WELTORDNUNG DURCH KRIEG

Nach dem militärischen Sieg im Irak ist der Konflikt nicht beendet

von Thomas Atzert und Jost Müller
aus telegraph #108

Die linke Debatte über den Krieg gegen den Irak – wie bereits über den zweiten Golfkrieg, über die Balkankriege oder den Krieg in Afghanistan – hat sich schnell in den eingefahrenen Bahnen der traditionellen Imperialismustheorie bewegt. Und auch die Polarisierung innerhalb der Linken wiederholt sich in gewisser Hinsicht. Auf der einen Seite machen sich die linken Kriegsbefürworter erneut zu Fürsprechern einer Zivilisation, die ihre Destruktivkräfte immer wieder gegen die versprochene Zivilität ausschlagen lässt und den zivilen Gesellschaften eine Militarisierung ihrer Potenziale auferlegt. Auf der anderen Seite stehen jene, die anhand politökonomischer Kategorien und der Analysen geostrategischer Interessenslagen die Kriegsbedingungen glauben hinreichend bestimmen zu können und dann eine imperialistische Konkurrenzsituation mit unterschiedlichen Kriegszielen diagnostizieren. Die Argumente für westliche Demokratien im Unterschied zu diktatorischen Regimes sind ebenso bekannt wie die geostrategischen Ziele in der Golfregion. 

Zweifelhaft ist allerdings, ob sich die gegenwärtige Form der internationalen Kriegsführung mit solchen Argumenten genauer bestimmen lässt. Sie klingen ein wenig wie der Widerhall der von der Administration George W. Bushs vorgegebenen Rhetorik.

Die klassischen Imperialismustheorien etwa von Lenin und Luxemburg definieren bei aller Unterschiedlichkeit den imperialistischen Krieg als Raubkrieg, der auf der Basis konkurrierender nationalstaatlicher Organisationen in den kapitalistischen Metropolen Ressourcen und Territorien, etwa als neue Märkte oder Rohstoffreserven, aneignen soll, um damit die Kapitalverwertung sicherzustellen. Weltpolitik, einer der zentralen Begriffe der Imperialismustheorie vor 1914, fungiert hier als die auf eine äußere Welt ausgreifende, letztlich aber im Interesse nationaler Kartelle und Trusts durchgeführte Intervention des Staats.

In den imperialen Kriegen der Gegenwart formiert sich dagegen die politische Ordnung des globalisierten Kapitalismus. Krieg dient nicht länger der Expansion einer konstituierten Ordnung oder ihrer Wiederherstellung, der Krieg ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern der Krieg wird zur Grundlage der Politik und der Legitimität. Nach der Analyse, die Michael Hardt und Toni Negri in Empire vornehmen, gibt das Wiederaufleben der Vorstellung vom »gerechten Krieg« einen zentralen Hinweis, um diese neue Form des Kriegs zu erläutern. Heute ist der säkularisierte »gerechte Krieg« zu einem Moment der Weltpolitik geworden, das seine Rechtfertigung in sich selbst trägt.

Zwei Elemente sind im Unterschied zu den »low intensity conflicts« nach 1945 in diesem Konzept des gerechten Kriegs kombiniert: erstens die Legitimität des militärischen Apparats als ethisches Instrument von Weltordnung, etwa im Diskurs über die Durchsetzung der Menschenrechte oder über das Vorgehen gegen verbrecherische Regimes, zweitens – qua Effektivität – die Legitimität der militärischen Aktion, um die gewünschte Ordnung und den vermeintlichen Frieden herzustellen. In diesem Sinn wird der Krieg, wie im übrigen auch der Feind, zugleich banalisiert und verabsolutiert, auf ein »Objekt polizeilicher Routine« reduziert und gleichzeitig als absolute Bedrohung der ethischen Ordnung dargestellt.

Die Synthese dieser beiden Elemente schafft ein Kontinuum zwischen Polizeimaßnahmen und militärischem Vorgehen, das zweifellos ein entscheidender Faktor ist, von dem die Grundlagen und die neue Tradition des Empire abhängen werden. Die säkularisierte Form des gerechten Kriegs mündet in eine diffuse permanente Kriegsordnung, wie sie sich im »langandauernden Krieg gegen den Terrorismus« propagandistisch angekündigt hat. Es handelt sich um einen Krieg ohne Beginn und ohne Ende. Der Irak-Krieg stellt in diesem Rahmen lediglich eine Zwischenstation zur Etablierung einer globalen Kontrollgesellschaft dar, in der die Überbleibsel der West-Ost-Blockkonfrontation sukzessive bereinigt werden, zumal wenn die bestehenden Kriegsökonomien, wie im Fall von Jugoslawien, Afghanistan und Irak, der kapitalistischen Akkumulation wie der politischen Integration in die Weltordnung hinderlich sind.

