Begriff „Kommunismus“ liegt längst bei denen, die in Wirklichkeit seinen emanzipatorischen Gehalt zu Recht fürchten. Zu diesem Sieg hat ihnen der historische Stalinismus verholfen. Heute denkt kaum jemand noch an die Pariser Kommune, an die tschechoslowakischen Reformkommunisten oder die brutal verfolgte linke antistalinistische Opposition. Wer heute „Kommunismus“ sagt, assoziiert Stalins Lager, die Verfolgungen und Parteisäuberungen in den Ostblockstaaten, Mauertote, Maos Kulturrevolution und Pol Pot. Und es nützt gar nichts, dieser Denkfigur mit einer Aufrechnung zu begegnen: Wer dem Faktum der militärischen Niederschlagung des Aufstands in der DDR im Juni 1953, der ungarischen Revolution von 1956 oder der Liquidierung des Prager Frühlings 1968 durch sowjetische Panzer mit dem Hinweis auf die endlose Kette brutaler Interventionen des damaligen Systemkonkurrenten begegnen will, verbleibt genau in dem oben erwähnten dualistischen ideologischen Raster der Herrschenden: Die Hinweise auf die Schweinereien des Systemantagonisten geraten zur Rechtfertigung der eigenen Verbrechen.[8]
Die Definitionsmacht über den Inhalt dessen, was „Kommunismus“ heißt, liegt heute bei den bekennenden Antikommunisten. Also alles nur Wortgefechte auf dem Feld ideologischer Verdrängungskämpfe und berechnender Stigmatisierungsmanöver? Keineswegs. Und nur vordergründig geht es in der aktuellen „Kommunismus-Debatte“ darum, einem sozialreformistischen Mitbewerber namens PDL auf dem Markt konkurrierender Stellvertreterparteien mit diesem nun wirklich fehladressierten Etikett das Wasser abzugraben.
Worum geht es also tatsächlich?
So nachhaltig auch die Erinnerung an den emanzipatorischen Gehalt der kommunistischen Idee gesellschaftlich eliminiert zu sein scheint, so zuverlässig melden die Sensoren der herrschenden Systemsachwalter gegenwärtig die sich massenhaft vertiefende Erfahrung zunehmender sozialer Spannungen, ein wachsendes gesellschaftliches Bewusstsein von den ausufernden Irrationalitäten und Obszönitäten des politischen und ökonomischen Systems sowie die gefährliche Bereitschaft, über Systemalternativen nachzudenken. Weit entfernt davon, wirklich radikal zu argumentieren und jenseits auch nur des Gedankens, hier Schnittstellen zum Denken in kommunistischen Alternativen zu produzieren, tauchen in Westeuropa immer mehr Pamphlete auf, die den „kommenden Aufstand“ avisieren oder dazu aufrufen, sich zu empören.[9] So wenig all dies Indikatoren für eine revolutionäre Situation sein mögen, so beunruhigend wirkt auf das westeuropäische Establishment die Latenz zu Revolten in befreundeten diktatorischen Regimen, die es etwa erforderlich machen, dass sich gerade die französische Regierung nun von dem zuvor gestützten und nun gestürzten tunesischen Regime distanziert.[10] Andererseits erweist sich, dass in Ungarn „nach dem Ende der kommunistischen Diktatur 1989“ die bürgerlichen Demokraten unfähig sind, das Abgleiten des Landes in antidemokratische autoritäre Strukturen aufzuhalten.[11] Auch in anderen Ländern, „die das kommunistische Joch abgeschüttelt haben“, erstarkt eine vormoderne Melange aus Fremdenfeindlichkeit, nationalistischem Chauvinismus, Antisemitismus, Neofaschismus und Antikommunismus. Es gibt also einen Spannungszuwachs über die gesamte politische Bandbreite, welche auch von zunehmenden Widersprüchen zwischen Ländern innerhalb und außerhalb der „Metropolen“ begleitet ist. In den Braintrusts der Regierungen fragt man sich besorgt: Springt irgendwann der Funke über? Und welcher?
