Der Kriegsübungsplatz in der Colbitz-Letzlinger Heide ist der drittgrößte in der BRD. Hier läuft das ganz große Geschäft. Die Waffenindustrie testet hier, Bundeswehr und Nato üben den modernen Krieg und effizientes Töten in aller Welt. Mit Lügenmärchen über kommende Arbeitsplätze ruhig gestellt sehen die Anwohner tatenlos zu. Lediglich eine kleine Bürgerinitiative währt sich seit Jahrzehnen verzweifelt.
Von Torsten Schleip
aus telegraph #122/123
2009 zeigte der ansonsten gnadenlos verbohrte deutsche Militarismus so etwas wie zivile Einsichtigkeit- nach siebzehn Jahren Kampf der Bürgerinitiative FREIe HEIDe und anderer Antimilitaristen verzichtete des Bundesverteidigungsministerium auf eine Inbetriebnahme des Bombodroms in der Kyritz- Ruppiner Heide. Leider reichte die Einsichtigkeit nicht bis in die 75 km südwestlich gelegene Colbitz- Letzlinger Heide. Luftkämpfe und Bombardierungen können Bundeswehrpiloten auch im nordschwedischen Lulea oder in den Weiten von Arizona oder Kanada trainieren. Oder in realen Einsätzen wie in Afghanistan, wo keine gegnerische Luftabwehr existiert (Tanklaster oder Hochzeitsgesellschaften verfügen meist auch nicht über solches Gerät). Aus Sicht der Militärs war die Aufgabe des Bombodroms daher offenbar das kleinere Übel. Auf eine Riesensandkiste für die Ausbildung von Bodentruppen kann die Bundeswehr dagegen auf keinen Fall verzichten. Da passen die 232 km² oder 23.200 ha Fläche des drittgrößten deutschen Truppenübungsplatzes gut ins Konzept. Zumal auf dem zweitgrößten TÜP Grafenwöhr in Bayern die US- Armee das Schießen übt (und wo die einmal sitzt…)
Nicht einfach irgendein Schießplatz…
Das ursprünglich dicht bewaldete Gebiet der Colbitz- Letzlinger Heide diente zu Kaisers Zeiten als Jagdrevier. Mit der Gleichschaltung aller Deutschen ab 33 begann dann der militärische Missbrauch durch die Wehrmacht. Ab 1934 wurde ein Teil des Geländes „erschlossen“, die Heidedörfer Schnöggersburg, Salchau und Paxförde (sic!) 1936 dem Erdboden gleich gemacht. Auf dem befreiten Platz wurden deutsche Artillerie- und Panzerabwehrwaffen getestet und erbeutete Waffen untersucht. U.a. wurde auf der 30 km langen Schießbahn das größte jemals eingesetzte Geschütz, die Dora (nicht zu verwechseln mit der Bertha) getestet. Für anderweitige Betätigung wurde eine Kopie des Westwall- Festungswerks „Scharnhorst“ errichtet. 1945 übernahm die Sowjetarmee den Übungsplatz und nutzte ihn bis ins vereinte Deutschland (1994) zum Training der Abwehr des imperialistischen Klassenfeindes (hat wohl nicht so richtig geklappt). Dazu wurden 80 % des Waldes abgeholzt bzw. -gefackelt. Des Weiteren diente das Gelände als Waffen- und Munitionstestgelände der Roten Armee, woraus die nicht unerheblichen Altlasten resultierten. 1994 stand dann mit der Bundeswehr der nächste Besatzer Panzer bei Fuß. Natürlich nur zur Altlastenberäumung auf dem Weg in ein entmilitarisiertes Deutschland und ganz ein kleines bisschen auch zum Panzerfahren. Kostenpunkt für die Beräumung über 350 Millionen €, angeblich ausschließlich aus Mitteln des Kriegsministeriums (wohl doch ein Verein von Gutmenschen). Mit dem Umbau der Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Interventionsarmee wurde die Nutzung des TÜP dann erheblich intensiviert. Mit weiteren hunderten Millionen von Steuergeldern (erfahrungsgemäß werden öffentliche Bauten am Ende immer ein wenig teurer als geplant) wurde die infrastrukturelle Anbindung einschließlich eigenem Gleisanschluss und 1700 m- Landebahn verbessert. Verbunden damit der Bau einer neuen Kaserne in Letzlingen, die seit 2007 den Namen Altmark- Kaserne trägt (die Namen ehemaliger Nazi- Generäle waren wohl gerade alle vergeben oder nicht pc).
