Ein ostberliner Piratensender sendete am 1. Mai vom Turm der Zionskirche
aus telegraph 5/1996
Es ist nicht zu fassen.. Endlich! Im verflixten siebenten Jahr seiner Existenz erlangt der Ostberliner Piratensender Radio P Aufmerksamkeit, Achtung und Anerkennung! Am 1. Mai erklomm er den Turm der Zionskirche im Berliner Osten, sendete 2 volle Stunden unbehelligt und … verschwand auf mysteriöse Weise. Über das wie und warum berichteten einige Berliner Medien auf recht unterschiedliche Weise. Bisher wurde Radio P von breiten Teilen der Öffentlichkeit einfach ignoriert, obwohl es doch nach der Wende angetreten war, die neuerlangte Presse – und Meinungsfreiheit wörtlich zu nehmen. Nach der deutschen Vereinigung war der Sender ständiger Verfolgung ausgesetzt. Meinungsfreiheit via Radiowellen ist auch im neuen Deutschland per Gesetz verboten. Die deutsche Luft gehört Post und Telekom. Wer deren Eigentum mißachtet, bekommt es mit den Luftschutzwarten und der Polizei zu tun.
Laut Fernmeldeanlagengesetz § 15 wird das unerlaubte Betreiben von Sendeanlagen mit einer Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren bedroht. Dazu muß die Staatsgewalt Gesetzesbrecher allerdings in flagranti erwischen. Beispiele aus der altbundesrepublikanischen Geschichte zeigen, daß dies bisher noch nicht gelungen ist. Prozesse lediglich anhand von beschlagnahmten Sendern als Indizien oder gar Beweise zu führen, brachte keinen Äther-Piraten hinter Gitter. Da so dem Problem staatlicherseits bisher nicht beizukommen war, hält das Strafgesetzbuch den § 27 bereit: Beihilfe zum Betreiben eines Piratensenders. Danach ist jede Tätigkeit ausreichend, die das unerlaubte Betreiben einer Fernmeldeanlage in irgendeiner Weise erleichtert oder fördert. Was daran im jeweiligen Fall strafbar ist, liegt ganz im Auge des Betrachters frei nach dem Motto: sie wissen nicht was sie tun; oder doch ? Bisher kam man jedenfalls immer noch mit der Art des braven Soldaten Schweijk durch.
Am Freitag, den 26. 4.wurde ein Plakatierer auf frischer Tat, nämlich beim Radio P- Plakate-kleben, ertappt, verhaftet und verschleppt in die Keibelstraße, auch vor der Wende schon Polizeihauptquartier. Dort wurde er 6 Stunden lang der Verhörfolter unterzogen. Schließlich ließ man ihn frei, da er keine sachdienlichen Hinweise geben konnte. Der Vollständigkeit halber hielt man noch eine Hausdurchsuchung bei ihm ab. Ergebnislos. Er wußte wirklich nichts.
An dieser Stelle ein Hoch auf die KonsPiration – es plaudern immer nur die Eingeweihtesten am liebsten in aller Öffentlichkeit.
Von Karfreitag bis Kabelkanal
Wie gesagt, eine solche Aufmerksamkeit wurde Radio P schon seit langem nicht mehr zuteil. Das letzte Mal widmete sich die Obrigkeit dem kleinen Sender am Karfreitag des Jahres 1992 mit besonderer Sorgfalt: Es wurden über 100 Beamte in Zivil und Uniform, darunter Sprint- und Kletterspezialisten, aufgeboten, um Gerät samt Bedienung einzufangen. Das jedoch mißlang. Peinlich für Post/Telekom, die Hüter der deutschen Luft, sowie den damaligen Innensenator. Kurz vor dieser Aktion hatten die noch in der Berliner Morgenpost verkündet, der Piratensender Radio P wäre bedeutungslos. Seine Reichweite betrage kaum 1000 m und der Inhalt der ausgestrahlten Programme sei nicht als staats- oder gemeinwohlgefährdend anzusehen. Deshalb würde niemand im Ernst ganze Häuserblocks umstellen, um seiner habhaft zu werden.
Genau das aber geschah an jenem Karfreitag gegen 19.30 Uhr. Als sich die halbstündige Sendung von Radio P bereits ihrem Ende neigte, wurde der Häuserblock zwischen Duncker -und Schliemannstraße, auf dessen Dächern man den Sender vermutete, weiträumig umstellt und hermetisch abgeriegelt. Da es nicht gelang, die Piraten auf frischer Tat zu ertappen, half auch der zurückgelassene Sender nicht als Beweismaterial weiter.