Es geht dem Establishment also eigentlich darum, emanzipatorische, systemkritische, die herrschenden Eigentumsverhältnisse bedrohende und das politische System in Frage stellende Strömungen (genannt: „Linksextremismus“) rechtzeitig zu stoppen, bevor man (falls dies nicht rechtzeitig gelingt) den Polizeistaat gegen sie einsetzen muss.
In Deutschland sind solche Strömungen außerordentlich schwach und zudem desorientiert, obwohl die oben erwähnten gesellschaftlichen Verwerfungen auch hier merklich zunehmen – man möchte sagen, sie nehmen rasanter zu, als die deutsche Linke und ihr Vermögen, politische Klarheit über den wirklichen gesellschaftlichen Spannungszustand zu erlangen. Daher haben die ideologischen Kopflanger des herrschenden Normalzustands richtig erkannt, dass es gegenwärtig allemal ausreicht, ideologisch in die Offensive zu gehen und sich dabei auf dem sicheren Boden des eingeführten Antikommunismus zu bewegen, um daraus zweifach Gewinn zu ziehen: Es diskreditiert die Linkspartei und es disqualifiziert jene, die als „Linksradikale“ gleichfalls (und wieder transitiv) das Kontaktgift „Kommunismus“ verordnet bekommen.
Wir beobachten nun, dass die gewiefteren PDL-Taktiker glauben, ihre Partei retten zu können, indem sie sich dem herrschenden Kommunismus-Bild anpassen, sich umgehend vom Kommunismus distanzieren und sich auf die wackligen Bastionen ihres demokratischen Sozialismus zurückziehen. Unter „radikaler Realpolitik“ verstehen sie dabei die etwas sozialverträglichere Gestaltung des real existierenden Kapitalismus im Bündnis mit der Sozialdemokratie. Probe auf die Wahrheit dieser Mutmaßung ist die Wirklichkeit ihrer Politik. Man darf dies also durchaus für bare Münze nehmen. Jede Berufung der PDL auf die revolutionäre Kommunistin Rosa Luxemburg erhält dann aber den Rang einer veritablen Heuchelei. Rosa Luxemburg war nicht nur eine hellsichtige Warnerin vor den Entartungen des Vollzugs parteikommunistischer Zwangsvergesellschaftung, sondern auch eine entschiedene Gegnerin sozialdemokratischen Reformismus. In der DDR hat man ihr aber gerade Ersteres als „Sozialdemokratismus“ angekreidet und ihr gefährliches Credo insgesamt als „Luxemburgismus“ denunziert. Die PDL steht heute vor der Aufgabe, Luxemburgs Kritik am sozialdemokratischen Kretinismus zu unterschlagen, um die eigene Politik nicht ins Zwielicht gerückt zu sehen. Die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung wird sich an dieser Aufgabe verheben, sollte sie damit betraut werden.
Einige Fraktionen des zeitgenössischen „Linksradikalismus“ gehen einen noch verhängnisvolleren Weg: Ihnen ist es Beweis genug, dass der antikommunistische Mainstream die Verurteilung etwa der „kommunistischen DDR“ in den Dienst der Legitimation heutiger gesellschaftlicher Zustände stellt. Davon angewidert, entdecken sie plötzlich die Vorzüge der DDR, verharmlosen die stalinistischen Verbrechen und plädieren im Namen des Klassenkampfes für die Wiederbelebung autoritärer Kaderparteien. Für sie ist der historische Stalinismus lediglich ein ideologischer Kampfbegriff aus dem Arsenal des zeitgenössischen Antikommunismus. Sie unterwerfen sich mit ihrer geschichtslosen, doktrinären und unkritischen Haltung nur auf andere Weise gleichfalls den ideologischen Konstrukten der Herrschenden und laufen in die Falle. Solcherart zeitgenössischer Philostalinismus revitalisiert den Leichnam des historischen Stalinismus zum Vorteil des gegenwärtigen Antikommunismus. Die vielfach militante Phraseologie täuscht nur darüber hinweg, dass diese „Linksradikalen“ in ihrer Geschichtsvergessenheit weder radikal, noch links, noch emanzipatorisch agieren. Wie die PDL folgen sie den Paradigmen einer Stellvertreterpolitik, werden aber von der Linkspartei als Sektierer abgelehnt und gemieden, weil sie durch ihren Verbalradikalismus die Wahlpartei PDL in öffentlichen Verruf zu bringen drohen.