Der Krieg zerstört Gesellschaften und setzt die Bevölkerungen neu zusammen, reißt Grenzen nieder und errichtet neue. Der Krieg zielt auf die Etablierung globaler Kontrollmechanismen, die die Verfügung über die Mobilität, die Produktion und die Ressourcen regeln sollen.

Es geht um die Durchsetzung einer Kontrollgesellschaft, in die sich die einzelnen politischen Regimes quasi automatisch eingliedern, um den Prozess der kapitalistischen Globalisierung, die Formen der internationalen Vergesellschaftung von Kapital, Arbeitsteilung und Wissensproduktion, die Hardt und Negri als reelle Subsumtion der gesamten Gesellschaft unter das Kapital bezeichnen, gegen die Risiken und Krisen abzusichern, die dieser Prozess fortlaufend produziert.

Die Regierungen bereiten durch entsprechende Sicherheitsgesetze ihre Gesellschaften auf diese Kriegsordnung vor: Sie organisieren keine Massenmobilisierung für den Krieg wie in den Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts mehr, formieren jedoch die staatliche Apparate umso gründlicher, wie etwa die Vorbereitungen zum innenpolitischen Einsatz der Armee in der Bundesrepublik zeigen. »Gott« und »Vaterland« dienen dabei lediglich als säkularisierte Galionsfiguren, denn vor allem die soziale Panik, die der universelle Kampf gegen den Terror schürt, fördert die Muster autoritärer Kollektivbildung, die den Verlust nationalstaatlicher Souveränität kaschieren und die kriegführenden Gesellschaften in die katastrophische, ja manichäische Alternative »wir«, die Guten, oder »sie«, die Bösen, zwingen helfen.

Die Brisanz der Analyse von Hardt und Negri liegt darin, dass sie den Niedergang der nationalstaatlichen Regulierung und die Krise der nationalstaatlichen Institutionen diagnostizieren. Der Nationalstaat ist nicht länger der wichtigste Akteur internationaler Politik. Imperiale Weltordnung meint ein stratifiziertes, in Netzen organisiertes Herrschaftssystem, das kein Äußeres mehr kennt. Staatliche Organisation und nationale Form entkoppeln sich und die völkerrechtliche Definition nationaler Souveränität besitzt de facto keine Gültigkeit mehr. Doch dieser Niedergang ist kein sang- und klangloses Verschwinden des Nationalstaats, sondern die Ablösung seiner paradigmatischen Funktion, wie sie vor allem auf dem europäischen Kontinent entstand und sich über Kolonialismus und Imperialismus verallgemeinerte. Waren übernationale politische Gebilde noch im 20. Jahrhundert – etwa Kolonialmächte und ihre Kolonien oder der West- und Ostblock – jeweils um eine Dominanz- oder Supermacht konzentriert, die nationale Souveränität expansiv auf dominierte koloniale oder nationale Gesellschaftsformationen übertrug, so besteht die neue imperiale Ordnung in einer horizontal zu den Nationalstaaten organisierten Form von Herrschaft. Die Nationalstaaten finden sich nach Hardt und Negri auf verschiedenen Ebenen einer „imperialen Pyramide“ reintegriert, dort treten sie mit anderen gleichgewichtigen Akteuren in Konkurrenz:
– auf der ersten Ebene des imperialen Kommandos mit internationalen Institutionen, die ehemalige Supermacht USA mit dem UN-Sicherheitsrat, G 8, WTO, IWF, etc.,
– dann auf der Ebene der Verknüpfung des Kommandos und der netzförmigen Ausdehnung der imperialen Macht, auf der etwa auch die multinationalen Konzerne angesiedelt sind,
– und auch auf der unteren Ebene der Subalternität: kleinere Nationalstaaten, verschiedene gesellschaftliche Akteure, NGO etc.