Inzwischen haben nun immer mehr Menschen ihr Herz für das freie unzensierte Rundfunkwesen entdeckt, die aber aus unterschiedlichsten Gründen nicht alle als Freibeuter in der Berliner Luft beschäftigt werden wollen. Radio P half jedoch schnell und unkompliziert. Im Sommer 94 wurde der Landesverband Freier Radios Brandenburg – Berlin (im folgenden LFR genannt) gegründet. Dieser begab sich ab August 95, sozusagen als Trockenübung, ins hauptstädtische Kabelnetz auf die Frequenz des Offenen Kanals.
Im Oktober war dann große Ätherpremiere für ã-Radio, die Hörbarmachung des LFR. Die sieben Eminenzen des Medienrates hatten eine Sendelizenz für die UKW Frequenz 94,8 Mhz erteilt. 48 Stunden durften Radiobegeisterte aus Ost und West ihre unzensierte Meinung in den Äther blasen, für einen Unkostenbeitrag von rund 5.000,00 DM: ein Teil an Post/Telekom für die Sendeleitung, der andere für Sendermiete an den SFB.
Anfang des Jahres bewarb sich der LFR um die Vollfrequenz 94,8 Mhz. Um diesem Antrag etwas Nachdruck zu verleihen, sendete Radio P am 1. April auf der 95,0 Mhz und verkündete, daß die Medienanstalt dem LFR die Frequenz zugeteilt hätte. Das war zwar nur ein Aprilscherz, aber es gab doch eine zarte Hoffnung: Anfang Januar 1996 war der neue Rundfunkstaatsvertrag – unterzeichnet von allen deutschen Bundesländern- in Kraft getreten. Spannend ist der § 29 Abs. 1.
Darin heißt es: „Formen der nichtkommerziellen Veranstaltung von lokalem und regionalem Rundfunk können aus dem Anteil …( die Rede ist von den Rundfunkgebühren, welche die Medienanstalten der Länder verwalten)… auf Grund besonderer Ermächtigung durch den Landesgesetzgeber gefördert werden.
Das heißt eigentlich nichts weiter, als Rundfunkgebührengelder nicht nur für ARD, ZDF etc., sondern auch für freie nichtkommerzielle Sender.
In südlichen und westlichen Landen werden freie Radios mit diesen Geldern finanziert, wie z.B. in Baden – Würtemberg, und Niedersachsen, andere wollen folgen. Das Berliner Abgeordnetenhaus mit den Stimmen von CDU& SPD erachtet eine solche Veranstaltung für unnötig. Sie verweisen in ihrer Begründung auf den sogenannten „Offenen Kanal“.
Da kann wirklich jeder: von den faschistischen Grauen Wölfen, über Kalles Mallorcagrüße bis zu Sektenwerbung ist alles zu hören. Verschiedenen verhilft diese Vielfalt offenbar zu einer gewissen Befriedigung . Das pickelerregende Multikulti-Breichen im Rundumschlag. Hauptsache, es tut nicht weh und das tut es im Kabelkanal ganz und gar nicht. Damit läßt sich die Großberliner Renommiertorte schön garnieren.
Der LFR will aus verständlichen Gründen nicht wieder im Offenen Kanal versickern. Eine eigene Frequenz muß her und wenn die nicht gleich kommt, wenigstens eine zeitlich begrenzte Sendelizenz. Da das eine Veranstaltungsfrequenz sein muß, sucht man sich ein schönes Veranstaltungsdatum – den 1. Mai. Aber die Genehmigungsanstalt versteht alles miß. Sozusagen Meierfai. Die Antragsteller wollen ja gar nicht den Arbeitstag feiern, sondern nur wieder die Idee des freien nichtkommerziellen Rundfunks propagieren und das soll ja in Berlin nicht vorkommen. Wie man es hingegen richtig macht, erläutert die Justitiarin Frau Ludwig wie folgt: „…Unter Veranstaltungsfunk werden begleitende Hörfunksendungen für eine bestimmte Veranstaltung verstanden. Der Verein „Marsch für Jesus“ hat den (Stern-) Marsch mit über UKW ausgestrahlten Liedern begleitet, damit diese überall gleichzeitig von den Teilnehmern gesungen werden konnten.“ Da wurde dem LFR unterstellt, er wolle niemanden mitsingen lassen. Da durfte also ã– Radio nicht senden.
Abgeblitzt
Aber Radio P konnte, wenigstens am ersten Mai. Und – sicher ist sicher – dachte sich das kleine Radio P und suchte Unterschlupf unterm Kirchendach. Die Höhe des aufgestellten Senders bürgt ja außerdem für eine etwas ausgedehntere Sendezeit und Reichweite. Nur ganz am Rande wurde vermutet, daß Post und Polizei sich doch zu früh zum Gotteshaus Zutritt verschaffen könnten. Doch auch ein Pfarrer hat, so nahm man an, frei am 1. Mai.
Um 19.00 Uhr war’s dann soweit. Wie das „ND“ 10 Tage später vermeldete, waren u.a. Katzenmusik,die jedes Juso-Lokal zieren würde, vor- und frührevolutionäre Sprüche und ermüdende Monologe verhinderter Literaten zu hören, sowie solch abstruses Zeug, nachdem z.B. die Faulheit die subversivste unter allen Tätigkeiten sein soll. Jawohl, alles sowas darf bei Radio P, wer will und sich traut. Nach langer Zeit wurde auch in manchen Kneipen mal wieder die Radio P Frequenz 95,0 Mhz eingeschaltet. Das Programm war in Mono und rauschfrei bis hinter Ostkreuz zu empfangen und bis Sendeschluß. Der war pünktlich wie vorgesehen 21.00 Uhr.
Dann wurde es langsam dunkel. Eine unbekannte Fotografin wurde gegen halb elf von einem kurzen Nickerchen im Gebüsch vor der Zionskirche durch verhaltene Klopfgeräusche und unterdrücktes Stimmengewirr geweckt. Neugierig zielte sie mit ihrem Blitz in Richtung der Geräusche. Als sie abdrückte, erhellte sich die Szene beidseitig. Eines ihrer Gegenüber hielt eine Laterne Richtung Gebüsch, so daß nun beide Seiten voneinander geblendet, sich nicht sehen konnten. Das Ergebnis änderte sich nicht durch die Wiederholung des Vorgangs. Was geschehen wäre, wenn die Fotografin die Verursacher des Lärms an der Kirchentür hätte erkennen können, bleibt zu vermuten. Sie dachte wahrscheinlich, daß sie die Kirchendiebe auf dem Film hat und damit alle Beweise zu deren Überführung, falls der Gotteshausherr den Verlust wertvoller Gegenstände der Öffentlichkeit bekanntgeben würde.
Da die Nacht schon fast zu Ende, begab sich unsere unbekannte Fotografin zu Bett und schlief ausgiebig und lange. So verpaßte sie am Donnerstagmorgen eine interessante Meldung von Frosch-Radio. Ein Sprecher der Innenverwaltung verkündete stolz im Brustton der Überzeugung, in der vergangenen Nacht sei es der Polizei gelungen, einen Piratensender, der zu Gewalt und Untaten aufgerufen hätte, in der Nähe des Zionskirchplatzes hochzunehmen. Es bleibt aber zu bezweifeln, ob die Fotografin diese Meldung mit ihrem nächtlichen Erlebnis in Zusammenhang gebracht hätte.Wie soll man einer so wolkigen Formulierung auch den genauen Tatort entnehmen? Oder sollte man nicht? Was verbarg sich dahinter? Sonst wird doch auch jeder Verbrechensschauplatz mit voller Adresse genannt, z.B. Sparkassenraub in Klein Koschen etc.
Egal, sie schlief noch. Am Freitag allerdings war sie hellwach, als ihr zufällig eine Mottenpost * in die Hände fiel. Da wurde wieder der Innenverwaltungssprecher zitiert: „… Piratensender funkte vom Turm der Zionskirche…von Meßwagen entdeckt … Gerät und Kassette sichergestellt … keine Festnahmen….mit Hilfe dieses Senders sollten die Demonstranten offenbar geleitet werden….“. Kein Interview mit einem Pfarrer, der wertvolles Kirchengerät vermißt oder sich über nächtliche Einbrecher beschwerte. Jetzt aber schnell die Fotos aus der Dunkelkammer ans Tageslicht. Und siehe da, trotz Blendlicht sind die nächtlichen Einbrecher zu erkennen, wie sie sich ins Kirchenhauptportal durch die zweite Rosette von unten links quetschen: zwei mit weißen Turnschuhen, der Rest mit schweren Stiefeln und Uniform. Polizei! oder jemand, der für Polizei gehalten werden, und diese durch sein nächtliches Treiben dergestalt verunglimpfen will. Die Polizei hat es nicht nötig, sich nachts im Finstern wie Kriminelle in ein Gotteshaus zu schleichen? Sie bräuchte doch nur dem Pfarrer sagen, daß sich wilde Piraten in seinem Kirchturm befänden. Dieser hätte ihnen dann schon heimgeläutet. Aber keiner hat’s dem Pfarrer bisher erzählt. Was wird er tun, wenn er davon erfährt? Vielleicht fehlt ja auf dem Kirchturm auch gar kein Piratensender, sondern im Kreuzgang die Kollekte? G. Danzig
* Red: „Mottenpost“ – so wird seit den zwanziger Jahren im Volxmund die Berliner Bolevardzeitung „Morgenpost“ genannt, derzeit im Besitz des Springer Verlages)
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph