Einem Präsidenten, der die Wahlen mit dem Leitspruch des „Wechsels“ gewann, sollte es naheliegen eine abgenutzte und ineffektive Politik zu ändern, die 50 Jahre andauert und eine der letzten Reliquien des Kalten Krieges darstellt.
Von Andreas Knobloch
aus telegraph #122/123
Als ein Gericht in Havanna Mitte März den US-Amerikaner Alan P. Gross wegen „Akten gegen die Unabhängigkeit oder die territoriale Integrität Kubas“ zu 15 Jahren Haft verurteilte könnte dies entscheidenden Einfluss auf die nähere Zukunft der bilateralen Beziehungen zwischen Kuba und den USA gehabt haben.
Gross, der am 3. Dezember 2009 in Havanna festgenommen worden war und 15 Monate ohne formale Anklage auf seinen Prozess warten musste, sei die „direkte Beteiligung an einem subversiven Projekt der Regierung der Vereinigten Staaten zur Beseitigung der Revolution durch den Gebrauch von illegalen Kommunikationsmitteln“ bewiesen worden. Er soll Laptops, Mobiltelefone und anderes technisches Equipment an die kleine jüdische Gemeinde in Havanna verteilt haben. Während des Prozesses hatte der 61-jährige Gross anerkannt, von der staatlichen US-Entwicklungshilfebehörde USAID „benutzt und manipuliert“ worden zu sein. Die USAID finanziert u.a. Programme zur „Demokratieförderung“ in Kuba mit 20 Millionen US-Dollar jährlich. Die kubanische Regierung unterstellt, dass damit regierungskritische Aktivitäten finanziert werden. Beobachter vermuten, dass der Prozess dazu gedient hat, diese US-Programme zu denunzieren und Druck auf die Regierung Barack Obama auszuüben, diese zu beenden.
In verschiedenen Gelegenheiten hat die US-amerikanische Regierung Gross’ Unschuld beteuert und die lange Haft als ungerechtfertigt kritisiert. Zu Beginn des Prozesses forderte US-Außenministerin Hillary Clinton seine bedingungslose Freilassung. Nach der Strafverkündung wiederholte Washington nun diese Forderung. Eine Sprecherin bezeichnete es als unverständlich, dass die kubanische Regierung „etwas zu kriminalisieren suche, dass in den meisten Teilen der Welt normal angesehen wird, den Zugang zu Information und Technologie“.
Der Fall Gross hat sich in jedem Fall zu einem neuen Spannungsfeld der ohnehin angespannten Beziehungen zwischen den USA und Kuba entwickelt und laut Washington die Möglichkeiten einer vorsichtigen Annäherung beider Seiten wieder gestoppt. Die kubanische Regierung dagegen ist überzeugt, dass die USA „die Instrumente ihrer Aggressionspolitik gegen die Revolution aufrecht erhalten“, in den letzen Jahren aber die Methoden geändert haben und zunehmend auf einen „Cyberkrieg“ setzen.
Westliche Diplomaten und Analysten glauben, dass Gross zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, um eine klare und unmissverständliche Botschaft an Washington zu schicken; später aber wohlmöglich aus humanitären Gründen ausgewiesen wird. Wenige Wochen vor der Anklageerhebung hatte die US-Gesandte Roberta Jacobsen nach Gesprächen mit kubanischen Vertretern in Havanna über Migrationsfragen, Gross im Gefängnis besucht und sich danach vorsichtig optimistisch über den in Kürze bevorstehenden Prozess und eine eventuelle Freilassung aus humanitären Gründen geäußert. Ende März reist der frühere US-Präsident Jimmy Carter nach Havanna und wird dabei auch mit Raúl Castro zusammen treffen. Auch wenn es sich um eine private Reise Carters handelt hofft Washington, dass er die kubanische Regierung um die Freilassung Gross’ bitten wird. Kuba wird angesichts des Parteikongresses Ende April, auf dem grundlegende Wirtschaftsreformen abgesegnet werden sollen, kaum an einer Verschlechterung der Beziehungen zu den USA interessiert sein.
Der frühere Gouverneur von New Mexico, Bill Richardson, der Kuba mehrmals besucht hat, erklärte, dass eine humanitäre Geste Raúl Castros die bilateralen Beziehungen schlagartig verbessern und die USA bewegen könnten, Kuba von der Liste der Terrorismus unterstützenden Länder zu streichen. Eine Forderung, die Havanna schon länger erhebt. Außerdem könnte Washington die Reisebeschränkungen für US-Bürger aufheben und seine „Demokratieförderprogramme“ einer Revision unterziehen, so Richardson.
