aus telegraph 9/1996 ( #91 )
Grüner Hanf
Zwei Polizeibeamte des Rauschgiftdezernats sowie eine Staatsanwältin haben am 24. September im Dresdner Rathaus in den Räumen von Bündnis90/Die Grünen drei Cannabispflanzen beschlagnahmt. Vorausgegangen war ein Bericht der Dresdner Morgenpost. Die Beschlagnahme erfolgte ohne Durchsuchungsbefehl, begründet wurde das mit „Gefahr in Verzug“. Gegen die Geschäftsführerin der Fraktion, Steffi Ramsthaler, wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet (§29 Betäubungsmittelgesetz).
In einer Erklärung des Bündnis90/ Die Grünen heißt es dazu: „Die Blumensammlung zur Verbesserung der atmosphärischen Arbeitsumwelt in unseren Fraktionsräumen hat vielerlei Spenderquellen. So steuerte jedes Fraktionsmitglied einen kleinen persönlichen Anteil zum jetzt nicht mehr so umfangreichen Sortiment bei. …
Aus diesen Zusammenhängen ergab sich eine fraktionsinterne Verbundenheit mit allem wuchernden Grün und wir bekennen: Gegossen haben wir unsere Pflanzen reihum alle. …
Keiner fragt allerdings…nach dem Vorhandensein sogenannter legaler Drogen, wie z.B. Alkohol, in anderen Räumen des Dresdner Rathauses und deren Präsentation im Verlauf sogenannter Protokoll-Veranstaltungen.“
Ohnehin steht noch nicht fest, ob es sich tatsächlich um weibliche Cannabis-Pflanzen handelt. Nur deren harzige Ausscheidung gelten als Rauschmittel. Ob die Pflanze zu den guten oder bösen gehört, muß nun die Staatsanwaltschaft untersuchen. Vorsicht ist aber geboten, wenn es um die Entsorgung der beschlagnahmten Blumentöpfe geht. In Hannover hat es einen Fall gegeben, wo das als gefährlich eingestufte Grünzeug nach abgeschlossener Beweisaufnahme auf dem behördlichen Kompost gelandet ist. Im nächsten Jahr war die Verwunderung groß, als ringsherum Cannabispflanzen in großer Zahl prächtig gediehen.
Saubere Städte und Gemeinden
Berlins Stadtreinigung unter Leitung des Ex-Offiziers Schönbohm begann vor einigen Wochen mit der diesjährigen Säuberung Berlins von nichtkontrollierbarem Freiraum. Gemeinsam mit Häuserspekulanten und eilsamen Stadträten soll Berlin vor dem Regierungsumzug in Groß-Bonn umbenannt werden.
„Meister Proppers“ geglücktes Gesellenstück als Innensenator von Berlin, die militärische Abriegelung des Kollwitzplatzes im Prenzlauer Berg am 1. Mai, brachte ihm den Ruf eines kühlen, harten Strategen ein.
Dann folgte die bis jetzt andauernden permanenten rassistischen Razzien auf dem Breitscheidplatz, die Hetze gegen die Wagenburgen, die mit der Räumung der East Side Gallery ihren Höhepunkt erreichte.
Es wurde ein Trebegängerhaus in der Kreutziger Straße, Friedrichshain geräumt.
Das letzte, seit 1989 besetzte Haus in Westberlin, Marchstraße wurde unter Bruch der „Berliner Linie“ am 8. August geräumt. Das gegenüber von Schönbohm besetzte Haus in Klein-Machnow wurde am 11. September geräumt und sofort abgerissen. Am 18. September wurde unter Mithilfe der PDS-Baustadträtin von Berlin-Mitte das Haus in der Linienstraße 158/159 geräumt. Im Prenzlauer Berg läuft momentan der Versuch,das letzte besetzte Haus im Bezirk zu räumen. Am 10. September wurde in diesem Haus, Kollwitzstraße 64, die seit 4 Jahren bestehende Galerie frontùart und eine Atelierwohnung rechtswidrig geräumt.
Jegliche Versuche von Neuen Wagenburgen und Neubesetzungen werden innerhalb von Stunden wieder beendet.
„Es geht hier nicht um soziale Not. Besetzungen sind Kampfmittel gegen den Rechtsstaat. Da muß man Flagge zeigen“ – Zitat Schönbohm. Die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates- „der Humus für eine lebendige und weltoffene Stadt Berlin“-sieht der Innensenator auch auf dem Prüfstand, wenn gegen Bundeswehr-Gelöbnisse demonstriert, der Papst mit Eiern empfangen oder am Rathaus Schöneberg die Schwulen-Fahne gehißt wird.