Zu Trainingszwecken für die „Absicherung einer Wahl“ oder die „Reaktion auf gewalttätige Demonstrationen“ wurden formal kosovarische oder afghanische Übungsdörfer mit so schönen Landsernamen wie Stullenstadt oder Plattendorf installiert. Die können zur Not mit ein wenig Phantasie auch als soziale Brennpunkte von Wanne- Eickel oder Hoyerswerda durchgehen. Dank guten Services (siehe unten) herrscht ein mörderischer Betrieb: der Truppenübungsplatz wird heute an etwa 250 Tagen im Jahr genutzt, also praktisch immer außer an den Tagen des Herrn. Großverbände bis 25 000 Soldaten üben „das Gefecht mit verbundenen Waffen“. Da werden bestimmt eine Menge Sanitäter benötigt. Das GÜZ „erzeugt realistische Gefechtseindrücke durch die Simulation des direkten und indirekten Feuers sowie durch die Bedrohung mit Minen und ABC-Kampfstoffen“. Bliebe nur die Frage, ob es auch simulierte Kernkraftwerksunfälle gibt.
Damit sich keiner benachteiligt fühlt, wird mit allem geballert, was das Arsenal hergibt und woran die Rüstungsindustrie so ihre Freude hat: Kampfpanzer Leopard 2 (Krauss Maffei Wegmann), Schützenpanzer Marder (Rheinstahl AG und Maschinenbau Kiel), Flugabwehrkanonenpanzer Gepard (Rheinmetall, Bloom und Voss, Siemens Albis, Wegmann, Krauss Maffei), Maschinenpistolen G3 und G 36 (Heckler und Koch), Maschinengewehr MG3 (Rheinmetall), Panzerabwehrwaffe MILAN (MBDA, das sind 37,5 % EADS, 37,5 % BEA Systems und 25 % Finmeccanica – die übrigens nicht finnisch, sonder italienisch sind), Panzerfaust 3 (Dynamit Nobel Defense GmbH)….Geübt wird krach- und blutfrei mit dem Ausbildungsgerät Duellsimulator (ADGUS). Damit die Anwohner nicht so belästigt werden. Mit dem „Live- Simulationssystem ADGUS“ werden „Informationen zur Bewaffnung des Schützen und den ausgeteilten und empfangenen Treffern mit Laserimpulsen an die Leitstelle übertragen.“ „Das AGDUS – System … kann aber nur in Verbindung mit der TNE aus der Systemtechnik GefÜbZH sein volles Potenzial entfalten“ (bei den verwendeten Abkürzungen sind sich Militärs und Zivilberater- obwohl meist Ex- Militärs- wohl nicht einig). Damit alles wunderbar funktioniert, müssen die schönen Waffen natürlich an ADGUS adaptiert werden. Da gibt es noch mal fette Profite für SAAB Training Systems, Rheinmetall Defence Electronics, Jenoptik oder die RUAG COEL GmbH. Und damit der Führungsstab nicht nass wird oder sich die Uniform versaut, wird das Gefecht „komplett aufgezeichnet und im Kino projektiv auf einem Ausschnitt des Übungsplatzes zeitgenau präsentiert.“
Bis 2016 wird munter ausgebaut: eine „Neustadt“ mit Basar und Moschee, Schule und Polizei, Diplomaten- und Elendsviertel, Stadtwald und nicht zu betretenden Nationalheiligtum soll den Kampfeinsatz noch realitätsnaher erlebbar werden lassen. Hinterher sind unsere Jungs auch für die Aufstandsbekämpfung im Inneren bereit, falls es an der Heimatfront zu Unruhen kommen sollte. Neben den deutschen Einsatzverbänden dürfen sich auch die Streitkräfte der Bündnispartner für den Irak, Afghanistan oder für zu Hause den letzten Schliff holen. Nach Meinung der Informationsstelle Militarisierung Tübingen „spielt das GÜZ eine entscheidende
Rolle nicht nur zur Realisierung der bundesdeutschen Auslandseinsätze, sondern auch für die zukünftigen Kriege der EU und NATO.“
Mann muss ja nicht alles selber machen…
Ende 2000 schloss der damalige Kriegsminister (ist ja ziemlich Fluktuation auf dem Posten) Hufeisen- Scharping einen Rahmenvertrag mit vierhundert Unternehmen, verharmlosend als Privat Public Partnership getarnt. Seitdem lässt sich die Truppe z.B. privat bewachen, die Uniformen auswärts waschen und den Fuhrpark von Ununiformierten pflegen. Aus den versprochenen Einsparungen in Milliardenhöhe ist seitdem natürlich nichts geworden, von wegen der gestiegenen Verantwortung und so. Die Bundeswehr muss eben nicht nur für die Beschaffung überteuerten Mordgerätes Milliarden Steuergelder verpulvern, sondern auch noch kräftig für Wartung und Testmöglichkeiten zahlen. Den militärisch- industriellen Komplex gibt es ja bekanntlich nicht oder er existierte nur den Wirrköpfen einer untergegangenen Ideologie, trotzdem lässt sich die Verflechtung von Rüstungsindustrie, Politik und Militär gerade am Beispiel GÜZ anschaulich nachvollziehen. Dort sourct die Bundeswehr gnadenlos out. Und zwar an die Serco GmbH, einen „zuverlässigen Dienstleister für alle Bereiche …, vom gesamten Betriebsmanagement über die logistische Vorbereitung und Durchführung von Übungsdurchgängen bis hin zur Instandsetzung von Rad- und Kettenfahrzeugen sowie von Material und Gerät.“
Serco GmbH – ein Paradebeispiel für Privat Public Partnership
Offenbar schafft es die Bundeswehr wegen posttraumatischer Belastungsstörungen und generellem Stress nicht mehr, sich auch noch selbst ordentlich auf Auslandseinsätze vorzubereiten. Schafft aber immerhin ein paar Arbeitsplätze für ausgediente Offiziere. Die Serco GmbH ist Tochtergesellschaft des britischen Dienstleistungskonzerns Serco Group plc. Die machen geheime Sachen für das britische Atomwaffenprogramm, beraten das britische Militär, die australische Marine oder die NATO oder betreiben auf der Insel fünf vollprivatisierte Knäste, zwei Abschiebehaftanstalten sowie einen Gefangenenverbringdienst mit 250 000 Reiseteilnehmern jährlich. In Deutschland werden kleinere Brötchen gebacken, aber die Zukunftsaussichten sind rosig: betrieben werden die Justizvollzugsanstalt Hünfeld in Hessen, 13 Schulen in Monheim am Rhein und eben das Unterstützungszentrum Altmark. Dessen Mitarbeiter „verantworten alle Leistungen, die nicht zu den militärischen Kernaufgaben gehören. Die Serco-Mitarbeiter warten und pflegen Panzer und Lkw, rüsten Soldaten und Militärfahrzeuge mit Simulatoren aus und dokumentieren mittels Video und modernster IT-Technik Verlauf und Erfolg der Übungen.“ Misserfolge sind offenbar per se ausgeschlossen, in der afghanischen Realität sieht es dann anders aus.
Und ein paar Leute hören nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten…
Als sich in den letzten Tagen der alten DDR und den ersten der neuen BRD der Traum von einer friedlicheren Welt zu erfüllen schien (Auflösung der NVA und des Warschauer Vertrages, Abrüstungsminister Eppelmann, versprochene „Friedensdividende“ etc.), entwickelten sich breite Bündnisse für eine Schließung des Übungsplatzes und seine Konversion. Beschlüsse des Landtages von Sachsen- Anhalt, verschiedenster Kreis- und Parteitage oder von Städten und Gemeinden für eine friedliche Nutzung gab es haufenweise. Als Michael Gorbatschow der Träumerei von einem entmilitarisierten Großdeutschland den Garaus machte und die Ostzone im 2+4-Vertrag an die NATO verscherbelte bzw. verschenkte, freute sich die Bundeswehr nicht nur über ein paar erbeutete Waffen, die unverzüglich in die Türkei oder nach Indonesien verschifft wurden. Viel interessanter war da die Aussicht auf riesige Übungsareale, auf denen der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr benötigte Einsatz gegen irgendeinen gerade abhanden gekommenen Feind trainiert werden konnte. Ein Silberstreif in der momentan ansonsten perspektivlosen Militaristenzukunft. Für strategisch denkende Zusammenhänge war auch nicht schlecht, dass die Sowjetarmee ein paar Jahre zum Abzug brauchen würde und bis dahin ein oder mehrere neue die westliche Wertegemeinschaft bedrohende Schurken installiert werden konnten. Während die Bundeswehr tatenvoll abwartete, beschloss der Landtag von Sachsen- Anhalt 1991 die ausschließliche zivile Nutzung der Colbitz- Letzlinger Heide, die Umwandlung des Schießplatzes in einen Naturpark wurde angedacht. Bereits 1993 kassierte der Bundestag sämtliche auf unteren Ebenen gefassten Beschlüsse und sprach sich für einen weiteren militärischen Missbrauch aus. Die Bundeswehr konnte Anfang 1994 auf den Platz einrücken. Das Naturparkkonzept verschwand in der Schublade, lokal- oder landespolitische Mehrheiten änderten sich oder wurden geändert. Politiker oder Journalisten wurden gezielt von der Bundeswehr umworben oder gleich selbst von ihr gestellt.