Doch im Grunde bedarf es einer Revision der kompletten US-amerikanischen Kuba-Politik. In diesem Jahr jährt sich zum fünfzigsten Mal die Schweinebucht-Invasion. Im selben Jahr, am 3. Januar 1961, haben die USA die diplomatischen Beziehungen zu Kuba aufgekündigt. Nur wenige Tage später, am 16. Januar, verbot die Regierung der Vereinigten Staaten ihren Staatsbürgern alle Reisen nach Kuba. Beide Entscheidungen haben bis heute Bestand und zu dem Bild beigetragen, das die Welt von dem Konflikt hat: die kleine heldenhafte karibische Insel, die sich auch vom mächtigen US-Imperialismus nicht in die Knie zwingen lässt. Es ist Selbstbild und Projektion von außen. Doch über die darin enthaltene nostalgische Revolutionsromantik hinaus ist es vor allem ein symbolisch aufgeladenes. Geführt von Ikonen wie Fidel Castro oder Che Guevara verkörpert Kuba für viele den „Kampf des sozialistischen Humanismus gegen den kapitalistischen Materialismus“ (Moisés Naím). Seine Unterstützung anti-kolonialer Freiheitsbewegungen, die selbstlose Hilfe bei Naturkatastrophen und Verschickung von Ärzten in Krisengebiete, das kostenlose Gesundheits- und Erziehungssystem haben dem Land Sympathien in aller Welt eingebracht, während den USA nicht viel mehr eingefallen ist, als ein absurdes Embargo zu verhängen. Die resistente Insel direkt vor der Haustür hat bisher noch jede US-Regierung zur Verzweiflung getrieben.
Im April 2010 warf US-Außenministerin Clinton der kubanischen Führung vor, sie wolle die Beziehungen zu den USA nicht normalisieren. Die Brüder Castro seien nicht daran interessiert, dass die USA ihre Blockade-Politik gegenüber Kuba aufgäben. Denn bei einer Normalisierung der Beziehungen verlöre die kubanische Führung „alle ihre Entschuldigungen für das, was in Kuba seit 50 Jahren nicht gemacht wurde“, so Clinton. Dabei vergaß sie, dass es die USA sind, die ein Wirtschafts- und Handelsembargo über die Insel verhängt haben und es zuvorderst an den USA selbst wäre, die Beziehungen zu normalisieren.
Doch die haben seit jeher eine Neuausrichtung ihrer Politik vom „Ende der Unterdrückung, der sofortigen und bedingungslosen Freiheit für alle politischen Gefangenen auf Kuba und der Respektierung der Grundrechte des kubanischen Volkes“ abhängig gemacht. Gleichzeitig aber hat US-Präsident Obama seine Bereitschaft zu einem Neuanfang in den Beziehungen zu Kuba bekräftigt.
Seit die kubanische Regierung im Juli 2010 mit der Freilassung der 52 politischen Gefangenen der sogenannten Gruppe 75 begonnen hat und sie nach Spanien ausfliegen lässt wurde erwartet, dass auch wieder Bewegung in die US-amerikanisch-kubanischen Beziehungen kommt. Insgesamt 75 Dissidenten waren im April 2003 unter dem Vorwurf „für die USA konspiriert“ zu haben inhaftiert worden; 23 von ihnen wurden in der Zwischenzeit wegen ihres prekären Gesundheitszustandes bereits entlassen. Mittlerweile sind die Freilassungen abgeschlossen. Die kubanische Regierung lässt damit innenpolitisch Druck ab. Die Verschickung der Dissidenten ins Exil bedeutet einen gewaltigen personellen Aderlass für die ohnehin kleine Opposition. Zudem beraubt sie den seit sieben Jahren demonstrierenden „Damen in Weiß“ die „Existenzgrundlage“ und der Regimegegner Guillermo Fariñas beendete seinen Hungerstreik. Während die Regierung ihr internationales Ansehen aufbügelt steht die Opposition von einer ungewissen Zukunft. Denn die Freilassung der Gefangenen wurde an ihr vorbei mit der Katholischen Kirche verhandelt, deren Rolle damit überraschend aufgewertet wurde.
