von Dietmar Wolf
aus telegraph 6/1996
„Was ist denn bei Euch in Berlin los? Wer hat denn da das Sagen?“ Dies ƒuflerung richtete Johannes Paul schon im Vorfeld seines Besuches an die Adresse der politisch Verantwortlichen von Bonn und Berlin. Und er hatte aus seiner Sicht allen Grund dazu.
Schon im Vorfeld wurde die Kunde laut von einer Anti-Papst-Kampagne die sich, wieder einmal in Berlin, lautstark zu Wort meldete und dem Papst einen z¸nftigen Empfang prophezeite. Und so mancher brave Katholik wird sich gefragt haben, warum eigentlich ihr Heiliger Vater ausgerechnet in das heidnische, rot verseuchte Berlin pilgern muflte. Und wahrlich. In Bayern h‰tte der arme Mann wahre Jubelst¸rme erfahren kˆnnen, w‰re da nicht seinerzeit dieser dumme Beschlufl gefallen ausgerechnet das „rote“ Berlin erneut zur deutschen Hauptstadt zu machen. Das hat zwar seine Vorg‰nger vor dem 2. Weltkrieg niemals zu einem Besuch ermutigt, aber vielleicht rechnet sich Johannes Paul in Zusammenhang mit dem Umzug des mehrheitlich katholischen Bonner Staates eine Chance f¸r eine Rekatholisierung der im Mittelalter abgefallenen Gebiete aus.
Also tingelte der Verreise-Papst in den kalten, ungl‰ubigen Osten. Und damit die pompˆse Massenveranstaltung im Olympiastadion nicht ganz ins Wasser f‰llt, karrte man noch schnell 50000 Br¸der und Schwestern aus Polen und Tschechien an die Spree. Denn anstatt der erwarteten 120.000 Menschen, fanden sich in Hitlers Stadion gerade mal schlapp 90.000 ein. Minus 50.000 Osteurop‰er bleiben nur noch 40.000 gl‰ubige deutsche Katholiken. Oder sollte man sagen kamen trotzdem noch?
90.000 also lauschten den immer wieder in kurzer Meditation versinkenden Kirchenmann, der als Krˆnung, ausgerechnet in dem Stadion des deutschen Faschismus, den katholischen Widerstandsk‰mpfer gegen den Faschismus, Bernhard Lichtenberg selig sprach. Interessanterweise wurde Lichtenberg erst kurz vor dem Besuch des Papstes von der bundesdeutschen Justiz rehabilitiert – ein Verfahren, das sich bis dahin ¸ber dreiflig Jahre ohne Ergebnis hinschleppte. Er setzt also noch einiges in Bewegung unser Johannes Paul.
Aber wie gesagt, da waren auch noch die Gegner. „Viele F‰uste f¸r ein Hallelulja“ lautete das Motto unter dem sich 3000 Demonstranten am Winterfeldplatz einfanden. Jedoch glich die Demo eher einem Karnevalsumzug. Mehrere hundert Demonstranten tanzten einen Techno-Wagen hinterher. An der Spitze der Demo fuhr ein Sattelschlepper auf dem der als Nonnen verkleidete „Berliner Lesben-Chor“ spˆttische L‰sterges‰nge von sich gab. Mitten in der Demo fuhr ein fast schrottreifer VW-Bulli um den sich ca. 200 Punks und „Autonome?!“ gescharrt hatten. Aus bis zur Schmerzgrenze ¸bersteuerten Boxen drˆhnte undefinierbarer Krach, der selbst bei der vorgezogenen Abschluflkundgebung nur nach h‰nderingenden Flehen der Veranstalter kurz abgestellt wurde. Am Ende der Demo fuhr ein „Papa-Mobil“ auf dem die farbige Gegenp‰pstin „Joy Anna II“ safl, die zu Beginn der Demo gek¸rt worden war.
Die Demo zog mehrere Stunden ¸ber Palas- und Potsdamer Strafle bis zur Staatsbibliothek, wo sie vorzeitig beendet wurde, da der Rest der Route durch den Tiergarten weit weg von dem weitr‰umig abgeriegelten Brandenburger Tor f¸hrte. Bis auf die Punks, die es sich nicht nehmen lieflen, noch eine Weile und unter Bullenbewachung mit ihrem „Krach-Mobil“ durch den Tiergarten zu latschen, war es allen Demonstranten genug. Man zog es vor, ¸ber Umwege zur Strafle Unter den Linden zu gehen um dort dem Papst, einen ganz speziellen Empfang zu bieten. Als dieser dann in seinem kugelsicheren Spezialjeep, umringt von Personensch¸tzern des BKA und abgeschirmt von mehreren Hundertschaften der Polizei die fast menschenleeren Linden entlang defilierte, muflte er wohl seinen Augen nicht getraut haben. Ein gellendes Pfeifkonzert schlug ihn entgegen, das immer lauter wurde, umso n‰her er dem Brandenburger Tor kam und nur vereinzelt von dem Klatschen einiger hundert Anh‰nger ¸bertˆnt wurde. Der Skandal war perfekt, als zwei splitternackte Frauen die Absperrungen ¸berwanden und sich dem ‰uflerst pikiert dreinblickenden Papst entgegenstellten. Erst eine grofle Zahl Polizisten setzte, allerdings unter M¸he, dem nackten Treiben ein Ende.
Selbst im vollkommen abgeschirmten Rund um das Brandenburger Tores, w‰hrend langweiliger Reden von Herzog, Kohl und dem Papst und trotz fleifliger M¸hen des Fernsehsenders B1, der nat¸rlich life ¸bertrug, war das Pfeifen nicht zu ¸berhˆren. So muflte der Kontraste-Reporter sich Eckert genˆtigt f¸hlen, erkl‰rend darauf hinzuweisen, das dies eben normal f¸r eine Hauptstadt einer Demokratie w‰re, dafl es neben Bef¸rworter auch Gegner g‰be, die ihren Protest zum Ausdruck bringen.
So haben die Proteste eins gebracht. Die Herrschenden sind wieder einmal kr‰ftig angeknarrt und sp¸ren, dafl es f¸r sie auch in Zukunft noch viel Scherereien in Berlin geben wird. Und der Vertreter Gottes auf Erden wird sicherlich so schnell nicht wieder nach Berlin kommen. Auf jeden Fall nicht in diesem Leben.
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