von Angelika Nguyen
aus telegraph #110
Im ersten Gedicht, notiert zwei Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center, wandelt Michael Mäde den Schlachtruf Georg Büchners aus dem Jahr 1834 ab und sieht den Beginn eines Krieges voraus, der tatsächlich Wochen später beginnt. Krieg gegen die Paläste orientalischer Diktatoren bedeutet nicht Friede für die Hütten, sagt Mäde. Im Gegenteil. Die nachfolgenden Eintragungen, die wie ein Tagebuch nach Daten geordnet sind, beschreiben die medial erlebte Grausamkeit des Krieges in Afghanistan und im Irak („Mord aus großer Höhe ist erlaubt“), den Profit der Betreiber („Aber Stahl und Chemie gehen schon mal gut“), linke Wut und Verzweiflung aus der Ferne (Eigentlich kann ich hier/ nicht sein, /Einer, ein weiterer/fehlt bei den Demonstrationen,/beim Verteilen der Blätter/die kaum jemand liest“), die Hoffnung nach der großen Demo am 15. Februar 2003 nachts. Der Band endet mit einem Nachtrag im Juni 2003, nach einer überstandenen Kur des Autors, die Überspülung des Landes mit Ostseewasser erinnert ihn wieder an Landnahme.
Es handelt sich hier um enorm politische Lyrik, aber nicht in der Art von „He, wer schreitet dort rechts aus!“ eines Majakowski, sondern diesen Gedichten fehlt jede grimmige Fröhlichkeit. Sie sind traurig, zornig, sarkastisch. Sie feiern nichts mehr.
Das Angenehme an Mädes Gedichten ist das Fehlen jeder Beschaulichkeit. Sie beobachten und sezieren die Gefühle und Ereignisse in Kriegen, die nicht im eigenen Land stattfinden. Noch nicht, sagt Mäde. Die zusammenstürzenden Wolkenkratzer von New York sind Symbol für alle Missstände. Mädes Entsetzen in Folge des Anschlags auf das World Trade Center ist nicht konfektioniert und seine Ängste zielen viel weiter. Obwohl optisch und sprachlich als Kriegstagebuch gecovert, handeln die Texte nicht nur vom Krieg. Die Komplexität des Krieges reicht für Michael Mäde bis in die eigene Krankheit („Morgen für Morgen folge ich“), in die Beziehung zur geliebten Frau („Liebeserklärung an H.“), in den Laden an der Ecke („Der Mann an der Ecke“), in den Bruch mit den Genossen („An besagte Genossen“), in die Wahrnehmung der eigenen Deformation („Auch mich haben sie bekommen“). Die Berührung mit dem Krieg erzählt der Band sehr genau, detailliert, manchmal impressionistisch Eindrücke vom Alltag aufnehmend, mal flugblattartig appellierend („An besagte Genossen“, „Na, dann übt noch ein bisschen“), mal stimmungsbetont, mal sehr symbolisch („Die Armada der Neuzeit“).
Er „wendet“, sagt er, „vom Gebrauch verschlissene Wörter“, er nimmt die üblichen tagespolitischen Sprachhülsen und schüttelt sie aus. Dann ist ein Krieg überhaupt keine Antwort mehr, sondern ein Verbrechen und Stalingrad ein schlechtes Beispiel und uneingeschränkte Solidarität wird zum Vehikel von Machtbesitzern. Das gelingt manchmal, wenn er (wie oben) überraschend neue Perspektiven einbringt und mit Ironie amüsiert, manchmal misslingt es, wenn Mäde selber die verschlissenen Worte noch mal abzutragen versucht. Maschinerie des Krieges, das andere Amerika, Propaganda oder kollateral, von Mäde unbesehen wieder verwendet, beispielsweise sind Begriffe, die heute einer neuen sprachlichen Nahtstelle bedürfen. Sie sind zum Teil historisch zu besetzt, zum Teil zu abgenutzt, man muss mit ihnen spielen, um sie zu neuem Leben zu erwecken. Auch zu viele Adjektive versperren zuweilen die Sicht, verderben den Klang, füllen Resonanzräume auf. Mitunter führen gerade sie zu Ungenauigkeiten: präzise gemordet die Zivilisten, andererseits werden Streubomben wahllos geworfen.
Aber „Ihre Konjunktur nähert sich wie ein Taifun“ aus dem bemerkenswerten Text „Zwischenzeiten“ zum Beispiel ist ein Bild, dass durch Sinnlichkeit und politische Präzision gleichermaßen bewegt.
Der Gedichtband stellt in der momentanen Bücherlandschaft vieler verschiedener Befindlichkeiten eine Besonderheit dar. Da reagiert einer tagespolitisch schmerzhaft aktuell, wendet sich lyrisch den Ereignissen der Zeitungen zu, setzt seine Persönlichkeit ins Verhältnis zu TV-Bildern, nimmt Schlagzeilen sprachlich auseinander, holt die Nachrichten aus dem gleichgültigen Ticker.
Unmöglich, Jutta Ditfurths Vorwort nicht wenigstens zu erwähnen, in dem sie sich über so manchen Text freut und gemeinsame Positionen nicht nur dem Krieg, sondern auch früheren, jetzt veränderten Gefährten gegenüber feststellt. Ditfurth findet Michael Mädes Gedichte wichtig als politische Ortsbestimmung, mag seine Art, Politik und Gefühle, eigene Biographie und Weltereignisse zu verbinden. Des Dichters Freude und verhaltene Zuversicht angesichts von 500.000 Kriegsgegnern auf der West-Ost-Achse Berlins („Vielleicht war das ein großer Tag“), die hier nach Kriegsbeginn im Irak auf die Straße gingen, versteht sie jedoch nicht. Dass Jutta Ditfurth Mädes nächtliche Hoffnung einen „deutschen Anfall“ nennt, erzählt mehr über sie als über ihn. Auch beleuchtet es, dass Fremdheit zwischen West und Ost auch die radikal Linken nicht verschont.
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