Die kubanische Regierung erhofft sich angesichts der tiefen Wirtschaftskrise und Devisenknappheit, die das Land an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht haben, wohl vor allem eine Aufgabe der „Gemeinsamen Position“ der EU und eine weitere Aufweichung der Wirtschaftssanktionen seitens der USA. Zwar hat die US-Regierung eine kurzfristige Änderung ihrer Haltung mit Verweis auf die weiterhin bestehende drakonische Gesetzgebung auf Kuba ausgeschlossen; Hillary Clinton die Freilassungen aber als „positives Zeichen“ gelobt. Und es gibt ermutigende Signale. So wurde Anfang August vergangenen Jahres Daniel Erikson zum Chefberater in der Sektion Westliche Hemisphäre im Außenministerium ernannt. Erikson gilt als Kubaspezialist und Kritiker der bisherigen Kuba-Politik.
Mitte Januar nun verkündete Obama einige Maßnahmen, die sofort in Kraft treten. Beschränkungen für Kontakte und Aktivitäten religiöser Gruppen und akademischen Austausch wurden aufgehoben; auch ist es Exilkubanern künftig erlaubt, Geld an Nicht-Familienangehörige zu überweisen. „Diese Maßnahmen erhöhen die direkten Kontakte zwischen Personen, sie unterstützen die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Kuba, erleichtern den freien Zugang zu Information nach Kuba, von Kuba und zwischen Kubanern, und helfen die Unabhängigkeit der kubanischen Bevölkerung gegenüber der Regierung zu fördern“, so das Weiße Haus. Die Regierung Castro lobte die Maßnahmen zwar als „positiv“, bezeichnete sie aber als „unzureichend“. Sie hätten „eine begrenzte Reichweite und verändern nicht die Politik gegenüber Kuba“.
Aber seit den Kongresswahlen Anfang November 2010 sind die innenpolitischen Handlungsspielräume der Regierung Obama eingeschränkt. Die geplante Aufhebung der Reisebeschränkungen für alle US-Bürger und der Ausfuhrsperren für Agrarprodukte nach Kuba beispielsweise sind fürs Erste wohl gescheitert. Das Projekt hatte die Unterstützung der US-amerikanischen Tourismus- und Agrarindustrie. Die Befürworter verweisen darauf, dass der Tourismus eine Brücke schaffen und den demokratischen Wandel auf der Insel vorantreiben könnte. Erste Hürden im Kongress waren bereits genommen, die entscheidende Abstimmung aber auf nach den Kongresswahlen verschoben worden. Doch mit einem von den Republikanern kontrollierten Repräsentantenhaus scheint eine Mehrheit für das Projekt in den nächsten beiden Jahren aussichtslos. Zumal entscheidende Figuren der exilkubanischen Gemeinde wie Ileana Ros-Lehtinen und Bob Menéndez, die jegliche Zugeständnisse an Havanna ablehnen, nach den November-Wahlen wichtige außenpolitische Posten im Kongress bekleiden.
Dabei wird es Zeit, dass endlich Bewegung in die bilateralen Beziehungen kommt. Die sind so schlecht wie zum Ende der Amtszeit von George W. Bush. Dabei war Obama angetreten, die US-amerikanische Kuba-Politik von Grund auf zu ändern. Mitte April 2009 eröffnete er den OAS-Gipfel in Trinidad und Tobago – zu dem Kuba übrigens als einziges Land der Hemisphäre nicht eingeladen war, da es 1964 auf Druck der USA ausgeschlossen wurde – mit dem historischen Angebot eines Neubeginns der Beziehungen zu Kuba. Der darauffolgende Austausch gegenseitiger Verlautbarungen und Bereitschaftsbekundungen schuf eine enorme Erwartungshaltung eines gegenseitigen Dialogs und einer Normalisierung der Beziehungen.„Die USA suchen einen Neuanfang mit Kuba“, bekräftigte Obama damals. „Ich weiß, dass wir einen langen Weg vor uns haben, um mit den Jahrzehnten des Misstrauens aufzuräumen“, die die Beziehungen zwischen Washington und Kuba geprägt haben. Rechtzeitig vor Gipfelbeginn hatte der amerikanische Kongress Reisen und Geldüberweisungen von Exilkubanern nach Kuba erleichtert sowie Beschränkungen auf den Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten durch die kubanische Regierung in den USA aufgehoben. Damit verband Obama die Erwartung von Zugeständnissen von kubanischer Seite in Menschenrechtsfragen.