Das gern hervorgeholte Arbeitsplatzargument – 1.600 zivile und militärische Stellen sollten entstehen- hat sich zwar als Fata morgana erwiesen, da real nur 150 -vorwiegend niedrig entlohnte- Jobs für Einheimische geschaffen wurden, während es im Tourismus nach einer Studie des DGB 2600 hätten sein können. Nur wurden die halt verhindert. Die Entwicklung eines regionalen Tourismus als Alternative zum Militär konnte – im Gegensatz zum Südrand der mecklenburgisch- brandenburgischen Seenkette- kein größeres Widerstandspotential aktivieren. Die juristische Anfechtung eines Eigentumsrechts des Bundes an den Flächen des Übungsplatzes hat wegen der geklärten Eigentumsnachfolge Deutsches Reich- Bundesrepublik kaum Aussicht auf Erfolg.
Trotz relativer Aussichtslosigkeit rollen eine Reihe unermüdlicher Sysiphosse um die Bürgerinitiative OFFENe HEIDe seit 1993 den Bundeswehrpanzern nicht nur im übertragenen Sinne Steine in den Weg. Jeden Monat wird mit einem Friedensweg eine zivile Nutzung des Platzes angemahnt. Im April 2011 ist es der 213., Fortsetzung folgt. Die jährlichen Ostermärsche oder die provokative kritische Teilnahme an den Umzügen zum Sachsen- Anhalt- Tag schaffen überregionale Aufmerksamkeit. Weswegen letzteres dann auch schon mal untersagt wurde, weil allzu direkt auf die mörderischen Folgen der knall- und blutfreien Kriegsspielerei hingewiesen wurde. Von Anfang an wurde dabei das Mittel des gewaltfreien zivilen Ungehorsams genutzt, was logischerweise die deutschen Ordnungsmächte auf den Plan rief und diverse juristische Konsequenzen hatte. Das Betreten des Platzes wird noch als harmlose Ordnungswidrigkeit geahndet, die Entfernung von Militärschrott vom Platz zieht schon eine Anklage wegen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und einen Strafbefehl über 1200 Euro nach sich. Beim allmonatlichen Hickhack mit Feldjägern, Wachschutz und Polizei ist überregionale Unterstützung willkommen. Damit der Protesthöhepunkt des letzten Jahres getoppt wird: am 05.September 2010 betraten zu einer Konzertaktion der „Lebenslaute“ mehrere hundert Schießplatzgegner demonstrativ und unbehelligt das Sperrgebiet und lauschten wohlbeobachtet den friedlichen Klängen klassischer Musik. Und wie wir ja wissen: bei Hundert oder Tausend kriegen sie langsam Muffensausen. Gerade nach dem Erfolg jahrelanger Bemühungen im Bombodrom gäbe es in der Colbitz- Letzlinger Heide ein neues Betätigungsfeld antimilitaristischer Arbeit.
Zitate aus:
http://www.deutschesheer.de/portal/a/ha/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLN3SKN_E2DwVJgjmWnoH6kQjhoJRUfV-P_NxUfW_9AP2C3IhyR0dFRQBu7qSM/delta/base64xml/L3dJdyEvd0ZNQUFzQUMvNElVRS82XzFCXzRLRVE!
http://www.bankkaufmann.com/a-39658-Bundeswehr-erweitert-Vertrag-mit-Serco—Unterstuetzungszentrum-Altmark-betreut-21-Truppenuebungen-jaehrlich.html
Torsten Schleip ist Lehrer für Mathematik, Physik und Französisch. Seit Wendezeiten aktiv in der Initiative für eine Vereinigte Linke, Friedensweg Leipzig, Friedenszentrum Leipzig und DFG-VK.
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