FREMDELN IN TOKIO

„Lost In Translation“ von Sofia Coppola

von Angelika Nguyen
aus telegraph #110

Wenig ist in diesem Film ganz viel. Die Berührung eines Fußes zum Beispiel oder das Auflegen des Kopfes auf einer fremden Schulter, ein Lächeln im Fahrstuhl oder der Satz: „Ich werde dich vermissen“. „Lost in Translation“, der in vier wichtigen Oscarkategorien nominiert war und nur den Krumen des besten Originaldrehbuchs bekam, wird vom Publikum gefeiert als die melancholische Komödie des Jahres. Bill Murray als Bob spielt die Irritation des Amerikaners in einer fremden kulturellen Welt mit umwerfender Komik. Als sein Whisky-Werbespot in Tokio gedreht wird und der junge japanische Regisseur auf Bob einredet, genügt das Hochziehen seiner Augenbrauen oder sein erstarrter Blick, dass man sich kugelt vor Lachen. Das Einzige, was ihm nicht fremd vorkommt in dieser seltsamen Metropole traditioneller Höflichkeiten und monumentalster Leuchtreklamen, ist das Mädchen aus dem Fahrstuhl, Charlotte. Es ist die sagenhaft präsente Darstellerin Scarlett Johansson, die, obwohl nirgends nominiert, den Film wesentlich prägt. Was folgt, ist eine der ungewöhnlichsten Beziehungen der Filmgeschichte – ein alternder Mann und ein junges Mädchen entdecken eine Vertrautheit miteinander, für die es fast keinen Namen gibt. Dabei betont Regisseurin Sofia Coppola eher den Abstand zwischen den beiden als die Nähe. „Wird es leichter, wenn man älter wird?“ fragt Charlotte. „Je mehr du weißt von dir und was du willst, desto weniger lässt du an dich heran.“ sagt Bob.
Hier liegen zwei auf dem Bett, sagt auch die Kamera, die nicht zusammen kommen werden. Bob und Charlotte wähnen sich so weit voneinander weg, dass sie leicht aufeinander zugehen können. Es sind die kleinen Gesten, das gemeinsame Lachen, das gemeinsame Exil, was sie verbindet und einander allmählich brauchen lässt.
Zur komödiantischen Färbung des Films gehört die Übertreibung des Fremden, des Japanischen. Das Vertraute ist immer das Vernünftige, das Maßvolle.Das Fremde jedoch, erzählt der Film, ist vor allem lächerlich. In diesem Film des Minimalismus fällt die grelle Darstellung besonders heraus. Bei den Japanern gibt es nichts Zartes. Dabei arbeitet für den Film das westliche Bild vom Asiaten als entindividualisiertes, fistelndes Wesen, das „R“ und „L“ miteinander verwechselt und ewig lächelt. Zwar reden die Japaner im eigenen Land mit Bob mühevoll Englisch, aber er kann nicht einmal Restaurantbestellungen oder Bitte und Danke dem japanischen Wörterbuch entnehmen. Er ist immer wieder erstaunt, wie die Japaner sich benehmen, aussehen, kommunizieren, was für ein ulkiges Englisch sie sprechen. Die Grenzen von Translation werden spürbar, nichts kommt Bob durch Übersetzung näher.
Das amüsiert manchmal, wie die grelle Fernsehshow mit einem irritierten Bob, manchmal befremdet die Nähe zum gewöhnlichen Rassismus, wie die Szene mit der gemieteten Japanerin, die 1. lächerlich Englisch spricht, 2. sich kreischend auf dem Boden wälzt und das für verführerisch hält. Das impliziert, dass das Fremde nicht nur fremd, sondern auch dumm ist. Da trifft sich eine sensible Filmemacherin zufällig in hiesigen Kinos mit deutschem Stammtischhumor. Da wird das Auftauchen der Japaner zum Nummernprogramm – ha, schon wieder „Warum vertauschen die hier das R mit dem L“, fragt Charlotte. „Weil es ihnen Spaß macht.“ sagt Bob.
Sofia Coppola hat sich zur vorwiegend karikierenden Darstellung des Japanischen als Inbegriff des Fremden entschlossen. Dabei merkt man zwischendurch, etwa auf Autofahrten oder in buddhistischen Tempeln des Hinterlandes, dass sie dieses Land liebt. Durch ihre Teilhaberschaft an einem japanischen Modelabel mag sie oft dort gewesen sein. Es ist schade, dass ihr da die Zwischentöne, die sie in der Beziehung zwischen Bob und Charlotte meisterhaft beherrscht, so abhanden kamen.
Unangefochten von alldem geht die zarte Begegnung zu Ende. Als es anfängt wehzutun, fliegt Bob nach Hause. Zuvor jedoch stehen sie beide noch einmal umarmt in einer vollen Fußgängerpassage und er sagt ihr etwas ins Ohr. Charlotte lächelt. War es ein Versprechen, eine Erklärung oder ein Witz?
Wir werden es nie erfahren.

Lost In Translation, USA / Japan 2003 – Regie: Sofia Coppola
Prädikat: besonders wertvoll – FSK: ab 6 – Länge: 102 min.

Angelika Nguyen studierte Film- und Fernsehwissenschaften. Sie schreibt Filmkritiken und Essays, sie lebt in Berlin.

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