Angesichts dieser Sachlage ist es einigermaßen langweilig, sich mit der von Gesine Lötzsch ausgelösten Medienkampagne auseinanderzusetzen. Trotzdem hat diese einige „Highlights“. Die gegenwärtige Heuchelei etwa des „Spiegel“ in seiner Empörung über entdeckte kommunistische Umtriebe ruft in Erinnerung, wie hoch im Kurs dieses Magazins ehedem die Verbreitung des als oppositionell gehandelten „Manifests des Bundes Demokratischer Kommunisten Deutschlands“ anno 1978 stand[12] und wie der Eurokommunismus in diesem Blatt gefeiert wurde[13]. Es erübrigt sich fast, daran zu erinnern, dass in einer Schrift des auch im Westen damals hochgeschätzten DDR-Oppositionellen Rudolf Bahro von der „Strategie einer kommunistischen Alternative“ die Rede war und er 1977 die Bildung eines „Bundes der Kommunisten“ gegen die DDR-Politbürokratie vorschlug. Der „Spiegel“ berichtete damals wohlwollend, die Gefährlichkeit eines solchen Vorschlags für die SED-Bürokraten sehr wohl antizipierend. Nicht nur für den „Spiegel“ haben sich die Zeiten geändert. Heute scheint der Spiegel-Redakteur Fleischhauer, sein Hackebeil publizistisch gegen vermeintliche Kommunisten schwingend, die Gefährlichkeit kommunistischen Ideengutes nun auch für die Gesundheit des bundesrepublikanischen Systems erkannt zu haben. Was Robert Havemann betrifft, so ist es heute üblich, beim Aufsockeln seiner Ikone möglichst nicht an die Tatsache zu erinnern, dass sich dieser oppositionelle demokratische Sozialist zeitlebens als Kommunist verstand. Noch scheint es ein zu großes Wagnis zu sein, das Kontaktgift „Kommunismus“ in seiner heute gängigen Lesart auch zur Kontaminierung dieser Personen einzusetzen: Sich daran anschließende Nachfragen würden zu hohen politischen Unkosten führen, die das ideologische Falschgeld, welches hier eingesetzt wird, vollends entwertet.
Doch über solche ulkige Blüten publizistischen Schwachsinns hinaus gibt es neben den ideologischen auch einige bemerkenswerte neue „materielle“ Tendenzen im Kampf gegen „linksextremistische Umtriebe“. Gerade wollte man in Sachsen allen für den sächsischen Demokratiepreis nominierten NGO´s eine Loyalitätserklärung zur FDGO abnötigen, die einschließt, dass die betreffenden Initiativen auch ihre Kooperationspartner auf deren Verfassungsfestigkeit überprüfen und für sie in diesem Sinne Verantwortung übernehmen. Es ist klar, dass dies insbesondere auf antirassistische und gegen Rechtsextremismus arbeitenden Vereinigungen zielt, die sowieso des „Linksextremismus“ verdächtig sind. Nun wird also ein Generalverdacht auf alle ausgedehnt und auch noch verlangt, hoheitliche Schnüffeldienste im Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes selbst auszuführen und auf diese Weise Denunziationsdienste zu leisten. Es ist geplant, nach Vorgaben der Bundesfamilienministerin künftig Fördermaßnahmen an eine solche Extremismusklausel zu binden. Wir wissen: Die Logik solcher Manöver besteht nicht in erster Linie darin, Verfassungsfeinde aufzuspüren, sondern darin, dass alle bei der Jagd auf sie mitmachen. Schon jetzt beschreiten auch die Staatsanwaltschaften solcherart neue Wege im Kampf gegen den Linksextremismus: Von ihnen angeordnete polizeiliche Durchsuchungen diverser Buchläden brachten an den Tag, dass künftig auch Buchhändler abweichend von der bisherigen Rechtsprechung nun für den Inhalt der Bücher und Zeitschriften haftbar gemacht werden, die sie vertreiben. Damit sollen sie selbst als vorgeschaltete Zensurbehörde das Geschäft der Verfassungsschützer erleichtern.[14] Deren Jagd auf Staats- und Verfassungsfeinde ist sowieso schon ein schwieriges Geschäft. Nun steht auch der Buchhändler vor der diffizilen Herausforderung, als Laie zu entscheiden, welche Schriften kommunistischer Propaganda etwa den Tatbestand der Aufforderung oder Anleitung zu Straftaten erfüllen, was davon als „Weltliteratur“ durchgeht oder welche Hetzschrift, die sich heimtückisch gar nicht selbst als kommunistisch bekennt, trotzdem als linksextremistische Kampfschrift identifizierbar ist.