„Ich schäme mich deshalb nicht für Berlin, sondern werde deutlich dagegen vorgehen.“
Russische AKW-Streiks
Die Belegschaft des AKW im russischen Sosnowy Bor, 70 Kilometer nordöstlich von Petersburg, traten ab Mitte Juni und im Monat Juli mehrmals in den Streik, weil sie seit drei Monaten keinen Lohn gesehen hatten. Anfang August brachen sie einen Sitzstreik ab, als sie erfuhren, daß der Direktor des AKW, Jeperin, gekündigt hatte. Vorsitzender der Gewerkschaft der Petersburger AKW-ArbeiterInnen Alexander Baranzow sagte: „Wir verschieben die Streikaktion um eine Woche, weil der stellvertretende Chef uns versichert hat, daß ein Plan zum Ausbruch aus der Krise in Vorbereitung ist.“ Die ArbeiterInnen forderten die Auszahlung der ausstehenden Löhne, die sich seit Mitte April nach Angaben von Baranzow auf 30 Billionen Rubel (ca.10 Millionen DM) summierten. Die Leitung des AKW erklärte, sie hätte nicht ausreichend bares Geld, um die Löhne auszuzahlen, denn das AKW wirtschafte bis zu 95% über Tauschgeschäfte.
Das AKW in Sosnowy Bor ist ein Werk „Tschernobyler Bauart“. 1991 war es hier zu einem ernsthaften Störfall gekommen. Die heutige Wirtschaftsordnung in Rußland verspricht weder für die ArbeiterInnen noch für die Umwelt etwas Gutes.
Jewgenia Borisowa, „ECODEFENSE!inform“ Nr.94, August 1996, Kaliningrad (leicht bearbeitet)
Hardcoreplatte ex-jugoslawischer Bands
„Humanita Nova“, eine Gruppe von Hardcorefreaks im Umfeld der Zagreber Anarchogruppe ZAP, hat eine Compilationsplatte mit dem Titel „Über die Mauern von Krieg und Nationalismus“ herausgegeben. Sieben Bands aus dem ex-Jugoslawien (Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien) singen und spielen HC/Punk/Experimental gegen die bewaffneten Konflikte auf dem Balkan. Die Platte kann für fünf Dollar (Zehnmarkschein beilegen?) bei der folgenden Adresse bestellt werden: Marko Vukovic, Bolnicka 96, 10000 Zagreb, KROATIEN.
BERGARBEITERZEITUNG IN BOSNIEN
Seit einigen Jahren leistet die westeuropaweite gewerkschaftliche Hilfsorganisation „International Workers Aid“ (IWA) materielle und solidarische Hilfe für die ArbeiterInnen im vom Krieg zerrüttelten Bosnien. Dies basiert auf solidarischen Beziehungen vor allem zu den Bergarbeitern in der nordostbosnischen Industriestadt Tuzla, die die britischen Bergarbeiter während deren langem Streik in den 80ern unterstützt hatten. Vor kurzem hat IWA an die „Unabhängige Bergarbeitergewerkschaft Bosniens“ dreitausend Stück verschiedenartiger Schutzkleidung im Gesamtwert von 130.000 DM gespendet. Insbesondere unterstützt IWA die seit Winter 1995-96 in Tuzla erscheinende Bergarbeiterzeitung „Sindikalna informacija“: zwischen April und Juli ist es mit Hilfe der IWA gelungen, die Auflage der Zeitung von 1.500 auf 7.000 anzuheben. Dies ist umso wichtiger, weil in Bosnien vieles im Umbruch begriffen ist und die Kumpel nach Informationen verlangen.
Wiederaufbau mit Streiks
Seit Ende des Krieges wird die Produktion in den Bergwerken durch die etwas regelmäßigeren Lieferungen von Treibstoff und Ersatzteilen allmählich angekurbelt, so daß in den Braunkohlegruben des Tuzlaer Reviers die dritte Schicht wieder eingeführt werden kann. Während des Krieges waren 6.000 Kumpel in der bosnischen Armee mobilisiert (wovon 291 ums Leben kamen und 500 verletzt heimkehrten). Ein neues Gesetz der Zentralregierung in Sarajevo sieht die Wiedereingliederung der nunmehr entmobilisierten Kumpel vor, auch waren viele Kumpel auf Kurzarbeit gewesen und haben nun Aussichten auf Arbeit und etwas mehr Einkommen. „Sindikalna informacija“ berichtete in ihrer Juli-Nummer, daß es in den mittelbosnischen Kohlegruben bei Kakanj zu einem mehrtägigen Streik gekommen ist. Der Staat hatte eine vereinbarte Lohnerhöhung von 60% nicht gezahlt. Seit September 1995 sind die Löhne der Kohlekumpel in Bosnien von 50 DM auf über 200 DM gestiegen, doch das Leben ist nach wie vor sehr schwer und die Auszahlung der Löhne erfolgt oft schleppend.
