SIEH DICH NICHT UM, DER PLUMPSACK GEHT UM…

von Andrej Holm
aus telegraph #115

Im Kindergarten hatten wir ein lustiges Spiel. Dabei lief ein Kind um einen Kreis von sitzenden Kindern und alle sangen: „Dreh dich nicht um, der Plumpsack geht um – und wer sich umsieht, der kriegt einen Hieb“. Eines der sitzenden Kinder wurde heimlich mit einem kleinen Gegenstand markiert, der hinter dem Rücken abgelegt wurde. Bemerkte man die Markierung, war es das Ziel, mit dem bereits laufenden Kind um die Wette zu rennen und sich als erster wieder auf den nun freien Platz zu setzen.

Auch die Mitarbeiter/innen des Bun deskriminalamtes und der Bundesanwaltschaft scheinen mit diesem Spiel aufgewachsen zu sein. In erstaunlicher Aufrechterhaltung des kindlichen Spieltriebs haben sie es bei der heimlichen Markierung von so genannten Beschuldigten in 129a Verfahren zur Perfektion gebracht. Allein im Jahre 2006 wurde 79mal ein 129a/b Verfahren gegen 100 Beschuldigte eingeleitet und geführt 1. Nur die wenigsten der Betroffen erfahren von diesen Ermittlungen und nur bei einem Bruchteil der Ermittlungsverfahren reicht es für eine juristische Anklage.

Ein zentrales Argument bei vielen dieser Verfahren ist das angeblich konspirative Verhalten der Beschuldigten. Insbesondere die jüngst bekannt gewordenen 129a Verfahren gegen linke Aktivist/innen bauen im Wesentlichen auf der Beobachtung so genannter konspirativer Verhaltensweisen auf. Und als Konspiration gilt scheinbar alles, was sich der Überwachung und den Observationen der Ermittlungsbehörden zu entziehen versucht.

So gilt es als konspirativ, wenn sich Freunde am Telefon bei Verabredungen nicht detailliert auf Ort, Zeit und Agenda eines Treffens einigen. Für die Überwachungsbehörden, die in den Telefonleitungen hängen, ist das schon sehr verdächtig. „Wir treffen uns morgen wie immer im Café?“ klingt ja auch wirklich wie eine Vereinbarung von Straftaten. Hoch konspirativ ist es dann schon, wenn zu einem Treffen, einem Spaziergang oder einer Veranstaltung das Mobiltelefon ausgeschaltet wird oder zu Hause liegen bleibt. Denn dies entspricht – so die Bundesanwaltschaft – „den typischen Gepfl ogenheiten der linksextremen Szene zum Zwecke der Konspiration“. Das ist in Zeiten der Telefonüberwachung, Verkehrsdatenanlyse und verdeckter Fahndungen mit „stillen SMS“ ja auch nicht anders zu erklären, als durch die Planung von Straftaten. Dass es eine Vielzahl von Gründen geben kann, sich diskret und ohne Überwachung zu treffen, ist für die Ermittlungsbehörden offensichtlich nur schwer vorstellbar.

Noch verdächtiger wird es, wenn sich die Überwachten durch eine schlampig durchgeführte Observation verunsichert fühlen und sich womöglich mehrmals nach den Verfolgern umsehen. Hoch konspirativ ist das – wer sich nicht einfach verfolgen lassen will, der muss doch was zu verbertelegraph 115 2007 43 gen haben. Alle, die darüber hinaus auch noch versuchen, im Zeitalter von Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchungen ihre Persönlichkeitsrechte auch noch im Internet, etwa durch die Nutzung eines anonymen E-mail-Accounts, zu wahren, handeln dann schon außergewöhnlich hoch konspirativ. Den linguistischen Steigerungsmöglichkeiten angeblich konspirativen Verhaltens sind bei den Ermittlungsbehörden offensichtlich keine Grenzen gesetzt. Selbst google – den Kritikern von Überwachung und Datenspeicherung sonst ein Rotes Tuch – fi ndet die Pläne der Bundesregierung, die Vorratsdatenspeicherung auszudehnen, fragwürdig und drohte kürzlich damit, sein Gmail Angebot in Deutschland einzustellen, weil unter diesen Voraussetzungen die Anonymität der Nutzer nicht mehr gewahrt bleibe. Vermutlich macht sich nun auch der Datenmogul Google der Unterstützung konspirativer Verhaltensweisen verdächtig. Denn solcherlei Argumentationen stören das BKA und die BAW nicht im Geringsten. Für sie wird das Einrichten eines anonymen Email- Kontos oder der Besuch eines Internetcafes schon fast zum Straftatbestand.

Die Unverletzlichkeit der Persönlichkeitsrechte und die informationelle Selbstbestimmung gehören eigentlich zu den Grundversprechen unserer Gesellschaft. Doch die Ausweitung der Überwachungsund Kontrollinstrumente zwingt immer mehr Menschen dazu, sich auf mehr oder minder geeignete Weise eben dieser Totalüberwachung zu entziehen. Gerade diese Versuche jedoch wecken das Misstrauen der Sicherheitsbehörden. Alles was sie nicht wissen oder wissen sollen, können sie sich kaum anders erklären, als dass Verbrechen geplant werden. Die Wahrung von Anonymität und Persönlichkeitsrechten gerät so unter Generalverdacht. Die Freiheit selbst wird kriminalisiert. Und wer sich umsieht, der kriegt einen Hieb…

Der Fakt, dass sich kleine Alltagshandlungen derer, die sich das Recht auf Privatsphäre auch gegenüber den staatlichen Behörden nicht nehmen lassen wollen, in 129a Verfahren zu Indizien des Verdachts verdichtet werden, heißt letztlich, dass die sonst für unser Rechtssystem normative Unschuldsvermutung praktisch suspendiert wird. Von Kritikern wird der Paragraph 129a als Schnüffel- und Ermittlungsinstrument bezeichnet, denn nur in den wenigsten Fällen führen die aufwendigen Observationen und Überwachungen tatsächlich zu einer Verfahrenseröffnung. Und wenn eine jahrelange Ausspähungsmaßnahme ohne Erfolg bleibt, dann wird einfach das nächste Verfahren gegen die nächsten Verdächtigen geführt. Der Plumpsack geht um… und jede/r kommt mal an die Reihe. Ganz wie beim Kinderspiel – nur weniger lustig.

1 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/5537 – Straf- und Ermittlungsverfahren nach § 129, § 129a und § 129b StGB im Jahr 2006 (Drucksache 16/5696 vom 18.06.2007)

Andrej Holm, promovierter Sozialwissenschaftler an der Humboldt-Universität Berlin. Regelmäßiger Autor der Zeitschrift „Mieterecho“. Am 31. Juli 2007 inhaftiert und drei Wochen in Untersuchungshaft festgehalten.

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