Die Staatsanwälte nennen uns Staatsfeinde und noch mehr,
Staatsfeinde und noch mehr
Für Kommunisten – grad für uns – ist das ja eine Ehr´,
im Grunde große Ehr …[15]
[1] Karl Marx und Friedrich Engels, Kommunistisches Manifest, 1847/48.
[2] Ebenda.
[3] Karl Marx, Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, 1845/46.
[4] Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, 1843.
[5] Karl Marx und Friedrich Engels, Kommunistisches Manifest, 1847/48
[6] Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, 1843.
[7] Resolution der Kommunarden. Aus: Bertolt Brecht, Die Tage der Kommune.
[8] Natürlich gehört trotzdem die Brutalität, mit der die Herrschenden weltweit gegen „politische Subversion“ agierten, zur Entwicklungs- und Mentalitätsgeschichte namentlich der 68´er „Neuen Linken“: Der Militärputsch in Indonesien 1965, die FBI- und Geheimdienst-Operationen nicht allein gegen militante afroamerikanische Organisationen (Black Panther), sondern auch gegen gemäßigte Bürgerrechtsorganisationen und die New Left der USA seit 1967, der Militärputsch in Griechenland 1967, der Massenmord an den protestierenden Studenten in Mexiko 1968, die Okkupation der ČSSR durch die UdSSR 1968, die Eskalation des portugiesischen Kolonialkriegs 1968/69 und der Militärputsch in Chile 1973 prägten die politischen Weltbilder der 68er-Generation – vor allem aber natürlich der von 1965 bis 1975 währende überaus blutige Interventionskrieg der USA in Vietnam.
[9] Unsichtbares Komitee, Der kommende Aufstand, 2007; Stéphane Hessel, Empört euch!, Montpellier 2011.
[10] Gegenwärtig ist Frankreich dabei, als Führungsmacht der „Koalition der Willigen“ mittels Luftangriffen auf die Bastionen des blutigen Diktators Gaddafi vergessen zu machen, dass dieser noch 2007 von Sarkozy ausgerechnet am Tag der Menschenrechte in Paris empfangen wurde, um ihm für zehn Milliarden Euro u. a. Waffen und ein Atomkraftwerk zu verkaufen.
[11] G. M. Tamas – Es gibt keine Trauer um die Demokratie. Das ungarische Desaster, TAZ online 3.1.2011.
[12] Der Spiegel 1/1978.
[13] Der Spiegel 21/1977.
[14] Inzwischen ist ein erstes Strafverfahren gegen einen Berliner Buchhändler gescheitert: Am 8. März 2011 wurde das Verfahren wegen „Beihilfe zur Anleitung zu Straftaten“ eingestellt.
[15] Wolf Biermann – aah – ja! Aus einem Lied aus dem Jahr 1974 (als Biermann noch bei Verstand und Bewusstsein war).
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