Die Leitung des Grubenkombinats hat einen Vorvertrag mit der IWF über einen Kredit in Höhe von 5 Millionen Dollar unterschrieben. Brennend aktuell ist die Eigentumsfrage, wobei die Gewerkschaft dafür ist, daß die Gruben vorerst in staatlicher Hand bleiben: eine Privatisierung in der existentiell ohnehin prekären Situation könnte weitreichende negative Folgen haben. (Die Idee der Arbeiterselbstverwaltung ist leider durch die staatlich gegängelte sog. „Selbstverwaltung“ im jugoslawischen Realsozialismus für die meisten Kumpel in Mißkredit gebracht worden.) Da viele Kumpel auch kaum etwas über die Gewerkschaft wissen bzw. Mißtrauen wegen der Rolle der „Gewerkschaft“ im alten System hegen, kommt der Gewerkschaftszeitung jetzt eine umso wichtigere Rolle zu.
Quellen: „Sindikalna informacija“ Nr.6, Juli 1996; Faltblatt von „International Workers Aid“ Nr.1, Juli-August 1996; Gespräche mit IWA-AktivistInnen.
ACHTUNG – SPITZEL!
Dokumentation aus „interim“ Nr. 390
Liebe Freundinnen und Genossinnen,
Wir, die Antifaschistische Gruppe im Prenzlauer Berg – AGIP, müssen euch leider mitteilen, daß sich in unserer Gruppe neun Monate lang ein Spitzel -befunden hat.
Zur Person: Kaja Sesterhenn, 20 Jahre alt, häufig schwarz, manchmal im 70er-Jahre-Look gekleidet, schwarz gefärbte, mittelbraune, inzwischen kinnlange Haare, ca 170 cm groß, ruhiger Typ, früher in Spandau gewohnt, dann wegen Schauspielausbildung nach Mitte umgezogen.
Zur Geschichte: Sie ist Ende Oktober 1995 auf uns zugekommen, signalisierte Interesse an unserer Gruppe und nach 2 Vorgesprächen „arbeitete“ sie bei uns mit. Da sie eher zurückhaltend wirkte, fiel uns nicht auf, daß sie relativ wenig von sich erzählte und sich auch ziemlich selten äußerte, wenn in unserer Gruppe Themen diskutiert wurden. Interesse, an größeren Treffen, Vorbereitungstreffen o.ä. teilzunehmen, wurde von ihr nie geäußert. Sie wurde von uns auch nie für solche Aufgaben delegiert. Sie fiel auch nicht negativ auf, weil sie z.B. übertrieben viel nachgefragt hätte. Durch Zufall flog sie Anfang Juli auf und hat seitdem nichts mehr weitergeben können.
Nach ihren Angaben in Gesprächen mit uns stellt sich die Geschichte für unsfolgendermaßen dar:
Im Oktober 1995 hatte Kaja eine Anzeige in der 2. Hand aufgegeben in der sie einen Kneipenjob suchte. Auf diese Anzeige meldete sich ein Typ namens Reinhard Herzog. Dieser stellte sich als freischgffender Soziologe vor, der eine Studie über die ..Gewaltbereitschaft in linken und rechten Gruppierunged‘ durchflihrt. Gleichzeitig sei er fest beim Staat angestellt in einer Arbeitsgruppe, die sich mit Rechtsextremen befaßt. Bei einem ersten Treffen beauftragte er Kaja, zu der Antifa-Gruppe ins Baobab zu gehen. Für ihren Einstieg bei uns empfahl er ihr, möglichst nah an der Wahtheit zu bleiben, aber zu behaupten, sie habe gelegentlich mit der Antifa Spandau zu tun gehabt.
Danach fanden nicht ganz regelmäßig einmal im Monat Treffen zwischen Kaja und „Herzog“ statt, bei denen jeweils ein neuer Termin ausgemacht wurde. Die Treffen fanden im Restaurant Dinea statt, ein Selbstbedienungsrestaurant gehobener Art am Alex, sie dauerten jeweils 30 – 45 Minuten. Einmal forderte er sie auf, Theaterkarten zu besorgen, worauflün sie ihn zu einem Konzert, bei dem sie selbst mitspielte, einlud. Bei jedem Treffen bekam Kaja 500,- DM in bar gegen Quittung ausgezahlt.
Dafür fertigte Kaja von jedem Treffen unserer Gruppe, bei dem sie war, ein Gedächnisprotokoll an und übergab es ihm. Daran entlang stellte „Herzog“ dann einige Fragen und machte sich Notizen. Er forderte sie auch auf, zu Bündnis- und Vorbereitungstreffen zu gehen und sich dazu durch die Interim inspirieren zu lassen. Ihren Hinweis, daß sie keine Zeit für weitere Treffen habe, akzeptierte er anscheinend, ohne weiteren Druck auf sie auszuüben.
Zur Person Reinhard Herzog: ca. 40 – 42 Jahre alt, mittelblond, rasiert, Babyface, keine Brille, korpulent, eher lässig mit Jeans, T-Shirt und Lededacke gekleidet, trat als Vegetarier auf. Zu den Treffen kam er mit einem grauen Mercedes neuerer Bauart mit Düsseldorfer Kennzeichen. Er sei aus Düsseldorf, habe Familie, wohne in Berlin im Hotel, sei frierschaffender Soziologe, führe seine Forschungen in staatlichem Auftrag durch. Er habe noch weitere Spitzel, vornehmlich in rechtsradikalen Gruppen, nicht nur in Berlin. Angeblich arbeitet er in Gremien mit, die Verbote rechtsradikaler Gruppierungen vorbereiten, angeblich wg. Gremien zu den“Nationalen“ verschob er auch einmal ein mit Kaja vereinbartes Treffen.
Kaja hat nie einen Ausweis oder eine sonstige Legitimation von ihm gesehen. Wir gehen davon aus, daß dieser Herzog vom Verfassungsschutz / Staatsschutz ist.
Unserer Einschätzung nach ist Kaja tatsächlich erschreckend naiv, was unserem Ärger und der Ernsthaftigkeit des Vorfalls keinen Abbruch tut, uns aber zu der Überzeugung bringt, daß die jetzt von ihr berichteten Sachverhalte weitgehend der Wahrheit entsprechen.
Wir gehen davon aus, daß Kaja nicht der einzige Spitzel ist, der so angeworben wurde. Sicher ist, daß es letztes Jahr einen ähnlichen Anwerbeversuch gab, bei dem per Inserat im Zitty Menschen für „Milieustudien im Rahmen eines Buchprojekteg“ gesucht wurden, die dann aber Stimmungs- und Bewegungsbilder aus Szenekneipen liefern sollten. Das heißt, daß Konsequenzen nicht nur von uns, sondern auch von anderen offen arbeitenden Gruppen gezogen werden müssen.
Unser Konzept „offene Gruppe“ stellen wir derzeit in Frage, weil gerade die Arbeit als offene Gruppe es erfordert, sehr bewußt mit verschiedenen Inhalten umzugehen und sich besonders intensiv um NeueinsteigerInnen zu kümmern. Letzteres haben wir offensichtlich nicht geleistet. Außerdem sehen wir, daß die AGIP für den VS nicht nur als Antifa-Gruppe interessant ist, sondern auch wegen des offenen Konzeptes.
Aber auch ein offenes Konzept bedeutet nicht, daß man es ihnen so leicht machen muß wie mit Kaja. Denn es hat sich wieder einmal herausgestellt, daß wir uns viel zu wenig für Kaja und ihre Lebensumstände interessiert haben. Ihre angeblichen Kontakte zur Spandauer Antifa hätten sich z.B. leicht überprüfen lassen. Bei engerem persönlichem Kontakt wäre es für Kaja immer schwieriger geworden, sich nicht in Widersprüche zu verwickeln. Uns wäre eventuell schneller aufgefallen, wie wenig ausgeprägt ihr Interesse an politischen Inhalten tatsächlich war.
Bemerkenswert an dieser Geschichte ist für uns, daß „Herzog‘ offensichtlich mehrere Spitzel in Berlin beschäftigt. Abgesehen davon hat sich gezeigt, daß die Methode des VS, sozusagen ins Blaue hinein Leute anzuwerben und in die Szene zu schicken, doch erstaunlich funktioniert.
Jeder Mensch hat das recht dumm zu sein, doch manche mißbrauchen dieses Privileg …
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