Doch lösen Imperialismus und Empire einander nicht im Sinne einer definitiven Epochenfolge ab, nach der das Zeitalter des Imperialismus von der Ära des Empire einfach ersetzt würde. Offensichtlich versuchen die USA unter der Regierung George Walker Bushs in unmittelbarer Anknüpfung an die Regierungen Ronald Reagans und George Herbert Bushs, erneut eine imperialistische Politik zu betreiben. Hardt und Negri haben ausdrücklich darauf verwiesen, dass der Imperialismus die permanente Versuchung der USA ist. Sie haben aber auch gezeigt, dass und wie sich die Politik der USA historisch als Staat »weißer Dekolonisation« von Anfang an vom Imperialismus der europäischen Nationalstaaten unterscheidet.

Allerdings sollte man die strategischen Optionen einer Administration und ihrer think tanks, die heute das »American Empire« und ein »New American Century« proklamieren, nicht mit den strukturellen Bedingungen der Weltpolitik verwechseln. Statt von einer imperialen Pyramide wäre wohl besser von einem imperialen Archipel zu sprechen, das keine monokratische Spitze mehr kennt, aber Konkurrenzbeziehungen untereinander, deren Ausagieren eine Schranke an den politischen Erfordernissen globaler Kapitalakkumulation findet. Der Auf- und Ausbau der Europäischen Union ist, wie auch deren Konflikte mit den USA, in diesem Sinn kein imperialistisches, sondern ein imperiales Herrschaftsprojekt.

So sehr die gegenwärtige Bush-Administration im Krieg gegen den Irak ein nationales Interesse herausstreicht, so sehr entäußert sie sich zugleich der Kontrollmechanismen der Weltordnung, daher der Zickzack-Kurs zwischen multinationalem Konsens und nationalem Alleingang mit unilateral definierten Bündnispartnern, der die Politik zur Vorbereitung der massiven Kriegsintervention seit dem Spätsommer 2002 gekennzeichnet hat. Der politischen Option, Kontrolle militärisch zu restaurieren, fehlt angesichts der Internationalisierung des Kapitalverhältnisses unter der US-Hegemonie nach dem Zweiten Weltkrieg und mit deren Krise in den achtziger Jahren letztlich ein ökonomisches Pendant, das auf nationaler Basis organisierte Kapital oder – im Blick auf die Klassenfraktionierung ausgedrückt – eine nationale Bourgeoisie, die wie einst die englische Bourgeoisie den Vorreiter einer globalen Dynamik abgeben könnte. Die Konzerne der Ölindustrie sind dieser Vorreiter mit Sicherheit nicht.

Eine antimilitaristische Opposition gegen die militärische Option darf sich allerdings nicht in die imperialen Konkurrenzbeziehungen eingliedern lassen. Sie hat auch nicht zwischen imperialen oder imperialistischen Strategien zu wählen, sondern deren jeweilige militärische Logik offen zu legen und beide zurückzuweisen. Klar scheint, dass das allein weder von den dominanten Kräften der globalisierungskritischen Bewegungen noch vom Pazifismus zu erwarten ist, obwohl ein wichtiger Aspekt der Demonstrationen gegen den Krieg am 15. Februar 2003 war, dass sie für die soziale Opposition eine Möglichkeit andeuteten, die Orientierung auf den nationalen Staat hinter sich zu lassen. Die autoritären Muster der imperialen Kriegsordnung dienen dem Zweck, das Leben der Bevölkerungen, der Multitudes vollständig zu durchdringen und zu formieren. Für den Widerstand dagegen bleibt von entscheidendem Interesse, wie man die sich konstituierende Weltordnung als kapitalistische Herrschaftsordnung angreift. Mit anderen Worten, man muss also wirklich durchs Empire hindurch, um eine Orientierung auf eine nicht mehr nur internationale, sondern vielmehr transnationale Perspektive der Befreiung zu finden.

Der Text ist das Nachwort der Herausgeber aus dem Band »Kritik der Weltordnung. Globalisierung, Imperialismus, Empire«, der gerade im ID Verlag, Berlin (14,- Euro), erschienen ist. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.

Thomas Atzert arbeitet als Journalist, Autor, Übersetzer und Redakteur, u.a. des Supplements subtropen. Er lebt in der Nähe von Frankfurt am Main.
Jost Müller ist Autor und Redakteur, u.a. des Supplements subtropen, er nimmt Lehraufträge in Germanistik und Politologie wahr. Er lebt in Frankfurt am Main.

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