Kubas Präsident Raúl Castro machte bereits damals deutlich, dass er diese Politik gegenseitiger Gesten nicht mitmachen werde. Er äußerte aber seine Bereitschaft zu einem offenen Dialog auf Augenhöhe über „alle Themen“. Jedoch seien weder „die Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung noch das politische oder soziale System verhandelbar“. „Kuba hat keinerlei Sanktionen gegen die USA oder seine Bevölkerung verhängt. Es ist auch nicht Kuba, das den Unternehmern seines Landes verbietet, mit uns Geschäfte zu machen (…) und deshalb ist es auch nicht an Kuba, Gesten zu zeigen“, so Raúl Castro.
Zwar war die Aufhebung von Beschränkungen auf Reisen und Geldüberweisungen von Exil-Kubaner nach Kuba wichtig, kann aber auch als Zugeständnis Obamas an die exilkubanischen Wähler in Miami verstanden werden. Echte vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus. Obama hat es versäumt, jene Bereitschaft zur Verständigung zu zeigen, die er von der kubanischen Regierung einfordert. Dabei hätte beispielsweise eine Prüfung des Falls der seit 1998 in den USA inhaftierten fünf kubanischen Geheimagenten als Entgegenkommen verstanden werden können. Auch eine Schließung der Propagandasender Radio Martí und Televisión Martí wäre von der kubanischen Seite als Geste des guten Willens aufgefasst worden. Stattdessen irritierte Obama im November 2009 die kubanische Regierung als er ein Interview der Bloggerin Yoani Sánchez beantwortete. Im Januar vergangenen Jahres verurteilte das kubanische Außenministerium in einer Presseerklärung das „ungerechtfertigte und willkürliche Vorgehen der US-Regierung“, Kuba auf eine neue Liste von insgesamt 14 Ländern zu setzen, die als „Schirmherren des Terrorismus“ bezeichnet werden. Und als die US-Gesandte Roberta Jacobsen im Januar 2011 nach Gesprächen mit kubanischen Regierungsvertretern in Havanna mit Oppositionellen zusammentraf, sah sich die kubanische Regierung bestätigt, dass es „keinen Wandel der subversiven Politik“ Washingtons gegeben habe und sich „die Einmischung der USA in innere Angelegenheiten Kubas“ fortsetze, deren „Priorität weiterhin ist, die Konterrevolution und Aktivitäten zur Destabilisierung zu unterstützen“.
Nicht zuletzt mit dem Urteil gegen Gross haben sich die Fronten wieder verhärtet. Aber Präsident Obama hat bisher auch wenig getan, die Politik seiner Vorgängerregierung zu ändern. Die war auf einen schnellen politischen Wandel in Kuba fixiert. Durch US-amerikanische und NGOs von Drittstaaten wurde und wird Geld an die kleine Zahl von Politik- und Menschenrechtsaktivisten auf der Insel verteilt, während Millionen Kubaner vor allem darum besorgt sind, in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ihre Familien zu versorgen. Es scheint sich der Spruch zu bewahrheiten, dass die USA wenn es um Kuba geht, nie eine Möglichkeit auslassen, eine Möglichkeit auszulassen.
Allerdings hat auch Kuba mit seiner harten Kritik an den fehlenden Reformen Obamas das politische Klima verschärft. Überhaupt hat in der Vergangenheit nicht selten die kubanische Regierung selbst die vorsichtige Annäherung beider Seiten torpediert. Als Bill Clinton Versuche einer Entspannungspolitik startete, schoss die kubanische Luftwaffe im Februar 1996 zwei zivile, aus Miami kommende Kleinflugzeuge über internationalen Gewässern ab und machte damit alle Bemühungen zunichte. Wenige Wochen später unterschrieb Clinton das sogenannte Helms-Burton-Gesetz, das die Blockade gegenüber Kuba weiter verschärfte. Unter anderen Umständen hätte Clinton vielleicht sein Veto gegen dieses Gesetz eingelegt.
Als Antwort auf die Verschärfung der Blockadepolitik verließ die kubanische Regierung damals den Weg einer vorsichtigen Öffnung und schlug einen härteren Kurs ein, der vom 5. Kongress der Kommunistischen Partei 1997 abgesegnet wurde. Die Kampagne zur Rückkehr von Elián González, die Erziehungs- und Kulturoffensive „Batalla de Ideas“, die Repressionswelle im Frühjahr 2003 und die Allianz mit Hugo Chávez sind Ergebnisse dieser Verhärtung. Die Regierung George W. Bush ihrerseits antwortete mit weiteren Sanktionen und schränkte Reisen, Geldüberweisungen und Austauschprogramme wieder ein. Diese Maßnahmen wurden von Obama zum Teil wieder rückgängig gemacht. Daran sieht man aber auch, dass die Schritte Obamas keineswegs so groß waren, wie von ihm selbst begriffen.
