von Gerold Hildebrand
aus telegraph 1/1996 (#92)
Pfarrer Reinhard Lampe aus Zechlin frohlockt: „Schön, daß uns die gesamtdeutsche Friedensbewegung entdeckt hat. Es gibt vor allem zwei Aspekte überregionaler Bedeutung. Zum einen geht es um die Bewahrung von Grundrechten. Die Selbstverständlickeit, mit der die Bundeswehr das stalinistische Erbe angetreten hat, ist ein Schlag ins Gesicht für die ostdeutsche Bürgerrechtsbewegung und ein Präzedenzfall für das Rechtsverständnis in der Bundesrepublik.“ Zum zweiten sei der friedenspolitische Aspekt von Bedeutung. Trotz angesagter Sparpolitik würde für Kampfeinsätze außerhalb des NATO-Bündnisses geprobt. „Für humanitäre Einsätze braucht die Bundeswehr keine Tiefflug- und Bomberübungen.“
Zum ersten Mal trafen sich 65 VertreterInnen der bundesdeutschen Friedensbewegung vom 4. – 6. Oktober zu einem antimilitaristischen Kongreß im brandenburgischen Sewekow (Ostprignitz). Ihr Thema: Die Bedeutung des Bombodroms Witstock für die bundesdeutsche Friedensbewegung. Die 65 VertreterInnen lokaler Initiativen und überregionaler Organisationen kamen zu dem Ergebnis, daß die Auseinandersetzung um den Truppenübungsplatz Wittstock eine Pilotfunktion hat. Zukünftige Aktivitäten sollen sich nicht im Protest erschöpfen, sondern dem Aufbau einer eigenständigen Regionalenwicklung im Sinne der Agenda 21 der UNO- Umweltkonferenz von 1992 in Rio de Janeiro dienen. Damit wird eine nachhaltige ökonomische, ökologische und soziale Entwicklung in der Ostprignitz angestrebt, was eine militärische Nutzung ausschließt, wie es auch ausdrücklich im Artikel 24 des Dokuments von Rio formuliert ist. Als erstes, konkretes Projekt ist der Bau eines Windrads geplant, dessen Ertrag der „BI FREIe HEIDe“ zugute kommen soll.
An die Landesregierung wurde apelliert, die strukturschwache Region besonders zu fördern, um damit der „Bauernfängerei“ des Militärs den Boden zu entziehen.Desweiteren soll einer Spendenkampagne initiiert werden, um die Fortführung der Klage gegen die Bundeswehr zu ermöglichen. Es bestand Einigkeit, daß der Prozeß als Musterprozeß bis in die höchste Instanz fortgeführt werden soll. Bereits in der anstehenden zweiten Instanz werden Kosten in Höhe von 170 000 Mark entstehen. Als sofortige Unterstützungsmaßnahme sollen Bürgschaften zur Deckung eines großen Teils der Summe übernommen werden.
Das Potsdamer Verwaltungsgericht hatte der bereits vor zweieinhalb Jahren eingereichten Klage der Gemeinden Gadow, Schweinrich und Rossow auf „Unterlassung jeglicher militärischer Nutzung“ des Geländes teilweise stattgegeben und entschieden, daß ein Planungsverfahren nach dem Landbeschaffungsgesetz vor einer „militärischen Nutzung“ der Heide erforderlich ist. Das Urteil wird nach Auffassung der Bürgerinitiative FREIe HEIDe den Ausbau des Platzes und die Aufnahme des beabsichtigten Übungsbetriebes verzögern, da ein förmliches Planungsverfahren „vielfältige Einspruchsmöglichkeiten“ bietet.
Ein Teilerfolg ist erreicht.
##An der Tagung haben u.a. teilgenommen: BI FREIe HEIDe, Bund für Soziale Verteidigung, AK Frieden Nordhorn (Bombenabwurfplatz Nordhorn), AK Viernheimer Wald (Panzerwald Viernheim bei Mannheim), BI OFFENe HEIDe (Colbitz in Sachsen – Anhalt), Komitee für Grundrechte und Demokratie, Ohne Rüstung Leben, Archiv Aktiv (Hamburg), Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen, Zeitschrift Graswurzelrevolution, Netzwerk Friedenskooperative, DFG/VK, Büro für alternative Rüstungsexportkontrolle (Dortmund), Friedensweg e.V. (Leipzig), Winfried Nachtwei (MdB, Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages Bündnis 90/Grüne), Prof. Dr. Andreas Buro, Prof. Dr. Knut Krusewitz, Roland Vogt, Prof. Dr. Roland Roth, Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr und weitere engagierte Einzelpersonen aus der ganzen Bundesrepublik.
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph