Die Entwicklung der Umwelt-Bibliothek Berlin nach dem Ende der SED-Herrschaft (Aus Anlaß des zehnjährigen Bestehens)
von Dietmar Wolf
aus telegraph 9/1996 ( #91)
Am 01.09.1996 nun also war es soweit. Die Umwelt-Bibliothek wurde zehn Jahre alt. Ein stolzes Ergebnis immerhin. Fast alle Projekte aus dem Osten schafften das nicht. Aber gerade im letzten Jahr wurde auch für die UB die Luft dünner und das Dasein zum Existenzkampf. Und es wird sicherlich nicht besser. Aber am 1.9. sollte erst einmal gefeiert werden. Standesgerecht. Mit einem Straßenfest und am Vormittag in memoriam der vergangenen Zeiten mit einer „Denk-Feier“ in der Zionskirche, der alten Heimat der UB.
Dies wurde auch reichlich getan. Und so war die Kirche der Zionsgemeinde gerammelt voll, was wie Pfarrer Simon sagte, ein bißchen die Normalität durchschlug, da sie höchsten am Heiligabend mit so viel Menschen zu tun hätten. Sicherlich keine neue Erkenntnis in deutschen Kirchen. Aber auch die Presse stürzte sich auf dieses Ereignis. Zeitschriften aller Couleur berichteten im Vorfeld, und zum Gottesdienst erschienen ORB und ZDF. Allerdings hatte die Sache einen schalen Beigeschmack. Denn es wurde im Wesentlichen über die DDR-Zeit der UB berichtet, mit der Zionsaffäre von 1987 als Aufhänger. Dürftig war das Interesse an der Zeit nach der Wende. Und die handwerkliche Qualität vieler Berichte war im wahrsten Sinne „schweinisch“.
An dieser Stelle soll noch kurz auf die Redebeiträge eingegangen werden, die von Mitgliedern und Mitbegründern der Umwelt-Bibliothek neben der Predigt gehalten wurden. So sprach der Mitbegründer Christian Halbrock sehr kritisch über die Rolle der UB im Konflikt Staat-Kirche. Als die Kirche gegenüber dem Staat „… eine neue protestantische Belanglosigkeit, die das Christsein vor allem auf der Grundlage einer hohen Arbeitsmoral, gekoppelt mit politischer Hörigkeit veranschaulichen wollte, geriet die UB in einen sich verschärfenden Konflikt mit der Kirchenleitung und den übergeordneten Kirchenbehörden. Dabei war es in unserem Fall weniger der ältere, zum Teil konservativ orientierte Teil der Kirchenvorstands, der mit Verboten und Warnungen die Arbeit der Gruppe behinderte, sondern eher der sich liberal-aufklärerisch gebende akademisch gebildete Mittelstand in der Hierarchie und in der Gemeinde vor Ort, den manche Aktion oder politische Forderung zu weit ging. (Vom Pfarrer Simon mit einem leisen aber bestimmenden „Stimmt“ kommentiert),
Auf die heutige Situation ging Wolfgang Rüddenklau ein, der die zehn Jahre UB als Einziger von Anfang an bis heute mitgemacht hat. Nachdem er noch einmal das Politikverständnis der UB erläuterte, machte er vergleichende Ausführungen über die staatliche Politik Mexikos, wo er im Sommer als Vertreter der UB am Interkontinentalen Kongreß der EZLN teilnahm, mit der anderer Staaten der Welt sowie der BRD. So stellte er fest, daß sich zum Beispiel die Hochschulpolitik Mexikos bis auf den i-Punkt vergleichen läßt, mit der der BRD. Zum Schluß ging er noch einmal, entschuldigend „...auf diese Art von Presseberichterstattung..“ zum UB – Jubiläum ein: „…ich habe die Pressearbeit gemacht und kann somit ein bißchen dafür, aber der Hauptteil ist der wirklich hundsmäßige Zustand des deutsche Journalismus; das geht wirklich rapide abwärts – sicherlich mit Ausnahmen. Eine davon und darüber habe ich mich sehr gefreut; die feindlich gesinnte „Frankfurter Allgemeine“ war immerhin so klug zu sehen, daß die Demokratie, die wir vertreten, eine völlig andere, eine entgegengesetzte ist der westdeutschen Demokratie, einer Demokratie der mühseligen Kompromisse, wie er (der Journalist der FAZ; d.Red) sich ausdrückte. Das könnte man sicherlich anders sehen im Zeitalter des großen Lauschangriffs, der ständig beschworenen „Gefahren“ von organisierter Kriminalität oder welche sonstigen Gefahren uns noch bedrohen mögen. Ich glaube, daß diese Demokratie der Bundesrepublik Deutschland die kämpferischen Demokraten, die die „Frankfurter Allgemeine“ so belächelt, noch sehr nötig brauchen wird gegen, beispielsweise, den Bundesverband der deutschen Industrie, gegen den Herrn Kirch, oder sei es auch bloß gegen Herrn General Schönbom, der mittlerweile Berlin als seinen Exerzierplatz betrachtet…“
Wie gesagt, es drehte sich viel um früher, um die DDR, die Opposition, Stasi, Kirche usw. Wie aber ging es der UB in den letzten Jahren seit 1990?
Der Versuch ein Haus zu besetzen
Mit dem Sturz der SED-Herrschaft und der neu gewonnen Freiheit boten sich auch für die UB völlig neue Voraussetzungen. Der „Schutz“ der Kirche war nun plötzlich nicht mehr nötig. Im Kreis der UB-Aktivisten wurde das Bedürfnis immer deutlicher, die dunklen kalten Räume der Zionsgemeinde zu verlassen und sich den Gängeleien der Kirche zu entziehen. Doch woher neue Räume nehmen? Da von den alten neuen Staatslenkern nichts zu erwarten war und auch die neu entstandenen Bürgerbewegungen nur wenig Interesse hegten, die schon früher ungeliebte UB (zu chaotisch, zu links etc.) zu unterstützen, reifte der Plan, Räume zu besetzen. Nach kurzer Suche war das Haus Schönhauser Allee 5 als geeignetes Objekt der Begierde auserkoren.
Vertreter der „UB“, „Grüne Liga“, einer Lesben-Gruppe, des „Revolutionären Autonomen Jugendverbandes“ und der „Autonomen Antifa“, bis dahin noch Teil der Kirche von Unten, trafen sich und beschlossen, das Haus am 13.01.1990 zu besetzen. In dem sehr großen, mit Seitenflügeln und Quergebäuden versehenen Haus Schönhauser Allee Nr. 5 sollte, so waren die Überlegungen, ein politisches Zentrum für Ostberlin geschaffen werden, ähnlich dem Mehringhof in Kreuzberg. Das sollte in einer Zeit, wo die alten Behoerden der DDR nicht einmal mehr passiven Widerstand leisteten, nicht schwer fallen. Alles war vorbereitet, Transparente gemalt, sogar eine Videokamera wurde aufgetrieben. Doch es kam anders.
Der damalige Sänger und Chef der Rockband Feeling B, Aljoscha, erfuhr durch eine Indiskretion eines UB-Mitglieds von diesem Vorhaben. Daraufhin ging dieser Aljoscha zur damaligen Kommunalen Wohnungsverwaltung Prenzlauer Berg und erklärte, er hätte das Haus Schönhauser Allee 5 besetzt und erwirkte, wie auch immer, ein vorübergehendes Nutzungsrecht für sich und weitere vier Personen. Als sich nun am 13. Januar etwa 50 Menschen der oben genannten Gruppen vor dem Haus Schönhauser 5 einfanden, war das Erstaunen groß, als Herr Aljoscha Feeling B mit seinem Schriftstück wedelnd vor dem Eingang stand und erklärte, er werde die Polizei holen, wenn die Leute versuchen würden, an ihm vorbei die Räume der Schönhauser 5 neu zu besetzen.
Was also tun? Während ein Teil der Meinung war, das Haus trotzdem zu besetzen und Aljoscha und Co. schlicht an die Luft zu setzen, war die Mehrheit dafür, ein anderes Haus zu suchen. Also zog man los auf der Suche nach einem anderen Haus. Nach mehreren Stunden Umherirren, erreichte die stark zusammengeschmolzene Gruppe das Haus Lottumstr. 10a. Von der Lauferei ermüdet und frustriert, entschloß man sich kurzerhand, dieses viel zu kleine und für das geplante Vorhaben eines Zentrums völlig ungeeignete Haus zu besetzen.
Bereits nach kurzer Zeit wurde dies auch klar. Nachdem sich sowohl die Grüne Liga als auch die Lesben-Gruppe aus dem Projekt zurückzogen, beschloß auch der UB-Kreis, keine Anstrengungen in dieses Haus zu stecken.
Damit war die Frage des „Wohin“ für die UB jedoch erneut offen.
Der Traum vom Medienzentrum in der Schliemannstraße
Etwa im April 1990 traten die Geschäftsführer des vom Neuen Forum neu gegründeten BasisDruck-Verlags an die UB heran und unterbreiteten ein verlockendes Angebot. Der Verlag stand kurz davor, Quergebäude und Seitenflügel des Hauses Schliemannstr.23 sowie die Paterre – Etage der Nummer 22, die sie kurz zuvor besetzt hatten, durch reguläre Mietverträge von der KWV zu erhalten. Es war geplant, dort ein großes medienpolitisches Zentrum aufzuziehen. Der damalige Geschäftsführer Bernd Holtfreder bot der UB an, in die Parterre-Etage 22 einzuziehen. Finanzielle Unterstützung wurde zugesagt. Unsere Zeitschrift sollte Teil des Verlags werden und durch die Regie und mit den Mitteln des Verlages mit einer Startauflage von 8.000 Exemplaren in den Postzeitungsvertrieb gebracht werden. Holtfreder stellte sogar eine Auflagensteigerung bis 12.000 Exemplare in Aussicht. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen.
Im Mai 1990 packten die UB-Mitarbeiter ihre Sachen und zogen um in die Schliemannstraße 22. Doch von der versprochenen, großzügigen Unterstützung blieb nicht viel. Während die UB von Anfang an auf eigenen Füßen stehen mußte und dazu bis heute nur durch ABM und ähnliche Finanzierungen in der Lage gewesen ist, wurde unsere Zeitschrift immerhin eineinhalb Jahre durch den BasisDruck getragen. Allerdings blieben die von Holtfreder versprochene Auflagensteigerung, Werbung und auch die Einführung in den Postzeitungsvertrieb nur leere Versprechungen. Alle Anstrengungen wurden stattdessen in die Wochenzeitschrift des Neuen Forums „Die Andere“ gesteckt. Und nach der Pleite dieses Blattes Ende 1991 erklärte der BasisDruck auch uns das Ende der Freundschaft. Der „telegraph“ mußte seine Redaktionsräume in der Nr. 23 verlassen und zog in die UB-Räume um. Von diesem Zeitpunkt an war die UB völlig auf sich gestellt. Im Laufe der Jahre gelang es uns, die UB durch weitere Finanzierungsmodelle, wie z.B. einen sogenannten Lohnkostenzuschuß nach AfG §249h, über Wasser zu halten.
Dabei waren bezahlte Stellen für zuletzt fünf Mitarbeiter selbst natürlich eine erfreuliche Zugabe. Eigentlich wichtig waren die Sachmittel, die die Finanzierung der Miete und der notwendigsten Anschaffungen für Archiv und Bibliothek ermöglichten. Aus den Einnahmen unseres Vereinscafes und Spenden war das nicht möglich – wir haben derzeit immer noch nur Gemeinnützigkeit zweiten Grades, können also keine Spendenquittungen ausstellen. Andererseits ist die Zahl potentieller Sponsoren in Ostdeutschland ohnehin nicht allzu hoch. Gerade die Sachmittel aber wurden uns bei der Verlängerung der Maßnahme am Ende letzten Jahres auf ein Maß gekürzt, daß wir gerade noch davon Miete und Telefonkosten bezahlen konnten. Ab Oktober fällt mit dem Ende der Stellen auch diese Unterstützung weg und wir stehen vor der Schließung unserer Räumlichkeiten.
Das ist umso trauriger, als wir gerade am 1. September das zehnjährige Bestehen der Umwelt-Bibliothek gefeiert wurde. Es wurde natürlich versuchen, über die unerwartet hohe, fast überschwängliche Medienresonanz auf dieses Jubiläum Druck für eine irgendwie geartete weitere Finanzierung auszuüben. Aber angesichts der momentanen Politik auf Landes- und Bundesebene sind wir skeptisch, ob dies gelingen wird.
Auch nach der Wende: Umwelt-Bibliothek ist Opposition
Inhaltlich versuchte die UB neben dem kontinuierlich erscheinenden „telegraph“ ihre Basisarbeit fortzuführen, wenngleich unter ganz neuen Bedingungen. 1990 begann Sie dann auch mit Aktionen, die schon vor der „Wende“ aktuell waren: eine Schornsteinbesetzung des Heizkraftwerkes in Lichtenberg, Aktionen gegen die Sonderdeponie in Ketzin und für Wehrdienstverweigerung, aktuell damals durch die Flucht des Westberliners Gerhard Scherers nach Ostberlin. Dazu kamen Aktionen gegen die Situation in Albanien, ein Seminar zu unabhängigen Gewerkschaftsinitiativen und Versuche, die faschistische NA-Zentrale in der Weitlingstraße-Berlin/Ost zu verhindern.
Mit der Unterstützung der Stasi-Zentrale-Besetzung in der Normannenstraße, Berlin/Ost und damit verbundenen Initiativen, wie der Kampagne gegen die Weitergabe von Stasiakten des ehemaligen „Wendeministers“ Diestel an die BRD Geheimdienste, wurde ein neuer Schwerpunkt in der Arbeit der UB gelegt.
Im Jahr 1991 kamen als Schwerpunkte, der Golf-Krieg, Kriegs-Steuer-Boykott, Rassismus in Dtschl. und Aktionen gegen Mieterhöhung dazu. 1992 wurden mit der Eröffnung des Matthias-Domaschk-Archivs in der UB und dem Erscheinen des Buches „Störenfried“ zwei wichtige Eckpfeiler der DDR-Aufarbeitung gesetzt.
Das verstärkte Anwachsen des faschistischen Terrors in Deutschland traf die Mitarbeiter der UB ganz persönlich durch den Mord an Silvio Meier und die Aufnahme der UB als Anschlagsziel der Anti-Antifa in ihrer Broschüre „Einblick“. Im Jahr 1993 wurde versucht, mit anderen Ostgruppen eine Vernetzung in Hinblick auf eine Gründung eines Presseagentur-Nachrichtennetzes für Ostdeutschland in die Wege zu leiten. Leider erfolglos, der „telegraph“ blieb weiterhin als landesweite Publikation übrig. Bemerkenswert war in diesem Jahr auch die Besetzung von mehreren NVA- Kriegsschiffen in Peenemünde, die für den Export an die Diktatur in Indonesien von der Bonner Regierung vorgesehen waren.
1994 war mit geprägt durch den Tschetschenien- Krieg und den kleinen Aktivitäten unsererseits dagegen. Am Ende des Jahres war es möglich geworden, nach fünf Jahren endlich eine sogenannte Oppositionskonferenz ehemaliger DDR-Gruppen abzuhalten. Ein Teil der durch „Runde Tische“, Parteigründungen, Parlamentsbeteiligungen und Stasivorwürfen gespaltenen Szene fand sich wieder zusammen um über die „Wende“ und Fehler in der Zeit der DDR-Opposition zu befinden.
Im Jahr 1995 kam durch die Errichtung eines Sektenarchives und einer wöchentlichen Beratung ein neues Thema ins Haus. Andere Themen des Jahres waren der NATO-Einsatz in Bosnien, die Ereignisse in Chiapas und das Treffen des Kanzlers Kohl mit Bärbel Bohley und fünf anderen Mitstreitern, was im Jahre 1996 in der Gründung eines sogenannten „Bürgerbüros“ gipfelte.
Neben dem Erfreulichen des Jahres 1996, der Beteiligung am Kongreß gegen Neoliberalismus, in Berlin durch eine Osteuropa AG und in Chiapas treffen uns in diesem Jahr besonders hart die Kürzungen im Berliner Haushaltsplan. Eigentlich bedeutet es, daß zwei weitere versprochene Jahre finanzieller Unterstützung wegfallen und wir wieder mal kurz vor dem Aus stehen.
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