Eine neue Chance zur Annäherung und Veränderung der US-Politik könnte nun ausgerechnet der 6. Kongress der Kommunistischen Partei ergeben, der im April stattfinden soll und derzeit vorbereitet wird. Auf dem ersten Parteikongress seit 14 Jahren sollen die „grundlegenden Entscheidungen für die Modernisierung des wirtschaftlichen Modells“ getroffen werden. Die wirtschaftlichen Reformen werden wohl eng an das Gesellschaftsmodell Vietnams oder Chinas angelehnt sein. Auch dort war die „ökonomische Modernisierung“ (so die etwas euphemistische Umschreibung für die Einführung kapitalistischer Strukturen und die teilweise Privatisierung der Wirtschaft, während die politische Macht in den Händen der Kommunistischen Partei verbleibt) von einer Normalisierung der Beziehungen zu den USA begleitet. Subventionen sollen abgebaut, unrentable Staatsbetriebe geschlossen und allein in diesem Jahr eine halbe Million Staatsbedienstete entlassen werden. Sie sollen vom wachsenden Privatwirtschaftssektor aufgefangen werden. So wurden die Möglichkeiten zur Arbeit auf eigene Rechnung (trabajo por cuenta propia) und anderer Wirtschaftsformen (Kooperativen) ausgeweitet. Zudem gibt es Überlegungen, die Wirtschaft weiter zu dezentralisieren, vor allem in der Lebensmittelproduktion.
Die Herausforderung ist gewaltig – nicht zuletzt angesichts des riesigen, trägen bürokratischen Apparats mit seinen seit Jahrzehnten eingeschliffenen Strukturen, geringer Kapitaldecke und fehlender regulativer Erfahrung mit einem größeren Privatwirtschaftssektor. Begleitet werden die Reformen von der lang anhaltenden Angst – real oder imaginär –, dass jedwede ökonomische Öffnung eine Einladung an die USA und vor allem die exilkubanische Gemeinde in Miami darstelle, in Kuba „einzufallen“. Aus diesen Gründen öffnen die nächsten Monate den USA ein kritisches Zeitfenster, eine intelligentere Politik gegenüber Havanna zu fahren, die dabei hilft, dass die vorsichtigen Reformen nicht scheitern.
Eine vollständige Aufhebung der Blockade ist im Moment nicht zu erwarten. Zwar hat der Präsident die Möglichkeit, über Verordnungen einen guten Teil der Sanktionen, die das Embargo ausmachen, zu verändern oder aufzuheben; für die vollständige Aufhebung der Blockade bräuchte er aber die Zustimmung des Kongresses. Und die ist im Moment sehr unwahrscheinlich. So wird es wenn überhaupt wohl weiter in erster Linie eine Aufweichung der Sanktionen geben.
Aber gerade in der Embargopolitik wird das ganze Dilemma der US-amerikanischen Kuba-Politik deutlich. Bis 1992 konnte die kubanische Regierung die Sanktionen als Konsequenz seiner ideologischen Ausrichtung und geopolitischen Strategie verstehen. Zu jener Zeit gab es wenig Proteste gegen die „imperialistische Blockade“, was natürlich auch mit der Wirtschaftshilfe durch die Sowjetunion zusammenhing. Seit 1992 aber wurde die US-Blockadepolitik zu einem zentralen Thema der kubanischen Propaganda und fungierte als ideologische Klammer nach innen angesichts der Härten der sogenannten „Spezialperiode“. Mit dem Erlass des Cuban Democratic Act 1992, dem sogenannten Torricelli-Gesetz, und der damit einhergehende Verschärfung der Sanktionen durch die damalige Regierung Bill Clinton trotz Zusammenbruchs der Sowjetunion veränderte die Blockade ihre Funktion. Sie diente nun nicht mehr dazu, den Handel Kubas mit dem Ostblock zu begrenzen, sondern die Wiederherstellung seines Handels- und Finanznetzes zu behindern. Ideologisch verhaftet im Kalten Krieg, der eigentlich gerade zu Ende gegangen war. Das Torricelli-Gesetz fügte den Handelsbeschränkungen mit Drittstaaten eine Demokratieagenda hinzu, die die Förderung der Zivilgesellschaft und Verbesserung der Menschenrechtssituation einschließlich Presse- und Meinungsfreiheit propagierte. Diese Politik, als zweite Schiene des Torricelli-Gesetzes bezeichnet, implizierte die Rückendeckung für Reisen und Geldüberweisungen der kubanischen Exilgemeinde und förderte kulturellen und akademischen Austausch.
Die Kuba-Politik Obamas und seiner Außenministerin Clinton steht in dieser Tradition. Augenscheinlich setzt auch sie auf die Strategie, Reisen, Geldüberweisungen, akademischen und kulturellen Austausch als „Türöffner“ zu nutzen. Doch damit begeht die Regierung Obama dieselben Fehler wie ihre Vorgänger-Regierungen. Sie macht eine Aufhebung der Blockade von substantiellen Veränderungen auf Kuba abhängig. Diese Politik aber ist 50 Jahre lang gescheitert und es sieht nicht danach aus, als sollte sie nun Resultate bringen. Gleichzeitig entlarvt sich der Menschenrechtsdiskurs von USA und EU recht schnell als doppelmoralisch und interessengeleitet, wenn er zum Gefangenenlager in Guantanamo oder zur Folter baskischer Gefangner in spanischen Gefängnissen schweigt. Andererseits ist es wohl illusorisch zu erwarten, dass die USA das Thema Menschenrechte ausklammern, genauso wenig wie die kubanische Regierung aufhören wird, die Embargopolitik als Propagandainstrument zu benutzen. Die bilateralen Beziehungen sind zur Geisel der gewaltigen symbolischen Dimension des Konfliktes geworden. Doch auch wenn der ideologische Diskurs so schnell nicht verschwinden wird, ist er nicht notwendigerweise ein Hindernis, um eine gemeinsame Ebene der Zusammenarbeit zu finden.
Für beide Seiten ist ein Wandel der Beziehungen heute vorteilhafter als damit weiter zu warten. Eine Annäherung an den Klassenfeind brächte Kuba die Chance für Stabilität, um innere Reformen weiterzuführen und die bestehenden enormen infrastrukturellen Probleme aufgrund fehlender Investitionen ernsthaft anzugehen. Dazu müsste die kubanische Seite die latente Angst besiegen, bei einer zu schnellen Annäherung die Kontrolle über den gesamten Prozess zu verlieren.
Die USA wären gut beraten, ihre Kuba-Politik nicht vom Wahlverhalten in Süd-Florida abhängig zu machen. Nach der Aufhebung der Reise- und Überweisungsbeschränkungen für Exilkubaner sollte Washington weitere unilaterale Maßnahmen ergreifen und nicht so sehr darauf achten, was Kuba macht. Eine Politik, die ihre Schritte an Havanna ausrichtet und nur auf Gesten der anderen Seite reagiert ist zum Scheitern verurteilt. Die Fortsetzung der Gespräche zum Thema Migration oder Erdölförderung im Golf von Mexiko oder die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Drogenhandels könnten erste Punkte sein.
Einem Präsidenten, der die Wahlen mit dem Leitspruch des „Wechsels“ gewann, sollte es naheliegen eine abgenutzte und ineffektive Politik zu ändern, die 50 Jahre andauert und eine der letzten Reliquien des Kalten Krieges darstellt. Zudem steht Obama vor der Herausforderung, der Welt zu zeigen, dass sich seine Außenpolitik von der seines Vorgängers George W. Bush grundlegend unterscheidet. Dagegen gibt es kaum einen Bereich der US-amerikanischen Außenpolitik, der so von früherer Arroganz beherrscht wird und die Beziehungen vor allem zu Iberoamerika reizt, wie die Haltung gegenüber Kuba. Diese in eine respektvolle und konstruktivere Politik zu verwandeln hätte für Obama großen symbolischen Wert und wäre zudem ein Vermächtnis historischen Ausmaßes. Dazu zählt, die schreiende Ungerechtigkeit, das US-Embargo gegenüber Kuba, ohne Bedingungen aufzuheben. Im Grunde muss dieser Schritt am Anfang jeglicher Annäherung stehen.
Andreas Knobloch ist Freier Journalist und Autor und lebt in Mexiko-Stadt.
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph